Читать книгу Sonnentanz - Taja Jetsch - Страница 10
9.
ОглавлениеDrake
Drake hatte bei dem kleinen Italiener den ganzen Wintergarten angemietet. Geld spielte keine Rolle, er musste sie zurückgewinnen. Irgendwie. Was er ihr sagen wollte, wusste er immer noch nicht genau.
„Sie kommt.“ Er hob die Nase in die Luft. Er roch . . . Lilien, Wald, Sie. Aufregung, Schweiß. Aber auch Angst. Wenn sie ihn doch nur so wahrnehmen könnte wie er sie, dann wüsste sie, dass auch er Angst hatte.
Emily
„Emily.“ Jared empfing sie und bot ihr seinen Arm an. „Schön, dass Du da bist.“
„Jared.“ An der Tür standen die anderen. Klar, als würde er alleine kommen. „Seid ihr eigentlich siamesische Fünflinge?“, wunderte sich Emily.
„Nein. Hallo Emily.“, sagte Maddox und hielt ihr die Hand hin. „Du zitterst. Emily, er hat auch Angst, genau wie Du. Du bist ihm sehr wichtig.“ Jared brachte sie zu Drake.
Der Wintergarten, in den Jared sie brachte, war mit hunderten von Kerzen geschmückt. Hinten links stand ein kleiner runder Tisch, an dem Drake stand. In der Hand hatte er eine einzelne rote Rose. Jared ließ Emily los und schubste sie regelrecht in den Raum.
Drake kam mit ausgestrecktem Arm auf sie zu. „Emily.“ Sie legte ihre Hand in seine. Ihr Herz klopfte allein bei seinem Anblick einen Takt zu schnell und sie musste schlucken. Es war total bescheuert, aber wenn sie in seine Augen sah, vergaß sie alles um sich herum. Sie sah nur noch ihn. Sie versank in seinen Augen, als würde sie in einem warmen Meer baden. Emily wusste es nicht, aber für Drake war es ähnlich. Nur dass er ‚nach Hause kam‘, wenn er sie ansah.
Nun saßen sie an dem kleinen Tisch, tranken Rotwein und ihre Vorspeise hatten sie aufgegessen. Am anderen Ende des Wintergartens saßen ihre Freunde zusammen an einem großen Tisch und dort wurde schon gelacht. Sie verstanden sich gut.
*****
Drake
„Puh.“ Drake rieb seine Handflächen über seine Beine. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich . . .“ er holte tief Luft. „Ich fang einfach an, wahrscheinlich wird’s durcheinander.“
„Du bist nervös?“, bemerkte Emily erstaunt.
„Ähm, ehrlich gesagt, ja. Total.“
„Ok, pass auf. Du kannst mir alles sagen. Ich will hören, was Du mir zu sagen hast. Also, alles was Du bereit bist, mir zu erzählen. Ich hoffe sehr, dass Du mich nicht anlügst. Aber ich bin hier, um Dir zuzuhören. Du musst mir nur eines versprechen, Du musst mir die Wahrheit sagen.“ Emilys Stimme zitterte leicht.
„Mmh, gut. Ich verspreche es. Wobei, ich hab Dir schon immer die Wahrheit gesagt. Aber egal. Also, als Erstes: Ich bin kein Stalker! Obwohl ich gestehen muss, dass es sich wahrscheinlich für Dich so anfühlt. Ich kann Dir einiges noch nicht erklären – noch nicht! – aber das liegt daran, dass ich mir über einiges selbst erst mal sicher sein muss. Es liegt also nicht an Dir! Ich habe mich lange mit den Jungs unterhalten und mit meinem Vater fast zerstritten, bis meine Mutter eingriff. Als ich Dich im letzten Jahr gero . . .“ Er unterbrach sich selber. „. . . gesehen habe, als ich Dich gesehen habe – ich kann es nicht erklären, aber ich fühlte mich sofort zu Dir hingezogen. Und dann habe ich Dich gesucht und nicht gefunden. Fast drei Monate lang. Mein Vater hat Ärger gemacht und die Jungs wollten weiter. Aber ich konnte nicht. Ich wollte nicht. Ich wollte erst Dich finden. Und dann hab ich Dich gefunden, in der Bar. Schon letztes Jahr. Aber ich konnte mich Dir einfach noch nicht vorstellen. Und ja, seitdem versuche ich, Dir nahe zu sein. Und wenn ich nicht konnte, hab ich einen von ihnen . . .“, Drakes Kopf ging nach links, „. . . geschickt. Damit sie auf Dich aufpassen.“
„Also doch.“, flüsterte Emily atemlos.
