Читать книгу Galway Girl Gesamtausgabe - Tanja Bern - Страница 19

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Es war irgendwie selbstverständlich, dass ich zu Ethan ziehe. Weil die Wohnung winzig ist, sind die meisten Sachen zwar noch bei Mum und Dad, aber hier fühle ich mich freier.

Ich schließe die Tür auf und stocke. Kartons versperren mir den Weg, ich höre einen leisen Fluch, etwas Metallisches fällt aufs Laminat.

„Ethan?“

„Ich bin hier.“

Verwirrt schiebe ich die Kartons zur Seite und gehe durch den schmalen Flur in Richtung der Wohnküche. Zu meiner Überraschung steht dort eine nagelneue Couch.

Ich nähere mich ihm, küsse ihn auf die Wange. „Und ich dachte, du kaufst uns als Erstes ein Bett.“

„In das Minischlafzimmer passt doch kein Doppelbett. Und deshalb ist hier …“ Er fasst unter die Couch und zieht einen Unterbau hervor. Mit nur zwei Handgriffen klappt er das Ganze zu einem Bett auf. „… unser neues Schlafzimmer. Drüben bau ich dir ein Regal für deine Bücher, und du bekommst eine Ecke, wo du in Ruhe gravieren kannst.“

Erst einmal bin ich völlig sprachlos. Mit besorgter Miene kommt er zu mir, umfasst sanft meine Oberarme. „Sínead, alles in Ordnung?“

„Bei dir durfte noch nie jemand einziehen.“

„Weil ich nur auf dich gewartet habe.“

Ich brauche zwei Sekunden, um seine Worte zu begreifen, dann falle ich in seine Arme. Thomas’ Worte verlieren an Bedeutung, ich verdränge sie einfach.

Als später alles aufgebaut und wieder aufgeräumt ist, liege ich mit dem Kopf auf Ethans Schoß, genieße mit geschlossenen Augen, dass er mir den Nacken krault. Im Fernseher läuft nebenbei eine Comedysendung.

Solche Zweisamkeit gab es mit Thomas nicht.

Mir spuken wieder seine gehässigen Worte im Kopf herum. Ich will nicht daran denken, doch vergessen kann ich sie auch nicht.

Ich höre Ethan leise lachen und richte mich auf. Vielleicht wäre etwas humorvolle Unterhaltung nicht verkehrt.

„Irgendwas bedrückt dich, hm?“ Ethan sieht zu mir herunter und streicht mir das Haar aus der Stirn.

„Ach, es ist nichts.“

Er verzieht das Gesicht und schaltet den Fernseher aus. Sein abwartendes Gesicht bringt mich zum Lachen.

„Verdammt, ich kann nichts geheim halten, oder?“

„Nein, leider nicht“, antwortet er amüsiert.

Ich richte mich auf und lehne mich mit einem Seufzen gegen die Couchlehne. „Thomas war heute bei Fergus im Krankenhaus.“

„Wie bitte? Er hatte doch noch nie viel für deinen Bruder übrig.“

„Das hat er zwar zu vertuschen versucht, aber nun ja … Im Endeffekt wollte er mich abfangen, um mit mir zu reden.“

„Es scheint nicht sehr gut gelaufen zu sein.“

Ich zucke mit den Schultern. „Ist alles nicht so einfach.“

„Vermisst du ihn denn?“, fragt Ethan leise.

„Nein! Im Gegenteil. Ich war total erschrocken, als er auf einmal im Krankenzimmer stand. Ich hab Fergus nur ein Stück Kuchen geholt, und plötzlich steht Thomas an seinem Bett und überreicht ihm Kokoskekse.“

„Kokoskekse für Fergus?“

„Er hat sich mit Maeve vertan.“

„Na, die wird den Süßkram wahrscheinlich auch mitnehmen.“

Die Sache macht mich ruhelos, ich merke, wie ich innerlich total aufgewühlt bin. Am liebsten würde ich Joggen gehen oder eine Runde Fahrradfahren, um einen klaren Kopf zu bekommen, aber es ist schon dunkel draußen.

