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Kapitel 4
ОглавлениеDie Schlacht war geschlagen.
Das wusste Aelaris, der in einem Kerker tief unter der Erde gefangen war und auf den Folterknecht wartete. Der Felsen, in den seine Ketten geschlagen waren, schimmerte wie ein glühendes Kohlestück, pulsierte tief im Inneren.
Die Schlacht war geschlagen, und Aelaris war es gleichgültig, wie sie ausgegangen war. Er hatte kaum eine klare Erinnerung an die Geschehnisse in der Talsohle. Nur vage erinnerte er sich an das überragende Gefühl, als sein Geist von Körper und Stammesbindungen losgerissen wurde, um im nächsten Augenblick von einem grün schimmernden Feuer verzehrt zu werden. Das Wort »Drachenangriff« war selbst bis zu seiner Kerkerzelle durchgedrungen, doch er wusste kaum etwas damit anzufangen. Er war zu jung für einen Elben, um sich an diese magischen Geschöpfe des Westgebirges erinnern zu können. Vor zu langer Zeit waren die Drachen ins NjordenEis abgewandert und mieden seitdem ihre Geburtsstätte.
Vorsichtig stieß Aelaris sich von der Wand ab, die ihm die bloße Haut am Rücken zu verbrennen drohte. Der pochende Schmerz, den die Bewegung auslöste, mahnte ihn an den geprellten Rippenbogen. Dabei wusste er nicht, ob diese Verletzung dem Sturz vom Pferd oder dem beiläufigen Sadismus eines Wächters zuzuschreiben war. Im dämmerigen Licht der Zelle konnte er erkennen, dass sein Oberkörper auf der rechten Seite mit Blutergüssen übersät war, die sich im Verlauf der letzten Stunden immer dunkler verfärbt hatten. Oder vielleicht der letzten Tage? Er konnte es nicht sagen.
Und noch etwas anderes bahnte sich seinen Weg unter Aelaris’ weiße Haut. Es war, als offenbarte sich eine Landkarte in einem blutigen Schwarz. Geheimnisvolle Muster, zitternde, filigrane Gebilde verschmolzen mit den gewöhnlichen Prellungen.
Ein Vertrauter der Prälatin hatte Stunden mit dem Versuch verbracht, sie zu entziffern. Mit einem gekrümmten Zeigefinger, dessen von der Gicht befallene Knöchel knotig hervorstachen, hatte er die Linien immer wieder nachgezeichnet. Dabei hatte er durchweg ein unverständliches Getuschel von sich gegeben, ohne jemals das Wort direkt an Aelaris zu richten. Doch selbst wenn dieser verwelkte Mann versucht hätte, Aelaris ein Wort zu entlocken, er hätte nur Schweigen als Antwort erhalten.
Nachdem Aelaris wieder zu sich gekommen war, war er zunächst vollkommen orientierungslos gewesen. Wie ein Neugeborenes, das angesichts der Welt nur staunen konnte. Es wollte ihm einfach nicht einfallen, wer er war und was er an diesem dunklen Ort verloren hatte. Ganz langsam war dann die Erinnerung zurückgekehrt und hatte ihm vor Augen geführt, dass er ein Gefangener von Achaten war. Ein Gefangener, den man in die unterirdischen Kerker unter der Burgfeste verschleppt hatte. Nahe bei den Erdspalten, in denen die Menschen das Maliande einfingen: Der Fels schimmerte glühend, und seine Oberfläche war unangenehm warm, fast lebendig.
Die kleine Kammer, in der Aelaris untergebracht war, glich dem Kerker in seinem Inneren, in dem er seit dem Erlebnis auf dem Schlachtfeld eingeschlossen war: dürftig und karg, verrammelt mit einem Eisentor. Was ihn auch während der Schlacht das Bewusstsein gekostet hatte, es hielt nach wie vor sämtliche seiner Sinne mit einem nachhallenden Klang in Bann. Ganz gleich, in welche Richtung Aelaris sich vorantastete, sofort traf er auf eine mentale Grenzmarke, die ihn zurückweichen ließ.
