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Drake

Heute war er zum ersten Mal mit seinen Jungs in der Open-Air Bar, in der SIE seit über einem Jahr mit ihrer kleinen Band auftrat, und sein Herz klopfte. Die Bar, dass „Blue Moon“, war, wie er von seinen Freunden gehört hatte, DAS Szene-Lokal geworden, und fast jedes Wochenende bis auf den letzten Platz ausgebucht. Meistens dann, wenn SIE hier sang. Das erstaunte ihn nicht. In seinen Ohren klang ihre Stimme wie die eines Engels. Er hatte fast das gesamte letzte Jahr gebraucht, bis er soweit war, öffentlich mit seinen Freunden ins Blue Moon zu gehen und ein Bier zu trinken und sich nicht wie sonst, zu verstecken. Aber es hatte sich auch viel verändert.

*****

Drake

Sein Vater hatte ihm lange nicht erlaubt mit einer Handvoll Jungs, die seine engsten Freunde waren, zu einer Tour aufzubrechen. Bis dahin hatte er nur Nordamerika und Kanada unsicher gemacht, denn sein Clan lebte in Montana auf einem der sogenannten Great Plains.

Er liebte es, in Montana zu leben. Dort war er wirklich frei. Das Areal, welches seine Familie und der ganze Clan seit Jahrhunderten bewohnten, war einfach riesig. Große freie Prärieflächen, klare Seen und Wasserfälle, unendlich anmutende Wälder, und das alles zu den Füßen der Rocky Mountains. Unten, im Tal, gab es mildere Temperaturen, dort konnte es im Sommer auch schon mal richtig heiß werden. Im Winter tobte er am liebsten mit seinen Freunden durch die schneebedeckten Berge der Rockys. Hier in der Stadt fühlte er sich unwohl und eingeengt. Doch hier in der Stadt war SIE.

Das, was ihn heute hierher gebrachte hatte, war zu allererst ihr Duft gewesen. Das würde er wohl nie vergessen.

Nach dem er mit seinen Freunden erst monatelang durch Afrika getourt war, waren sie über Ägypten nach Malta gekommen. In Italien hatte er seine Vorliebe für Nudelgerichte und Rotwein entdeckt. Dann ging es über die Schweiz und Österreich zum Bodensee. Hier gefiel es allen sehr gut. Es war nicht mehr so heiß wie in Afrika. Die Kombination aus Bodensee und Alpen ließ sie an zu Hause denken. Sie wollten über München nach Düsseldorf und Hamburg und dann weiter nach Norwegen und Schweden. Doch soweit kamen sie nicht.

Sam hatte ein wenig gegoogelt und entdeckt, dass in Düsseldorf die wohl größte Kirmes am Rhein stattfinden würde.

„Und freitags gibt’s abends auch noch ein Feuerwerk!“, hatte er beim Frühstück in München erklärt. „Da will ich hin!“. Sie waren schon immer beste Freunde gewesen, aber dieses Jahr, das sie nun schon zusammen unterwegs waren, hatte sie noch viel stärker zusammen geschweißt. „Komm schon, Drake“, meinten die anderen. Ihnen würde er sein Leben anvertrauen, was wäre da schon einmal Kirmes und Feuerwerk.

„Na klar, dann mal los.“, sagte Drake „Nach dem Frühstück Klamotten packen und weiter geht’s“.

*****

Drake

„Was für ein Lärm!“, rief Drake seinen Freunden zu und lachte.

„Oh ja“, antwortete Sam und hielt sich demonstrativ die Ohren zu. „Aber auch toll.“ Sie kamen gerade von der Wasserrutsche und Tristan und Maddox waren klatschnass. Drake und Jared waren nur feucht geworden, während Sam, der in der Mitte gesessen hatte, fast gänzlich trocken geblieben war.

