Читать книгу Zarenblut - Ein Fall für Julia Wagner: Band 4 - Tanja Noy - Страница 6
1. KAPITEL
ОглавлениеDer Mensch ist des Menschen Hölle
20. Dezember 2010
18:25 Uhr
Mainz
Der Winter zeigte dem Land sein bissigstes, unschönstes, strengstes Gesicht. Die eisige Kälte ging den Menschen durch Mark und Bein und führte dazu, dass die Ladenbesitzer eine Stunde früher als üblich schlossen und in den Kneipen dreimal so viel Glühwein und Feuerzangenbowle serviert wurde wie an normalen Dezembertagen.
Ein Nachrichtensprecher im Radio hatte es vor wenigen Minuten ein „Weltuntergangsszenario“ genannt.
„ Diese Schneemassen werden uns auch noch die nächsten Tage zu schaffen machen, es werden weitere zwanzig Zentimeter Neuschnee erwartet, was keine guten Nachrichten für diejenigen sind, die irgendwie nach Hause kommen müssen, um die Weihnachtsfeiertage im Kreise ihrer Lieben zu verbringen.“
Und damit hatte er recht. Der Wind war längst zu einem erbarmungslosen, unberechenbaren Sturm geworden und die Temperatur bis unter den Gefrierpunkt gesunken. Der Schnee lag mehrere Zentimeter hoch und hing gleichzeitig wie ein weißer Spitzenvorhang in der Luft. Eine weiße Masse, wie ein gähnender Schlund, der alles verschlang.
Im Zimmer der billigen Pension war das Licht gedämpft. Während Julia aus dem Fenster sah, hätte sie nie geahnt, wohin diese Geschichte sie in den nächsten Tagen noch führen würde. Niemals. Nicht in ihren kühnsten Träumen.
Eva, die erschöpft auf der zerschlissenen Couch saß und deren rote Locken noch unbändiger als sonst in alle Himmelsrichtungen von ihrem Kopf abstanden, fragte: „Warum mussten wir eigentlich ausgerechnet einen derartigen Schrotthaufen von Auto klauen? Die Sprungfedern im Sitz haben Löcher in meinen Hintern gebohrt wie in einen Schweizer Käse. Ich weiß noch nicht einmal, was das für eine Marke ist, mit der du uns da durch die Gegend geschaukelt hast.“
„Es ist ein Saab“, gab Julia zurück, ohne den Blick vom Fenster zu nehmen. „Und wir sind damit immerhin vom Schwarzwald bis hierher gekommen.“
„Ja, aber in was für einem Zustand.“
„Es gab nun mal auf die Schnelle keine andere Lösung.“
„Nein?“ Eva verzog das Gesicht. „Wir hätten auch einfach dort bleiben können, wo wir waren.“
„Und darauf warten, dass wir verhaftet werden?“ Julia schüttelte den Kopf. „Das wäre keine gute Idee gewesen.“
„Früher oder später kommen sie uns sowieso auf die Spur.“
„Ja. Aber nicht, solange das Wetter so schlecht ist.“
Sie schwiegen einen Moment. Irgendwo im Haus rauschte Wasser durch eine Leitung.
Dann sagte Eva: „Und du bist dir sicher, dass das hier funktionieren wird?“
„Nein.“ Jetzt wandte Julia sich zu ihr um. „Und deshalb solltest du eigentlich auch gar nicht hier sein. Du solltest längst irgendwo anders sein. Es ist viel zu gefährlich. Ich dachte, ich hätte es dir erklärt, aber anscheinend habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt.“
„Du hast dich deutlich genug ausgedrückt. Aber das hier kannst du alleine nicht schaffen, und das weißt du auch. Du brauchst meine Hilfe.“
„Tot bist du mir aber keine Hilfe.“
„Das gilt auch umgekehrt.“ Eva hob die Hände in die Höhe. „Wie, glaubst du, würde es mir gefallen, wenn ich dich alleine lasse und dann irgendwann erfahre, dass du tot bist? Ich sag es dir: gar nicht. Also werde ich an deiner Seite bleiben und mich nicht mehr wegbewegen. Gewöhn dich besser an die Vorstellung.“
Julia seufzte leise, durchquerte den Raum mit ein paar Schritten und setzte sich neben sie auf die Couch. „Du erstaunst mich.“
„Warum?“
„Weil du eigentlich völlig durch den Wind sein müsstest. Erledigt. Fertig mit den Nerven. Am Ende.“
Eva nickte langsam. „Ja, das müsste ich wohl. Immerhin habe ich vor noch nicht einmal achtundvierzig Stunden einen Mann erschossen – und zwar ohne das geringste Zögern.“ Sie hielt kurz inne, bevor sie fortfuhr: „Und eigentlich ist mir auch ununterbrochen danach, zu weinen, aber ich kann nicht. Es tut mir nicht einmal leid. Es kommt mir selbst merkwürdig vor, dass ich keine Reue empfinde, aber ich tue es nicht. Es ist, als wären all meine Gefühle taub geworden. Ich bin mir nicht sicher, ob mir das gefallen soll, aber es ist nun mal so.“
„Du stehst immer noch unter Schock“, sagte Julia.
„Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch etwas anderes.“ Eva wandte ihr den Blick zu. „Ich sage mir die ganze Zeit, dass ich schlichte Gerechtigkeit geübt habe. Ich meine, es steht doch sogar in der Bibel, oder nicht? Auge um Auge, Zahn um Zahn.“
„Du weißt, dass damit etwas anderes gemeint ist.“
„Das ist alles Auslegungssache.“
Ja, vermutlich war es das.
„Cirpka war ein Mörder“, sprach Eva weiter. „Ein durch und durch schlechter Mensch, und ich habe meine Zweifel daran, dass er für seine Taten vor einem ordentlichen Gericht bestraft worden wäre.“
Julia nickte langsam und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Noch einmal hörte sie den Schuss, sah Cirpka auf dem Boden liegen. Und sie hörte seine letzten Worte: „Finde Sten Kjaer.“
„Glaubst du, er ist in der Hölle?“, durchbrach Evas Stimme ihre Gedanken.
Julia öffnete die Augen wieder. „Cirpka?“
„Ja. Glaubst du, er ist in der Hölle?“
„Es gibt keinen Ort, der Hölle heißt.“
„Bist du dir da sicher?“
„Ganz sicher. Wenn es eine Hölle gibt, dann ist es der Mensch. Der Mensch ist des Menschen Hölle.“
Darüber dachte Eva einen Moment lang nach. Dann sagte sie: „Wahr ist, dass das, was in den letzten Tagen, Wochen und Monaten passiert ist, teuflisch war, und wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass am Ende das Gute gewinnt, würde ich vermutlich zusammenbrechen.“
„Ich auch“, gab Julia zu.
Sie schwiegen wieder einen Moment.
Dann fragte Eva: „Glaubst du denn, dass Zander noch lebt?“
Die Frage erwischte Julia nicht kalt. Sie dachte seit Stunden über nichts anderes nach. „Solange ich seine Leiche nicht real und echt vor mir gesehen habe“, antwortete sie, „ist er für mich immer noch am Leben.“ Sie erhob sich von der Couch. „Und deshalb sollten wir jetzt auch keine Zeit mehr verlieren. Denn egal, wo er gerade steckt, ich werde ihn dort nicht lassen.“
„Und wo fangen wir mit der Suche an?“
„Bei seinem letzten Fall.“ Julia griff nach ihrer Jacke. „Das ist unser erster Ansatzpunkt.“
Als Zander zu sich kam, blendete ihn helles Licht. Es fühlte sich an, als ob ein gleißender Scheinwerfer mitten auf sein Gesicht gerichtet war. Er versuchte, den Kopf zu drehen, aber es gelang ihm nicht. Sein Kopf, sein ganzer Körper, schien mit nichts gefüllt zu sein als mit Schwere. Er schaffte es nicht einmal, seine Hand zu heben.
Immerhin, es war ihm noch möglich, zu blinzeln.
Und zu denken.
Was zum Teufel hatten sie ihm gegeben? Was hatten sie ihm in die Venen gejagt?
Er stellte fest, dass er auf einer Matratze lag. Er war nicht gefesselt. Wozu auch? Er konnte sich ja nicht rühren. Noch einmal versuchte er, die rechte Hand anzuheben, und endlich gelang es ihm. Jedoch nicht sehr lange. Sie war einfach zu schwer.
Der Raum, in dem er sich befand, war kalt, und sein Atem zeichnete Spuren in der feuchten Luft.
Mühsam wandte Zander den Kopf, konzentrierte sich, sah sich um. Aber es gab nicht viel zu sehen. Bis auf die Matratze, auf der er lag, war der Raum vollkommen leer.
Er fühlte sich sterbenselend. Er hätte nicht sagen können, wie lange sein Magen schon keine Nahrung mehr bekommen hatte. Viel schlimmer aber war, dass er die Hoffnung, dass Hilfe käme, auf gerade mal ein Prozent einschätzte. Fröstelnd starrte er an die Decke. Dann hörte er Schritte vor der Tür. Und Stimmen. Er wollte lauschen, was gesagt wurde, merkte aber, wie ihm der Kopf schon wieder schwer zur Seite sank.
Erst als er von irgendwoher einen leichten Zug verspürte, wurde ihm klar, dass er einen kurzen Moment lang eingeschlafen sein musste. Inzwischen hatte jemand die Tür geöffnet. Eine Gestalt stand vor seiner Pritsche und blickte auf ihn hinab. Zu gerne hätte Zander gesehen, wie die Gestalt aussah, aber sein Blick war zu verschwommen.
„Nicken Sie, wenn Sie mich verstehen können“, hörte er eine Stimme.
Er nickte schwerfällig.
„Wenn wir Sie hätten umbringen wollen, dann wären Sie schon tot. Das wissen Sie, nicht wahr?“
Erneut nickte Zander. Es kostete ihn unglaublich viel Kraft.
