Читать книгу Galway Girl Gesamtausgabe - Tanja Bern - Страница 17

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Als wir in den Pub kommen, herrscht noch keine Feierstimmung. Nur zwei ältere Männer trinken Bier. Popmusik dudelt aus den Boxen, und der junge Mann an der Theke poliert Gläser.

„Wow, hier ist schon richtig Stimmung“, raune ich Ethan sarkastisch zu.

Er nimmt meine Hand und zieht mich zur Theke. „Egal, zur Not machen wir die Party selbst.“

Ich schmunzle und bestelle uns erst einmal zwei Guinness. „Warten wir mal ab, es ist noch früh.“

„Als du kurz im Bad warst, sagte Betty, es müssten sich heute zumindest einige für eine kleine Session hier treffen.“

Ich klettere auf den Barhocker und nehme mir eine Handvoll Erdnüsse, die als Snack kostenlos auf dem Tresen stehen. Ethan stellt sich nah neben mich, seine Hand legt sich um meine Taille, als wolle er jedem signalisieren, dass ich zu ihm gehöre. Mir gefällt diese Geste, und ich lege meine Hand auf seine. Trotzdem spüre ich, dass etwas an ihm nagt. Sein Lächeln ist aufgesetzt, und er trinkt sein Guinness viel zu schnell.

„Ist alles in Ordnung, Ethan?“

Er schaut mich ertappt an, nickt mit einem falschen Lächeln und seufzt, als er meinen Gesichtsausdruck registriert.

„Ich kann dir nichts vormachen, oder?“

„Nicht besonders viel.“

„Diese ganze Atmosphäre vorhin, die Pfannkuchen, die Witzeleien … Für einen Moment habe ich gedacht, es wäre Mum am Herd und nicht Betty.“

„Wie kann ich dir helfen?“

„Lenk mich ab, erzähl mir was.“

„Irgendwann musst du dich damit auseinandersetzen.“

„Ja, ich weiß, aber nicht heute.“

Ich streiche durch sein kurzes Haar, lasse meine Hand kurz auf seiner Wange liegen und sehe ihn an. Er nickt fast unmerklich, versteht meine Geste.

Ich bin für dich da.

„Wusstest du eigentlich, dass Sarah Brown endlich schwanger ist?“, beginne ich meinen Ablenkungstratsch.

„Wirklich? Dann hat es ja endlich geklappt. Und?“

„Keine Hochzeit. Sie wollen rebellisch sein.“ Ich lache leise.

„Das passt zu ihnen. Weißt du, ob an dem Gerücht was dran ist, dass McFinnigans Werkstatt schließt?“

„Sie schließen, aber nur für ein paar Wochen. Sie werden komplett umbauen. Hat dir der alte Patrick das nicht erzählt?“

„Ich war ewig nicht da.“

„Also ich weiß es von Mum, sie hat es von ihrer Schwester erfahren, die wiederum einen Onkel hat, dessen Sohn sein Auto in der Reparatur hatte.“

Wir lachen amüsiert auf.

„Das irische Tratsch-Netzwerk funktioniert nach wie vor perfekt“, bemerkt Ethan und leert sein Guinness in einem Zug.

Wir unterhalten uns über meine Geschwister, ich berichte ihm von besonderen Kunden in unserem Laden, und wir reden übers Wetter, das in Irland bei einem Gespräch auf keinen Fall fehlen darf. Ich spüre, wie Ethan lockerer wird und die Erinnerung an den Tod seiner Eltern wieder in den Hintergrund rückt.

Ich halte nicht viel von dieser Verdrängungstaktik, verstehe aber, dass jeder seinen eigenen Weg in der Trauer finden muss.

