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12.

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Emily

Wenn sie heute nach Hause käme, wäre er nicht mehr da. Drake wäre dann fort.

Sie atmete tief ein und aus, als sie ihre leere und stille Wohnung betrat. Auf ihrem Bett fand sie eines seiner T-Shirts, er hatte es gestern getragen, eine rote Rose darauf und eine kleine Nachricht.

„Bald bin ich wieder da! Vergiss mich nicht.“

Als ob sie ihn je wieder vergessen könnte. Sie fand, das war unmöglich. Erst nahm sie die Rose in die Hand. Die Blüte roch stark, aber wirklich gut. Dann nahm sie sein Shirt, presste es sich an die Nase und atmete seinen Geruch ein. Nun schossen ihr doch Tränen in die Augen. Verdammt! Sie wollte diesmal nicht weinen. Entschlossen legte sie sein Shirt in ihr Bett, auf ihr Kissen und stand auf. Sie stellte die Rose ins Wasser und auf ihren Nachtisch.

Mittlerweile hatte sie von allen seinen Freunden die Handynummer und sie wusste ja, das Maddox die nächsten Wochen bei ihr sein würde. Also rief sie ihn an.

„Maddox, hey, wie geht’s? Alles ok bei Dir? Ich hab Dich ja noch gar nicht gesehen, seit dem ihr zurück seid.“ Sie lauschte. „Ok, pass auf. Ich hab das nicht mit Drake besprochen, aber ich denke mal – ich hoffe, er hat nichts dagegen. Also, ich wollte Dir anbieten, erstens nachher auch rumzukommen. Meine Mädels mit Anhang kommen, wir wollen was zusammen spielen. Sie wollen mich ablenken, von der Tatsache, dass Drake . . . weg ist. Ist vielleicht nicht Dein Ding, aber wenn Du magst . . . wärst Du herzlich willkommen. Und außerdem wollte ich Dir anbieten, ich habe ja das Gästezimmer mit Bad. Also Du müsstest halt nicht im Hotel – oder wo auch immer Du wohnst – bleiben. Wenn Du wolltest . . .“ Sie ließ den Rest offen. „Also, komm vorbei oder auch nicht. Wie Du es für richtig hältst oder Du Bock hast. Oder vielleicht hast Du auch was anderes vor? Wie auch immer.“ Sie holte Luft: „Also, das wollte ich Dir nur sagen. Bye.“

Sie schrieb Drake eine WhatsApp. Sie bedanke sich für die Rose und für sein Shirt. Dann schrieb sie ihm noch, dass sie Maddox eingeladen hatte, bei ihr zu wohnen. Sie wollte, dass er das von ihr erfuhr und nicht von Maddox. „Aber nur Du bist in meinem Herzen. Ich vermisse Dich unbeschreiblich.“

Zwei Stunden später klingelte es an ihrer Tür. Ihr Herz stolperte einmal, aber dann rief sie sich zurück in den Kopf, dass es Drake nicht sein konnte. Sie öffnete und Maddox stand mit einer Tasche vor der Tür.

„Hey, prima.“, begrüßte Emily ihn und ließ ihn rein.

Der Abend wurde dann – wider Erwarten – doch noch extrem lustig. Sie spielten Activity und Maddox war total kreativ.

Im September reihten sich die Tage aneinander. Morgens stand Emily auf, machte sich fertig und ging arbeiten. Abends war sie dann oft mit ihren Freunden zusammen, studierte neue Texte ein und probte mit ihrer Band. Die Nächte waren problematisch. Hier konnte sie sich nicht ablenken. Viele Gedanken rannten durch ihren Kopf, aber oft konnte Emily sie nicht festhalten. Sie versuchte, hinter sein Geheimnis zu kommen, aber das gelang ihr natürlich nicht. Maddox wurde zu ihrem Schatten. Oft nahm sie ihn gar nicht mehr wirklich wahr. Oder Maddox und sie waren mit Soleigh unterwegs.

Eines Tages forderte Emily Maddox auf, ihr etwas von Drake zu erzählen.

„Was soll ich Dir erzählen?“, fragte er erstaunt.