„Warte! Verurteile mich nicht. Bitte. Es ist so, ich komm aus Montana, Amerika. Das hört man wohl.“ Emily lächelte und nickte mit dem Kopf. „Ich musste dann also erst einmal einigermaßen Deutsch lernen. Ich habe mir eine Wohnung gesucht am Bodensee. Wir haben in Reichenau ein Haus gefunden. Die Insel liegt im westlichen Teil des Bodensees, dem Untersee, zwischen Konstanz und Radolfzell und ist die größte Insel im Bodensee. Wusstest Du, dass sie seit 2000 mit dem Kloster Reichenau sogar auf der UNESCO-Liste des Welterbes verzeichnet ist? Na ja, jedenfalls musste ich auch zurück. Mit meinem Vater reden, er hatte schon Ärger gemacht. Es ist so, Emily, ich bin zwar kein richtiger Indianer, aber wir stammen irgendwie von den Blackfeet ab. Und wir leben in so was Ähnlichem wie in einem . . . Stamm oder Clan. Mein Vater ist sozusagen der Häuptling, also der Clanführer und ich sein ältester Sohn. Ich hab nur eine jüngere Schwester, Migina Rozene Mirani, was so viel heißt wie ‚Rückkehrender Mond ist schön wie eine Rose und Dein Schicksal‘. Wir sagen aber alle Mira zu ihr. Ich werde also irgendwann die Rolle meines Vaters übernehmen müssen. Wir sind ein alter Stamm und haben eher selten Kontakt zu der Außenwelt. Nicht, dass wir hinter dem Mond leben. Viele von uns haben Häuser und Autos, Strom und fließend Wasser, Internet und Handys. Und wir haben auch Freunde außerhalb. Trotzdem versuchen wir unter uns zu bleiben. Unser . . . Stamm ist sehr groß und auch sehr alt. Wir haben viele Traditionen und Rieten.“ Er nahm einen Schluck aus seinem Glas. Sein Essen war fast kalt geworden.
Erzählte er zu Anfang noch sehr langsam, strömten nun die Worte aus ihm raus.
„Mein indianischer Name ist Mingan Chowilawu Drakawe, was so viel wie ‚Wolf, vom Wasser zusammengefügter Drache‘ heißt.“ Er lachte. „Ja, frag mich nicht. Eltern. Aber wir jungen Leute tragen unsere Indianernamen nicht mehr wirklich, nur zu offiziellen Anlässen, wie z.B. zum Sonnentanz. Das ist ein großes Fest bei uns, bei dem ich dieses Jahr das erste Mal nicht dabei war. Das ist für meine Familie hart. Ich hab nämlich auch schon das Fest der heiligen Pfeife verpasst. Es hat also zu Hause mächtigen Ärger gegeben. Es ist nämlich sehr wichtig, dass ich immer dabei bin, um den mir zustehenden Platz zu verteidigen. Also wir kämpfen. Normalerweise ist das nur sowas wie ein Schaukampf, aber manchmal auch wirklich ernst. Und dieses Jahr hätten das entweder mein Vater oder meine Schwester für mich übernehmen müssen. Ich hatte Jared als meinen Vertreter ausgesucht. Aber auch das musste ich klären.
Die Jungs da hinten, die kenne ich schon mein Leben lang. Wir sind zusammen groß geworden und haben schon als Kinder miteinander gespielt. Und ja, Du hast Recht. Sie sind nicht nur meine Freunde, sondern tatsächlich sowas wie meine Leibwache. Sie dürfen mich gar nicht allein lassen.
Ok, also da haben wir Jared. Er heißt Wambli-Waste Jaredow, guter herabsteigender Adler. Maddox wird Ohanko Mahddolx – rücksichtsloser Königssohn genannt. Tristan ist blond, sehr ungewöhnlich bei uns, aber es kommt vor. Deshalb heißt er Muraco Triwatan – weißer stiller trauriger Mond und als letzter Sam. Er heißt Mojak Samuwok. Das bedeutet so viel wie Nie stiller Geist wurde erhört. Und das passt auch zu ihm.“
„Emily.“, seine Stimme wurde ganz sanft. „Manche von uns suchen ihr ganzes Leben danach, aber manche von uns finden einen . . . finden die eine Person, mit der sie ihr Leben lang verbunden bleiben. Und dann kann die beiden nichts auf der Welt mehr trennen. Und Frauen bei uns werden einfach immer noch gut beschützt, denn sie sind unser Leben.“ Drake sah ihr lange in die Augen. „Emily, verstehst Du, was ich Dir sagen will?“
Emily wandte den Blick ab. Mittlerweile stand Dessert vor ihnen und Emily stocherte in ihrer weißen Mouse. Sie sah ihn nicht einmal mehr an. Draußen war es nun fast ganz dunkel, es war spät geworden.
Drake holte tief Luft. „Also ja, ich habe Dich beobachtet. Wenn Du es so ausdrücken willst, Dich verfolgt. Aber in guter Absicht, nicht in böser. Du bist so klein und zart und weich. Ich wollte Dich nur beschützt wissen.“ Er griff über den Tisch und nahm ihre Hand. „Ich hätte Dir sicher einiges davon früher sagen müssen. Aber wann? Es ging alles so schnell! Wenn Du in meiner Nähe bist, vergesse ich alles. Ich vergesse, dass ich ein großer starker und böser . . . Krieger bin.“
„Böse?“, fragte Emily.