Er ließ seine Zungenspitze über die aufgesprungenen Lippen gleiten und bemühte sich, einen klaren Gedanken zu fassen. Er wurde gefangen gehalten, und sein Körper fühlte sich an, als sei er von einem Felsen überrollt worden. Das Atmen bereitete ihm ernsthafte Probleme, als hätte er die flimmernde Luft eines Feuers eingeatmet. Zumindest schien nichts gebrochen zu sein. Noch nicht, korrigierte er sich. Als einer der Wächter ihm Wasser zu trinken gebracht hatte und die schwere Eisentür einen Spaltbreit offen geblieben war, hatte Aelaris einen Schrei gehört. Der Schrei hatte sich schneidend vom sonstigen Wimmern abgehoben, das zu einem immerwährenden Rauschen in Aelaris’ Ohren geworden war. Es war Diwian gewesen. Ein spitzer, hoher Schrei.
In diesem Moment begriff Aelaris, dass sie verloren hatten.
Er versuchte, Diwians Geist zu erreichen, doch all sein Streben und Sehnen schien in einer Nebelwand verloren zu gehen. Obwohl Diwian nur einige Kammern von ihm entfernt sein musste, konnte er ihren Geist nicht erreichen. Ja, nicht einmal erahnen. Wie konnte das nur sein?
Es war den Menschen immer schwergefallen, Elben zu foltern. Nicht, dass es ihnen an Fantasie mangelte, die ausgelieferten Körper zu quälen. Die kurze gemeinsame Geschichte hatte die Elben durchaus gelehrt, dass die Techniken der Menschen den ihren in nichts nachstanden. Und trotzdem hatte die Folter den Menschen nicht den gewünschten Erfolg gebracht, denn Elben waren in der Lage, sich in ihr Inneres zurückzuziehen. Wenn sie alle Brücken sprengten, blieb nur ein nutzloser Körper zurück, und die gewünschten Informationen waren so unerreichbar wie die höchsten Gipfel des Westgebirges.
Doch Diwians Schrei erzählte eine andere Geschichte: Sie war in größter Not und offensichtlich nicht in der Lage, sich in ihren Geist zurückzuziehen.
Unwillkürlich musste Aelaris an das grüne Licht denken, das zu seinem Sturz in der Schlacht geführt hatte. Das Maliande, das die Menschen dem Westgebirge entrissen, hatte ihnen allem Anschein nach mehr Geheimnisse offenbart, als der Verbund von Olomin je erwartet hatte.
Als sich die Tür zu seinem Kerker ein weiteres Mal öffnete, hob Aelaris gar nicht erst den Kopf. Es gab kein Entkommen, und er würde das Bevorstehende ertragen, so gut er nur konnte. Jemand stieß gegen die Kette, an der seine eisernen Fesseln befestigt waren. Der Stoß ließ ihn die Augen aufreißen, denn das Metall rieb über seine aufgeschrammten Handgelenke, und das Blut schoss wieder in die tauben Arme, die schmerzhaft weit über seinem Kopf gebunden hingen.
Langsam blickte Aelaris auf, und als er seinen Peiniger erkannte, konnte er die Überraschung kaum überspielen. Die schwarzhaarige Kriegerin, die nur einen Schritt entfernt vor ihm stand, nickte ihm leicht zu und kniff dann die Lippen fest aufeinander, ganz so, als hätte sie ebenfalls Schwierigkeiten, ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten. Er versuchte, ihr einen Namen zu geben, doch sie entzog sich ihm, überwältigte ihn.
»Wir haben nicht viel Zeit«, sagte sie leise, und er verspürte beim Klang ihrer Stimme einen Schauder. Er war viel heller, als er gedacht hatte, weit entfernt von dem Wutgebrüll, das sie den Orks auf dem Schlachtfeld entgegengeschleudert hatte.
