Читать книгу Maliande - Das Geheimnis der Elben - Thea Lichtenstein - Страница 7
Prolog
ОглавлениеHeftig riss Aelaris die Zügel nach rechts, verlagerte das
Gleichgewicht und hoffte dabei inständig, dass ihn der Schwung nicht aus dem Sattel reißen möge. Mit einem Surren sauste die Lanze knapp an seiner Schulter vorbei, und aus den Augenwinkeln konnte der Elbe noch einen Blick auf die roten Zierbänder erhaschen, die hinter ihr herflatterten.
Die Stute tänzelte um ihre eigene Achse, die Hufe warfen Schlamm auf. Aelaris konnte spüren, dass das Tier kurz davor war durchzugehen. Obwohl um ihn herum Chaos herrschte und er es sich kaum leisten konnte, seine Aufmerksamkeit vom Kampfgeschehen abzuwenden, atmete Aelaris tief durch und sammelte sich. Er würde sich nicht von einem scheuenden Pferd abwerfen lassen und wie ein gewöhnlicher Fußsoldat im Dreck herumkriechen. Behutsam legte er dem Tier eine Hand auf den nass geschwitzten, bebenden Hals, konzentrierte sich und spürte schon einen Moment später, wie die Stute sich entspannte.
»Mhm, meine Schöne. Ganz ruhig.« In seine ansonsten klare, fast schon schneidende Stimme stahl sich eine Weichheit, die selbst in Aelaris’ Ohren fremd klang.
Das Tier schüttelte sich kurz, als wolle es die Furcht wie eine lästige Fliege abschütteln, dann stand es still. Ein Lächeln schlich sich auf Aelaris’ Gesicht. Es war eine anspruchsvolle Kunst, auf einem tosenden Schlachtfeld eine innere Ruhe aufzubauen, die Lärm und Schreie vergessen machte. Für einen Augenblick befanden sich Reiter und Pferd in einer Sphäre fern von diesem Tumult. Ein Blick auf den Handrücken bewies dem Elben, dass sich die Muster unter seiner Haut glasklar abzeichneten. Langsam, seinem ruhigen Herzschlag entsprechend, bahnten sie sich ihren Weg.
Auch wenn Aelaris in den Augen der anderen Stammesmitglieder noch jung und unerfahren. sein mochte, er verspürte - hier, mitten im Kampf – eine Stärke, die schier unbändig war. Zu viel Unbesonnenheit und falscher Stolz, hatte sein alter Lehrer Akalande ihm stets vorgeworfen und vor Wut über seine Unbelehrbarkeit manchen mentalen Peitschenhieb ausgeteilt. Aber Akalande hatte immer etwas zu bemängeln gehabt.
Derartig in Überlegungen versunken, traf Aelaris der Schlag gegen seine Beinschiene vollkommen unvermittelt. Es war mehr Glück als Können, dass er den schlecht gerüsteten Angreifer mit einem Tritt gegen den Schädel und einem nachgesetzten Schwerthieb niederstrecken konnte, bevor dieser ihn ernsthaft verletzte.
Plötzlich sah Aelaris einen berittenen Krieger auf sich zukommen. Dessen Brustharnisch wies eine deutliche Delle auf, und die Körperhaltung des Mannes verriet, dass er Schwierigkeiten beim Atmen hatte. Wahrscheinlich hielt er Aelaris nach dem eben nur knapp abgewehrten Angriff für leichte Beute. Ansonsten hätte er sich wohl, verletzt wie er war, auf das Niederschlagen von Fußvolk beschränkt.
Gewiss wäre Aelaris in Bedrängnis geraten, hätte in der Talsohle nicht solch ein Gedränge geherrscht: Orkmeuten, deren kümmerlicher Verstand einem Blutrausch zum Opfer gefallen war, hieben mit ihren plumpen, doch erschreckend wirkungsvollen Waffen querfeldein, gleichgültig, ob sie dabei Freund oder Feind trafen. Hochgewachsene Elben, die in diesem Durcheinander geschickt die strategisch vorteilhaftesten Positionen eingenommen hatten und die zurückweichenden Krieger aus Achaten niedermetzelten, so dass sie bereits ein rot gefärbter Wall aus Gefallenen umgab. Reiterlose Pferde, welche die Menschen auf dieses Schlachtfeld geführt hatten, ohne sie in diesem Kessel kontrollieren zu können, jagten wahnsinnig vor Entsetzen die Kriegerscharen und begruben nicht selten Leiber unter sich. Übertönt wurde das Gemetzel vom Dröhnen der Katapulte.
