Читать книгу Maliande - Das Geheimnis der Elben - Thea Lichtenstein - Страница 11
Kapitel 3
ОглавлениеAelaris lehnte sich gegen den Felsen zurück und ignorierte die scharfen Kanten, die sich durch den Stoff seiner Tunika drückten. Er hatte die Arme im Nacken verschränkt und kaute auf einem Strohhalm herum. Hoch über ihm kämpfte ein zorniges Dunkelrot, das mit blauen Adern durchwirkt war, mit dem Grau der Dämmerung.
Obwohl die Aussicht für das Westgebirge erstaunlich gut war, konnte Aelaris sie nicht richtig genießen. Für seinen Geschmack war der Himmel zu weit entfernt, außerdem wollte es ihm nicht gelingen, den widerlichen Gestank der Orks auszublenden, deren Lager sich auf die weiter unten liegenden Plateaus zerstreute. Dort kauerten diese Kanaillen unter grob geschusterten Verschlägen und jammerten darüber, dass man sich in diesem verfluchten Tal nirgendwo anständig verkriechen konnte. Kebalus, ein Dämonenbeschwörer, hatte den Gahariren zur Unterstützung einige seiner riesenhaften Orks geschickt. Nun hockten sie so reglos in der Gegend herum, dass man sie glatt mit Findlingen verwechselt hätte, wenn sie nicht wie Jauchegruben stinken würden.
Nilis, der unweit von Aelaris auf einem Felsen saß und bislang summend vor und zurück geschaukelt war, erging es offensichtlich nicht besser. »Dieser beißende Gestank zerfrisst mir langsam die Nebenhöhlen. Wir können von Glück sagen, dass die Schlacht fast vorüber ist. Die Vorangehenden werden diese Monster doch wohl wieder zu ihrem Herrn zurückschicken?«
Aelaris ließ lediglich ein zustimmendes Brummen vernehmen.
Die meisten Gahariren betrachteten diese andersartigen Orks immer noch voller Verblüffung. Schienen die Geheimnisse des Maliandes doch schon seit einer halben Ewigkeit aufgedeckt und unter den Mitgliedern des Verbunds von Olomin verteilt und wohlbehütet. Obwohl die Dämonenbeschwörer die riesigen Orks als ihre eigene Leistung ausgaben, war Aelaris sich nicht sicher, ob sich hinter dieser seltsamen Veränderung nicht ein ganz anderes Geheimnis verbarg.
»Es ist beruhigend zu wissen, dass es dir keine Sorgen bereitet, wenn sich einst verblödete, kümmerliche Orks plötzlich in Kampfmaschinen verwandeln«, stichelte Nilis in der Hoffnung, Aelaris aus seiner Selbstversunkenheit zu reißen.
Der Tag heute war für die Gahariren Erfolg versprechend verlaufen, auch wenn der Rat für diesen Abend Ruhe und Wachsamkeit angeordnet hatte. Trotzdem verspürte selbst der zur Ausgeglichenheit neigende Nilis ein Kribbeln in der Magengegend. Nur allzu gern hätte er sich ein Wortgefecht mit Aelaris geliefert, doch der zeigte sich ungewöhnlich abweisend.
»Ja, es ist tatsächlich besorgniserregend«, nuschelte dieser als Antwort, ohne den Blick vom Himmel zu nehmen.
Nilis wartete einen Augenblick, aber da Aelaris nichts weiter zu sagen gedachte, spann er seinen eigenen Gedanken weiter. »Ich meine, wer konnte schon ahnen, was für Experimente ein Dämonenbeschwörer veranstalten würde, wenn er viel zu lange nur von versklavten Orks und seinen selbst geschaffenen Illusionen umgeben war? Diese mutierten Orks sind das Ergebnis von Wahnsinn und Einsamkeit, wenn du mich fragst.«
Erneut brummte Aelaris nur, so dass Nilis mit einem Seufzen seinen Unterhaltungsversuch aufgab. Wahrscheinlich war Aelaris erschöpft, sagte er sich, während er wieder zu summen begann. Die letzten vier Tage, in denen ein verbissenes Gefecht zwischen dem Heer von Achaten und dem Stamm der Gahariren und ihren Verbündeten getobt hatte, war Aelaris zu wahren Höchstleistungen aufgelaufen. Der Kampf schien seinem aufrechten Wesen zu entsprechen: Hier war der Wille zum Handeln gefragt, nachgedacht werden konnte später. Gedankenvoll wiegte Nilis den Kopf. Wie konnten Elben nur so unterschiedlich sein, wo sie sich doch zugleich so ähnelten?
Wahrscheinlich hätte Nilis sehr gestaunt, wenn Aelaris ihn einen Blick in sein Inneres hätte werfen lassen: Dort kreisten die Gedanken unentwegt um die Frage, was man bislang wohl noch nicht über das Maliande wusste. Die Menschen hatten das jahrhundertelang währende Gleichgewicht durcheinandergebracht, und bislang vermochte keiner der Gelehrten abzuwägen, was Magie in ihren Händen bewirken konnte. Früher waren diese Sterblichen nichts weiter als leicht zu zerbrechende Hüllen gewesen, denn mithilfe des Maliandes war es den Elben möglich gewesen, nicht nur in deren Gedanken einzudringen, sondern sie sogar zu leiten – bis ein sagenumwobener Orden der Menschen herausgefunden hatte, wie man ebenjenen magischen Stoff einsetzen konnte, um eine Barriere gegen den Elbenzauber zu errichten. Ohne diese Entdeckung wäre Achaten niemals errichtet worden.