Nun stand sie vor ihm, und er wurde von Scham übermannt: Scham über seinen geschundenen Körper, Scham darüber, ausgeliefert zu sein. Obwohl sie nicht in der Lage sein konnte, die Zeichen auf seiner Haut zu lesen, die so freimütig von seinen Gefühlen kündeten, quälte ihn diese Entblößung am meisten. Er senkte den Blick.
Anstatt ihm Fragen zu stellen, zu drohen oder zu schlagen, streiften ihre Fingerspitzen vorsichtig sein Haar. Die Berührung war so sanft, dass Aelaris sie dem Zufall zugeschrieben hätte, wäre die Situation nicht so eindeutig gewesen.
Plötzlich schien die Luft mit Gewalt aus seinen Lungen gepresst zu werden, und er konnte es nicht verhindern, dass das Aufbäumen seiner Brust ihn verriet. Sie war nur noch eine Handbreit von ihm entfernt, und er spürte ihren Atem auf seinem Hals, fühlte ihre Lippen auf seiner Wange. Ihrer Haut haftete ein fremdartiger Duft an: herb und kräftig mit einer gefährlichen Note nach verbranntem Laub.
»Es tut mir so leid«, flüsterte sie, während ihre Hände über seine fixierten Arme glitten, seine Seiten streichelten und schließlich auf seinen Hüften zum Ruhen kamen. Dann trat sie einen Schritt zurück und streifte sich selbst Mantel und Hemd ab.
Aelaris versuchte zu begreifen, was hier eigentlich vor sich ging, doch er war viel zu verzaubert, um einen klaren Gedanken fassen zu können. In einem Anflug von Ehrlichkeit gestand er sich ein, dass er es auch gar nicht begreifen wollte. Viel zu aufregend und neu waren die Empfindungen, die auf ihn einströmten. Nichtsdestotrotz schrie sein Verstand auf ihn ein, doch nach wie vor schluckte der dichte Nebel jedes einzelne Wort. Aelaris war nicht einmal imstande, eine Bezeichnung für das überwältigende Bedürfnis zu finden, das alle Regeln mit einem Streich außer Kraft setzte. Es war Begehren, das ihn an den Eisenringen zerren ließ, ohne die Schmerzen zu beachten, als sie sich an ihn presste und ihre Haut miteinander verschmolz. Schon gleich darauf löste sie sich wieder ein Stück von ihm, um die Kette aufzuschließen.
Für einen Augenblick sah Aelaris den Schlüssel in ihrer Hand schimmern, und eine Frage drängte sich ihm auf. Doch bevor sie den Weg über seine Lippen fand, hatte er sie bereits wieder vergessen. Denn die Frau glitt geschmeidig zwischen seine gefesselten Arme, und sofort schoss der Schmerz durch die tauben Glieder und raubte ihm fast das Bewusstsein. Aber er konnte den körperlichen Schmerz nicht mehr von dem inneren Tosen trennen. Er wurde mitgerissen, alle Sinneseindrücke gerieten durcheinander, bis er sich ergab und es einfach geschehen ließ.
Schließlich griff die Kriegerin nach ihrer Kleidung. Auf ihrem Schulterblatt zeichnete sich eine Tätowierung ab, eine billige Kopie der Muster, die sich lebendig unter seiner Haut schlängelten. Mit einem Schlag stieg Verachtung in Aelaris auf. Die Verachtung, die sein Stamm den Menschen entgegenbrachte – für deren Kurzlebigkeit, für deren Schlichtheit. Allerdings schmeckte diese Verachtung plötzlich wie eine schale Lüge. Sein Stamm mochte weiterhin so empfinden, aber er konnte es nicht länger. Eine Entfremdung von seinesgleichen, die ihn zu einem Ausgestoßenen machte. Und er sah keine Möglichkeit, der Veränderung Einhalt zu gebieten.
Die Kriegerin warf ihm gerade einen prüfenden Blick über die bloße Schulter zu, als plötzlich ein Fanfarenstoß durch die Eisentür drang. Panisch wirbelte sie herum und schien mit einem Satz auf die Tür zuspringen zu wollen. Doch dann besann sie sich eines Besseren.
