Читать книгу Galway Girl Gesamtausgabe - Tanja Bern - Страница 14

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Ich sitze mit geschlossenen Augen auf einem Felsen, umringt von Schafen. Unter mir rauscht der Atlantik, während die Sonne mein Gesicht wärmt.

Dursey Island verwischt mein Zeitempfinden, ich genieße es einfach nur, hier zu sein. Ethan hockt neben mir und krault eines der wolligen Schafe an den Ohren. Ich höre, wie er leise mit dem Tier spricht, was ich insgeheim unglaublich süß finde. Besser, ich sage ihm das nicht. Er hasst das Wort süß – und die Farbe pink. Mir wird bewusst, dass ich nie nach einem Shirt in dieser Farbe gegriffen habe, offensichtlich unbewusst, weil ich wollte, dass ihm gefällt, was ich anziehe. Solche Dinge fallen mir plötzlich auf. Zuvor habe ich mir immer eingeredet, es hätte nichts mit Ethan zu tun, aber das ist Unsinn. Thomas muss es ebenfalls gespürt haben, denn er hieß unsere Freundschaft nie gut und versuchte oft, einen Keil zwischen uns zu treiben.

Es gelang ihm nie.

Ich atme die salzige, nach Seetang riechende Luft ein, denke an unseren Kuss. Eigentlich waren es sogar schon mehrere. Mir huscht ein versonnenes Lächeln übers Gesicht.

Sanfte Hände streichen mir das vom Wind zerzauste Haar zurück. Mir rieselt ein Schauer über den Rücken, als Ethan seine Finger durch meine Locken gleiten lässt.

„Du bist wunderschön“, raunt er. „Das wollte ich dir schon immer sagen.“

„Wirklich?“ Ich blinzle zu ihm hoch.

„Die hellbraunen Locken …“ Er nimmt eine Strähne zwischen die Finger. „Diese moosgrünen Augen …“ Ethan hebt mein Gesicht an, damit ich ihn direkt ansehe. „Deine Sommersprossen mag ich besonders.“

Ich befreie mich aus seinem sanften Griff. „Du machst mich ganz verlegen, hör auf damit.“

„Aber es ist wahr.“

„Und ich muss jetzt dein Strubbelhaar und deinen Dreitagebart besingen?“

Verdutzt starrt er mich an, dann beginnt er lauthals zu lachen. „Auf jeden Fall. Also bitte, ich höre.“

Ich knuffe ihn gegen den Oberarm und bringe ihn damit zum Schwanken, da er wohl keinen sicheren Stand hat. Mühsam hält er sein Gleichgewicht.

„Rutsch mal bisschen.“

Ich schaue ihn unschuldig an. „Du willst auf meinen kleinen Felsen?“, frage ich spitzbübisch.

„Du lässt mich nicht?“

Mit einem breiten Grinsen schüttle ich den Kopf.

„Wie du willst.“

Kurzerhand greift er unter mich, hebt mich mit Leichtigkeit von meinem Sitzplatz. Ich kiekse erschrocken auf, sehe die Klippen und das Meer plötzlich aus einer anderen Perspektive und klammere mich an Ethans Arm. Mir wird kurz schwindelig, weil er mich herumschwingt, damit ich auf seinem Schoß sitzen kann.

„So geht’s auch“, sagt er leichthin und ignoriert meine Boxversuche gegen seine Brust.

„Ich dachte, ich stürze die Klippen runter!“

„Als ob ich dich fallen lassen würde.“

Bewusst ziehe ich eine Schnute und verschränke die Arme, was ihn schmunzeln lässt.

„Es war zu verführerisch, Sínead, zumal du so ein Leichtgewicht bist.“

„Hmpf!“

„So sauer bist du? Oh je. Wie kann ich das wiedergutmachen?“

Ich fixiere ihn mit einem bösen Blick. „Ich lass mir was einfallen.“

Ethan ignoriert mein beleidigtes Gehabe und zieht mich nah zu sich heran. Ich kuschle mich an ihn, denn ein scharfer Wind erfasst uns, und ich fröstle.