Aelaris hatte seit seinem Erlebnis während der Zusammenkunft seine ganz persönliche Meinung zu dieser Frage entwickelt. Nicht, dass er sie mit irgendjemandem geteilt hätte. Einzugestehen, dass er selbst zum Opfer dieser Veränderungen geworden war? Lieber hätte er sich die Zunge abgebissen. Auch hatte es ihn einiges gekostet, Soriens Neugierde nach dem Vorfall zu zerstreuen und Esiles darauf hinzuweisen, dass es nicht von Vorteil für sie wäre, mit der Geschichte hausieren zu gehen. Zu seinem Glück zeigte sich Esiles nicht sonderlich erpicht darauf, einen Gedanken an Aelaris’ Gefühlschaos zu verschwenden. Vielmehr mied sie ihn so offensichtlich, dass es schon an Beleidigung grenzte. Doch Aelaris konnte es ihr nicht verübeln. Schließlich wollte es ihm selbst nicht gelingen, die Erinnerung an dieses eigentümliche Erlebnis abzuschütteln. Unwillkürlich spürte er jedes Mal den Blick seines Lehrers Akalande auf sich ruhen, und die Schamesröte stieg ihm ins Gesicht. Ein anderes Wesen, und dazu noch einen Menschen, auf eine solche Weise wahrzunehmen, widersprach allem, was einen Elben ausmachte. Etwas hatte ihn verdorben, da war er sich sicher.
Mit einem Ruck setzte er sich auf. »Wir sollten uns nicht zu viele Gedanken machen«, erklärte Aelaris, während er rasch die Arme vor der Brust verschränkte, damit die Zeichen auf den Handrücken sein unbekümmertes Auftreten nicht Lügen strafen konnten. »Morgen werden wir diesen kümmerlichen Haufen von Menschen schlagen, und dann kann Achaten seinen Ehrgeiz begraben. Es wird einfach nicht an genügend Maliande gelangen, um seine hochfliegenden Pläne durchführen zu können. Nach und nach wird das alte Gleichgewicht wiederhergestellt werden. Alles wird wie früher sein.«
Nilis schaute ihn nachdenklich an, und Aelaris befürchtete einen Moment lang, zu hoffnungsvoll geklungen zu haben. Aber dann breitete sich ein breites Lächeln auf Nilis’ Gesicht aus. »Wir werden sie, verdammt noch mal, zum Fuß des Gebirges hinabjagen, wo sie auch hingehören. Diese überheblichen Tagesfliegen! Dass sie sich überhaupt so weit hinaufgewagt haben, wundert mich ernsthaft. Und noch mehr wundert mich allerdings, dass sie nach vier demütigenden Tagen immer noch da sind. Als würden sie auf ein Wunder hoffen.«
Zuerst fiel es Aelaris nicht leicht, Nilis’ siegestrunkenes Lachen zu erwidern. Der Gedanke, dass Achaten nicht nur ungebührlich versessen war, sondern tatsächlich einen Trumpf im Ärmel haben könnte, versetzte ihm einen Stich. Doch dann steckte ihn Nilis mit seiner Vorfreude an.
»Esiles und die Vorangehenden hatten sich solche Sorgen gemacht, dass die Überläufer die Flachlandratten von Achaten in die Taktiken eingeweiht haben, wie man in einem Talkessel kämpft«, sagte Aelaris, während er sich die Lachtränen aus den Augen wischte. »Nach dem, was Achaten uns die letzten Tage geboten hat, könnte man meinen, die Überläufer hätten nur eine andere Strategie gewählt, um den Menschen den Garaus zu machen. Dieses ganze Gerät, das sie den halben Berg hochgeschleppt haben. Was hätten sie hier oben damit anfangen wollen? Haben sie damit gerechnet, auf Schutzwälle und Festungen zu stoßen? Als ob wir so heruntergekommen wären wie die Weißen Celistiden, die sich Behausungen nach Menschenart bauen. Himmel, als sie sich im Tal gesammelt haben, dachte ich zuerst, meinen Augen nicht trauen zu können. Sie haben sich von uns einkreisen lassen wie Damwild.«
»Ja, man fragt sich, aus welchen Löchern diese ganzen Menschen mit einem Mal kriechen. Es grenzt an Irrsinn, dass diese Plage dem Verbund von Olomin erst ins Auge gestochen ist, als es schon zu spät war.« Nilis presste bekümmert die Lippen aufeinander, als er den wunden Punkt der Elben ansprach: Wenn man so überlegen war, wie hatte man dann verlieren können?
»Nun, wenn wir Achaten morgen zeigen, dass es vielleicht die bedeutungslosen Stämme und Clans des Westgebirges unterdrücken und bestechen kann, aber dass das Herz des Westgebirges ihm niemals gehören wird, dann ist doch wieder alles zurechtgerückt«, entgegnete Aelaris hochmütig.
Plötzlich wirkte die Zukunft wie eine erhellte, gerade Straße, der er nur zu folgen brauchte. Was immer ihn in den letzten Wochen gequält hatte, nachdem er in diese seltsamen Augen der Fremden geblickt hatte, morgen würde er es auslöschen. Und danach würde er die Pforte in seinem Inneren versiegeln, damit sie nie wieder aufgestoßen werden konnte.