»Badramur kommt. Du weißt, was das bedeutet?«, fragte sie und musterte ihn dabei eindringlich.
Unsicher starrte Aelaris sie an, wie sie einen Schritt auf ihn zukam, und er glaubte einen Anflug von Mitleid in ihren Augen erkennen zu können. Er ahnte, worum es ging. Aber dass sich die Prälatin selbst in die Verliese begeben würde, um Zeugin zu werden, wie einem Gefangenen Informationen abgerungen wurde, erschien ihm kaum möglich. Unwillkürlich musste er an Diwians Schmerzensschrei denken, und noch ehe er die Überlegung in Worte fassen konnte, nickte sie ihm zu.
»Die Folterknechte haben längst, was sie besorgen sollten. Es ist ihnen gelungen, den Widerstand der Elbin zu brechen. Aber Badramur wird es sich von dir bestätigen lassen. Warum auch nicht? Wozu wärst du sonst wohl gut? Dein einziger Wert besteht in einem Nicken, wenn sie dir die entscheidende Frage stellt.«
»Was immer sie will, ich werde es ihr nicht geben«, erwiderte Aelaris, wobei seine Stimme nicht halb so fest klang, wie er es sich wünschte.
Sie schaute ihm in die Augen, und Aelaris’ Fingerkuppen fingen augenblicklich an zu kribbeln. Er wollte die Hand ausstrecken und eine Strähne ihres widerspenstigen Haares berühren, das an ihrem Mundwinkel hängen geblieben war. Doch der ernste Ausdruck auf ihrem Gesicht hielt ihn davon ab.
»Mit deinem Schweigen würdest du dem Foltermeister den größten Gefallen erweisen. Wann hat er schon Gelegenheit, seiner Herrin die Virtuosität seines Könnens zu beweisen? Er wird dich brechen, Elbe, und deine Kadaverreste zu den anderen deines Volkes werfen.«
Da Aelaris nicht reagierte, umfasste sie mit unerwarteter Heftigkeit seine Oberarme. Doch was hätte er schon erwidern können? Der Weg war vorgezeichnet, und er würde ihn bis zum Ende gehen müssen.
Drängend blickte sie ihn an. »Badramur hasst den Kerker, die Folter. Es beschmutzt sie. Himmel, alles was sie will, ist die Losung für den untersten Stollen der Turiden-Öfen. Nur für den untersten Stollen! Alles andere ist längst in unserer Hand. Begreift du denn nicht?«
Aelaris schüttelte kaum merklich den Kopf. Nein, er begriff nicht. Er konnte keine Brücke zu dem Gehörten schlagen. Ihre Worte prallten wirkungslos an ihm ab.
»Euer Land ist jetzt unser«, erklärte sie mit einem flehenden Ton in der Stimme. »Wir haben die Losungen für sämtliche Stollen. Nur für den untersten, den geringsten, fehlt sie uns noch. Verrat sie mir, und ich werde mit Badramur um dich verhandeln. Wenn die Prälatin die Gewissheit hat, dass die Losung stimmt, bist du wertlos. Sie kann dich dann getrost mir überlassen, anstatt dich im Kerker verrotten zu lassen. Und falls du es noch nicht begriffen haben solltest: Da draußen wartet niemand auf dich. Dein Stamm ist heimatlos geworden, übers Westgebirge zerstreut. Verrat mir die Losung, bitte!«
Doch Aelaris war wie versteinert. Er wusste, dass Schmerz, Furcht und Erniedrigung ihn verstummen lassen würden, auch wenn die Folterknechte von Achaten einen Weg gefunden haben sollten, den Willen eines Elben zu brechen. Einen kurzen Augenblick erinnerte er sich an das glühende Gefühl, ihre Haut auf seiner zu spüren. Das mitreißende Echo ihres Atems. Ein solches Geschenk, bevor sich die Hölle auftat, um ihn zu verschlingen ...