Nach und nach füllt sich der Pub. Betty behält recht, denn einige packen ihre irischen Fiddles und Whistles aus, ein jüngerer Mann hat eine Akustikgitarre dabei. Zuerst ist es ein heilloses Durcheinander, als die Geigen und Flöten gestimmt werden. Lachen hallt durch den Pub, Gläser klirren, ein Mann beginnt Whiskey in the jar zu grölen. Es dauert eine Weile, bis die Musiker zusammenfinden, aber nach und nach kommen die meisten in den Rhythmus hinein. Der Song wird im Chor weitergesungen, im Refrain sogar mehrstimmig. Ich fühle mich dem zugehörig, diese Atmosphäre ist mir vertraut. In Galway sind solche Sessions an der Tagesordnung. Mein Bruder Fergus hat mich schon des Öfteren zu diesen Musikveranstaltungen mitgenommen, er ist bei den Musikern in Galway sehr beliebt, weil er seine Fiddle virtuos zu spielen weiß.

Ethan bestellt uns mehr Bier, und wir stimmen lauthals in das nächste Lied ein. Irgendwann winkt uns einer der Musiker an ihren Tisch. Wir schlagen es nicht aus und gesellen uns zu den Männern, die eine feuchtfröhliche Runde bilden. Da ich die einzige Frau im ganzen Pub bin, bekomme ich Komplimente und das eine oder andere Augenzwinkern. Ich nehme es gelassen, stoße mit ihnen an und erzähle von Fergus.

Dann offenbart Ethan allerdings nach einigen Guinness, dass ich früher getanzt habe.

„Komm, wir spielen extra für dich einen Reel oder Jig“, sagt der Alte mit der Fiddle.

Ich winke ab. „Es ist sicher fünfzehn Jahre her, dass ich getanzt habe!“

„Mädchen, wir sind hier in einem Pub, du musst doch keinen Wettbewerb gewinnen.“

„Du bist schuld!“, raune ich ihm zu.

Ethan grinst mich schelmisch an und zuckt mit den Schultern.

Jemand beginnt mit der Whistle ein Tanzlied zu spielen, und mich juckt es tatsächlich in den Füßen. Aber noch ziere ich mich.

„Komm, nur einen Tanz“, säuselt Ethan.

„Grmpf, okay.“

Die Männer jubeln und rücken die Tische zur Seite, sodass ich Platz habe.

Traditionelle Musik erklingt, und ich stelle mich in Position. Ethan verschränkt die Arme und lehnt sich an den Tresen, beobachtet mich mit einem unverhohlenen Grinsen. Ich halte seinem intensiven Blick stand, strecke ihm frech die Zunge raus.

Ich brauche einen Augenblick, um mich in die Situation einzufinden. Meine Wanderschuhe sind zudem nicht die besten Tanzschuhe, ich bräuchte Softshoes, irische Ballerina, oder noch besser meine Steppschuhe, doch es ist, wie es ist. Ich muss mit meinem klobigen Schuhwerk klarkommen.

Die ersten Schritte kommen mir behäbig vor, doch der Reel reißt mich mit. Ich vergesse, wo ich bin, und meine Schuhe sind kein Hindernis mehr. Für einen Moment stehe ich wieder im grünweißen Kostüm auf der Bühne und tanze in Galway um die Stadtmeisterschaft.

Die Schrittfolgen kommen automatisch, ich brauche nicht darüber nachzudenken. Sie sind tief in mir abgespeichert, und ich spüre wieder den Sog der irischen Musik, die mich in Bewegung bringt. Die Empfindungen von früher kehren mit aller Macht zurück, die Aufregung und das flaue Gefühl im Bauch. Ich lasse mich von meinem Tanz mitreißen, und als die Instrumente immer schneller spielen, halte ich problemlos mit.

Mit einem Sprung und einigen komplizierten Tanzschritten, die mit den richtigen Schuhen den Musikern den Rhythmus vorgegeben hätten, beende ich den Reel. Die Männer greifen meinen Schlussakkord sofort auf, und das Lied endet ebenso wie mein Tanz.

Jubel bricht los. Die Männer klatschen und sind völlig aus dem Häuschen. Ethan kommt zu mir, hebt mich hoch, wirbelt mich herum und küsst mich stürmisch, sodass die Menge noch mehr johlt.