„Na ja, wie er sonst so ist vielleicht. Oder sein Geheimnis?“

Maddox lachte. Sein Lachen war dunkel. „Nein, das muss er Dir selber erzählen. Das kann ich nicht.“

„Ist es so schlimm?“

„Weißt Du, Emily, das kann ich nicht sagen. Ich kenne es. Natürlich. Und ich finde es nicht schlimm. Aber das wirst eines Tages Du entscheiden.“

Von Maddox erfuhr sie, dass Drake auch eine harte und zornige Seite haben konnte. Das konnte Emily fast nicht glauben. „Einmal“, so erzählte er. „Da waren böse Gestalten in unser Dorf geschlichen. Wirklich böse Gestalten, die nur Böses im Sinn hatten. Sie entführten ein kleines Mädchen mit ihrem jungen Wolf. Sie stahlen es mitten in der Nacht und den Welpen mussten sie mitnehmen, weil er die ganze Zeit hinter ihnen her lief und jaulte und knurrte. Drake schlief, soweit ich das noch weiß, auf seinem Lager. Er wohnte damals noch im Tipi seiner Eltern. Aber durch irgendwas war er wachgeworden. Es roch komisch und fremd und daher wurde das ganze Dorf geweckt und dann stellten wir natürlich sehr schnell fest, dass ‚Helle Sonne‘ fehlte. Drake war damals noch ziemlich jung. Doch er handelte sofort. Als Einziger. Er organisierte Freiwillige, die die Verfolgung aufnehmen sollten, mit ihm natürlich. Klar, wer die Freiwilligen waren, oder?“

Emily lachte. „Na klar, Drake, Du, Jared, Tristan und Sam wahrscheinlich. Ihr wart damals schon unzertrennlich.“

„Oh ja, das waren wir. Wir wussten zwar immer schon, dass er mal . . . Oberhaupt werden würde, und auch, dass er dann natürlich Schutz benötigen würde, aber zu diesem Zeitpunkt waren wir schon unzertrennlich. Wir wuchsen in die Rollen hinein, weil wir beste Freunde waren. Schon immer.

Na ja, jedenfalls nahmen wir mitten in der Nacht die Verfolgung auf. Sie waren gut im Spuren verwischen und es hat Tage gedauert, bis wir sie endlich fanden. Sie waren in einer kleinen Blockhütte. Den Welpen hörten wir zuerst. Er war etwas weiter vom Haus angebunden und sah grauenhaft aus. Er hatte wohl die ganze Zeit nichts zu essen, geschweige denn zu trinken bekommen. Er war abgemagert und hatte ein gebrochenes Bein, das nicht behandelt worden war. Wir wussten nicht, ob er überleben würde.“

Maddox erzählte mit so viel Leidenschaft, sie konnte es fast sehen, so als wäre sie dabei gewesen. Ihr tat der Wolfswelpe so leid, sie musste fast weinen.

„Und“, fragte sie atemlos. „Hat er überlebt?“ Sie presste Soleigh fest an sich und streichelte sie. „Ich hoffe es!“

„Weißt Du Emily, den Welpen so zu sehen. Das war für uns sehr schlimm. Wölfe . . . na ja, wir leben irgendwie mit einigen zusammen. Und das war der Welpe von . . . egal, du kennst sie ja nicht. Jedenfalls, wir banden ihn los, gaben ihm zutrinken. Die Freude war unverkennbar. HONIAHAKA, also Kleiner Wolf, er hat gewusst, er hätte die Nacht wahrscheinlich nicht überstanden. Tristan musste sich um Kleiner Wolf kümmern, während wir anderen an die Blockhütte schlichen. Es roch nach Angst und Ausscheidungen, Alkohol und Sex. Wir brachen die Tür auf. Es waren 5 Männer, Emily, 5 erwachsene Männer! Sie hatten Helle Sonne geschlagen. Sie war grün und blau, hatte ein geschwollenes Gesicht und nun wollten sie sie auch noch . . . vergewaltigen. Helle Sonne war 4, Emily, 4 Jahre!“ Maddox war total aufgebracht. „Nun ja, jedenfalls war dann in der Hütte erst mal großes Geschrei. Einer von denen hatte ein Gewehr in der Hand und schoss durch den Raum. Großer Wolf sei Dank, es wurde keiner von uns verletzt. Der Idiot erschoss einen seiner Kumpanen, waren also nur noch vier übrig. In dem Durcheinander konnte sich Sam Helle Sonne schnappen. Er nahm sie zwischen seine . . . er nahm sie natürlich auf den Arm und dann rannte er, was seine Beine hergaben. Draußen wartete Tristan mit Kleiner Wolf und die zwei nahmen die Beine in die Hand, bis sie im nächsten Wald verschwunden waren. Nun waren nur noch Drake, Jared und ich in der Hütte.“ Maddox sah Emily fest in die Augen. „Um es kurz zu machen, wir haben sie getötet. Gnadenlos. Wir haben ihnen die Kehle aufgerissen und sie verbluten lassen. Alle vier.“

Maddox machte eine kurze Pause. „Helle Sonne geht es gut, sie ist mittlerweile unsere Schamanin.“

„Und Kleiner Wolf?“, fragte Emily.