„Wir haben allerdings etwas anderes …“
Die verschwommene Gestalt redete weiter, aber die Wörter verschmolzen miteinander, und als sie Zanders Ohren erreichten, hatten sie ihre Bedeutung bereits verloren.
Dann registrierte er, dass er wieder alleine war. Die Gestalt war gegangen. Wann? Er hatte es nicht mitgekriegt.
Er war wieder alleine. Und jetzt, zum ersten Mal in seinem Leben, empfand Zander tiefe Angst. Ein Prozent Hoffnung. Und dieses eine Prozent hatte einen Namen.
Bitte, Julia, flehte er im Stillen, beeil dich.
19:07 Uhr
„Hallo, Julia“, sagte Nikolas Augustin in der Tür. „Lange nicht mehr gesehen.“ Zwar sah er immer noch gut aus, aber es ging ihm nicht gut, das war ihm deutlich anzusehen. Er wirkte übermüdet, sein kurzes dunkles Haar war zerzaust, sein Hemd zerknittert. Er hatte immer etwas von einem männlichen Unterwäschemodel gehabt, davon war jetzt nicht viel zu sehen. Sein Blick schweifte zu Eva. „Ist das deine Freundin?“
„Ja“, sagte Julia.
Er reichte Eva die Hand. „Nikolas. Julia und ich waren bei der Kripo hier in Mainz in einem Team. Also, Zander, sie und ich.“ Er ließ die Hand wieder los und trat zur Seite. „Kommt rein.“
Sie betraten eine kleine, aber gemütliche Küche und setzten sich an einen Holztisch.
„Du warst im Schwarzwald“, sagte Augustin zu Julia.
Erstaunt sah sie ihn an. „Woher weißt du das?“
„Zander gab mir die Anweisung, dein Handy orten zu lassen.“
„Wirklich? Wann?“
„Vor zwei Tagen.“
„Warum?“
„Weil er sich Sorgen um dich gemacht hat.“ Augustin lehnte sich etwas zurück. „Daher wussten wir, wo du bist. Wir wussten nur nicht, warum du dort warst. Verrätst du es mir?“
Julia schüttelte den Kopf. „Je weniger du weißt, desto besser.“
Einen Moment lang sahen sie einander in die Augen, dann fügte sie hinzu: „Und jetzt sag mir bitte, was hier in Mainz geschehen ist. Zander ist spurlos verschwunden, das weiß ich, mehr aber auch nicht. Was habt ihr inzwischen herausgefunden? Was sagen seine Nachbarn? Hat irgendjemand etwas gesehen?“
„Autos“, antwortete Augustin. „Zwei Personen haben einen roten Wagen in Richtung Autobahn fahren sehen. Eine andere Person sah ein Taxi in dieselbe Richtung fahren. Was allerdings nicht weiter verwunderlich ist, immerhin befindet sich Zanders Wohnung nicht weit von der Autobahnauffahrt entfernt.“
„Sonst nichts?“
„Nein. Alle Proben aus seiner Wohnung sind schon im Labor, und die Handyortung hat leider nichts ergeben. Kein gewaltsames Eindringen in seine Wohnung. Er scheint seinen Entführer ins Haus gelassen zu haben.“
„Oder dieser hat sich geschickt Zutritt verschafft.“
„Oder das.“
Julia schwieg einen Moment, dann sagte sie: „Woran habt ihr zuletzt gearbeitet?“
„Du weißt, dass ich dir darüber keine Auskunft geben darf. Was ich dir bis jetzt gesagt habe, ist schon viel zu viel. Du bist nicht mehr bei der Polizei, Julia, und somit überhaupt nicht befugt. Und ich bin es genauso wenig.“
„Ich werde euch nicht in die Quere kommen, Nikolas, aber du weißt selbst, dass ihr jede Hilfe gebrauchen könnt. Und Ermitteln ist nun mal das, was ich am besten kann.“
„Wir können auch ermitteln, denn das ist unser Job.“
„Entschuldigung, könnte ich vielleicht eine Tasse Tee haben?“, schaltete Eva sich ein.
„Natürlich. Tut mir leid.“ Augustin stand auf und goss heißes Wasser in eine Tasse. „Du auch, Julia?“
„Nein, danke.“
Er hängte einen Teebeutel in die Tasse und reichte sie an Eva weiter. Dann setzte er sich wieder an den Tisch und sah Julia an. „Ich kann das wirklich nicht machen.“
„Ich kann es mir doch wenigstens anhören“, sagte sie. „Das kann ja wohl nicht schaden.“
Daraufhin setzte Schweigen ein.
Julia wartete darauf, dass Augustin etwas sagte, und als zu lange nichts von ihm kam, erklärte sie eindringlich: „Wir dürfen jetzt keinen Fehler machen, keiner von uns.“
Er sagte immer noch nichts, und sie wartete wieder ab. Als ob sie vollkommen ruhig wäre, was nicht der Fall war. Sie wusste, dass die Chancen, etwas herauszufinden, was niemand vor ihr entdeckt hatte, gering waren, aber sie wollte es dennoch versuchen.