Ethan richtet sich auf. „Komm, zieh dir was Warmes an. Wir gehen auf den Christmas Market. Das bringt dich vielleicht auf andere Gedanken.“

Ich raffe mich auf, gehe in das kleine Schlafzimmer, ziehe mir einen Wollpullover an und schlüpfe in meinen Parka.

Wir laufen den Weg bis zum Eyre Square. Schon von Weitem hört man die weihnachtliche Musik. Ich wünschte, sie würde mich in die richtige Stimmung versetzen, doch die letzten Tage haben mir jedes Weihnachtsgefühl vermiest. Ob Fergus überhaupt an Heiligabend zu Hause sein kann?

In unserer Familie ist es Tradition, dass wir zusammen in den Pub gehen und mit all unseren Freunden, Nachbarn und Bekannten diesen besonderen Abend feiern. Natürlich gäbe es Musik, und Fergus mit seiner Geige wäre ein Teil davon. Die Vorstellung, dass er vielleicht monatelang nicht spielen kann, nagt an mir.

Ich hake mich bei Ethan unter und schmiege mich an ihn. Wir gehen durch den Nieselregen und sehen bald den lichtdurchfluteten Platz mit seinen Buden und Zelten. Die Menschen trotzen dem Wetter, denn der Christmas Market ist gut besucht.

Wir kommen an einem nostalgischen Karussell vorbei, und ich lächle bei dem Anblick der glücklichen Kinder, die auf den bemalten Holzpferden reiten. Einige haben einen ganz verträumten Ausdruck im Gesicht, als sähen sie sich wirklich über Felder und Wiesen galoppieren.

„Soll ich dir einen Glühwein holen, Sínead?“

Ich erwache aus meinen Gedanken, habe gar nicht bemerkt, dass ich vor dem Karussell stehen geblieben bin.

„Ja, gerne.“

„Okay, ich bin gleich wieder da.“

Für einen Augenblick fühle ich mich einsam ohne ihn. Es ist nur eine vorbeihuschende Emotion, die mich dennoch verunsichert. Ich sehe Ethan nach, beobachte, wie er in der Menge der Menschen verschwindet.

Mein Blick gleitet wieder zu den tanzenden Pferden am Karussell. Als Kind habe ich wie fast jedes Mädchen von einem echten Pony geträumt. Ich bedrängte Dad so sehr, dass er sich über Mums Verbot hinwegsetzte und mich heimlich zum Reitunterricht brachte. Als sie es herausfand, gab es ein Theater, das einer Soap-Opera würdig gewesen wäre. Ich erinnere mich, wie Mum wütend einen Teller nach Dad geworfen hat und das Geschirr an der Wand zerschellt ist. Ich habe sie danach nie wieder so zornig gesehen. Erst viel später fand ich heraus, dass sie Angst vor Pferden hatte und sich furchtbar um mich sorgte, weil ihre Schwester bei einem Reitunfall fast ums Leben gekommen wäre.

Meiner Faszination für Pferde tat das keinen Abbruch. Ich liebte Brady, das Connemara-Pony aus der Reitschule. Mum sah mich dann das erste Mal reiten, begriff, wie glücklich mich das machte, und versöhnte sich mit Dad.

Insgeheim denke ich noch oft an das alte Pony, das so treu gewesen ist, dass ich nicht mal einen Führstrick brauchte. Es folgte mir einfach, wenn ich es dazu aufforderte. Brady starb, als ich vierzehn war, und für mich brach eine Welt zusammen. Ich gab das Reiten auf, weil ich seinen Tod nicht überwinden konnte.

Heute bereue ich es.

Ethan kehrt mit zwei Tassen zurück, und ich nehme den würzig-süßen Duft des Glühweins mit einem genießerischen Seufzer auf. „Das hab ich vermisst.“

Das heiße Getränk lässt mich ein bisschen von der magischen Atmosphäre des Christmas Market spüren und schenkt mir ein wohliges Gefühl, das schon sehr nah an meine gewünschte Weihnachtsstimmung herankommt.