„Du weißt, dass ich mich dafür rächen werde, oder?“, flüstere ich ihm ins Ohr.

Er runzelt die Stirn. „Oha.“

„Hey, du mit der Gitarre!“, rufe ich dem jungen Mann zu.

Er horcht auf, nähert sich uns.

„Wie heißt du?“

„Seamus.“

„Fein, ich bin Sínead, und das ist Ethan. Ob du ihm wohl mal deine Gitarre leihst? Ethan möchte unbedingt etwas spielen.“

Ich höre Ethan aufschnaufen. „Das hab ich wohl verdient.“

Jahrelang hat er seine Gitarre vernachlässigt, ähnlich wie ich das Tanzen. Bei mir war es damals aus Zeitgründen. Nach der Schule fing ich an, in Mums Laden zu arbeiten und konnte einfach nicht mehr regelmäßig zu den Tanzstunden gehen. Doch warum Ethan die Musik aufgegeben hat, konnte ich bisher noch nicht ergründen.

Seamus reicht ihm die Gitarre. Ethan streicht über das Holz, scheint kurz gedanklich abwesend, als wolle er sich mit dem Instrument verbinden. Dann lächelt er mich schelmisch an und beginnt eine flotte Melodie zu zupfen. Die anderen stimmen begeistert mit ein, und so werden wir vollständig ein Teil der Pub-Session.

Alles schwankt ein bisschen, und ich bin nicht sicher, wo ich mich befinde.

„Ethan?“

„Ich bin hier, Sínead.“

„Was ist denn los?“, murmle ich.

Meine Zunge fühlt sich schwer an. Ich weiß noch, dass mir die Männer im Pub alle einen ausgeben wollten. Guinness, Irish Coffee, Whiskey pur …

Bei der Erinnerung rebelliert mein Magen. Ich blinzle, sehe aber nur schemenhaft etwas, weil es dunkel ist. Nur vereinzelte Laternen beleuchten die Straßen. Ich fühle Ethan nah bei mir, mein Kopf lehnt an seiner Schulter. Aber wir bewegen uns.

„Ethan?“

„Hm?“

„Sag mal, trägst du mich?“

Er lacht leise. „Ja, das tue ich wohl.“

Ich hebe den Kopf, mir ist furchtbar schwindelig, also lehne ich mich wieder an. „Wieso denn?“

„Du hast ein bisschen zu viel getrunken. Erinnerst du dich noch daran, dass du auf dem Tisch getanzt hast?“

„Ich habe was?“

„Der Jig war ziemlich gut, bis du zu nah an die Kante kamst und ich dich auffangen musste. Du hast sogar gesungen.“

„Gesungen? Ich kann nicht singen!“

„Ach, das fiel gar nicht auf, wir haben am Schluss alle mitgegrölt.“ Ethan atmet schwerer und torkelt ein bisschen.

„Setz mich ab, Ethan.“

„Besser nicht. Im Pub konntest du kaum mehr stehen und bist mit dem Kopf auf der Theke eingeschlafen.“

„Im Ernst?“

Er lacht leise statt einer Antwort.

„Aber ich bin schwer, und du scheinst mir selbst nicht ganz nüchtern zu sein.“

„Zumindest bist du schwerer, wenn man dich zwei Kilometer bergauf tragen muss“, schnauft er und bleibt schlussendlich doch stehen und setzt mich ab.

„Es tut mir leid, Ethan. Es ist lange her, dass ich was getrunken habe.“ Ich stehe auf meinen Füßen, aber die Welt wankt, als wäre ich auf einem Schiff.

„Geht es?“

„Ich bin noch nicht sicher.“

„Das schaffen wir schon, es ist nicht mehr weit.“ Er küsst mich auf die Wange und hakt sich so bei mir unter, dass er mich stützen kann.

