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Der hysterische Business-Lunch
– oder: Saure-Gurken-Zeit

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Die Mittagspause ist zur anstrengendsten Stunde des Tages verkommen.

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er Business-Lunch, jener werktägliche Mittagstisch mit den lieben Kollegen oder dem Chef, ist ja schon lange kein Vergnügen, keine MittagsPAUSE im eigentlichen Sinne mehr. Es ist bisweilen die anstrengendste Stunde des Tages.

Zwischen Rindercarpaccio, Steinbutt im Kräuterbett und Espresso Macchiato wird genetzwerkt, konzipiert, geheuert, gefeuert, gemobbt, befördert, abgemeiert, Tacheles geredet, rumschwadroniert, geflirtet. Das „Wer mit wem, wo und wie lange" ist häufig entscheidender als bei echten Büroterminen. Und das „Was essen wir?" hat inzwischen auch noch eine hysterische Komponente bekommen. Aber der Reihe nach, oder besser: ein Gang nach dem anderen …

Wer mit wem? Mit den lieben Kollegen ist natürlich der Klassiker und das wöchentliche Pflichtprogramm. Da wird gelästert, über den Neuen oder den, der gerade auf Geschäftsreise ist, und es wird viel Benchmarking betrieben – „mein (neuer, dicker) Dienstwagen", „meine (hochintelligente) Jüngste“… Manchmal, und ich glaube gar nicht so selten, wird weniger gebenchmarkt, mehr geflirtet. Dann gibt es als Vor- und Nachspeise die großen Erfolgsgeschichten von ihm und die tiefen Blicke von ihr – oder andersherum. Der Lunch mit dem Chef ist immer ein Highlight und die Kür, aber auch Schwerstarbeit und glattes Parkett. Wer da zwischen Vor- und Nachspeise nicht aufpasst, hat drei neue Projekte am Hals, viel über sich preisgegeben und ist immer noch nicht befördert.

Wohin zum Business-Lunch? Die Damen gehen gerne ins super gesunde und kalorien- und kohlenhydratarme „Sattgrün", die Herren ins fleischig-fettige „Delfi". Um einen Kompromiss zu finden, landet man und frau häufig beim eigentlich viel zu teuren Italiener um die Ecke und hat am Nebentisch – näher als in jedem Meeting – den Chef und den Chefchef sitzen. Na, guten Appetit die Herren und Damen! Jetzt heißt es reden, ohne was auszusagen, und gleichzeitig noch zu lauschen. Da kann die Pasta noch so gut sein, es schmeckt nicht.

Wie lange? Heute ist meist spätestens nach einer Stunde Schluss mit „hmmm, lecker!“. Früher, ja früher, da fuhr man(n) mittags nach Hause zu „Muttern" (gemeint war die Ehefrau) oder verschwand bis mindestens halb drei Uhr im örtlichen, mit Türspion und „Members only"-Schild exklusiv gehaltenen Industrieklub. Mit Aperitifaperitif, also Cognac und Zigarre, konnte es da auch schon mal halb vier werden. Und weil es dann ja eh schon so spät war, rief man(n) noch kurz die Sekretärin an, um sich versichern zu lassen, dass nichts mehr anstehe, und verabschiedete sich in den Feierabend, pardon, zu wichtigen Gesprächen in die Loungebar des Klubs.

Was essen wir? Wir wollen ja was essen – und müssen das eigentlich auch, weil wir schon das Frühstück vor Geschäftig- und Wichtigkeit geschlabbert haben – und wollen es doch eigentlich nicht. Die Figur, die Figur, die Figur – ja, liebe Männer, auch von Ihnen höre ich diese Klage immer öfter. Und wir, diese Lass-es-mir-schmecken-aber-mach-mich-nicht-dick-Experten, haben inzwischen ein echtes Problem: Grünzeug wie Gurken und Sprossen ist auf einem Iiiih-Niveau wie Gammelfleisch. Der Ehec-Seuche sei Dank. Den BSE-Skandal hatten wir ja gerade erfolgreich verdrängt.

Haben Sie zuletzt auch auf Frisches und rohes Fleisch verzichtet? Und sich ordentlich durchgekochte Pasta reingezwängt? Am Mittagstisch herrscht inzwischen eine gewisse Hysterie. Oder gehören Sie zu den Verwegenen, die den Salat jetzt erst recht knacken lassen und das Steak dazu schön blutig nehmen? Egal wie, Ehec und BSE sind dieser Tage dabei – wenn nicht auf dem Tisch, so doch in unseren Köpfen und rauben uns so auch noch die letzte innere Ruhe beim sowieso schon kapriziösen Business-Lunch.

Wohl also dem, der zwischen zwölf und ein Uhr schon immer leise Herbert Grönemeyer summte und am liebsten voller Genuss in das Ruhrpott-Carpaccio biss: „Kommse vonne Schicht, wat schönret gibt et nich, als wie Currywurst." Gesagt und gemampft.

Der Currywurst-Fan weiß wenigstens, was er hat – Phosphate, viel Fett, Stammtischniveau – und was er nicht hat: Arbeitszeit, Willi-Wichtig-Getue, Hysterie.

Na, dann: Mahlzeit!

Erschienen am 10.06.2011 im Handelsblatt

Faktor Mensch

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