„Was möchtest du essen? Ich glaube, hier ist halb Europa vertreten“, witzelt Ethan, als wir langsam an den beleuchteten Buden vorbeischlendern. „Möchtest du französische Crêpes, belgische Waffeln, handgemachte italienische Schokolade oder lieber eine deutsche Bratwurst?“

„Ich nehme kandierte Nüsse“, kontere ich mit einem Grinsen.

Wir stellen uns kurz unter das Vordach einer Schmuckbude, weil der Regen stärker wird. Ich trinke meinen Glühwein, spüre die Wärme und das flaue, angenehme Gefühl in den Gliedern, das der Alkohol bewirkt.

„Ich frage mich, warum Mum mit ihren Souvenirs nicht hier steht. Sind die Standgebühren wirklich so teuer? Ich glaube, ich würde sogar gerne für einige Tage hier verkaufen. Meine Tassen könnte ich vor Ort gravieren.“

„Wir können sie ja mal fragen. Womöglich kam ihr der Gedanke noch gar nicht.“

Ich stöbere in dem Silberschmuck, finde aber nichts, das schöner ist als das, was wir anbieten. Abrupt lässt der Regen nach. Die Menschen kommen wieder hervor und klappen die Schirme zu. Das bunte Treiben beginnt von Neuem. Ich hole mir meine Süßigkeiten, Ethan wie jedes Jahr eine Bratwurst.

Das Windmill House taucht vor uns auf, eine größere Holzhütte mit einer Weihnachtspyramide auf dem Dach. Mich interessiert allerdings eher das Riesenrad dahinter. Ich ziehe Ethan durch die Gänge und bleibe vor dem festlich geschmückten Rad mit den vielen Lichtern stehen.

„Sehe ich da leuchtende Augen?“, fragt er.

„Können wir?“, drängle ich ihn.

Ethan isst schnell seine Bratwurst auf, schaut sich dann suchend um. Er nimmt mir die leere Glastasse aus der Hand und geht schnurstracks auf einen mir fremden Mann zu, der ebenfalls eine leere Tasse in der Hand hält. Er fragt ihn tatsächlich, ob er unsere Gläser mitnehmen kann.

„So, jetzt können wir.“

„Kanntest du den Mann?“, frage ich verwundert.

„Das war Stephen. Er betreut hier mit seinem Bruder das Riesenrad, ich kenne ihn aus dem Touristenbüro, weil er für Sylvie kleine Botengänge erledigt. Er kann das Pfand ganz gut gebrauchen.“

Wie ein Gentleman bietet Ethan mir seinen Arm an, und ich hake mich wieder ein. Es dauert ein wenig, bis wir an der Reihe sind, um die Tickets zu kaufen. Als wir jedoch in die schaukelnde Gondel steigen, erfüllt mich ein Hochgefühl. Meine Stadt von hoch oben zu sehen, ist etwas Außergewöhnliches.

Wir steigen auf, und ich atme tief die kalte Luft mit all ihren wunderbaren Weihnachtsdüften ein. Ethan betrachtet mich mit einem liebevollen Blick. Ich fühle mich wie ein Kind, würde am liebsten aufjauchzen und mich weit nach draußen lehnen, so als könnte ich fliegen. Die Buden und Zelte im Lichtermeer des Weihnachtsmarktes sehen zauberhaft aus, und ich erkenne sogar das nostalgische Pferdekarussell.

„Wovon träumst du gerade, Sínead?“

„Von meinem Ponyhof, den ich früher immer haben wollte“, sage ich mit einem Lächeln.

„Früher? Wenn ich deinen Blick sehe, ist das noch nicht vom Tisch.“

Ich lache vergnügt. „Das kann schon sein.“

„Erzähl mir davon.“

Mein Blick geht über den Christmas Market hinaus, wandert bis zum weiten Land dahinter, das jetzt zur Abendzeit nur als Schemen zu erkennen ist.