„Ist doch gar nicht so schlimm, oder?“, wispert er mir ins Ohr.

„Hmm.“

Ich schließe die Augen und genieße seine Nähe. Auch früher hatten wir Körperkontakt. Allerdings meistens nur Umarmungen zur Begrüßung und zum Abschied, und ich habe mich zum Spaß tatsächlich des Öfteren auf seinen Schoß gesetzt. Nie hat es sich so angefühlt.

Diese einsame Insel scheint mich zu verzaubern.

Aber wie wird es sein, wenn wir wieder zu Hause sind? Ich verdränge den Gedanken.

Das Wetter erinnert uns daran, dass wir Dezember haben. Es beginnt wieder zu schneien, allerdings schmelzen die Flocken, sobald sie am Boden aufkommen. Es wird schneidend kalt, als heftige Böen über die Insel wehen.

„Vielleicht sollten wir besser zurück aufs Festland.“

Ethan nickt und hilft mir auf. Wir ziehen unsere Mützen tief ins Gesicht, und ich vergrabe das Gesicht halb im Kragen meines Parkas.

„Ich habe mit Paddy eine Uhrzeit ausgemacht, wir müssen an der Seilbahn wahrscheinlich noch etwas warten. Es sei denn, er hat die Gondel hiergelassen.“

„Und dann? Ziehen wir an einer Glocke oder so?“

Ethan lacht gedämpft. „Nein, es gibt tatsächlich eine Gegensprechanlage.“

„So viel Fortschritt?“

Er zuckt belustigt mit den Schultern. „Ich bin nicht sicher, ob sie funktioniert.“

Die Gondel ist fort. Der Wind dreht sich, als wolle er uns auf der Insel behalten. Doch der Schnee geht in Graupel über, und wir eilen querfeldein über Gras, Fels und Sumpf, um rasch im Wartehäuschen unterzukommen.

Keuchend hasten wir in das kleine Gebäude und halten überrascht inne. Ein Bauer wartet bereits mit einem Schaf, das eine blutige Verletzung an der Seite hat. Es tänzelt unruhig hin und her, weil der Mann es an einer Art Leine führt.

Wir grüßen ihn freundlich, er brummt etwas Unverständliches zurück. „Ihr verpetzt mich doch nicht, oder?“

„Weswegen?“, hake ich nach.

Er zeigt auf das Schaf, anschließend auf das kleine, verschmutzte Verbotsschild, auf dem durchgestrichen eine Kuh und ein Schaf zu sehen sind. „Sie muss zum Tierarzt.“

„Wir schweigen wie ein Grab, keine Sorge.“

Die Gondel kommt, und wir lassen dem Bauern den Vortritt. Das Schaf wehrt sich ein wenig, steigt aber schließlich in die schwankende Kabine ein und zerrt sofort zu den Heuresten, die am Boden liegen.

Die Rückfahrt ist holpriger. Der Wind stößt die Gondel von einer Seite zur anderen, ich muss mich festhalten, um nicht gegen das Schaf zu fallen. Die Gischt spritzt bis an die Scheiben.

„Ich hoffe, es ist noch nicht Windstärke 8“, murmle ich.

„Ach nein, höchstens fünf oder sechs“, sagt der Bauer nun besser gelaunt. Er hat wohl Touristen erwartet, uns aber rasch als Landsleute entlarvt. „Kommt ihr aus Galway?“

„Hört man das?“, fragt Ethan amüsiert nach.

Der Mann nickt bedächtig und grinst. „Den Dialekt erkenne ich überall. Hab mal ne Freundin dort gehabt, vor dreißig Jahren oder so.“

Die Gondel fährt in die Station auf dem Festland ein, und ich kann mir ein erleichtertes Aufatmen nicht verkneifen. Unser Gespräch bricht ab, denn das Schaf drängt nun hinaus. Der Bauer und der Seilbahnführer begrüßen sich freundlich, wir verabschieden uns.

