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Verkleidungen machen Leute

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Von Clown bis Erbsenzähler – in vielen Geschäftssitzungen geht es das ganze Jahr zu wie an Karneval.

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ie tollen Tage der fünften Jahreszeit gibt es nicht nur im Rheinland und von Altweiber-Donnerstag bis Ascher-mittwoch einmal im Jahr. In vielen Geschäftssitzungen geht es das ganze Jahr zu wie an Karneval. Egal, ob diese Jour fixe, Brain-Storming, Wochenkonferenz oder Projektbesprechung heißen. Wir selbst und die lieben Kollegen spielen unsere Rollen, als hätten wir Kostüme an.

Von wegen Kleider machen Leute, wie es einst Gottfried Keller in seiner Novelle beschrieb, heute gilt häufig: Verkleidungen machen Leute. Schauen Sie sich mal um!

Der joviale Entertainer darf in keiner Konstellation fehlen. Modisch up to date trägt er derzeit lila Hemd. Seine Haut ist sonnenbankbraun, seine Haare durchziehen blonde Strähnchen. Er hat für jede Lebens- und Geschäftssituation einen Spruch parat, der markig, aber bildlich schief bis schrecklich ist – zum Beispiel: „Da fliegt einem ja die Kniescheibe weg!" Wenn wirklich Karneval ist, macht er Ernst und kommt als Clown.

Der Karrierist sitzt stets links vom Chef, nickt bei jeder seiner Äußerungen eifrig (und seien diese noch so belanglos) und schreibt alles mit, was der große Meister von sich gibt. Sein Blackberry/iPhone blinkt und vibriert unablässig. Er ist top ausgebildet, spricht drei Sprachen fließend, weiß sich zu kleiden. Seine Defizite hat er – wie sollte es anders sein – im Sozialen. Seine Ideen sind nicht blöd, da ihn jedoch keiner mag, gesteht ihm das keiner zu – weder vor aller noch unter vier Augen. Im Karneval trägt er Uniform. Als Stadtsoldat, Fregatten- oder Flugkapitän übt er sich als künftiger Chefchef.

Eine weitere Type ist der Prinz. Der ist dem Karrierist nicht unähnlich, er kommt aber stets zu spät und ist schlecht bis gar nicht vorbereitet. Er besticht allein durch gutes Aussehen und Auftreten. Er kann sich fast alles erlauben, weil er das Team (das natürlich keines ist) schon einmal durch einen perfekten Vortrag (kein Inhalt, nur Show) gerettet hat. Der Prinz wird von allen insgeheim geliebt und gehasst zugleich, da alle gern so wären wie er. Einfach Bella Figura machend, mimt er im Karneval den Gott in Weiß, einen Arzt, oder gleich den Papst.

Schließlich der Erbsenzähler und Zauderer. Der tritt nie ohne Taschenrechner auf. Kein Satz ohne Zahl, kein Beleg ohne Statistik. Er ist kleinkariert – von Hemd bis Kopf. Im Karneval müsste der Zauderer eigentlich Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Erbsenzähler einen Schotten darstellen. Das traut er sich aber nicht – und zwar nicht nur, weil Merkel im Düsseldorfer Zoch traditionell nackt daherkommt und die Schotten traditionell Röcke tragen. Er verkleidet sich gar nicht. Nicht mal große Karos traut er sich.

Endlich der Gutmensch. Der tritt gerne im Gewand des Betriebsrats auf, pfeift die „Internationale" und kämpft für „meine, äh, pardon, unsere Sache". Zum Thema trägt er in der Regel wenig bei. Für alles Inhaltliche hat er „wegen der vielen Verpflichtungen im Betriebsrat leider wenig Zeit". Im Karneval dreht er – nach 37,5 Stunden Wochenarbeitszeit gut erholt – voll auf und zeigt als Teufel oder Kater seine Hörner oder Krallen.

Haben Sie sich oder die lieben Kollegen wiedererkannt? Wenn ja, nehmen Sie es nicht zu schwer. Sondern eher als Denkanstoß – so wie im Epischen Theater von Bert Brecht mit seinen skurrilen Helden und überzeichneten Situationen. Das Ergebnis vieler geschäftlicher Meetings passt ja ohnehin sehr gut zu Brechts Ansatz „Der Vorhang zu, und alle Fragen offen". Hauptsache, jeder hat sich gut präsentiert – mit oder ohne Schminke, Konfetti und Kostüm.

Erschienen am 19.02.2010 im Handelsblatt

Faktor Mensch

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