Stimmen drangen durch die Eisentür, während sie ihre Stirn gegen die seine lehnte. Aelaris trat trunken einen Schritt vor und drängte seinen Körper dicht gegen den ihren. Sie gab nicht nach, und so standen sie einige Atemzüge wie vereinigt da.
»Alamets Freunde kennen den Weg.« Schockiert lauschte Aelaris seiner eigenen Stimme, die ihm hohl in den Ohren klang.
Kaum waren die Worte ausgesprochen, da sprang sie zurück und verpasste ihm einen Faustschlag in den Magen. Aelaris war derart überrascht, dass er gar nicht spürte, wie er zu Boden ging.
Im gleichen Moment schwang die Tür auf, und eine Schar trat ein. Die voranschreitende Leibwache teilte sich, und eine androgyne Frau mit kurzem weißem Haar trat hervor. Obwohl ihr Körper klein und gedrungen war, strahlte er eine Würde aus, die einem nur durch jahrelangen Machterhalt verliehen wird. Trotz der Hitze hatte sie sich ein breites Wolltuch um den Körper geschlungen, als könne sie auf diese Art den Kerker auf Distanz halten. Mit einem ungeduldigen Gesichtsausdruck starrte sie zuerst Aelaris, dann die Frau an, die sich breitbeinig vor ihm aufgebaut hatte, als wäre er ihre Beute.
»Nun, Lalevil, was verrät mir dieses Schauspiel?« Die Stimme der Prälatin klang rau, und sie neigte dazu, jedes einzelne Wort nachdrücklich zu betonen. Was Badramur sagte, das hatte Gewicht – daran sollte kein Zweifel aufkommen.
Aelaris, der sich immer noch keuchend die Körpermitte hielt, schnappte den Namen der Frau auf, die ihm in einem Moment noch so unfassbar nah und im nächsten so fern gewesen war, und sprach ihn einige Male lautlos nach.
Lalevil deutete eine leichte Verbeugung an. »Ich kenne die Losung, Prälatin.« Dann trat sie, ohne weitere Zeit zu verlieren, auf die deutlich kleinere Frau zu und flüsterte sie ihr ins Ohr.
Ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht der alten Regentin aus.
»Nun, wer hätte es für möglich gehalten? Die Elben sind ja über alle Maßen auf ihre eigene glorreiche Geschichte bedacht. Dass man einfach eine der ältesten Losungen verwenden würde, hätte ich mir eigentlich selbst denken können. Dann wäre diese Posse hier auch überflüssig gewesen.« Mit einem Wink befahl sie einen massigen Wächter herbei und fügte hinzu: »Nimm unser Vögelchen in Verwahrung. Ich denke, die Vorangehenden der Gahariren werden nun über die Freilassung meines Heerführers verhandeln wollen. Mit dem Burschen habe ich nämlich noch ein Hühnchen zu rupfen.«
Bevor die Prälatin sich abwenden konnte, gelang es Lalevil, die Aufmerksamkeit mit einem Räuspern auf sich zu ziehen.
»Nun, Mädchen, was willst du noch hinzufügen?«, fragte Badramur gereizt.
Die junge Frau hob beschwichtigend beide Hände. »Prälatin, ich habe diesen Elben während der Schlacht geborgen. So gesehen ist er mein Kriegsgefangener.« Lalevil zögerte, als wisse sie selbst nicht recht, was sie eigentlich sagen wollte. »Die Elbin in der anderen Zelle dürfte doch auch von Wert für Euch sein.«
»Ich habe sie mir angesehen, und ich glaube nicht, dass sie noch Handelswert besitzt.« Badramur machte eine vage Handbewegung. Dann geriet etwas Listiges in ihren Blick, das Lalevil merklich zusammenzucken ließ. »Für was könnte dieser Verräter wohl noch gut sein? Vielleicht hilfst du mir auf die Sprünge, Mädchen? Dann überlasse ich ihn dir vielleicht wirklich und vergesse meinen Heeresführer.«
Doch Lalevil schüttelte nur stumm den Kopf. Aelaris versuchte, ihren Blick einzufangen, doch sie sah stur in eine andere Richtung.