„So, wo fahren wir jetzt hin?“

„Unsere nächste Station ist Tinahely.“

„Das ist bei den Wicklow Mountains“, erkenne ich skeptisch.

Was hat Ethan vor?

Er antwortet nicht, lächelt nur und nimmt meine Hand.

„Warte, Ethan. Ich weiß, dass dies eine Abenteuertour wird. Aber du willst doch nicht auf den Wicklow Way, oder?“

„Hnng, doch, aber nur bis Enniskerry.“

Ich bleibe stehen, mich durchfährt ein starkes Gefühl von Aufregung. Ich schüttle es vorerst ab, greife auf die Vernunft zurück. „Ethan, so eine Wanderung wird mehrere Tage dauern, und wir haben Dezember.“

„Ja, aber laut Wetterbericht soll es ab morgen wärmer werden, wir werden sogar die Sonne sehen.“

„Und du traust ernsthaft dem Wetterbericht? In Irland?“

„Nicht wirklich, aber ich traue meiner Erfahrung. Der Wind hat gedreht, und die Wolken ziehen nach Westen. Glaub mir, es wird besser werden, zumindest dort, wo wir ab heute Abend sein werden.“

„Jetzt verstehe ich auch das rationierte Gepäck“, grummle ich.

Ethan zieht mich näher zu sich. „Es gäbe keine Person, mit der ich diese Wanderung lieber täte. Ich weiß, dass du es schaffst.“

Ich seufze theatralisch und ziehe ihn zum Auto. „Na, wir werden es ja sehen. Wenn nicht, musst du mich tragen.“

„Das krieg ich hin.“

„Und wo schlafen wir heute Nacht?“

„Es gibt eine kleine Pension in Tinahely, wirklich sehr nett.“

„Das hört sich gut an. Und morgen geht es dann in die Berge?“

Ethan lächelt mit zufriedenem Gesichtsausdruck. „Gib es zu, Sínead, du findest es gar nicht schlimm.“

„Na ja, mal sehen. Aber was ist mit deinem Land Rover?“

„Dafür ist gesorgt. Matthew, ein Bekannter aus Tinahely, wird uns die alte Kiste später bringen. Seine Frau und er müssen sowieso Richtung Dublin.“

„Und außerdem hast du noch was gut bei ihm?“

„Ich würde sagen, er steht so tief in meiner Schuld, dass er eigentlich mein persönlicher Chauffeur werden müsste.“

Er zwinkert mir zu, und ich lache belustigt auf.

*

Ich frage mich, ob Ethan es wusste, und der Gedanke bringt mich zum Lächeln.

Als Kind habe ich mir heimlich vorgenommen, genau diesen Weg zu gehen. Warum mich die Wicklow Mountains damals so faszinierten, weiß ich gar nicht mehr. Als Jugendliche fühlte es sich für mich wie mein persönlicher Pilgerweg an – ein Weg, von dem ich nur träumte. Irgendwann, als mich das Erwachsensein einholte, verdrängte ich das ganze Vorhaben, wie man so oft seine Träume verdrängt. Mit niemandem habe ich je darüber geredet, nicht einmal mit Ethan. Oder? Ich bin nicht mehr sicher.

Ich klemme die Daumen hinter die Rucksackriemen und folge Ethan eine Steigung hinauf.

Vereinzelte Herbstblumen blühen noch zwischen den Hecken. Vor uns liegt ein Buchenwald. Die Forststraße geht in einen grasüberwachsenen Trampelpfad über, der aber recht gut ausgeschildert ist, zumindest für irische Verhältnisse.

Ethan bleibt stehen und betrachtet die Ebene vor uns. „Im Sommer ist es hier wunderschön. Überall wachsen Wildblumen.“

Ich schließe die Augen, stelle mir die wiegenden Kornblumen vor. Fast nehme ich den Sommerduft der blühenden Wiesen wahr. Mich durchströmt ein Gefühl, das mich innerlich wärmt.