Schließlich sagte Augustin: „Okay. Was willst du wissen?“
„Alles.“
Noch einmal vergingen Sekunden. Dann erhob er sich, verließ die Küche und kam wenig später mit einem Stapel Papieren zurück. Er legte sie auf den Tisch und schob sie ihr zu. „Das ist der Fall, an dem wir gearbeitet haben, als Zander verschwand.“
Julia griff nach den Papieren und sah sie durch. Es waren Kopien der gesammelten Informationen und Dokumente, bis hin zu den Ergebnissen der Spurensicherung und den Protokollen der Verhöre. „Ich hab es mit nach Hause genommen, weil ich dachte … ja, weil ich dachte, vielleicht finde ich ja doch noch einen Hinweis, den wir bisher übersehen haben.“
„Fass es für mich zusammen“, bat sie.
„Es ging um Entführung und schwere Vergewaltigung sowie Folter von mehreren Frauen.“ Augustin schob ihr ein Foto zu. „Das hier war Nathalia Snietka, sie hat uns auf die Spur gebracht.“
„Warum sagst du ‚war‘? Was ist passiert?“
„Sie hat sich inzwischen umgebracht.“
Julia senkte den Blick auf das Foto. Die junge Frau musste wunderschön gewesen sein. Die hellen, leicht gewellten langen Haare fielen ihr sanft auf die Schultern. Aber sie waren auch blutverklebt. Die Augenfarbe war nicht zu erkennen, weil die Augen blau verfärbt und angeschwollen waren.
„Sie war erst zwanzig Jahre alt“, fuhr Augustin fort. „Ukrainerin. Sie wurde entführt und über mehrere Monate festgehalten. Während der Zeit ist sie mehrfach vergewaltigt und gefoltert worden. In diesem Keller.“ Er schob Julia das nächste Foto hin. Es zeigte einen lichtlosen Raum, kaum größer als ein fensterloser Öltank. An der Eisentür ein Riegel, an der Decke eine nackte Glühbirne, im hinteren Bereich war ein Eisenbett mit einer Matratze zu erkennen. An der Wand über dem Bett hingen Haken, an denen man Fesseln anbringen konnte.
„Vor drei Tagen gelang Nathalia die Flucht“, fügte Augustin hinzu. „Es ist uns gelungen, den Keller ausfindig zu machen, aber leider haben wir dort nichts gefunden. Keine Spuren, gar nichts.“
„Also ist er gründlich gereinigt worden, bevor ihr kamt“, stellte Julia fest.
„Ja. Aber wir wissen dennoch, dass in diesem Keller insgesamt fünf Frauen festgehalten wurden.“
„Fünf?“, entfuhr es Eva, die sich bisher zurückgehalten hatte.
Augustin nickte. „Wir fanden fünf Verschläge, und Nathalia sagte aus, dass dort noch weitere Frauen festgehalten worden sind. Sie konnte sie nicht sehen, aber hören.“ Er lehnte sich etwas zurück. „Wir nehmen an, dass sie alle über das Internet nach Deutschland gelockt wurden. Immer mit derselben Masche. Eine Datingseite hat heiratswillige osteuropäische Frauen mit allen möglichen Versprechen geködert. Kaum waren sie dann hier gelandet, wurden sie entführt und in dem Keller als Sexsklavinnen gehalten, deren Dienste an fremde Männer verkauft wurden.“
„Ein Netzwerk?“, fragte Julia.
„Wir gehen davon aus.“
„Was soll das heißen?“, fragte Eva dazwischen. „Dass es noch mehr solcher Keller gibt?“
„Ja“, antwortete Augustin in ihre Richtung.
„Das heißt, es gibt einen Markt für … so etwas?“
„Es gibt genügend Männer, die dafür bezahlen, ja.“
„Mein Gott.“ Eva wurde ganz bleich. „Wie pervers ist das denn?“
„Wie pervers das Ganze wirklich ist, könnt ihr euch noch gar nicht vorstellen.“ Augustin schüttelte den Kopf. „Zander gelangte während der Ermittlungen an einen Film aus dem Internet, auf dem die ganze Perversität in vollem Umfang zu sehen ist. Aber ich würde euch nicht empfehlen, ihn euch anzusehen. Das ist mehr als kranke Scheiße.“
„Ich will ihn sehen“, sagte Julia und sah zu Eva. „Du kannst so lange rausgehen, wenn du möchtest.“
Eva schüttelte den Kopf. „Ich bleibe hier.“
„Wirklich, denkt noch einmal darüber nach“, warnte Augustin.
„Ich will ihn sehen“, beharrte Julia.
„Ich auch“, sagte Eva, wenn auch weit weniger überzeugt.
Augustin seufzte leise auf und holte seinen Laptop. Er schob eine DVD hinein und drückte auf Start.