»Nun, dann werde ich ihn behalten.« Badramur wandte sich zum Gehen ab. »Als Auslöse ist er wenigstens mir noch von Nutzen.« Mit diesen Worten schritt die Prälatin von Achaten zur Tür hinaus, wobei ihr die Leibwächter folgten.
Der Wächter, den Badramur beauftragt hatte, sich um Aelaris zu kümmern, stand inmitten des Raumes. Offensichtlich hatte er beschlossen, die Situation auszusitzen, denn er steckte die Daumen in den breiten Ledergürtel und setzte eine stoische Miene auf.
Lalevil brauchte nicht lange, um eine Entscheidung zu treffen: Nachdem sie eingehend ihre Stiefelspitzen begutachtet hatte, setzte sie sich plötzlich wie auf Kommando in Bewegung. Mit langen Schritten hastete sie aus dem Verlies.
Instinktiv stemmte Aelaris sich empor, ohne allerdings Widerstand zu leisten, als der Wächter ihn augenblicklich gegen die Wand schleuderte. Während er wieder angekettet wurde, reifte allmählich die Erkenntnis, dass er blindlings in eine Falle getappt war. Diwian hatte die Losung unter der Folter nicht gestanden, selbst als man sie zerbrochen hatte. Aber er hatte sie verraten, den Zugang zu dem geringsten aller Stollen auf dem Territorium seines Stammes. Alle anderen Losungen hatte man ja angeblich schon, was bedeutete da noch diese eine?
Mit einem Ruck ließ Aelaris sich mit dem ganzen Gewicht seines Körpers nach unten fallen, aber der schreiende Schmerz in seinen Schultern reichte in diesem Moment des Verstehens nicht aus: Er war nicht annähernd so erbarmungslos und vernichtend. Darum schlug der Elbe so hart mit dem Hinterkopf gegen die Felswand, bis er den bitteren Geschmack von Blut im Mund wahrnahm und es grelle Funken hinter den Augenlidern schlug.
Doch all der Schmerz konnte den Gedanken nicht tilgen, dass er vor lauter Dummheit in ein offenes Messer gelaufen war. In Windeseile setzten sich vor seinem geistigen Auge die verschiedenen Bestandteile der List wie ein Puzzle zusammen. All die Teile, die sein benebelter Verstand in Gegenwart dieser Frau nicht umzusetzen vermocht hatte.
Dieses gichtschiefe Männlein mit seinen krummen Fingern hatte die Zeichen auf seiner Haut lesen können. Mindestens so viel, um zu begreifen, dass Aelaris in die geheimen Losungen seines Stammes eingeweiht war. Offensichtlich hatte diese Frau namens Lalevil dann wegen seines desolaten Zustandes beschlossen, ihm das Geheimnis mit einem kleinen Trick zu entlocken. Einem Trick, mit dem kein Elbe rechnen konnte, verdammt!
Wie auch immer die Schlacht ausgegangen sein mochte, Achaten war es lediglich gelungen, den untersten Stollen der Turiden-Öfen zu annektieren. Und er hatte den Menschen die Losung verraten, so dass sie nun die magisch verriegelten Pforten öffnen und in das Innere des Westgebirges eindringen konnten. Er war tatsächlich dafür verantwortlich, dass diese Plagegeister den Boden entweihen und ausbeuten konnten, der seit jeher dem mächtigsten Stamm des Elbengeschlechts gehört hatte. Verraten für ... ja, für was eigentlich? Aelaris konnte es nicht sagen.
In seinem Inneren breitete sich eine Kälte aus, die jede Gefühlsregung einfror. Wenn man ihn hier unten verrotten ließe, dachte er verbittert, wäre das noch viel zu zuvorkommend. Er wünschte sich vielmehr, Badramur möge ihn rasch austauschen, damit er in den Augen der Gahariren sehen konnte, was er für sich selbst empfand: Verachtung.