„Er wäre natürlich ein Stück außerhalb, mit Weiden und vielleicht einem Wäldchen. Mit den Pferden könnte ich Reittouren anbieten, die du organisierst.“

Ethan lacht leise. „Ich bin also ein Teil deiner Träume, das ist gut.“

Die Gondel wird von einer Bö erfasst und schaukelt sachte hin und her. Wir rutschen näher zueinander.

„Ich organisiere also deine Reittouren?“

„Ja. Ich kann aber nur erfahrene Reiter nehmen. Alles andere wäre zu gefährlich.“

„Und das Haus?“

„Zumindest wäre es größer als deine Wohnung.“ Ich küsse ihn auf die Nasenspitze. „Und ich möchte wieder eine Katze.“

„Keinen Border Collie, der auf die Pferde aufpasst?“

„Nur wenn er sich mit meiner Katze versteht.“

Unsere Fahrt neigt sich dem Ende zu, und ich bedaure, dass sie nur so kurz war.

Live-Musik erklingt von einer der Bühnen. Wir nähern uns und lauschen den irisch angehauchten Weihnachtssongs. Die Sängerin weiß ihre Stimme hervorragend einzusetzen, und die Gitarre harmoniert perfekt dazu. Wieder denke ich an Heiligabend.

Selbst auf dem Nachhauseweg kann ich diesen Gedanken nicht entfliehen. Fergus ist dann vielleicht noch im Krankenhaus, mein Leben ist völlig umgekrempelt, und Thomas … wird alleine sein. Er hat schon vor langer Zeit mit seiner Familie gebrochen. Das erste Mal empfinde ich Mitleid für ihn. Niemand sollte an den Festtagen einsam sein. Mich überkommt ein schlechtes Gewissen, das ich einfach nicht vertreiben kann.

Später in der Nacht liege ich auf unserer neuen Schlafcouch, lausche Ethans Atem und kann den düsteren Überlegungen nicht entrinnen. Ich wälze mich hin und her, möchte so gern schlafen. Aber Thomas verfolgt mich wie ein dunkler Geist, der mir keine Ruhe lässt. Erst spät falle ich in einen unruhigen Schlummer mit wirren Träumen.

*

Als ich am nächsten Morgen wie gerädert aufstehe, ist Ethan schon fort. Seine Betthälfte ist kalt, und für einen Moment überkommt mich ein ungutes Gefühl, das ich sofort verdränge.

Was ist nur mit mir los?

Ich steige aus dem Bett und finde ein Frühstücksgedeck mit Toast und Marmelade. Mein geliebter Instantkaffee steht neben dem Wasserkocher. Auf dem Teller liegt eine Nachricht von Ethan.

Ich musste heute früh ins Büro, um mit Sylvie noch einiges abzuklären. Wir sehen uns nachher. Ich liebe Dich!

Ethan

Es ist zu perfekt.

Diese Erkenntnis erschreckt mich, lässt mein Herz unangenehm pochen. Erneut höre ich Thomas’ Stimme in meinem Kopf. Seine Worte hallen wie ein Echo in mir. Wieder keimt diese Angst auf, Ethan zu verlieren.

Ich atme tief durch.

Es ist so still hier. Ohne Ethan wirkt die Wohnung auf einmal so leer. Ich vermisse ihn furchtbar und frage mich, wie ich es manchmal tagelang ohne ihn ausgehalten habe. Diese rotierenden Gedanken machen mich schier wahnsinnig. Um ihnen zu entkommen, schalte ich das Radio ein und lasse mich von der Popmusik beschallen, während ich frühstücke.

Mir fällt auf, dass Ethan bis auf einen alten Nussknacker auf der Anrichte überhaupt keine Weihnachtsdekoration stehen hat. Da ich noch Urlaub habe, fasse ich einen Plan, und ich hoffe, Ethan wird nicht der Schlag treffen. Rasch springe ich unter die Dusche und ziehe mich nach einem Blick aus dem Fenster regensicher an. Ethan ist wohl zur Arbeit gelaufen, denn der Schlüssel des Land Rover hängt am Haken. Ich schnappe ihn mir, und als ich wenig später im Wagen sitze, erfasst mich ein Hochgefühl. Denn ich werde shoppen gehen.