So scheute auch das Pferd des Kriegers, der allen Widerständen zum Trotz auf Aelaris zuhielt, im entscheidenden Moment vor einem der Wurfgeschosse, das weiter oberhalb der Talsohle aufschlug und Klumpen von flammenzüngelndem Teer umherspritzen ließ. Als der Krieger sich wieder gefangen hatte, hatte Aelaris sich bereits positioniert und blockte den vorhersehbaren Schlag mühelos mit dem Schild ab.
Ob dieses Missgeschicks stieß der Krieger seinem Pferd die Fersen in die Flanken, ohne auf Kämpfende und Verletzte zu achten. Doch das Tier tat nur ein paar unsichere Schritte, als wisse es nicht recht, wohin es seine Hufe setzen sollte. Da schloss Aelaris auf und rammte dem Krieger, als er auf gleicher Höhe war, den Schwertknauf gegen die Brust. Trotz des allgemeinen Lärms konnte Aelaris hören, wie die Luft aus den Lungen des Mannes gedrückt wurde. Dann stürzte der Krieger rücklings herunter und wurde für einen Moment von dem Durcheinander der umhereilenden Beine verschluckt. Gerade als Aelaris sein Pferd wenden wollte, um seinen Gegner endgültig zu stellen, sah er, wie ein Ork sich spinnengleich auf den Mann hockte und ihm flink die Kehle durchschnitt. Einen Augenblick lang überlegte Aelaris, den Ork zu erschlagen. Es fiel ihm schwer zu akzeptieren, dass ein so geringes Wesen ihm seinen sicheren Triumph abspenstig gemacht hatte. Aber noch während er sein Pferd zu einer scharfen Wendung anspornte, erblickte er eine viel lohnenswertere Trophäe.
Obwohl er sich nicht sicher sein konnte, ob ihm die Erinnerung vielleicht einen Streich spielte, und trotz der Strecke voller Kämpfender, die es zu überwinden galt, trieb er sofort sein Pferd an. Er verschwendete keinen Gedanken mehr an den Plan der Schlachtaufstellung, der zuvor akribisch ausgearbeitet worden war. Die Verlockung war zu groß, als dass er sich weiter darum scherte, diese Seite der Talsohle gemeinsam mit zwei anderen Elben abzusichern. Vorsorglich schirmte er seine mentalen Pforten gegen die beiden Mitstreiter ab, denn er verspürte nur wenig Verlangen, ihre Verwirrung und Wut auf sich niederprasseln zu lassen. Trotzdem konnte er ihre Gedanken über sein Manöver wie eine Horde wütender Hornissen spüren, die im vollen Flug gegen eine Wand prallten.
Aelaris trieb auf den Hang zu, bis er unmittelbar unterhalb der Kriegerin zum Stehen kam. Instinktiv sorgte er dafür, dass ihm keiner der Fußsoldaten zu nahe kam, und sah ihr beim Kämpfen zu. Zu Aelaris’ großem Vergnügen plagte sie sich mit zwei Orks ab, die sie hartnäckig attackierten. Der eine von ihnen hatte sich auf einer Anhöhe eingerichtet und hielt die Kriegerin mit einer Peitsche in Schach, während sie immer wieder versuchte, den mickerigen, dennoch flinken Ork in ihrem Rücken endlich niederzustrecken. Doch kaum griff sie den Kleinen an, musste sie zur Seite springen, um einem Peitschenknall auszuweichen.
Während sich die beiden Orks bestens amüsierten, bemerkte Aelaris, wie der Zorn der Kriegerin die Luft zum Flirren brachte: Überall wurden heldenhafte Kämpfe ausgefochten, und ausgerechnet sie musste sich mit diesem Abschaum herumärgern. Gequält von der Furcht, einer ihrer Kameraden könnte das würdelose Spiel beobachten. Sie hatte ihren langen, bestickten Mantel achtlos zu Boden geworfen, und Aelaris entging nicht, dass der eine Ärmel ihres Hemdes aufgerissen und mit Blut beschmiert war. Hose und Hemdrücken zeigten Schlammspuren, und schwarze Strähnen hatten sich aus den hochgesteckten Zöpfen gelöst und klebten ihr im Gesicht.
Aelaris erkannte, dass sie erschöpft war. Aber da war noch etwas anderes. Diese Frau war wie eine in die Ecke gedrängte Katze. Wenn man sich nicht vorsah, sprang sie einem ins Gesicht. Inmitten der Schreie von Sterbenden und dem ohrenbetäubenden Waffenklirren fand ein Lachen den Weg über seine Lippen.
