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Kapitel 8
ОглавлениеKatharina stand im Garten und schnitt rote und rosa Rosen für den Eingangsbereich. Es war ein sonniger Tag, nachdem es einige Tage zuvor stundenlang geregnet hatte. Doch davon war nichts mehr zu spüren. Die Erde war trocken und es gab keinerlei Beweise dafür, dass hier vor kurzem mehr Wasser gestanden hatte, als die Erde aufnehmen konnte. Die Rosen, die vor ihr aus dem Boden ragten, waren so dunkelrot, wie das Blut auf ihren Laken in jener Nacht. Der Gedanke verschwand und Katharina bemerkte die, die ihre Köpfe hängen ließen und langsam in Richtung Boden sahen. Sie waren dabei zu sterben, ihre Zeit war vorbei. Katharina fühlte sich mit ihnen verbunden. Es ging ihr ebenso. Wie sie so da stand, in dem riesigen Garten, vor den Rosen, die sie schneiden sollte, bemerkte sie, dass sie ganz allein war. Niemand war da. Jetzt, hier, für sie. Es war keine Erkenntnis, die ihr Herz erreichte, sondern eine einfache Feststellung. So war es.
Sie war allein.
Und eines Tages würde sie eingehen, wie die toten Rosen vor ihr. Hätte sie Gefühle gehabt, sie wäre vor dem Strauch zusammengebrochen und hätte ihr Leid in die Welt hinausgeschrien. Gebrüllt vor Schmerz und Scham. Darüber, dass sie keinen Vater hatte und eine Mutter, die sie abgelehnt hatte, solange sie sie gekannt hatte. Dass sie nur als Objekt wahrgenommen wurde und man mit ihr offensichtlich machen konnte, was man wollte. Die Wut darüber würde eine Druckwelle entfesseln, vor der man sich fürchten musste. Doch diese Druckwelle blieb aus, ebenso wie das Hochkochen der Wut oder das Zulassen des Schmerzes. Katharina stand mit vier Rosen in der Hand da und fühlte nichts. Es war ein wenig Wehmut in ihrer Stimmung und ein Hauch von Traurigkeit. Doch in der Suppe ihres Lebens waren das zu schwache Zutaten, sie schmeckte sie kaum. Sie mischte ein paar der nicht mehr ganz frischen Rosen unter den Strauß und ging zurück ins Haus.
Als Katharina in der Tür zur Küche stand, war dieser Bauernjunge wieder da. Er bekam von Maria gerade letzte Instruktionen, die er mit ernstem und konzentriertem Gesicht aufnahm. Katharina betrat den Raum und beide Köpfe drehten sich ihr zu.
„Ah, gut, gut.“, kommentierte Maria ihr Erscheinen. „Stell die Rosen ins Wasser. Dann schließt du ihm die Kellertüre auf, damit er das Gemüse ablegen kann. Ich brauche von unten Kartoffeln. Hol die ältesten, die da sind, wir bekommen leidigen Besuch.“
Katharina tat, wie ihr geheißen, schnitt die Rosen an, stellte sie ins Wasser und ging anschließend nach draußen. Er lächelte, als er sie sah. Wie war nochmal sein Name?
„Danke für deine Hilfe und guten Morgen.“, begrüßte er sie freudig.
Katharina nickte kurz und versuchte ein Lächeln, das misslang. Es war abwertend und er spürte es. Sein Gesicht wurde ernst.
„Gut. Nun, ich nehme die Säcke. Du kannst ja die Kiste dort nehmen. Sie ist nicht schwer.“
„Da bin ich aber froh. Ich könnte mir sonst noch den Rücken verrenken.“, kommentierte Katharina und schnappte sich die Kiste, in der Möhren und allerhand Kleingemüse lag.
„Ich wollte dich nicht beleidigen...“
„Schon gut.“, Eigentlich hatte sie ihn ja beleidigt, aber sie war zu stolz und zu wütend auf unterwürfige Männer, als dass sie das hätte zugeben können. Mit Dominanz konnte sie offenbar besser umgehen. Wenn man sie nett und zuvorkommend behandelte, war Katharina hart wie Stein. Und sie genoss es.
Als sie im Keller ankamen, stellten sie alles ab und gingen wieder nach oben. Er sagte nichts mehr, kein Wort. Nur die Höflichkeit in seinen Taten stellte er nicht ein. Er hielt ihr die Tür auf, ließ sie zuerst gehen und trug ihr den Sack Kartoffeln nach oben. Sie bedankte sich nicht. Sie verabschiedete ihn lediglich kurz und knapp an der Küchentür.
Am Nachmittag des gleichen Tages, Katharina hatte noch immer schlechte Laune, kehrte Herr Schmid zurück. Es passte zu ihrem Gefühl, das sie den ganzen Tag schon in sich trug. Erst die Sache mit dem Bauern, dann die Rückkehr des Alten. Christel hatte sie erfolgreich vorgespielt, dass alles in bester Ordnung sei und sie hatte es geglaubt. Sie glaubte es ja selbst. Außer, dass ihr Hass auf Männer sich signifikant nach oben geschraubt hatte, hatte sich ja nichts verändert. Sie richtete gerade die Rosen im Eingangsbereich, als er eintrat. Seine Frau war im Obergeschoss und sie stand ihm wieder einmal vollkommen allein gegenüber. Doch er stellte nur seinen Koffer ab und schritt in Richtung Arbeitszimmer davon. Er beachtete Katharina nicht. Sie war wieder nur Luft. Das Gefühl kannte sie. Sie kümmerte sich um die Wäsche, hing sie im Garten auf und wischte anschließend Staub. Sie ging in den Keller, kümmerte sich wieder um Laken und Wäsche und fiel um kurz nach neun Uhr ins Bett. Die Herrschaften waren ausgegangen und so war auch am Abend nichts zu tun. Keine Gäste, kein Gelage, kein Küchendienst. Katharina war eingeschlafen, noch bevor sie das Kissen gänzlich berührte. Schlaf war eine wirksame Flucht vor der Wirklichkeit.