„Nä nä nä“, lachte Sam „Ihr seid ja so nass! Los, kommt, ich will zum Rollercoaster.“ Während sie sich durch die Masse treiben ließen, überkam Drake irgendwie ein . . . komisches Gefühl? Eine Ahnung? Ein Geruch? Sein Kiefer schmerzte. Er blieb stehen und sah sich suchend um.

„Was ist los?“, fragte Jared, der neben ihm ging. Drake konnte sehen, dass Jared sofort in Alarmbereitschaft war.

„Ich weiß auch nicht, irgendwie . . .“ Drake ließ den Satz offen und sah sich nochmals um. „Hier ist es so laut, so viele Geräusche, Musik, Gespräche und dann erst noch die ganzen Gerüche: Essen, Alkohol, Pisse, Kotze und was weiß ich noch alles. Komm, egal, es weiß keiner, dass wir hier sind.“ Mittlerweile waren sie an der Achterbahn angekommen. Die Schlange davor war fast mörderisch lang.

Maddox stöhnte, „Das ist nicht dein Ernst, Sam! Hier sollen wir uns anstellen?“

Sam lachte: „Na klar! Schau doch mal, die Loopings!“

Da war es wieder. Während die Schlange sich langsam vorwärts bewegte und seine Jungs lachend und feixend zwei Schritte vorwärtsgingen, blieb Drake stehen und sah sich wieder suchend um. Nichts. Er konnte einfach nichts sehen, nichts riechen. So viele Menschen, aber er konnte keinen einzelnen erkennen.

‚Tief durch atmen, ganz ruhig, tief durch atmen‘ wiederholte er im Kopf. Dann schloss er die Augen und atmete tief ein. Da! Da war es! Ein Duft! Wie frische Lilien und Wald, wenn es geregnet hatte, irgendwie . . . rein. Sein Herz stolperte und er war fast sofort heiß. Langsam öffnete er die Augen. Jared, Maddox und Tristan hatten ihn quasi abgeschirmt, standen wie eine Mauer mit dem Rücken vor ihm und schauten über die Menge hinweg, was nicht schwierig war, denn mit ihren 1,90m waren sie größer als fast alle anderen. Nur Jared und Drake, die noch größer waren, überragten alle.

„Was ist los, Drake?“, schimpfte Jared.

Und dann sah er SIE. Sie kam lachend mit einer Gruppe Frauen auf ihn zu.

„Sie.“, seine Antwort war einfach.

Jared sah sich um. Er begann zu lachen. „Jungs, alles ok. Drake hat nur Frischfleisch gerochen.“ Die Spannung, die kurz vorher noch greifbar war, löste sich auf und sie warteten auf die Gruppe junger Frauen, die auf sie zukam.

„Welche willst du Drake?“, feixte Jared. „Ich nehm die mit den langen Haaren!“ Alle lachten, denn die jungen Frauen, die auf sie zukamen, hatten alle lange Haare. Alle lachten, bis auf Drake, der ganz leise knurrte. Er starrte die junge Frau mit den rotblonden langen Haaren an.

Sie sah aus, als wäre sie in eine Unterhaltung mit einer ihrer Freundinnen vertieft – wie konnte man sich bei dem Lärm nur unterhalten? Ein paar Schritte vor Drake und seinen Jungs blieb die Gruppe stehen und diskutierte, ob sie auf den Rollercoaster gehen sollten. Von irgendwo her erklang das Lied „You keep me hanging‘ on“ von Kim Wilde und er hörte zum ersten Mal ihre Stimme. Sie erschien ihm wie gefiltert durch das ganze Geräuschs-Chaos. Sie sang das Lied mit. Klar, hell, rein.

Drake konnte einfach nicht anders. Irgendwas an dieser Person faszinierte ihn, er musste sie einfach anstarren. Da stand er, Drake, an einem Freitagabend mitten auf der Düsseldorfer Kirmes, hörte nichts mehr außer ihrer Stimme, roch nur noch ihren Duft und sah nur noch ihr Gesicht. Die Jungs neben ihm lachten und ließen blöde Sprüche ab, aber Drake bekam das nur ganz weit hinten am Rand mit. Von irgendwoher kam ein Windstoß und brachte ihren Duft intensiv vorbei. Er sog ihren Duft tief ein und musste sich total zusammen reißen, am liebsten hätte er laut geheult.