Mit einem wütenden Knurren bekam die Kriegerin schließlich das zischende Ende der Peitsche zu fassen und riss daran. Noch ehe das Grinsen des Orks einem überraschten Gesichtsausdruck wich, landete er vor ihren Stiefelspitzen auf dem Boden. Während sie dem Gestürzten eine Messerklinge zwischen die Rippen stieß, wendete sie sich bereits seinem Kumpan zu. Mit kräftigen, kurzen Schwertschlägen attackierte sie den wütend kreischenden Ork, der, seiner Deckung beraubt, nur einige Hiebe abwehren konnte, bevor die Klinge seine Kehle zerfetzte.
Die Kriegerin machte einen unsicheren Schritt zurück, fuhr sich mit dem Hemdsärmel übers Gesicht und ließ das Schwert sinken, als sei sein Gewicht plötzlich untragbar. Dann erblickte sie Aelaris, der nur wenige Längen von ihr entfernt stand und sie unverhohlen anstierte. Sofort sprang sie die kleine Anhöhe empor, von der aus sie eben noch der Ork attackiert hatte, und ging in Stellung.
Doch die eine Sekunde, in der sie einander fixiert hatten, hatte Aelaris die Sicherheit gegeben, dass auch sie ihn wiedererkannt hatte. Eine erstaunliche Leistung, wenn man bedachte, wie sehr die Elben von Rokals Lande einander glichen: hochgewachsen mit schlanken Gliedern, metallisch glänzendem Silberhaar und Augen, die an die schwarz-rote Glut in den Tiefen des Westgebirges erinnerten. Diese Verbindung aus Schönheit und Gleichheit rief bei den Menschen Unbehagen hervor, hingegen die Menschen sich in Aelaris’ Augen zuallererst durch ihre einzigartigen Unzulänglichkeiten voneinander unterschieden. Allein die verschiedenen Körpersilhouetten und Farbgebungen von Haut und Haaren verliehen den Menschen den Anstrich wild wuchernden Unkrauts.
Wie hatte es nur dazu kommen können, dass diese degenerierten Geschöpfe die Macht des Westgebirges an sich gerissen hatten? Immer noch rief dieser Umstand mehr Verwunderung als Wut bei Aelaris hervor. Doch er ging nicht so weit, den Menschen für diese Machtübernahme Respekt zu zollen. Nein, davon war er weit entfernt. Für ihn stellten sie eine grassierende Krankheit dar, für die ein Gegenmittel ersonnen werden musste. Dass sein Stamm sich in dieser heutigen Schlacht als das erfolgreiche Gegenmittel herausstellen würde, darüber musste Aelaris nicht nachdenken. Für ihn war es so selbstverständlich wie seine eigene Unverwundbarkeit.
Dennoch fand er sich nun zu Füßen eines Vorsprungs wieder, eine erschöpfte Menschenkriegerin beobachtend, während um sie herum die Schlacht tobte. Für Aelaris existierte in diesem Moment nur noch diese Frau, die mit beiden Händen ihr Schwert anhob und ihn herausfordernd anlächelte. Kühl und abschätzend – aber da war noch etwas, das an Aelaris zerrte, als wolle es in seinem Innersten alle Wände einreißen. Auf eine ernst zu nehmende Gegnerin trifft man nicht oft in seinem Leben, erklärte er sich die eigene Gebanntheit. Und während er das Pferd antrieb, um die letzte Distanz zu überwinden, wurde ihm bewusst, dass es nicht nur ihre Kampfeskünste waren, die ihn anzogen. Er hatte mit dieser Frau noch eine Rechnung zu begleichen.
In dem Moment, in dem er das Schwert ausrichtete, um den bevorstehenden Angriff der Kriegerin abzuwehren und um dann möglichst rasch ihre Beine attackieren zu können, strömte die Erinnerung auf ihn ein. In den letzten Wochen hatte er nur an sie und die eigentümliche Sehnsucht gedacht, die sie bei ihm auszulösen vermocht hatte.