Irgendwie schaffen wir es zu Tante Betty. Die Treppe zu unserem Zimmer laufen wir kichernd hinauf, müssen uns am Geländer hochziehen.

„Hoffentlich wecken wir Betty nicht“, flüstere ich und gluckse belustigt, als Ethan sich auf den Treppenabsatz setzt.

„Horch, sie schnarcht, also ist sie wohl im Tiefschlaf.“

Wir taumeln in unser Zimmer, und ich falle regelrecht aufs Bett. Die weichen Laken lullen mich ein, mir fallen sofort die Augen zu. Ich fühle noch, wie Ethan mir die Wanderschuhe auszieht, dann hüllt sich alles in angenehme Dunkelheit.

*

Mich weckt der Duft von frischem Kaffee. Ich fühle mich benebelt, habe Schwierigkeiten, zu mir zu kommen. Für einen surrealen Moment weiß ich nicht, wo ich bin. Bin ich zu Hause in meiner Wohnung? Warum kocht Thomas mir Kaffee? Das macht er nur, wenn ihn das schlechte Gewissen plagt. Mir wird übel, und mich überkommt das Gefühl zu flüchten. Fort von ihm und seinen Ansprüchen …

„Sínead?“

Ich öffne die Augen und sehe direkt in Ethans Gesicht. Pure Erleichterung durchströmt mich. „Oh, Gott sei Dank, du bist es!“

„Wer sollte denn sonst in unserem Zimmer sein?“

Schwerfällig richte ich mich auf. „Ich … ach, schon gut.“

Er hält mir einen Becher hin, den ich dankend annehme. Ich umschließe das warme Gefäß mit beiden Händen, beobachte Ethan, wie er vom Bett aufsteht. An seinem feuchten Haar sehe ich, dass er bereits geduscht hat.

Ich trinke den heißen Kaffee und stehe auf. Leichte Kopfschmerzen lassen mich das Gesicht verziehen, die Übelkeit von vorhin ist zum Glück wieder vorbei.

Ethan zeigt auf den Nachttisch. „Dort liegt eine Kopfschmerztablette, falls du eine brauchst. Ich würde vorher aber etwas essen. Betty hat uns ein paar Scones gemacht.“

Er wirkt so … distanziert. Oder kommt es mir nur so vor?

Wirklich Hunger verspüre ich nicht, da ich aber Schmerztabletten auf nüchternen Magen nicht gut vertrage, greife ich nach einem Scone. Ich setzte mich damit zurück aufs Bett.

„Warum essen wir denn auf unserem Zimmer?“

Ethan weicht meinem Blick aus. „Wir müssen uns etwas beeilen. Iss aber erst auf und nimm die Tablette. Ich erzähle es dir gleich.“

Beeilen? Seine Antwort verwirrt mich. Ein ungutes Gefühl erfasst mich, das mir wie ein Stein im Magen liegt, ungeachtet meines Katers. Rasch esse ich den Scone auf und trinke den Rest meines Kaffees.

„Also, was ist los?“

Mit einem Blick erfasst er, dass ich seinen Rat befolgt habe und hockt sich vor mich hin.

„Sínead, wir müssen die Tour abbrechen. Deine Mum hat angerufen, als du noch geschlafen hast. Dein Bruder hatte einen Unfall.“

Mich erfasst eine Eiseskälte, mein Herzschlag beschleunigt sich so rasch, dass ich nach Atem ringe. „Was ist mit Fergus?!“

„Er hatte einen Autounfall und wird gleich operiert. Mehr weiß ich noch nicht.“

„Ich muss zu ihm!“

„Das weiß ich. Unsere Sachen sind schon gepackt, Matthew hat den Land Rover gestern nach Enniskerry gebracht, er steht in der Nähe. Wir können also fahren, wenn du möchtest.“

„Ja, bitte!“

Ich haste auf, wasche mich notdürftig, putze mir die Zähne und schlüpfe in meine Kleidung. Ich bin völlig in Sorge. Als ich ins Auto steige, bin ich so fahrig, dass meine Hände zittern. Ethan ergreift meine Hand und sucht meinen Blick.