Im Geschäft werde ich von weihnachtlicher Dekoration fast erschlagen. Wir mögen es eher feierlich als kitschig, deshalb überlege ich sehr genau, was in meinen Einkaufswagen wandert.

Am Schluss besorge ich noch ein paar Zimmerpflanzen, denn ich brauche das Grün auf den Fensterbänken. Ich muss plötzlich an die Blumen meiner alten Wohnung denken, die ich zurückgelassen habe. Ob Thomas sie gießen wird? Oder werden sie alle vertrocknen?

Nein, daran möchte ich jetzt nicht denken. Keine unguten Gedanken beim Shoppen. Das ist mein Credo!

Zu Hause schleppe ich alles die Treppen hoch und komme keuchend oben an. Als ich die Tür öffne, ist das Licht eingeschaltet, und ich höre Geräusche aus dem ehemaligen Schlafzimmer. Ethan ist also schon zurück! Rasch stelle ich meine Ausbeute auf den Küchentisch und gehe zu ihm.

„Was machst du da?“, frage ich neugierig.

Mit einem Grinsen dreht er sich zu mir um. „Hallo, meine Schöne. Warst du einkaufen?“

„Woran siehst du denn das?“

„An deinem verklärten Gesichtsausdruck.“

Ich lache vergnügt auf und gehe zu ihm, um ihm einen Kuss auf den Mund zu hauchen. Die Verletzung an der Lippe heilt zum Glück sehr gut, und Ethan ist nicht mehr so schmerzempfindlich.

„Ich habe ein bisschen Dekoration gekauft.“

„Oh, das hört sich gut an.“

„Und was machst du hier?“

„Ich habe dir doch ein Regal für deine Bücher versprochen.“

Mein Blick schweift zu dem großen Karton, in dem sich die Bücher befinden, die mir am allerliebsten sind. Ich hoffe, das neue Regal ist groß genug.

„Du hast doch nichts gegen ein bisschen Weihnachtsdeko, oder?“

„Nein, nein, tob dich ruhig aus.“

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen.

Eine Weile später haben wir eine lichtdurchflutete Wohnung, obwohl ich die Deckenlampen ausgeschaltet habe. Ein Mistelzweig hängt über der Tür, Girlanden mit Stechpalme zieren die Wände. Die roten Beeren wirken wie winzige Weihnachtskugeln. Überall leuchten Kerzen und Lichterketten. Da wir für einen großen Weihnachtsbaum keinen Platz haben, steht nun ein kleiner im Blumentopf auf der Fensterbank zwischen meinen neuen Blumen.

Ob es zu üppig ist?

Zu den Feiertagen kann ich mich nur schwer zurückhalten, selbst bei Thomas setzte ich mich durch, obwohl er Weihnachten nicht leiden kann. Ich denke an die teuren Geschenke, die er mir trotzdem immer gemacht hat. Die Geschenke, die ich eigentlich nie wollte, weil mir der Sinn von Weihnachten viel wichtiger ist. Doch er ließ sich nie davon abhalten, mir auserlesenen Schmuck zu kaufen, der mir kaum etwas bedeutete. Vielleicht weil er stets nach seinem Geschmack schenkte und meine Wünsche nie erfüllte. Sie erschienen ihm nicht passend.

Ich fröstle leicht und gehe zur Heizung, um sie höher zu drehen.

„Wow!“, sagt Ethan, der nun in die Wohnküche lugt.

„Es ist nicht zu viel, oder?“

„Ich finde es sehr hübsch, vor allem den Mistelzweig.“ Kurzerhand nimmt er meine Hand und zieht mich zur Tür.

Sein Kuss unter dem immergrünen Zweig ist sanft und vorsichtig. Mir rieselt ein Schauer über die Haut. Der Brauch des Kusses unter dem Mistelzweig verspricht Glück und ewige Liebe, und ich wünsche mir von Herzen, dass uns beides weiterhin begleitet.

