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Kapitel 6
ОглавлениеKatharina schrie, als er in sie eindrang.
Niemand hörte es.
Die Musik war laut und er hielt ihr den Mund zu, während er sie auf den schweren Schreibtisch drückte. Er war stark. Stark und brutal. Während er zustieß und sie ihn stöhnen hörte, wie er es genoss, sich zu nehmen, was er wollte, konzentrierte sich Katharina auf das Glas Scotch, das vor ihr stand. Die Flüssigkeit schwankte hin und her.
Hin.
Und her.
Hin.
Und her.
Er begrabschte von hinten ihre Brust, riss ihre Uniform auf und befummelte, was er finden konnte. Die Schmerzen ließen nach und sie spürte nichts mehr. Er wurde immer schneller, während sie sich nicht mehr bewegte. Als er kam, ließ er sich erschöpft auf sie fallen und atmete schwer und tief. Seine Schweißperlen, die von seiner fettigen Stirn herunterliefen, tropften ihr ins Gesicht und setzten ihren Weg fort. Sie bemerkte es, doch sie war nicht mehr hier. Nicht mehr auf diesem Tisch, nicht mehr in diesem Zimmer, nicht mehr in diesem Haus. Sie war in ihrer Kammer und schlief. Sie hatte einen Albtraum und würde sicher jeden Moment aufwachen. Doch der Traum endete nicht mit dem Erwachen, sondern mit einem Flüstern in ihr linkes Ohr. Ihr Kopf lag noch immer auf der Platte, der Scotch hatte aufgehört sich zu bewegen, als er ihr sagte: „Sag es jemandem und ich bring dich um.“ Er zog sich zurück und knöpfte sich die Hose zu. „Los.“, befahl er, „Verschwinde.“
Katharina zog sich ihre Unterwäsche wieder hoch, die halb zerfetzt nicht mehr wirklich in der Lage war, ihren Zweck zu erfüllen und zog ihre Uniform zurecht. Sie ging aus dem Zimmer und eilte in den Dienstbotentrakt, riss die Tür zu ihrer Kammer auf und entledigte ich schnell ihrer Unterhose. Sie war voller Blut. Sie zog sich eine frische an und rannte zurück Richtung Küche. Maria war gerade dabei den Nachtisch, Erdbeerkuchen mit Schlagsahne, auf kleine Teller zu richten.
„Wo bist du gewesen?“, blaffte sie sie an, als Katharina eintrat. „War die Aufgabe zu schwer, ihm Scotch zu bringen?“
„Nein.“, erwiderte Katharina und eilte, um Maria zu helfen „Entschuldigung.“
„Ist alles in Ordnung?“, Maria verharrte in ihrer Bewegung und sah Katharina tatsächlich an.
„Ja.“, sagte Katharina und sie schämte sich.
Maria beobachtete sie noch einen Moment misstrauisch, ehe sie sagte: „Beeil dich. Wir haben noch viel zu tun.“
Christel kam herein und schnappte sich die Teller, ließ einen erzürnten Schnauber bei ihren Kolleginnen und war schon wieder zur Tür hinaus.
Als die Teller fertig waren, wusch sich Katharina vor dem Fenster die Hände. Sie schaute hinein und entdeckte ihr Gesicht in der Scheibe. Schnell ließ sie lose Strähnen wieder in ihrem sorgfältig gesträhnten Haar verschwinden. Draußen war es Nacht und sie erinnerte sich kurz, wie sie sich gefühlt hatte, als sie heute zum Markt aufgebrochen war, um einzukaufen. Wie blau der Himmel war und wie zufrieden die Frauen an dem Stand. Wie glücklich sie war. Doch das Gefühl verblasste schon. Es war nur noch ganz schwach in ihr. Ihre Wächter begannen schon sämtliche Schotten dicht zu machen, Katharina vor all dem Erlebten zu beschützen. Gerade kehrte noch einer von ihnen den letzten Rest Scham und Demütigung hinter eine zweiflüglige Eisentüre, als Katharina bemerkte, dass sie nichts mehr empfand.
Keine Wut.
Keinen Hass.
Nichts.
Es war geschehen und es bestätigte ihr, was Männer in Wahrheit waren. Nur Tiere. Sie war sich in diesem Moment sicher: Liebe war nur eine Illusion. Etwas, was sich die Menschen ausdachten, um durchzuhalten. Sie kannte wirklich niemanden, der sie empfand. Ihre Mutter nicht, ihre Hausherrin nicht, Christel nicht. Sie nicht. Sie war sich sicher, dass sie mit dem Thema „Männer“ abgeschlossen hatte, ganz gleich, was noch folgen würde mit ihm in einem Haus. Wahrscheinlich würde es wieder geschehen, sie würde es auch noch einmal aushalten.
Es wird schon gehen, dachte sie.
Sie hatte gerade ihre Unschuld an ihn verloren und Katharina empfand nichts dabei.
Die kommenden Tage waren voller Arbeit. Am Morgen nach dem Fest verabschiedete sich Herr Schmid bei Maria – seine Frau war noch nicht erschienen – und machte sich auf den Weg nach Nürnberg. Er würde eine Weile fort sein. Eine Entwicklung, die Katharina freuen sollte, doch sie empfand weiterhin nichts seit jenem Abend. Sie konzentrierte sich auf ihre Arbeit und auch Christel bemerkte nichts, keine Veränderung an ihrer Kollegin, was entweder daran lag, dass es sie nicht interessierte, dass sie nicht aufmerksam war oder, was am wahrscheinlichsten war, weil Katharina es perfektioniert hatte, ihre Emotionen zu verschließen.
Ihr Elternhaus war eine gute Schule.