„Sínead, es wird alles gut. Fergus schafft das!“

Die fast dreistündige Autofahrt zurück nach Galway ist für mich die reinste Tortur. Meine Schwester Maeve schreibt mir regelmäßig, aber es gibt nichts Neues, die Operation dauert immer noch an.

Während Ethan endlich in die Klinikeinfahrt fährt, schnalle ich mich bereits ab und wäre am liebsten direkt aus dem Auto gesprungen.

„Ganz ruhig, Sínead. Du kannst im Moment nichts weiter tun, als zu warten, und wenn du in der Eile stolperst oder so, hilfst du Fergus damit überhaupt nicht.“

„Ja, ich weiß, aber …“ Ich schluchze leise. „Lass mich nicht allein, ja?“

„Auf keinen Fall.“

Wir parken den Land Rover, und ich beuge mich Ethans Worten, nicht überstürzt zu handeln, und bleibe noch einen Moment sitzen. Er legt den Arm um mich, sieht mich fragend an.

Ich muss mich für einen Augenblick von Fergus’ Operation loseisen, um mir klarzuwerden, ob ich unsere Beziehung schon offenlegen möchte. Ich brauche nur wenige Sekunden, um mir selbst eine Antwort zu geben.

„Du gehörst zu mir. Es ist mir egal, was Thomas oder die anderen sagen.“

Ethan wirkt sichtlich erleichtert und küsst mich sanft.

Wir betreten das Krankenhaus, und ich fühle, wie sich Ethan versteift. Der Geruch erinnert uns beide an die letzten Tage seiner Mum.

Einer der Aufzüge ist bereits auf unserer Etage, und wir steigen ein und fahren nach oben, um in den Wartebereich zu kommen, wo meine Familie auf das Ende von Fergus’ Operation wartet.

Mum fällt mir in die Arme. Sie sagt kein Wort, hält mich nur einen langen Augenblick fest an sich gedrückt. Dad kommt zu uns, reicht Ethan die Hand und streicht mir übers Haar. „Gut, dass du da bist, Kleines.“

Da entdecke ich Maeve. Ihr fliederfarbenes Haar ist erblondet, die Farbe fast rausgewaschen. Sie schaut mich mit verweinten Augen an.

„Was ist passiert?“, frage ich, um Fassung kämpfend.

Wir setzen uns zu meiner Schwester, und Dad greift nach meiner Hand, als brauche er Halt, den er nur von mir bekommen kann.

„Es ist auf einer Schnellstraße passiert, aber Fergus hat keine Schuld“, sagt Mum ruhig. „Das Auto auf der Nebenspur kam von der Fahrbahn ab. Der Fahrer hatte vielleicht einen Sekundenschlaf oder sein Fahrzeug ist weggerutscht. Auf jeden Fall ist er ins Heck unseres alten Toyotas gefahren und hat Fergus aus der Spur gebracht. Er ist mit der Fahrerseite in die Leitplanke gekommen.“

„Mum, was ist mit Fergus?!“

„Sie operieren ihn wegen eines Risses in der Milz. Er hat auch eine Kopfverletzung, aber da scheint keine Blutung oder Ähnliches zu sein. Und sein Handgelenk ist gebrochen, das wird wohl später operiert.“

Mum erzählt das alles furchtbar sachlich, als wäre sie Ärztin. Ich sehe ihr prüfend in die Augen, erkenne hinter der ruhigen Fassade mühsam unterdrückte Angst. Sie weicht meinem Blick aus.

„Woher weißt du über den Unfall so detailliert Bescheid? Hat Fergus noch …?“

„Ich war dabei“, höre ich Maeves leise Stimme.