Und bereits zwei Sekunden später wurde die Küche, in der sie saßen, winzig und luftlos.
Auf dem Bildschirm war eine nackte Frau auf einem schmalen Eisenbett zu sehen. Sie lag auf dem Rücken, ihre Hände waren mit Lederriemen an das Kopfteil gefesselt. Ihr Gesicht war nass vor Tränen, und ihr Mund stand weit offen. Man hörte keinen Schrei, denn die Aufnahme war ohne Ton, aber man sah, wie ihr Körper zuckte und wie sie versuchte, sich loszureißen. Ihre Halsmuskeln waren angespannt, jeder einzelne Knochen trat hervor.
Ein Mann trat ins Bild. Er trug nur ein dunkles T-Shirt, keine Hose. Er vergewaltigte sie, wobei er die Hände um ihren Hals legte.
Dann kam noch ein Mann. Und noch einer.
„Oh mein Gott!“, entfuhr es Eva, die jetzt überhaupt keine Farbe mehr im Gesicht zu haben schien. „Die haben eine Vergewaltigung gefilmt und ins Netz gestellt?“
Augustin nickte. „Es scheint ebenso unglaublich wie alles andere, aber auch hier gibt es Männer, die für einen solchen Film sehr viel Geld bezahlen.“
Julia deutete auf den Bildschirm. „Seid ihr an diesen Männern dran?“, wollte sie wissen.
„Ja, aber es gestaltet sich schwierig, weil die natürlich alle nicht ihre richtigen Namen hinterlassen, wenn sie sich im Netz bewegen. Aber wir arbeiten mit sehr guten IT-Experten zusammen. Wir kriegen sie – früher oder später.“
„Ich muss an die Luft“, sagte Eva und verließ den Raum.
Julia sah ihr kurz hinterher, dann deutete sie noch einmal auf den Bildschirm. „Ist das Nathalia?“
Augustin nickte.
„Du hast gesagt, ihr sei die Flucht aus diesem Keller gelungen …“
„Richtig. Ein Autofahrer fand sie völlig am Ende am Straßenrand. Er brachte sie sofort in ein Krankenhaus.“
„Dann ist sie dort doch untersucht worden. Habt ihr nichts gefunden? Keine Spuren? DNA? Kein Sperma am Körper?“
„Nein.“ Augustin deutete ebenfalls auf den Bildschirm. „Wie du siehst, tragen die Männer Kondome. Die sind nicht blöd.“
Julia atmete tief durch und lehnte sich zurück. „Wie ist Zander an den Film gekommen?“
„Das kann ich dir leider nicht sagen. Er hat kein Wort darüber verloren, wo er ihn herhatte.“ Augustin stoppte den Film, und der Bildschirm wurde schwarz.
„Wie seid ihr dann weiter vorgegangen?“, wollte Julia wissen.
„Nun ja, keine zwölf Stunden nach Nathalias Flucht fanden wir eine männliche Leiche. Der Name des Mannes war Matthias Bartholomäus, und uns war ziemlich schnell klar, dass er einer ihrer Entführer war.“
„Wie kamt ihr darauf?“
„Der Keller in seinem Haus.“ Augustin deutete noch einmal auf das Foto, das den Keller zeigte. „Das war dieser. Hier wurde Nathalia festgehalten.“
Julia dachte einen Moment nach. „Das heißt, er wurde umgebracht, nachdem ihr die Flucht gelungen war.“
„Ja. Offenbar rechnete man damit, dass wir früher oder später dort auftauchen und ihn zum Sprechen bringen würden. Also hat man ihn vorher umgebracht. Und er blieb nicht unsere einzige Leiche. Kurz darauf fanden wir einen weiteren Ermordeten. Sein Name war Lars Dexter. Wir nehmen an, dass er der zweite Entführer war. Beiden Männern wurde das Genick gebrochen. Sehr schnell. Sehr professionell. Sehr außergewöhnlich. Es gibt nicht viele Menschen, die auf diese Art und Weise töten, es musste sich also um ein und denselben Täter handeln.“
„Und habt ihr auch einen Verdächtigen?“
„Ja.“
Julia sah auf. „Wen?“
Augustin schob ein Phantombild zu ihr hin. „Sein Name ist Sten Kjaer.“
In dem Moment, in dem er den Namen aussprach, spürte Julia, wie alles aus ihr entwich. Wirklich alles. Die Luft. Der Gleichgewichtssinn. Alles.
Die Welt blieb für einen kurzen Moment stehen. Ein erstarrtes Bild, in dem sich nichts mehr bewegte.
Finde Sten Kjaer. Eric Cirpkas letzte Worte im Schwarzwald.
Eva kam in die Küche zurück und setzte sich wieder zu ihnen an den Tisch. „Wer ist das?“, wollte sie wissen und deutete auf das Phantombild.
Julias Blick ruhte auf dem kalkweißen Gesicht, den irgendwie durchsichtigen Augen. „Das ist Sten Kjaer“, sagte sie.