Mit einem Mal verschwand Aelaris’ Lächeln. Er presste die Lippen hart aufeinander und erwiderte den ersten Streich der Kriegerin mit solch einer Besessenheit, dass sie beinahe das Gleichgewicht verloren hätte und vom Vorsprung herabgestürzt wäre. Mit einem Wutschrei setzte Aelaris nach, und es gelang ihm, sie zurückstraucheln zu lassen. Den Rücken an die Felswand gepresst, bemühte sie sich mit zitternden Armen, das Schwert erneut auszurichten, während Aelaris das vor Anspannung tänzelnde Pferd beruhigte. Obwohl der Körper der Kriegerin längst nicht mehr in der Lage war, ihm tatkräftigen Widerstand zu leisten, verrieten ihre Augen weder Furcht noch Resignation.
Vollkommen fasziniert vergaß Aelaris einen Moment lang, die mentalen Schutzwälle aufrechtzuerhalten. Die zornigen Anklagen seiner Mitstreiter schlugen auf ihn ein und ließen ihn fast die Zügel herumreißen und zu seiner ursprünglichen Stellung zurückkehren. Doch der Anblick der erschöpften Kriegerin war stärker als die dringliche Forderung seines Stammes. Mit einer enormen Willensanstrengung drängte Aelaris die Stimmen hinaus und verrammelte erneut die inneren Barrieren. Dann konzentrierte er sich auf die Bezwingung dieser Frau.
Doch ehe er zu einem Angriff ansetzen konnte, um ihr endgültig das Schwert aus den Händen zu schlagen, verharrte er ein weiteres Mal. Das Kampfgetöse, das in den letzten Stunden in seinen Ohren gedröhnt hatte, so dass er es schon gar nicht mehr richtig wahrgenommen hatte, war verstummt. Oder vielmehr hinfortgewischt von einer Druckwelle, die ihm silberne Haarsträhnen ins Gesicht trieb und ihn im Sattel so weit zur Seite presste, dass er beinahe heruntergefallen wäre. Rasch beugte sich Aelaris nach vorne und umklammerte den Hals des Pferdes, das plötzlich regungslos dastand und den Atem angehalten hatte. Einen Augenblick lang befürchtete er, das Tier könne samt seiner Last einfach zur Seite kippen, als wäre es vom Blitz getroffen worden. Aber da strich die Druckwelle bereits über sie hinweg.
Aelaris richtete sich auf und blinzelte das Haar aus den Augen. So etwas hatte er noch nie zuvor erlebt. Es war wie ein Schrei gewesen, der jedoch nicht für Elbenohren bestimmt gewesen war. Immer noch spürte er das Nachhallen in jeder Faser seines Körpers. In seinen Ohren erklang ein feines Summen, während der Rest der Welt in Stille gefangen war. Nur mit Mühe konnte er dem Drang widerstehen, den Kopf zu schütteln. Den anderen Kämpfenden erging es nicht besser: Wie erstarrt standen sie da, die Münder weit aufgerissen, die Gesichtszüge von Verwirrung gezeichnet. Einige Orks lagen kreischend auf dem Boden und hielten sich mit den Klauen die Ohren zu. Keiner ihrer Gegner nutzte die Gelegenheit, um ihnen eine Klinge in den Körper zu jagen.
Das gesamte Schlachtgeschehen war mit einem Schlag zum Stillstand gekommen.
Wie unter Zwang wanderte Aelaris’ Blick zum Felsvorsprung zurück, obwohl ihm nicht entging, dass alle anderen Augenpaare gen Himmel gerichtet waren. Was immer dort oben die Aufmerksamkeit auf sich zog, es vermochte den Elben nicht in seinen Bann zu ziehen.
Voller Erstaunen beobachtete Aelaris, wie die Kriegerin ihn forsch anlächelte und das Schwert zurück in die am Gürtel hängende Scheide steckte. Als er vor lauter Verblüffung die Mundwinkel nach unten verzog, zuckte sie kurz mit den Schultern. Darin drehte sie sich mit dem Gesicht zur Felswand und kauerte sich zusammen. Aelaris glaubte sogar gesehen zu haben, wie sie sich die Hände vor die Augen schlug.
Bevor der Elbe sie anschreien konnte, gefälligst wieder in Kampfstellung zu gehen, umhüllte ihn ein strahlend grünes Licht. Undurchdringlich, die Welt mit sich reißend. Das Summen in seinen Ohren verdichtete sich zu einem glockenhellen Klang. Sein Körper wurde so taub, als läge er schon seit einer Ewigkeit unter Wasser im NjordenEis – dann spürte er ihn gar nicht mehr. Für einen Atemzug fühlte Aelaris sich vollkommen von sich selbst losgelöst. Ein wahrer Moment der Freiheit. Dann versenkte ein körperloses Feuer seine geistigen Lungen und stieß ihn in eine Flammenwelt, die alles verschlang.