Mein Kopf ruckt zu ihr. Ihr Pony verdeckt fast komplett die mit Strips versorgte Wunde an der Stirn. Sanft lege ich den Arm um meine Schwester. „Du warst dabei?“

Sie nickt, ihre Augen füllen sich mit Tränen. „Auf dem Beifahrersitz.“

„Bist du okay? Wo hast du dich verletzt?“ Ich streiche ihr das Haar aus der Stirn, sehe mir die Verletzung an. „Nur hier?“

Sie wischt sich über die Augen. „Ich hab nur noch ein paar Prellungen, ist nicht schlimm.“

Maeve wirkt so verstört und … schuldbewusst. Ich ziehe sie in meine Arme. Sie kommt mir entgegen, schluchzt unterdrückt auf.

„Ist wirklich alles in Ordnung, Maeve?“

An meiner Schulter schüttelt sie den Kopf. „Ich hab ihn abgelenkt, Sínead! Vielleicht hätte er schneller reagieren können, wenn ich ihn nicht so zugeschwafelt hätte.“

„Ach Maeve, jetzt gib dir doch keine Schuld. Wir reden doch alle beim Autofahren, und wenn der andere seitlich gegen das Heck gefahren ist, hat Fergus ihn doch gar nicht sehen können.“

Sie schmiegt sich in meine Arme. „Ich bin so froh, dass du da bist“, flüstert Maeve.

Ich halte sie fest umschlungen, wiege sie sanft hin und her.

Als ich mich umsehe, vermisse ich Ethan. Wo ist er?

Nach einiger Zeit kommt er mit mehreren Kaffeebechern wieder, die er in einer Kartonhalterung trägt. Er reicht Mum und Dad einen, gibt auch mir einen Coffee-to-go. Für Maeve hat er einen Tee und einen Schokoriegel mitgebracht. Beides nimmt sie dankbar an. Er setzt sich neben uns und nimmt einen Schluck von seinem eigenen Kaffee. Fragend schaut er mich an, ob bei mir alles in Ordnung ist. Ich nicke unmerklich.

Das heiße Getränk beruhigt mich, ich atme tief durch, um mein immer noch wild klopfendes Herz zu beruhigen.

Es dauert eine weitere Stunde, bis endlich ein Arzt zu uns kommt. Wir springen alle gleichzeitig auf.

„Fergus geht es gut“, sagt er zu meinem Dad. „Die OP ist ohne Komplikationen verlaufen, und er ist stabil.“

Ich schaue den Mann genauer an und erkenne in ihm einen alten Freund meines Vaters, den ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Ich hätte ihn fast nicht erkannt. Sein einstmals volles und dunkles Haar ist ergraut und am Oberkopf schütter geworden. Ist es Zufall, dass gerade er hier ist?

„Danke, dass du uns benachrichtigst. Ich weiß das sehr zu schätzen.“

„Er ist jetzt noch im Aufwachraum, später könnt ihr zu ihm.“ Er sieht uns nacheinander an. „Möglichst nicht alle auf einmal.“

„Okay. Logan, ich danke dir nochmals.“

Der Arzt nickt und wendet sich ab. Freundschaftlich wirkt das Verhältnis irgendwie nicht mehr. Er verschwindet in einem der Fahrstühle.

„Dad, war das Logan Brady?“

Er seufzt. „Ja, allerdings.“

„Ist er jetzt Chirurg?“

„Nein, immer noch Internist. Er hat seine Praxis aufgegeben und arbeitet hier in der Klinik. Fergus wurde nicht von ihm operiert. Aber …“

Ich warte, Dad knabbert jedoch an seiner Unterlippe und will mir ausweichen.

„Dad?“

„Dein Dad hat Logan um Hilfe gebeten. Jetzt schuldet er ihm einen Gefallen“, antwortet stattdessen Mum.