Als ich die Lider hebe, schaut die Sonne zwischen den Wolkenbergen hervor, bestrahlt verschiedene Areale mit einzelnen Strahlen.

„Wie Scheinwerfer“, bemerke ich versonnen.

Die von Wäldern gesäumten Hänge der Berge hellen sich auf, leuchtendes Grün blitzt dazwischen hervor.

„Erinnerst du dich noch an Grandmas Märchen?“

Ich überlege kurz, da blitzt etwas in meinen Gedanken auf. „Von dem Sídhe, der lieber ein Kobold sein wollte und hier nach Gold schürfte?“, frage ich lächelnd nach.

„Die mochte ich am liebsten.“

Wir tauchen in den Buchenwald ein. Die schlanken Stämme ragen hoch hinauf, die Kronen bilden ein schützendes Dach, obwohl sie blattlos sind. Eine dicke Laubschicht liegt auf dem Boden, unsere Schritte sind kaum hörbar auf dem weichen Untergrund.

Ich fühle mich umarmt und beschützt von den Bäumen. Mit der Hand streiche ich über die glatte Rinde.

„Ethan?“

„Hm?“

„Wusstest du, dass ich früher immer hierher wollte?“

Er bleibt stehen, wendet sich mir zu. „Natürlich.“

„Woher? Ich habe es niemandem gesagt.“

„Aber an deiner Pinnwand hingen Postkarten der Wicklow Mountains, und ich habe immer mal wieder auf deinem Schreibtisch eine Landkarte gesehen, wo du die Tour nachgezeichnet hast. Oder der Infozettel.“

„Infozettel?“

„Du hattest dir doch mal Infos zu den unterschiedlichen Stationen gemacht. Erinnerst du dich nicht? Ich hab dir doch damals geholfen.“

„Du hast recht! Das … wow, das hatte ich vergessen. Manchmal kommt es mir vor, als sei das ein anderes Leben gewesen.“

„Ein Leben vor Thomas?“

Ich nicke, senke den Blick. Mir wird immer klarer, wie unglücklich ich gewesen bin.

Der Wald breitet sich zu einer hügeligen Ebene aus, führt an einem Fluss vorbei. Tannenduft liegt in der Luft. Ethan und ich schweigen, gehen nun stetig bergauf, und ich brauche jeden Atemzug.

Er hat recht behalten. Das Wetter bessert sich zusehends. Der Wind vertreibt die Wolken, und die Sonne wärmt uns. Ich nehme die Mütze ab, stopfe sie in meine Jackentasche.

Irgendwann verlässt mich meine Kondition, ich lasse mich keuchend auf einen großen Stein fallen und entledige mich des Rucksacks.

„Pause?“

„Unbedingt!“

Ethan nimmt ebenfalls seinen Rucksack ab und setzt sich im Schneidersitz ins feuchte Heidegras.

„Du holst dir einen feuchten Hintern.“

Er winkt ab. „Nicht schlimm. Außerdem ist meine Hose annähernd wasserfest.“

„Wie lange geht es noch bergauf? Ich kann mich nicht mehr an die Einzelheiten vom Wicklow Way erinnern.“

„Eine halbe Stunde sicher noch. Wir müssen ganz rauf und dann wieder hinunter ins Tal, nach Glenmalure Valley.“

Wir essen einen kleinen Snack, dann bin ich diejenige, die weiterdrängt. Aber Ethan beschwert sich nicht.

Ich weiß nicht, wie lange es dann letztendlich dauert, sich auf den Bergkamm zu kämpfen, aber die Aussicht lässt mich jede Strapaze für den Augenblick vergessen.