„Kleiner Wolf ist immer Kleiner Wolf geblieben. Seine Verletzungen waren zu schwer für einen Welpen. Auch für einen Wolfswelpen.

Nachdem wir, also Drake, Jared und ich wieder zu Tristan und Sam stießen, liefen wir nur. Tagelang waren wir unterwegs. Wir machten immer nur Pause, um Helle Sonne und Kleiner Wolf zu versorgen oder zu trinken, dann liefen wir weiter. Im Dorf war schon Aufruhr, denn unsere Leute hatten mitbekommen, dass wir kamen. Die beiden Kleinen wurden uns sofort abgenommen und versorgt. Aber Kleiner Wolf hat es nicht geschafft. Seine Verletzungen waren zu schwer. Ein paar Tage mit seiner Mutter verblieben ihm noch. Er starb in Helle Sonnes Armen. Er hat Helle Sonne so gut es ihm eben möglich war, verteidigt und auf sie aufgepasst. Aber er war noch ein Baby, kein halbes Jahr. Auf ihn war geschossen worden, er hatte ein gebrochenes Bein, er war halb verhungert und auch verdurstet. Trotzdem war er in ihrer Nähe und heulte, was das Zeug hielt, als er uns witterte.“

Mit zitternder Hand wischte sich Emily verstohlen eine Träne aus den Augen. Maddox war still geworden. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, dann hätte sie geglaubt, auch in seinen Augen kurz ein paar Tränen zu sehen.

„Helle Sonne hat das Erlebte auch nie ganz überwunden, obwohl wir alle glauben, dass der Verlust von Kleiner Wolf und das Wissen, dass er wegen ihr gestorben war, sie in den Wahnsinn getrieben hat. Aber . . . sie ist auch die beste Schamanin, die wir je hatten.

Wenn Du Drake als Freund hast, dann hast Du einen Freund fürs Leben. Aber hast Du ihn Dir einmal zum Feind gemacht, Emily, dann hast Du einen Feind fürs Leben. Er gibt nie auf. Niemals. Er rächt immer das, was er liebt. Er wird mal ein großartiger . . . Führer werden.“

*****

Maddox

Emily hatte nach einigen Tagen Maddox einen Schlüssel ihrer Wohnung anvertraut. Sie hatte zu ihm gesagt „Maddox, ich vertraue Euch. Euch allen. Keine Ahnung, wieso, ich muss ja total verrückt sein. Aber nun gut. Hier.“ Damit drückt sie ihm einen Schlüssel in die Hand.

Maddox und Emily standen zusammen in der Küche und tranken Kaffee. Emily sah wirklich gut aus. Sie trug einen schwarzen, knielangen Rock, eine Bluse und hohe schwarze Pumps. Ihre Haare hatte sie irgendwie verschlungen zusammen gebunden. Seit ein paar Tagen war es kälter geworden und es regnete. Der Herbst stand wahrscheinlich schon fast vor der Tür. Im Herbst war es wunderschön in Montana, wenn die Blätter bunt wurden. Indian Summer, nun ja, dieses Jahr würde Maddox das wohl nicht sehen.

Sie wusste es noch nicht, aber heute wäre Drake hier, wenn sie aus dem Büro kam. Er nickte, als sie ihr Jackett nahm und die Wohnung verließ.

*****

Drake

Heute war Drake mit einem nagelneuen BMW X5 unterwegs. Er musste ihr dringend mehr von sich erzählen. Zum Beispiel, dass er Geld hatte. Viel Geld. Sonst würde sie sein Geschenk sicherlich nicht annehmen. Er hatte diesen Wagen für sie gekauft. Er war dunkelgrün – Oxfordgrün hatte der Verkäufer gesagt. Fast wie ihre Augen. Die Ledersitze waren cremefarben und es roch noch total neu. Maddox hatte den Wagen panzern lassen und die Scheiben waren schusssicher. DAS würde er ihr allerdings nicht erzählen. Er hoffte sehr, dass sie keinen Aufstand machen und den Wagen einfach annehmen würde. Allerdings hatte er sich vorgenommen, nicht direkt mit der Tür ins Haus zu fallen. Aber sie konnte einfach nicht weiterhin mit ihrem kleinen und ungeschützten Wagen fahren. Sie durfte nicht. So viel könnte passieren, wenn sie in einen Unfall verwickelt werden würde.