„Wirklich? Das ist Kjaer?“ Eva sah etwas genauer hin. „Warum sieht er so merkwürdig aus, so … farblos?“
„Er ist ein Albino“, sagte Augustin.
„Dann sollte man doch meinen, dass es ein Leichtes wäre, ihn zu finden, oder nicht?“, wandte Eva sich an ihn.
„Ja, sollte man. Aber so einfach ist es leider nicht.“ Augustin atmete tief durch. „Wir gehen davon aus, dass der Mann ein Berufskiller ist. Er hat gute Kontakte, bei denen er unterschlüpfen kann. Und er ist nie lange an einem Ort.“
In Julias Kopf drehte sich immer noch alles. Sie riss sich zusammen und hob den Blick. „Sten Kjaer. Der Name klingt skandinavisch, oder?“
„Er ist Norweger. Bevor Zander verschwand, hat er sich mit einem Kommissar in Bergen in Verbindung gesetzt. Der Mann ist inzwischen in Rente, hat sich allerdings in den letzten Jahren sehr intensiv mit Kjaer beschäftigt. Er erzählte, dass der Mann auf der schwarzen Liste der norwegischen Polizei steht, also sozusagen zu deren most wantedpeople gehört. Die sind dort seit geschlagenen fünfzehn Jahren hinter ihm her, da ist er zum ersten Mal bei ihnen auf dem Radar aufgetaucht. Im Laufe dieser Zeit ist es ihm gelungen, vier Polizisten zu liquidieren. Das heißt, für die ist Kjaer längst zu einer persönlichen Angelegenheit geworden. Es wurde sogar eine Sondereinheit gegründet. Die haben sieben Tage die Woche rund um die Uhr damit verbracht, den Mann zu kriegen. Und es trotzdem nicht geschafft.“
„Und jetzt ist er in Deutschland“, sagte Julia.
„So sieht es aus, ja. Die Art der Morde würde auf jeden Fall zu ihm passen. Genickbruch. Es ist anzunehmen, dass er auch anders tötet, aber diese Art scheint er besonders gut zu beherrschen.“
Julia wollte etwas sagen, doch Augustin war noch nicht am Ende. „Allerdings ist Kjaer kein Entführer und auch kein Vergewaltiger, das sollte man nicht durcheinanderbringen. Er ist … einfach nur ein Killer.“
Was immer Julia eben noch hatte sagen wollen, sie sagte es nicht. Stattdessen blickte sie wieder auf das Phantombild. Sie war sich sicher, noch nie einem Menschen wie Sten Kjaer begegnet zu sein. Das waren wohl die wenigsten Menschen. Und die wenigsten von denen, die ihm tatsächlich begegnet waren, hatten es überlebt.
„Okay“, sagte sie nach ein paar Sekunden. „Fassen wir das mal zusammen: Zwei Männer entführen mehrere Frauen und sperren sie in einen Keller, wo sie von fremden Männern, die dafür bezahlen, vergewaltigt und gefoltert werden. Einer der Frauen gelingt die Flucht, und kurz darauf sind die beiden Entführer tot. Umgebracht von einem Mörder, der mit den Entführungen und Vergewaltigungen selbst nichts zu tun hatte. Er ist nur unterwegs zum Töten.“
„Ja.“
„Das heißt, dass er einen Auftrag hatte.“
„Ja.“
„Was wiederum heißt, es gab einen Auftraggeber.“ Julia deutete auf den dunklen Bildschirm. „Es bedarf einer Organisation, um solch ein ekelhaftes Geschäftsmodell ins Leben zu rufen. Leute, die die Fäden ziehen und hinter den Kulissen abkassieren.“
Augustin nickte. „Wir haben es ganz sicher mit einer Organisation zu tun, und ich kann dir sagen, es ist verdammt schwer, an die heranzukommen, weil die in einem System arbeiten, bei dem das Wissen aus tausend Quellen in eine Richtung fließt – und zwar durch ein Nervensystem, das immer dünner wird, je näher es der Spitze kommt. Wer gefährlich wird, der wird ausgelöscht, ganz einfach. So verhindern sie Infektionen, Störungen im System. Anders ist nicht zu erklären, warum wir bisher nichts, aber auch wirklich gar nichts von ihnen gewusst haben.“
„Aber jetzt wisst ihr von ihnen. Und wisst ihr auch, um welche Organisation es sich dabei handelt?“ Julia kannte die Antwort, noch bevor Augustin sie aussprach: „Sie nennen sich offenbar die Kraniche.“
Und so fügten sich die Dinge eins nach dem anderen zusammen. Eric Cirpka, Sten Kjaer, die Kraniche. Ein Puzzle, das Stück für Stück mehr ein Bild ergab und doch immer noch zu viele Lücken enthielt.