„Um Hilfe gebeten? Fergus ist doch ein Notfall.“

Maeve schaut auf, schnieft leise. „Ich habe nach dem Unfall Mum angerufen.“

„Keinen Krankenwagen?“

„Ich wusste nicht, was ich tun soll!“

„Sínead, wir haben zurzeit keine private Krankenversicherung, und für eine Medical Card ist unser Einkommen noch zu hoch.“ Mum schnappt förmlich nach Luft. „Wahrscheinlich müssen wir für die Behandlung hohe Gebühren bezahlen.“

„Und was hat Logan Brady damit zu tun?“

Ich bin immer noch verwirrt. Keine Krankenversicherung mehr?

„Ich wusste, dass er hier arbeitet“, erklärt Dad. „Ich hab ihn angerufen, ihm von dem Unfall erzählt und gesagt, dass wir mit Fergus kommen. Er hat alles beschleunigt, sodass Fergus sofort drankam.“

„Er war also bei Bewusstsein?“

„Zuerst ja.“

„Zuerst? Himmel, lasst euch doch nicht alles aus der Nase ziehen!“

„Sínead!“, tadelt mich Mum.

Murrend setze ich mich etwas entfernt auf einen Stuhl und umklammere meinen Kaffeebecher. Ethan kommt an meine Seite, Maeve setzt sich auf die andere.

„Es läuft im Laden im Moment nicht so gut“, flüstert Maeve.

„Warum weiß ich davon nichts?“

„Mummy wollte uns nicht beunruhigen. Ich hab es eher durch Zufall mitgekriegt.“

„Und Fergus?“

„Nach dem Unfall wirkte er nur etwas benommen. Wegen seiner Hand reagierte er ziemlich panisch, wegen des Geigespielens, weißt du? Aber eigentlich ging es ihm ganz gut. Der andere Fahrer war so gut wie unverletzt. Wir tauschten unsere Telefonnummern aus, und er fuhr weiter. Ich glaube, der andere hatte Angst, dass wir die Polizei rufen.“

„Und das habt ihr nicht.“

Maeve schüttelt mit dem Kopf. „Ich weiß, das war total blöd. Zum Glück war die Straße ansonsten leer. Fergus benahm sich dann auf einmal komisch, also rief ich zu Hause an. Jeff O’Riordan war so nett und brachte Mum und Dad zu uns. Er fuhr uns auch zum Krankenhaus. Dort fing Fergus auf einmal an zu zittern, und er ist uns fast im Eingang umgekippt.“ Maeve knetet ihre Hände, ringt sichtlich um ihre Fassung. „Dad hatte auf der Fahrt zur Klinik Logan angerufen. Der kam dann ziemlich schnell und hat Fergus mitgenommen. Und seitdem warten wir.“

Ich streiche mir mit der Hand übers Gesicht, versuche die Nachrichten zu verdauen. Dad setzt sich mit einem tiefen Seufzer neben Ethan.

„Was war damals zwischen euch?“, frage ich ihn.

„Eine Meinungsverschiedenheit, die uns … na ja … auseinandergebracht hat.“

Mum schnauft wütend auf. „Meinungsverschiedenheit? Er hat dich wie eine heiße Kartoffel fallen lassen, als du ihn am nötigsten gebraucht hast!“

Mit müdem Blick sieht Dad zu ihr auf. „Jetzt ist er da. Das ist alles, was zählt.“

Ethan richtet sich im Stuhl auf und stellt seinen Kaffee auf einen kleinen Tisch, der vor uns steht. „Bitte lasst mich helfen.“

„Wie?“, fragt Dad verwundert.

„Ich möchte die Behandlungskosten bezahlen.“

„Nein, das geht doch nicht, Ethan!“, sagt Dad sofort, fast entrüstet.

„Doch, das geht!“, erwidert Mum in einem scharfen Ton, der keinen Widerspruch duldet. Sie legt Ethan eine Hand auf die Schulter. „Junge, ist das denn für dich finanziell machbar?“

„Es ist kein Problem, wirklich nicht.“

Mum wirft Dad einen Blick zu, der ihn die Lippen zusammenpressen lässt.

„Dann nehmen wir dein Angebot an. Ich danke dir von Herzen.“ Sie haucht Ethan einen Kuss auf die Wange.

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