Ihre Wächter hatten in den letzten Tagen ganze Arbeit geleistet und ihren Gefühlshaushalt blitzsauber geputzt. Es war alles wie immer. Nur tief in der Nacht, wenn die Unterleibsschmerzen einsetzten, wurde der Schmerz ganz zart an die Oberfläche gespült. Besonders schlimm war die erste Nacht danach gewesen. Sie hatte starke Blutungen, die sie erschreckten, aber auch das veranlasste sie nicht dazu, sich Christel anzuvertrauen. Die Schmerzen ließen auch langsam nach und so ebbte auch die Sorge darüber ab, dass etwas nicht stimmten könnte.
Als Maria sich auf den Weg auf den Markt gemacht hatte, war sie mit Christel allein im Haus. Sie hatten den Auftrag erhalten, die Küche auf den Kopf zu stellen. Maria wollte sich in allem spiegeln wollen, wenn sie wiederkam. Frau Schmid war ebenfalls außer Haus und konzentrierte sich auf die schönen Seiten des Krieges. Kaffeekränzchen mit Frauen von SS-Offizieren in Nürnberg, Freundschaftsbezeugungen unter Nazi-Freunden und Besuche bei jenen, die wirklich was zu sagen hatten in der Region. Man musste die Firma schützen und voranbringen. Zuhause musste in dieser Zeit alles soweit in Ordnung gebracht werden, dass man jederzeit Gäste für diverse Geschäftsbesprechungen empfangen konnte. Maria machte sich bei den Herrschaften für eine neue Küchenhilfe stark, die sie, nach Auskunft der Hausherrin, wohl auch bekommen würde.
Es klopfte und Christel ging zur Küchentüre.
„Oh, der Herr Bauer.“, hörte Katharina sie tönen. Sie hatte ein paar Oktaven hoch geschaltet, was wohl bedeutete, dass sie denjenigen mochte, der da vor der Tür stand.
„Einen guten Morgen die Dame. Irgendwelche Wünsche?“, kam es von draußen. Es war eine angenehme Stimme eines scheinbar jungen Mannes, der lächelte. Man konnte es hören. Katharina kümmerte sich weiter um die Spüle im hinteren Bereich der Küche. Sie bekam diese Flecken am Ausguss einfach nicht in den Griff.
„Das übliche. Zwei Säcke Kartoffeln, drei Säcke Zwiebeln, vier Bund Rüben, Rettich, Strauchbohnen und Mais.“, zählte sie dem Unbekannten auf.
„In Ordnung.“
Sie schloss die Tür wieder hinter ihm und lehnte sich kurz an ihr an. Sie atmete hörbar schwerer. Katharina wusste nicht, was das Theater sollte. Als die nicht reagierte, schwebte Christel zu ihr hinüber. „Hast du ihn gesehen?“, flüsterte sie ihr zu und machte sich größer, um aus dem Fenster zu sehen.
„Wen?“, Katharina wusste natürlich von wem Christel sprach.
„Komm. Ich stell ihn dir vor.“
„Pff.“, gab Katharina zurück. „Wozu?“
Christel setzte schon zu einer Erwiderung an, da klopfte es wieder. Stattdessen erntete Katharina nur einen bösen Blick mit dem Versprechen eines weiteren Gesprächs dieses Themas.
„Komm rein.“, hörte sie sie sagen, als die Tür erneut aufging.
„Vielen Dank, holde Maid.“, kam es zurück und der Bauer trat in die Küche. Katharina schaute auf und blickte sofort in blaue Augen, die ihren Blick auffingen.
„Oh.“, kam es nur. Er stand vor ihr mit zwei Kartoffelsäcken auf der Schulter. „Guten Tag.“
„Grüß Gott.“, erwiderte Katharina und widmete sich sofort wieder ihrer Spüle. Christel rollte hinter seinem Rücken mit den Augen.
„Johann, das ist Katharina. Katharina, das ist Johann Wagner. Er beliefert uns immer mit Gemüse.“
Katharina wendete sich noch einmal kurz ihm zu. „Freut mich.“, gab sie wenig überzeugend zurück. Sie freute sich nicht. Worüber auch? Über einen Bauernjungen? Die Spüle. Ihr galt ihre Aufmerksamkeit und Konzentration. Und nur ihr.
„Gut. Ähm. Du weißt ja, wo die Kammer ist...“, versuchte es Christel leicht beschämt, um auch Johann aus seiner offensichtlichen Starre zu befreien.
„Äh, ja. Entschuldigung.“ Er verschwand in der Speisekammer. Als er wieder herauskam, stolperte er über einen Putzeimer, der in der Ecke neben dem Eingang stand. Er wurde tomatenrot und grinste kurz verlegen beide Frauen an, bevor er wieder nach draußen eilte, um den Rest der Bestellung zu holen. Es war ihm sichtlich peinlich, was Christel sehr amüsierte. Sie kicherte, als er verschwunden war.
Katharina fand es auch sehr unterhaltsam, zugegeben. Auch wenn sie ihn gleich als tollpatschigen Einfallspinsel abstempelte.
Der zweite Auftritt verlief ordentlicher. Er stolperte nicht, sagte nichts, grinste nicht und sah niemanden an. Christels Verwunderung wich offener Enttäuschung. Offenbar kannte sie ihn so nicht. Katharina schrubbte die Arbeitsfläche und schnappte immer nur bruchstückhafte Fetzen der Szenerie auf. Er ging an ihr noch zwei weitere Male vorbei. Sie hörte, wie er sich von beiden verabschiedete. Als die Tür schließlich ins Schloss fiel, hatte Katharina ihn schon wieder vergessen.