Sie musste seine Blicke gespürt haben, denn auf einmal sah sie sich um. Ihr Blick flog über die Menge, über ihn hinweg, auf der Suche nach demjenigen, der sie anstarrte. Sie wurde von einer ihrer Freundinnen angesprochen und Drake musste lachen, denn sie führte eine ähnliche Unterhaltung wie noch vor kurzer Zeit er mit Jared.

Emily

„Ich weiß auch nicht“, sagte sie. „Ist so‘n komisches Gefühl, als würde mich jemand beobachten.“ Sie schaute sich noch einmal langsam um und bewusster die Menschen an, die in unmittelbarer Nähe standen. Ihr waren die Typen, die dort standen, schon aufgefallen. Aber diese Typen hatten irgendwas an sich, so dass sie sich irgendwie nicht traute, ihnen ins Gesicht zu sehen. Von ihnen ging etwas Gefährliches aus. Ihre Atmung beschleunigte sich, ihr Herz klopfte einen Takt schneller. Also flog ihr Blick nur vorbei. Sie lachte über sich selbst. Wie sollte sie diese Aura von Gefahr nur erklären? Gar nicht!

Sie wand sich wieder ihren Freundinnen zu und versuchte herauszufinden, worum es gerade ging. Aber dieses Gefühl, dieses ‚Beobachtet werden‘ und was noch schlimmer war, dieses Kribbeln im Nacken – es ging einfach nicht weg.

‚Was soll schon passieren?‘, dachte sie ‚Ich bin hier von hunderttausend Menschen umgeben‘. Sie hob den Kopf und drehte sich langsam. Diesmal schaute sie genau hin. Die Typen waren groß, sehr groß! Alle relativ schlank, aber scheinbar gut gebaut. Sie trugen Jeans und Lederhosen, Turnschuhe und Boots, T-Shirts und Hemden. Alles ganz normal. Dann glitt ihr Blick höher. Der Typ ganz rechts hatte lange mittelbraune Haare, der daneben war Blond. Der Typ in der Mitte hatte schwarze Haare, nicht kurz, aber auch nicht lang, total zottelig irgendwie. Er trug eine ziemlich dunkle Sonnenbrille. ‚Schnell wegsehen‘ war ein Gedanke, der ihr wie ein Blitz durch den Kopf fuhr und ihr Herz schneller schlagen ließ. Die beiden anderen hatten auch ziemlich dunkles Haar, aber sehr kurz geschnitten. Ihr Blick ging zurück zu dem Typen in der Mitte. Er stand breitbeinig mit seiner schwarzen Jeans und den Boots auf dem Platz, als würde der Platz ihm gehören. ‚Und die anderen sind seine Bodyguards‘, dachte sie, während ihr Blick wieder tiefer wanderte. Er hatte ein blaues Hemd an und die Arme vor der Brust verschränkt.

‚Was hat der für Oberarme! Das kann ja alles nicht echt sein‘, dachte sie und lachte. Langsam wanderte ihr Blick wieder höher und sie sah, dass er quasi in ihrem Tempo den rechten Arm hob und die Sonnenbrille abnahm. Er hatte unglaubliche blaue Augen.

Ihr Herz setzte aus. Um sie herum wurde es still und sie sah nur noch ihn.

