Читать книгу Faktor Mensch - Tanja Kewes - Страница 10
Wer jedes Detail selber regelt,
scheitert im Klein-Klein
ОглавлениеDas Herumwursteln wie an der Bratwurstbude am Bahnhof hat Risiken, aber die wischen wir selbstsicher vom Ecktisch.
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in Alexander der Große oder ein Stratege wie Carl von Clausewitz stehen für die große Linie – und um die sollte es uns, liebe Fach- und Führungskräfte, ja eigentlich auch gehen. Ferdinand Piëch, der Auto-Patriarch, oder Gerhard Cromme, der ach so gute Unternehmensführer und -lenker von Thyssen-Krupp und Siemens, sind zwar nicht unumstritten, gelten aber als solche Weitdenker. Doch die Gefahr ist groß, dass wir uns jeden Tag im Klein-Klein, in den operativen Niederungen unserer Jobs verlieren.
Das sogenannte Mikromanagement ist aber auch zu schön ... Hinter dem Chaos steckt System. Ohne Strategie arbeitet und führt es sich bestens. Wir können unsere Mitarbeiter herumkommandieren wie sonst nur den Schoßhund. Ohne klare Regeln und Überzeugungen haben wir allzeit die Macht. Jede kleine Entscheidung treffen wir, alles tanzt nach unserem Zeigefinger. Auch die cleversten Untergebenen blicken nicht mehr durch, können keine eigenen Vorschläge, Ideen entwickeln.
Warum also ein-, vielleicht zweimal im Leben ein Visionär sein, wenn wir jeden Tag ein kleiner Sonnenkönig sein und sagen können „L'État c'est moi!"?
Und das Beste: In diesem absolutistischen, chaotischen System blicken nicht einmal die lieben Kollegenkonkurrenten durch – und haben von daher null Angriffsfläche. Und falls der Chefchef, der Eigentümer oder Aufseher doch einmal eine Strategie verlangt, engagieren wir hopplahopp – wie es unsere Art ist – einen Strategieberater. Unsere kleingeistige Strategie: Den Heinis von McKinsey, Boston Consulting oder Roland Berger wird schon was Schönes, wenn schon nichts Schlaues einfallen. Und falls deren Strategie nichts taugt, haben wir auch noch einen Schuldigen, der von unserer eigenen Ideenlosigkeit, unserem eigenen Unvermögen ablenkt. Was wollen wir mehr?
Das Herumwursteln, das In-den-Tag-hinein-Arbeiten wie an der Bratwurstbude auf dem Bahnhofsvorplatz hat zwar Risiken und Nebenwirkungen, aber die wischen wir hektisch vom Ecktisch. Die Familie, die zugegebenermaßen zeitlich zu kurz kommt, soll sich mal nicht so haben, schließlich verdienen wir das große Geld. Die devotesten Mitarbeiter, die nicht einmal mehr bei unseren schwachsinnigsten Ansagen aufmucken, und die wir deshalb auch eigentlich heimlich verachten, sollen froh sein, dass sie mit so einem Genius wie uns zusammenarbeiten. Und die Nachhaltigkeit? Ach, das ist doch nur ein schönes Modewort, das uns mit unserem Drei- bis Fünfjahresvertrag nicht zu scheren braucht. Nach uns die Sinnflut ...
Und schließlich, wenn uns bei der alljährlichen Führungskräftetagung auf Mallorca sogar der „Content" für eine oberflächliche Powerpoint-Präsentation fehlt, sind die Umstände, der Druck, die Krise, die unselbstständigen Mitarbeiter, das tägliche Klein-Klein schuld. Wer will uns denn da das Gegenteil beweisen? Und bei einem schönen Chianti wälzen wir uns dann mit den anderen kleinen und größeren Sonnenkönigen im Selbstmitleid.
Auch wenn sich im Job eigentlich eine Kriegsmetaphorik eines Carl von Clausewitz verbietet, es nicht um Leben und Tod, Vaterland und Muttermilch geht und auch keine Schlachten geschlagen, Länder erobert oder Dynastien gegründet werden – eine Strategie zu haben zahlt sich doch aus.
Haben Sie eine?
Erschienen am 24.06.2011 im Handelsblatt