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Warum es schön ist, zu beraten und sich beraten zu lassen
ОглавлениеWer Entscheidungen fürchtet, mietet sich einen Söldner.
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as haben Joschka Fischer, Hartmut Mehdorn und Herbert Walter gemeinsam? In ihrem ersten Leben nicht viel. Der eine war Revoluzzer, Steinewerfer, Außenminister und bis zuletzt grün, der andere Bahn-Chef im Tower von Berlin, der Dritte Dresdner-Bank-Boss. Der Erste wurde abgewählt, der Zweite trat zurück, der Dritte war nach der Fusion seiner Bank überflüssig.
In ihrem heutigen Leben haben sie aber eines gemeinsam: Sie sind Berater. „Joschka Fischer and Company" heißt die eine Beratungsadresse am Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte, und die anderen beiden Herren haben ihre neue Berufung im feinen Westend in Frankfurt am Main gefunden.
Letzter Ausweg Beratung? Es scheint so. Denn die drei Herren sind nicht die einzigen. So steht der frühere Eon-Chef Wulf Bernotat dem Finanzinvestor Permira zur Seite, der ehemalige Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus, dem österreichischen Konzern Magna, und Großbritanniens Ex-Premier Tony Blair berät alles und jeden und hat so binnen weniger Jahre Millionen Pfund gemacht.
Aber es ist nicht nur so, dass die Alten die Beratung als Aufschub vor dem unausweichlichen „a.D." entdeckt haben. Auch wir anderen geben uns zu gerne der Beratung hin – wenn auch nicht als Anbieter, sondern als Kunden, und zwar beruflich und privat. Wollen wir ein paar Kilo abnehmen, gehen wir zum Ernährungsberater und engagieren anschließend einen Personaltrainer. Wollen wir unser Geld vermehren, vertrauen wir – Finanzkrise und diversen Bankenskandalen zum Trotz – wieder unserem Anlageberater. Wollen wir heiraten, finden wir einen Wedding-Planner, ziehen wir um, einen Einrichtungsberater, verändern wir uns beruflich, einen Karriereberater, ticken die lieben Kleinen aus, eine Supernanny.
Warum tun wir das? Die Hälfte der (teuren) Zeit braucht der Berater, um sich einzuarbeiten, also um auf den Stand zu kommen, den wir, die Auftraggeber schon haben. Wegen der weltbewegend neuen Ideen, Konzepte, Strategien, die diese feinen Herren oder Damen für uns entwickeln? Na, ja, bewegend ist meist nur das Honorar. Und selbst wenn diese (mal) gut sind, stehen wir danach meist alleine mit der Umsetzung da. Müssen also etwa selbst die Produktion schließen, die Hälfte der Mitarbeiter „freisetzen", selbst schwitzen, nur noch Wasser trinken und Kohlsuppe essen.
Von Beruf Berater zu sein behält man in gewissen Teilöffentlichkeiten und an bestimmten Orten zwar besser für sich. Denn wer etwa auf einer Party verkündet, „Meckie", „Boozie" oder „Bainy" zu sein und auf „work hard, play hard" macht, trinkt sein Kaltgetränk schon mal allein.
Also, warum werden die einen Berater, warum suchen die anderen Rat? Erstens scheuen sich viele von uns (Führungskraft hin oder her) davor, einsame Entscheidungen zu treffen. Also engagieren wir einen Söldner, der das für uns tut, und auf den wir, im Fall der Fälle, die Schuld schieben können. Zweitens sind wir Tag für Tag überfordert. Um Zeit zu gewinnen, engagieren wir eine Beratertruppe. Egal, ob es ein Dutzend 28-jähriger Consultants oder ein Elder Statesman ist, sie verbreiten Aktionismus und lenken von unserer eigenen Ideen- und Konzeptlosigkeit ab. Und drittens: unser Hang zur Perfektion. Selbst wenn es geschäftlich gut läuft, unser Erspartes sich stetig mehrt, wir nahe am Idealgewicht sind, wollen wir es besser, vervielfacht, schöner machen oder haben, und dann ist die erste oder letzte Wahl der Berater.
Selbst ein Berater braucht einen anderen Berater. So haben sich Joschka Fischer, Hartmut Mehdorn und Herbert Walter auch nicht allein selbstständig gemacht. Sie beraten mit anderen zusammen: Fischer mit einem grünen Kompagnon und seiner früheren Sekretärin, Mehdorn und Walter miteinander sowie einem weiteren Ex-Dax-Vorstand. Und die „Roland Berger Strategy Consultants" leisten sich nach wie vor ihren Gründer, den 72-jährigen Roland Berger als Beraterberater. Oder leistet er sich sie?
Erschienen am 17.09.2010 im Handelsblatt