Glenmalure ist uralt und wurde in der letzten Eiszeit aus den umliegenden Bergen geschliffen. Hier oben wirkt das Heidegras von den scharfen Böen arg mitgenommen, selbst mich lassen sie zuweilen schwanken. Hier oben spüre ich Freiheit. Außer dem Windrauschen und einigen Vogelstimmen herrscht Ruhe auf dem Kamm, der das Tal umrundet. Ich sehe Berge, soweit das Auge reicht. Die Wiesen unter mir wirken wie aus Smaragden geformt, so intensiv ist ihre Farbe, trotz der Jahreszeit. Einige Hänge schimmern rötlich, ich kann nicht erkennen, ob es Pflanzen oder Steine sind. Auf der anderen Seite stehen niedrige Tannen, die der Schräge trotzen.

Hier oben verspüre ich einen Frieden, der mir in Galway oft fehlt. Ich möchte in diesem Gefühl versinken, will mich daran erinnern können, wenn mir wieder irgendetwas den Boden unter den Füßen wegzieht.

„Woran denkst du?“, fragt Ethan leise.

Ich atme tief die klare Luft ein. „Dass ich mich an diesen Ort erinnern möchte, wenn wieder alles schief geht.“

Er hilft mir, den Rucksack abzunehmen und nimmt mich in die Arme. „Möchtest du noch ein bisschen hierbleiben?“

„Ja, bitte.“

Auch er nimmt seinen Rucksack ab, und wir setzen uns direkt an den Hang, der an dieser Stelle seichter nach unten ins Tal führt.

Ich beobachte einen Greifvogel, wie er über dem Glenmalure Valley schwebt, seine Kreise zieht. Seinen Ruf höre ich nur so entfernt, als gehörte ich nicht zu seiner Welt.

Ich schaue zu Ethan. Aber zu seiner Welt gehöre ich.

Wir wandern oben am Hügelkamm entlang, bis wir an einen Wasserfall kommen. Er rauscht über große Felsen ins Tal hinunter. Neben dem Gefälle ist ein Trampelpfad, dem wir folgen.

Es dämmert bereits, vereinzelte Lichter blitzen auf, von Häusern, die man hier nicht vermuten würde. Ich hoffe inständig, dass wir die Nacht in einer Pension verbringen werden und nicht in einem Zelt, denn es gibt hier auch einen Campingplatz.

Mein Magen knurrt, langsam schwinden meine Kräfte, und ich muss aufpassen, dass ich nicht stolpere.

„Bald sind wir da, es ist nicht mehr weit“, verspricht Ethan.

Wir laufen durch die Talebene, bis sich die Dunkelheit des Abends über uns senkt. Schemenhaft wird ein großes Haus sichtbar. Als wir näherkommen, aktiviert sich der Bewegungsmelder einer Laterne und beleuchtet die Vorderseite der Pension. Mit der weißen Fassade und mehreren kleinen Giebeln wirkt das Gebäude im Zwielicht wie ein Herrenhaus. Es ist einsam hier, auch wenn ich schätze, dass hier im Sommer viel Betrieb ist. Im Wind schaukelt ein Metallschild am Eingang. Wir haben die Glenmalure Lodge erreicht.

In der Lodge werden wir von einer freundlichen Frau empfangen. Bei der Frage, ob wir ein oder zwei Zimmer möchten, sucht Ethan meinen Blick. In Tinahely hatten wir ein großes Zimmer mit Einzelbetten und keine Annäherungsversuche gewagt. Ich denke an unsere Küsse auf Dursey Island. Mich überspült eine Welle der Nervosität, aber ich verspüre auch das Verlangen, ihm nah zu sein.

„Ein Doppelzimmer“, sage ich rasch, bevor ich es mir anders überlege.

Ethan sieht mich eindringlich an, das spüre ich deutlich, aber ich weiche seinem Blick noch aus.

Die Dame führt uns in den hausinternen Pub, damit wir etwas essen können. Wir nehmen die Rucksäcke erst einmal mit, Ethan bestellt ein Steak, ich nehme Fisch & Chips.