Julia atmete tief durch. „Wie seid ihr auf diese Organisation gekommen?“
„Genau genommen war es reiner Zufall“, sagte Augustin. „Während unserer Ermittlungen tauchte ein Mann auf dem Präsidium auf, sein Name war Edi Kern. Er behauptete steif und fest, er hätte Dexter und Bartholomäus umgebracht, und wollte unbedingt verhaftet werden. Zander und unser Kollege Dettloff haben die Vernehmung geführt. Es war allen von vornherein klar, dass Edi Kern kein Mörder war, aber hatte furchtbare Angst. Er war auf der Flucht. Vor den Kranichen. Behauptete er.“
„Gibt es ein Protokoll von dem Verhör?“, wollte Julia wissen.
Augustin nickte, suchte in den Papieren und schob es schließlich zu ihr hin.
Sie rieb sich über die Augen und las …
Edi Kern: „Ich war es. Ich hab die beiden Typen umgebracht. Und jetzt will ich verhaftet werden.“
Zander: „Warum haben Sie Bartholomäus und Dexter umgebracht?“
Edi Kern: „Ich wollte es ja gar nicht. Ich kannte sie ja überhaupt nicht.“
Zander: „Warum haben Sie es dann getan?“
Edi Kern: „Die Stimmen haben es mir befohlen.“
Zander: „Was für Stimmen?“
Edi Kern: „Stimmen eben. In meinem Kopf. Und jetzt will ich, dass Sie mich einsperren. Werden Sie das tun?“
Zander: „Sie mögen ja vielleicht andere Talente haben, Edi, aber es wäre wirklich verrückt, zu glauben, Sie könnten diese beiden Morde begangen haben. Erzählen Sie uns eine andere Geschichte, möglichst eine wahre, oder wir beenden die Vernehmung an dieser Stelle.“
Edi Kern: „Ich war es aber. Ihr habt mein astreines Geständnis, Leute.“
Noch einmal rieb Julia sich über die Augen und las dann weiter …
Edi Kern: „Jetzt passt mal auf! Ich brauch einen Platz, wo ich sicher bin, okay? Die wollen mich nämlich killen! Ich weiß es! Die wollen mich umlegen! Letzte Nacht war einer vor meinem Fenster. Zuerst war’s nur ein Vogel. Der war fürchterlich laut. Auf jeden Fall laut genug, um nicht schlafen zu können. Also bin ich hingegangen und hab überlegt, ob ich was nach dem Vieh werfen soll. Einen Schuh oder so. Bin ganz gut im Werfen, hätt ihn bestimmt getroffen. Ich steh da also am Fenster, den Schuh in der Hand, und da seh ich plötzlich was ganz anderes als den Vogel.“
Zander: „Was haben Sie denn gesehen?“
Edi Kern: „Einen ganz üblen Typen, der in mein Schlafzimmer geguckt hat. Ich sag euch, ich bin so erschrocken, bin direkt ohnmächtig geworden. Mannomann!“
Dettloff: „Warum sollte denn jemand in Ihr Schlafzimmer gucken, Edi? So hübsch sind Sie nun auch wieder nicht.“
Edi Kern: „Wollen Sie mich grad verarschen? Ich sagte doch eben, die wollen mich killen.“
Zander: „Wer?“
Dettloff: „Und warum?“
Edi Kern: „Ich hab versucht, die zu bescheißen, okay? Das sollte man nicht machen. Das verzeihen die einem nämlich nicht.“
Zander: „Wen haben Sie versucht zu betrügen, Edi?“
Edi Kern: „Schon mal was von den Kranichen gehört?“
Zander: „Erzählen Sie davon.“
Edi Kern: „Die sind der schwarze Rauch des Satans. Seelenräuber, jawohl. Die glauben, sie stehen über den anderen Menschen und erst recht über den Gesetzen. Und das Schlimme ist, dass es auch tatsächlich so ist. Niemand weiß, wer die sind, aber alle wissen, dass es sie gibt. Und wenn man sich mit denen anlegt, dann kann man sich auch gleich selbst aufhängen. Und wenn ich jetzt hier wieder rausgeh, dann schweb ich in Lebensgefahr.“
Julia sah auf. „Ihr habt ihn trotzdem wieder gehen lassen?“
„Was hätten wir tun sollen?“ Augustin hob abwehrend die Hände. „Der Mann hatte Angst, okay, aber er war nicht der Mörder von Bartholomäus und auch nicht der von Lars Dexter. Mit welcher Begründung hätten wir ihn verhaften sollen?“
Julia nickte, senkte den Blick und las weiter.