„Nicht bei Dir!“ antwortete Drake schnell „Nur bei unseren Feinden.“
„Ihr habt immer noch Feinde?“ Emily klang erstaunt.
„Ja, leider. Aber das ist eine andere Geschichte, Emily, die ich Dir später mal erzählen werde. Hast Du Fragen?“
„Eigentlich nicht. Aber, wenn ich ehrlich bin, verstehe ich immer noch nicht, wieso Du mich seit – seit wann? Einem Jahr? – mehr oder weniger beschatten lässt. Nein, entschuldige, Du ‚beschützt‘ mich ja. Was, glaubst Du, ist das Problem? Das Du halber Indianer bist? Ich versteh’s einfach nicht.“
Hilfesuchend drehte Drake den Kopf und sah Jared an. Wieso war es nur so schwer, es zu sagen? Weil er es sich dann selber eingestehen musste? Er war sich doch schon so gut wie zu 100% sicher.
„Emily, Du machst es mir wirklich nicht leicht. Muss ich es wirklich aussprechen? Ich . . .“, fahrig fuhr er sich mit der freien Hand über das Gesicht und durch die Haare.
„Wenn Du noch was zu sagen hast, dann sag es. Erkläre es mir, dass ich es verstehe, Dein Verhalten, sonst will ich jetzt gehen.“ Emily legte den Löffel hin. Es sah aus, als würden sich Tränen in ihren Augen bilden. Sie blinzelte sie weg. Sie würde nicht weinen. Nicht vor ihm.
Drake schüttelte den Kopf. „Also gut. Damit offenbare ich Dir mein Herz. Ich lege es in Deine Hände, Emily, und Du kannst mich töten. Sieh mich an.“ Drake ahnte nicht, dass es für Emily schwer war, in seine Augen zu sehen und sich dann auf etwas anderes zu konzentrieren, wie z.B. zuhören. Aber sie hob den Blick und sah ihn an. Drake schluckte „Emily, ich würde Dir nie weh tun. Ich würde Dich niemals absichtlich verletzten. Emily, ich glaube, dass Du ‚DIE EINE‘ für mich bist. Die Eine, nach der ich mein Leben lang gesucht habe. Die eine, mit der ich für den Rest meines Lebens zusammen sein werde. Das heißt auch, wenn ich Dich verliere, dann sterbe ich und das mein ich Ernst. Das ist keine Floskel. Wieso ich das weiß? Ich kann es Dir nicht sagen. Das ist der Grund, warum ich Dich beschützen will und muss. Dir darf nichts passieren. Du bist mein Leben.“
„Lass ihr Zeit.“, sagte Bastian zu ihm, als sie das Lokal verließen. Was sollte er auch sonst tun? Nun hatte sie den Spielball und war am Zug.
*****
Emily
Nachdem Emily versuchte hatte, sich an alles zu erinnern, was Drake ihr erzählt hatte und ihren Freunden ausführlich berichten musste, lag sie nun in ihrem Bett. Allein. Wach. Sie hatte immer noch seine Stimme im Ohr. „Verstehst Du, was ich Dir damit sagen will? Du bist mein Leben. Du bist die Eine für mich. ‚Die Eine.‘ DIE Eine. ‚Zusammen sein werde‘ hatte er gesagt, nicht ‚Zusammen sein möchte“. Sie schlief ein.
Und träumte. Von ihm. Wie er sie ansah, seine Augen verwandelten sich in ein Meer, in das sie hinein lief und dann fast ertrank. Jemand rettete sie. Ein Indianer mit langen schwarzen Haaren und Federkopfschmuck, bunt bemalt. Aber er hatte seine Augen. Er hielt sie im Wasser fest, dann standen sie am Strand. Er küsste sie. Er ließ sie los und sie wurde von ihm weggezogen. Nun stand sie in einem Tipi. Riesengroß und brechendvoll. Sie sah nur halbnackte Indianer. Ihre Blicke suchten ihn, doch sie fand ihn nicht. Als sie sich umdrehte, stand sie vor einer Art Arena. In der Mitte waren zwei Männer. Drake. Sie hatten beide Speere in der Hand. Der andere Indianer lag auf dem Boden und Drake beugte sich über ihn. Da stieß der, der am Boden lag, Drake den Speer in die Brust und Drake brach zusammen. Sie schrie auf, schrie seinen Namen, wollte zu ihm. Doch sie war umringt von Indianern. „Du bist keine von uns!“, sagten sie. „Du bist keine von uns!“ Es klang wie eine Formel. Sie rief nach ihm, rief seinen Namen. Dann stand sie vor dem Zelt, es gab keinen Weg zurück.
Zitternd und weinend erwachte sie. Sie erkannte, sie war auf dem besten Wege sich in ihn zu verlieben.