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Geweint? Explodiert? Verliebt?
ОглавлениеAuch im Büro wollen und sollen wir Menschen sein.
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ine Weihnachtsfeier brauchen wir nicht, um aus unserer Professionalität zu fallen. Auch im Alltag schaffen wir es immer mal wieder, uns danebenzubenehmen. Oder sind Sie noch nie vor Wut explodiert, haben Sie nie geweint, sind einem Lachkrampf erlegen oder haben sich in einen Kollegen oder Geschäftspartner verguckt?
Bei der vielen Zeit, die wir im Job verbringen, dem Druck, der Geschwindigkeit kann das man und frau schon mal passieren. Mir ist das auf jeden Fall schon fast alles einmal passiert. Nur, was dann? Aus Scham kündigen? Wohl kaum ...
Fangen wir mal mit dem Gängigsten an. Das Vor-Wut-Explodieren ist zwar auf dem Rückmarsch. Schließlich sind die meisten von uns ja nur zeitlich befristet angestellt und haben eine gute Manager-Haftpflicht. Warum also aufregen? Und als Choleriker oder Furie zu gelten ist zudem ziemlich uncool. Dennoch passiert es dem einen oder anderen, hin oder wieder mal ... – und wie! Die Halsschlagader schwillt an, der Blick wird starr, die Lippen sind erst aufeinander gepresst, und dann weit aufgerissen. Laute böse oder leise gemeine Worte fallen, die Hand haut auf den Tisch, vor den Kopf oder die Tür zu.
Dann der Lachanfall: Irgendjemand macht einen Witz oder auch nur eine komische Bemerkung, und wir prusten los und kriegen uns – meist ist noch ein Gegenüber mit im Spiel – nicht mehr ein. Unsere Mundwinkel zucken, alles Zähne-Zusammenbeißen hilft nichts. Wir schauen weg, an die Decke, auf den Boden, fangen an, uns Flusen von der Hose zu zupfen, Weihnachtsgeschenke zu überlegen. Es überkommt uns immer wieder. Wie ein Teenie kichern wir weiter vor uns hin. Legendär ist der Lachanfall der früheren Tagesschau-Sprecherin Dagmar Berghoff. Nachdem sie aus dem WCT-Turnier das WC-Tennisturnier gemacht hatte, vergluckste sie die Lottozahlen.
Das Gegenteil: das Losheulen wie ein kleines Kind, dem ein anderes im Sandkasten die Schaufel weggenommen hat. Es wird einem kalt, dann heiß, die Mundwinkel fangen wie beim Lachen an zu zucken - nur blöderweise nach unten – und das Schluchzen bahnt sich durch den Hals seinen Weg, unaufhaltsam, leider unaufhaltsam.
Schließlich das Verliebtsein. Eigentlich das schönste Gefühl der Welt - selbst zwischen Akten, in Werkshallen oder auf dem Bau. Und dann nimmt man, frau allen Mut zusammen und gesteht dem geliebten Kollegen, Mitarbeiter, Geschäftspartner irgendwie noch verklausuliert, aber doch ziemlich eindeutig seine Gefühle. Und dann? Wenn es keine Gegenliebe gibt? Peinlich, peinlich, peinlich.
Dieses Entprofessionalisieren muss uns jedoch nicht vor Peinlichkeit im Boden versinken lassen. Das ist schon ganz anderen passiert. Beispiele für Ausraster gibt es viele. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble etwa kanzelte in aller Öffentlichkeit seinen Sprecher ab, Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger soll mal vor Wut ein Handy an die Wand geschmissen haben, und die Wut-Rede von FC-Bayern-Boss Uli Hoeneß („Das ist eine populistische Scheiße") ist vielzitiert.
Losgeheult - und noch dazu in aller Öffentlichkeit – hat zuletzt Jürgen Großmann, der große, starke Stahlunternehmer während einer Podiumsdiskussion, sowie Maria-Elisabeth Schaeffler, die Grande Dame der deutschen Wirtschaft vor ihrer Belegschaft. Und dass der Beruf der größte und erfolgreichste Balzplatz ist, wissen wir nicht erst seit Paarungen wie Telekom-Chef René Obermann und Moderatorin Maybrit Illner oder den beiden Oberlinken Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht.
Auch im Job wollen und sollen wir Menschen sein.
Erschienen am 02.12.2011 im Handelsblatt