Dettloff: „Was haben Sie mit diesen Menschen zu tun?“
Edi Kern: „Hab ein paar Jobs für einen Kumpel gemacht. Kleine Sachen. Drogen vertickt und so. Wusst ja nicht, dass der Kumpel einer von denen ist.“
Dettloff: „Ein Kranich?“
Edi Kern: „Ja.“
Dettloff: „Sie selbst sind also kein Kranich?“
Edi Kern: „Meine Fresse, nein! Ich hab nur ein paar kleine Sachen für den gemacht und ein bisschen in meine eigene Tasche gewirtschaftet.“
Dettloff: „Sie meinen, Sie haben Ihren Kumpel über den Tisch gezogen.“
Edi Kern: „Jepp. Hätt ich nicht machen sollen. Scheißidee. Jetzt hab ich sie am Hals.“
Zander: „Hat Ihr Kumpel Ihnen erzählt, dass er diesen Kranichen angehört?“
Edi Kern: „Das hat er ganz bestimmt nicht getan.“
Zander: „Woher wissen Sie dann davon?“
Edi Kern: „Mann, ich hab vielleicht keinen Doktortitel, aber ich kann hören, okay? Ich hab Ohren. Das ist ’ne ganz üble Truppe. Die sind das Böse, sag ich euch. Die haben in allem ihre Finger.“
Zander: „Prostitution?“
Edi Kern: „Auch. Aber nicht nur. Die haben eine Menge Knete und ganz schön viel Macht. Aber in Wahrheit haben die ein ganz anderes Ziel.“
Zander: „Was für ein Ziel?“
Edi Kern: „Die wollen das Gute von innen heraus zerstören. Dann können sie nämlich über die ganze Welt herrschen. So ist das. Jawohl.“
Zander: „Wenn es diese Kraniche tatsächlich gibt, warum wissen wir – die Polizei – dann nichts von ihnen?“
Edi Kern: „Weil ihr Tomaten auf den Augen habt, deswegen. Weil ihr nur seht, was ihr sehen wollt. Und weil die ihre Leute auch in eurem Laden haben. So sieht’s aus.“
Augustin sagte: „Man mag kaum unterscheiden, was von dem ganzen Gerede Wahrheit und was erfunden ist.“
Julia sah auf und schüttelte langsam den Kopf. „Diese Kraniche existieren, daran gibt es keinen Zweifel, aber ich gebe dir insofern recht, als dass sie nicht aus der Hölle emporgestiegen sind, wie Edi Kern es glaubt. Es sind Mörder. Killer. Schlechte Menschen – aber es sind Menschen. Allerdings ist es ausgesprochen clever, solch einen Mythos zu streuen.“
Als Augustin fragend eine Augenbraue hob, fügte sie hinzu: „Mit Tod und Teufel und Hölle kann man den Menschen Angst einjagen. Man kann sie einschüchtern und leichter manipulieren. Und das ist genau das, was diese Kraniche tun.“
Augustin seufzte: „Wie auch immer. Das war es. Mehr haben wir nicht. Wir wissen nicht mehr über diese Vögel, als dass es sie gibt. Wir gehen zwar davon aus, dass Sten Kjaer als Killer für sie arbeitet, aber wir haben keine Ahnung, wo er jetzt gerade steckt. Wir wissen und wir haben nichts.“
Julia schwieg einen Moment nachdenklich. „Ihr seid den Kranichen auf die Spur gekommen“, sagte sie dann. „Und Zander war vermutlich näher an ihnen dran als alle anderen. Ich kann es nicht beweisen, aber ich habe das sichere Gefühl, dass er genau deswegen verschwunden ist. Das bedeutet, der Faden muss von hier an weitergesponnen werden.“ Sie hob den Kopf und sah Augustin an. „Danke.“
Plötzlich hatte sie es sehr eilig.
„Was hast du vor?“, fragte er, als sie sich erhob.
„Ich werde versuchen, noch einmal mit diesem Edi Kern zu reden. Hast du eine Adresse?“
„Willst du einfach mal vorbeigehen und ihn ins Kreuzverhör nehmen? Dazu hast du keine Befugnis, Julia. Du bist nicht mehr bei der Polizei.“
„Mag sein, aber mir bleibt keine Zeit für Feinheiten. Ich will ihm auch nur ein paar Fragen stellen, mehr nicht. Oder habt ihr inzwischen noch einmal mit Edi Kern gesprochen?“
„Nein.“
„Das dachte ich mir. Und warum nicht?“
„Wir hielten es für … nicht wichtig genug.“
„Siehst du, und weil ich das anders sehe, übernehme ich das jetzt.“
Augustins Blick war ebenso ernst wie Julias. „Ich halte das für keine gute Idee.“
„Das musst du auch nicht. Du musst mir nur vertrauen und mit niemandem darüber sprechen, dass wir uns heute Abend getroffen haben. Mit niemandem. Ich war nicht hier. Okay?“
Er fixierte sie weiter. „Natürlich. Wie kann ich dich erreichen?“
Julia kritzelte ihre Handynummer auf einen Zettel. „Und die darf auch niemandem sonst unter die Augen kommen, ja?“
„Ja.“
„Edi Kerns Adresse?“
„Sie ist hier irgendwo.“ Augustin machte sich daran, in den Papieren zu suchen. Dann griff er ebenfalls nach einem Zettel, notierte die Adresse darauf und reichte ihn Julia. „Du hältst mich auf dem Laufenden, okay?“
„Ja.“
„Wirklich.“
Julia seufzte leise. „Du musst mir vertrauen, Nikolas.“
Kurz darauf hatten sie das Haus verlassen.