Wir sitzen nah am offenen Kaminfeuer, und ich seufze erleichtert, weil mir die Wärme so gut tut. Der Raum ist mit einer dunklen Holzdecke ausgestattet, unzählige Bilder hängen an den Wänden. Oben auf einem Regal stehen alte Karaffen aufgereiht. Die Atmosphäre ist urgemütlich, passt perfekt zu diesem Tal.

Ethan genießt mit geschlossenen Augen die Hitze des Feuers. Er sieht verwegen aus. Der Bart ist für seine Verhältnisse recht lang, das Haar steht vom Tragen der Mütze ab, die Hose hat überall Schlammspritzer.

Ich fürchte, mein Erscheinungsbild ist nicht viel besser. Ich hebe eine Locke an, die völlig verknotet ist, und versuche, sie zu entzerren.

Als das Essen kommt, werden die Knoten in meiner Frisur unwichtig, und ich genieße nur noch die leckere Mahlzeit.

Ich habe noch nie gescheut, mich vor Ethan umzuziehen. Heute zögere ich. Er nimmt mir die Entscheidung ab und geht ins Badezimmer. Kurz danach höre ich die Dusche rauschen. Es reizt mich ungemein, ihm zu folgen, nur um einen Blick auf ihn zu erhaschen.

Wie sollen wir nur weiter vorgehen? Küsse haben wir gewagt, aber selbst in diesen schwang etwas Unschuldiges mit.

Ich setze mich aufs Bett und denke darüber nach, obwohl ich eigentlich kaum einen klaren Gedanken fassen kann, weil ich so erschöpft bin. Mir fallen die Augen zu, und ich lasse mich nach hinten in die Laken fallen.

„Sínead?“

Ich schrecke hoch und merke schmerzhaft, dass sich mein Nacken verspannt hat, weil ich so unglücklich gelegen habe. „Hm?“

„Möchtest du auch duschen gehen?“

Schwerfällig richte ich mich auf. „Ja, ich denke schon.“

Ethan hat sich über mich gebeugt, ein Kräuterduft weht mir um die Nase. Ich nähere mich ihm, schnuppere an seiner nackten Haut. „Du riechst wunderbar.“

Er zuckt mit den Schultern. „Das ist das Duschgel der Lodge.“

„Ich mag es.“ Mit verkniffenem Gesicht neige ich den Kopf nach rechts und links, damit sich die Steifheit in meinem Nacken bessert.

„Hast du dich verrenkt?“

„Ein bisschen.“

„Bleib so.“ Er klettert aufs Bett und setzt sich hinter mich. Seine Hände legen sich auf meine Schultern, und er beginnt meine Muskeln zu massieren. Mein Empfinden schwankt zwischen Wohltat und Schmerz.

Als er die Hände von mir löst, sehne ich mich nach mehr, schweige aber.

„Ist es besser?“, fragt er leise.

„Viel besser.“

Ich drehe mich zu ihm um, werde mir seiner Nähe und seines nackten Oberkörpers aber schlagartig so bewusst, dass mich eine Scheu packt, die ich jetzt grad noch nicht überwinden kann. Ich hauche ihm einen Kuss auf den Mund und flüchte ins Bad.

Ich will nicht über meine Feigheit nachdenken, also entledige ich mich schnell meiner Kleidung und gehe unter die Dusche. Das heiße Wasser prasselt auf meine Haut, und ich bleibe lange in der angenehmen Wärme.

Als ich zurück ins Zimmer komme, liegt Ethan im Bett, halb zugedeckt und schläft.

Für eine Weile beobachte ich ihn einfach nur.

Etwas in mir erwacht zum Leben, etwas, das schon immer in mir geschlummert hat. Dieses Gefühl durchströmt mich, auf diese Art habe ich noch nie für Ethan empfunden, und es erfüllt mich mit Leichtigkeit.

Ich lösche das Licht, schlüpfe ins Bett und schmiege mich an seinen Rücken, umarme ihn. Er bemerkt es gar nicht. Seine Körperwärme lullt mich ein, und mit einem Lächeln im Gesicht schlafe ich ein.

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