Ich schaue nach oben, betrachte die eigentlich so unscheinbare Mistel. Die weißen Beeren sitzen wie Perlen zwischen dem Grün. Für einen Augenblick spüre ich den Hauch des weihnachtlichen Zaubers. Mein Herz pocht schneller, und ich schmiege mich an Ethans Brust.

Zu gerne würde ich hier bei ihm bleiben, doch ich habe Fergus versprochen, ins Krankenhaus zu kommen, und mittlerweile ist es später Nachmittag.

„Ich muss noch zu Fergus“, murmle ich.

„Ja, ich weiß. Macht es dir was aus, wenn ich mitkomme?“

„Nein, wieso denn?“

„Okay, dann ziehe ich mich um.“

Hand in Hand gehen wir durch die Glastür und steuern die Fahrstühle an. Als ich wenig später Fergus’ Zimmertür öffne, halte ich verwundert inne. Leises Lachen kommt aus dem Raum, eine mir fremde Männerstimme spricht mit meinem Bruder. Ich ziehe die Tür direkt wieder zu, lasse nur einen Spalt offen.

„Warte“, flüstere ich Ethan zu.

Der zieht die Augenbrauen skeptisch zusammen. Ein schiefes Lächeln liegt auf seinen Lippen, als ich den Zeigefinger an den Mund halte. Ich lausche nun an der Tür.

„Warum hast du mir nicht eher gesagt, dass du einen Unfall hattest?“, sagt die fremde Stimme.

„Ich wollte dich damit nicht belasten. Tut mir leid.“

„Scheiße, und du musstest zweimal operiert werden?“

„Ja, ich hatte wohl einen Riss in der Milz. Na ja, und eben das Handgelenk.“

Das Bett knarzt leicht, als habe sich jemand zu Fergus gesetzt.

„Danke, dass ich dich besuchen darf.“

„Ich danke dir, dass du gekommen bist! Unser erstes Treffen hatte ich mir anders vorgestellt. Nun kennst du direkt den schrecklichen Fergus.“

Leises Lachen. „Den schrecklichen Fergus?“

„Na, wirres Haar, überall zerbeult und dann noch im Schlafanzug …“

„Ach, ich finde das gerade sehr süß.“

Ich habe genug gehört. Das muss Dean Hayes sein, der junge Mann, den mein Bruder von Tinder kennt. Ich schließe leise die Tür und ziehe Ethan zurück zum Aufzug.

„Fergus hat Besuch!“

Ethan schnauft amüsiert. „Ja, das ist mir aufgefallen.“

„Aber es ist ein potenzieller Kandidat.“

„Ich verstehe nicht. Ein …? Oh! Warte. So ein Kandidat!“

Die Fahrstuhltüren öffnen sich, und wir schlüpfen hinein.

„Die große Liebe also. Die sucht er doch verzweifelt, oder?“

„Ja“, antworte ich. „Und ich glaube, er mag Dean wirklich gern.“

Als sich der Fahrstuhl in Bewegung setzt, dreht Ethan mich schwungvoll herum und zieht mich in seine Arme. „Ich freue mich darauf, dich endlich wieder wild zu küssen.“ Er haucht mir einen Kuss auf die Lippen, und ich schenke ihm ein Lächeln.

„Und was machen wir jetzt?“, fragt er und neigt den Kopf schelmisch zur Seite.

„Am besten gehen wir einen Tee trinken und schauen nachher noch mal bei Fergus rein.“

„Du bist doch nicht etwa auf Neuigkeiten aus?“

„Nein, natürlich nicht“, protestiere ich. „Aber ich habe ihm schließlich versprochen, heute vorbeizukommen.“

„Aha, ich sehe dich nur gerade wieder vor der Tür lauschen.“

Wir prusten beide belustigt auf.

In der Cafeteria suchen wir uns ein einsames Plätzchen, kuscheln uns nah aneinander und schauen gemeinsam aus dem Fenster. Es regnet in Strömen, trotzdem strahlt die Sonne und lässt den Asphalt erstrahlen. Ein Regenbogen zieht sich quer über die Straße.

Ein gutes Omen!, denke ich und halte daran fest.

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