‚Quatsch, das kann ich doch von hier aus gar nicht sehen – oder doch?‘ Warum klopfte nur ihr Herz so schnell? Er war es scheinbar, der sie die ganze Zeit anstarrte. Sie wandte den Blick ab. ‚Scheiße‘, dachte sie. ‚Scheiße!‘ Aber sie musste noch mal hinsehen. ‚Das ist doch eine Halluzination!‘ Nein, er war immer noch da und – warum auch immer – er machte den Eindruck, als würde er ihr was sagen wollen. Gerade, als sie fast einen Schritt in seine Richtung gemacht hätte, packten ihre Freundinnen sie und zogen sie weiter. „Komm Em“, riefen sie. „Wir wollen auf die wilde Maus und was essen.“

„Wartet mal, wartet mal“, wollte Emily rufen, während ihre Freundinnen sie an den Typen vorbei zogen. Im Vorbeigehen konnte sie ihm wirklich in die Augen sehen. Ja, sie waren blau, unglaublich blau. Wie das Meer. Und sie verlor sich in ihnen.

„Wartet mal, wartet mal“, schrie Emily und drückte die Fersen in den Boden. Nach einigen Metern blieben ihre Freundinnen endlich stehen und zerrten nicht mehr an ihr. „Was ist denn los?“, wollten sie wissen, doch als Emily sich diesmal umdrehte, konnte sie ihn nicht mehr sehen.

„Oh . . . ach . . . nichts. Dann los Mädels, wir wollen heute noch was erleben!“ Sie drehte sich noch zweimal um, aber sie fand ihn nicht mehr und ihr Herzklopfen ließ einfach nicht nach.

Drake

Sie sah ihn an.

Sie sah ihm direkt in die Augen.

Und er konnte ihr in die Augen sehen, während die Mädels an ihnen vorbei gingen. Sie waren grün. Nein, nicht nur grün, sie waren smaragdgrün. Wie der Wald zu Hause. Und es fühlte sich an, wie . . . versinken, ertrinken, nach Hause kommen. Sein Herz, es schien aus dem Takt zu kommen, nur um dann doppelt so schnell zu schlagen. Er war auf einmal total heiß. Sein Schwanz schwoll an und pochte in der engen Jeans. Und sein Kiefer schmerzte.

Ja, sie war es. Mit Sicherheit! Die Eine! Die, mit der er . . .

Maddox und Tristan hatten ihn gepackt, gaben ihm 'ne Kopfnuss und grölten. Sam stand in der Reihe und war nun fast am Fahrkartenschalter.

„Los“, brüllte er. „Kommt jetzt sofort hierhin oder ich fahre allein!“.

„Wartet mal“, sagte Drake.

„Nee, los jetzt, Sam wartet auf uns. Wir suchen Dir und uns nachher noch was Nettes zum Bumsen. Vielleicht finden wir die Mädels auch wieder. Aber schau mal, hier läuft so viel rum und wir ziehen heute Nacht noch durch die Altstadt.“ Die Worte, die Jared auf ihn losließ, verschwammen.

Die Fahrt auf der Achterbahn dauerte nicht lang, auch wenn sie Drake wie eine Ewigkeit vorkam. Wieso war er überhaupt mitgefahren? Warum hatte er sich nicht abgesetzt? Um sie zu suchen? Ja, um sie zu suchen. Nach der Achterbahn lenkte er seine Freunde hinter ihr her. Er konnte ihren Duft immer noch schwach wahrnehmen, was zwischen all den anderen Gerüchen ziemlich schwer war. Aber er war noch da. Nur: Wo war sie?

Nachdem Drake und die Jungs ihre Runde über die Kirmes gedreht hatten, folgten sie ihrem Geruch und der Masse über die Rheinbrücke in die Düsseldorfer Altstadt. Dort stellten sie sich zu den hunderten Menschen auf den Burgplatz an die Rheintreppen, um sich das Feuerwerk anzusehen. Aber Drake hatte keine Augen dafür. Er sah sich ständig um und hielt die Nase in die Luft. Doch mittlerweile war ihr Geruch verschwunden oder er konnte ihn bei all diesen Menschen einfach nicht mehr wahrnehmen.

Ungekannte Traurigkeit überfiel ihn, sein Herz wurde schwer.

Sie war fort.

Weg.

Nur noch eine Erinnerung.

Wie sollte er sie finden?

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