Drake hatte sich mit Maddox bei dem BMW Händler getroffen, nachdem sie die Wohnung verlassen hatte und nachdem er berichtet hatte, übergab Maddox ihm den Schlüssel zu ihrer Wohnung.

Dort angekommen begrüßte ihn Soleigh überschwänglich. Er hatte noch Zeit, also ging er erst mal mit Soleigh am Rhein spazieren. Nach einer guten Stunde waren sie zurück und Drake ging langsam durch ihre Wohnung. Er öffnete die Tür zum Gästezimmer und Maddox intensiver Geruch schlug ihm entgegen. Nur seiner, nicht ihrer. Er schloss die Türe wieder. Er ging durch die ganze Wohnung, aber er konnte nirgendwo Sex riechen. Er vertraute ihr wohl doch nicht so ganz. Doch, ihr schon, aber Maddox . . . nein, nein, er glaubte auch das nicht wirklich, aber . . . Maddox war die ganze Zeit hier bei ihr gewesen. Und er, Drake, nicht. Vertrauen war gut, Kontrolle besser. Zum Schluss stand er vor ihrer Schlafzimmertüre. Hier war ihr Geruch sehr stark. Er öffnete die Türe und ihr Geruch schlug ihm entgegen. Es verschlug ihm die Sprache. Nur ihr Geruch. Drake merkte erst jetzt, wie erleichtert er war. Er hätte Maddox umgebracht, egal was sie bis jetzt verbunden hatte. Aber das war ja nun nicht nötig. Großer Wolf sei Dank.

Es klingelte an der Türe, Soleigh bellte und Drake sah auf die Uhr. Das musste der Bote mit den Blumen sein. Er hatte hunderte von Blumen bestellt, weiße Lilien und rote Rosen, die er in ihrem Schlafzimmer und im Wohnzimmer aufstellen ließ. Eine einzelne rote Rose und eine Lilie ließ er im Flur liegen. Und mehrere gemischte Sträuße stellte er in die Küche. So oder so, über irgendwelche Blumen würde sie stolpern.

Drake legte sich auf ihr Bett, nahm ihr Kissen in den Arm und zog ihren Duft ein. Hier würde er auf sie warten. Langsam schlief er ein.

Emily

Emily musste heute länger arbeiten. Das war nicht so schlimm, denn Maddox war ja bei Soleigh und würde sicher mit ihr raus gehen, wenn sie nicht um vier zu Hause wäre, wie normal. Also ließ sie sich Zeit. Es war halb sechs, als sie Feierabend machte. Und ein paar Teile einkaufen wollte sie auch noch.

Mittlerweile war es sieben. Es dämmerte schon fast, als sie nach Hause kam. Ja, die Tage wurden schon wieder kürzer. Sie öffnete die Tür und sah fast sofort die beiden Blumen, die dort lagen. Sie lächelte. Bestimmt hatte Maddox sie für sie hingelegt. Natürlich von Drake. Soleigh kam sie nicht begrüßen und so ging sie davon aus, dass Maddox mit ihr unterwegs war. Sie ging in die Küche, um die Einkäufe zu verstauen. Hier standen vier Sträuße Blumen. Sie glaubte, ihren Augen nicht zu trauen. Der Duft, den sie verströmten, stand in der ganzen Küche. Sie lächelte.

Im Schlafzimmer wollte sie sich ausziehen und nach dem Duschen umziehen. Doch als sie in ihrer Tür stand, staunte sie. Auch hier standen 4 Sträuße Blumen mit weißen Lilien und roten Rosen.

Ungläubig stand sie im Türrahmen. Es dauerte einen Moment, bis sie wahrnahm, dass dort jemand auf ihrem Bett lag und vor Schreck schlug sie sich die Hand vor den Mund. Erst danach begriff sie, dass es Drake war. Und Soleigh? Die lag eng an ihn gekuschelt. Ihr Herz machte einen Sprung. Er war hier!

Langsam ging Emily zum Bett. Drake schlief tief und fest. Soleigh sah kurz auf, dann schnaubte sie und schloss wieder die Augen. Emily beugte sich zu ihm runter und küsste ihn vorsichtig auf die Wange.

Emily stand vor dem Schrank und knöpfte sich grad die Bluse auf. „Du siehst toll aus.“, murmelte Drake verschlafen. Sie drehte sich um. „Hey.“, sagte sie leise. Sie setzte sich zu ihm aufs Bett und strich ihm die Haare aus dem Gesicht. „Schlaf weiter.“, sagte sie. Drake hatte die Augen geschlossen. „Mmmh.“, brummelte er und atmete schon wieder tief und fest.

Sonnentanz

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