Читать книгу Ihr Versuch zu leben - Thomas Ays - Страница 11
Kapitel 9
ОглавлениеEr mochte viele Fehler haben, doch fehlender Ehrgeiz oder mangelnde Opferbereitschaft gehörten nicht dazu. Er hatte sich zwar darüber geärgert, wie ihn Katharina gerade behandelt hatte, doch da war etwas an ihr, was ihn nicht mehr losließ. Es war nicht ihre unberührte Schönheit, die ihn mit ihren dunklen Augen und ihrem dunklen Haar an eine ausländische Schönheit erinnerte. Es war auch nicht ihre ruppige und unterkühlte Art und die Unfreundlichkeit in ihren Worten. Es war der Schmerz in ihren Augen, der ihn anzog. Er spürte, dass sie kein schönes Leben hatte und er wollte sie daraus befreien.
Warum? Das wusste er nicht. Es war auch kein Spiel, eher ein Drang. Ein Bedürfnis.
Sein erstes Ziel? Sie zum Lachen zu bringen. Gut, es war ein großes, erstes Ziel, aber er wusste auf eine ihm unbekannte Art, dass sie es wert war. Sie zu bekommen, wäre eine große Herausforderung. Doch wie sollte er die Ablehnung ihm gegenüber durchbrechen? Im Grunde wusste er gar nicht, ob sie zu so etwas, wie einem echten Lächeln, überhaupt fähig war. Und dann ihr Haar... wie es wohl aussah, wenn es nicht hochgesteckt war? War es lang? Gewellt oder glatt? Wie ihr Gesicht wohl aussehen mochte, wenn ihr Haar es umrandete, es umspielte?
Während er auf dem Nachhauseweg war, verwandelte sich Johann von einem einfachen Bauersohn zu einem kleinen Dichter. Er achtete nicht auf den Weg, vergaß Frau Kirn und seine Odyssee der letzten Tage, vergaß die Sorge um seinen Bruder und die Zeit, in der sie sich alle befanden. Er wollte sie. Unbedingt. Je schlechter sie ihn behandelte und ihn wissen ließ, dass sie nicht interessiert war (nicht im Mindesten!), desto stärker war der Drang ihr nah zu sein. Es war verrückt und das erste Mal, dass er diese Erfahrung machte. Fühlte es sich etwas so an, wenn man verliebt war? Selbst zuhause, einem Ort, an dem er wie an keinem anderen in der Lage war, seine Rolle des gutgelaunten Anführers zu spielen, war er nicht mehr fähig seine Gefühle zu verbergen. Anna bemerke es zuerst. Sie stand ihm am nächsten. Immer schon.
„Was hast du?“, grinste sie ihn an, während er in die Küche ging und sich an die Spüle stellte, um sich die Hände zu waschen. „Du hast ein Strahlen in den Augen.“
„Ich?“, versuchte er sich herauszureden, doch Anna wusste es besser und sie kannte ihren Bruder gut genug um zu wissen, wann er bereit war sie anzulügen. Es kam nicht oft vor.
„Bevor du etwas sagst, was du später bereust.“, fiel ihm Anna ins Wort „denk immer daran: Ich durchschaue dich. Du bist wie ein offenes Buch mit vielen, großen Buchstaben darin. Es ist einfach darin zu lesen, selbst auf größere Entfernung.“ Ihr Grinsen war hämisch. Sie freute sich sehr darüber, dass sie ihn erwischt hatte.
„Ich weiß nicht, was du...“
„Ach, lass das doch.“, unterbrach sie ihn erneut. „Wie heißt sie?“ Anna wusste, dass es etwas Bedeutendes sein und mit einer Frau zu tun haben musste, wenn er sich so verhielt. Selbst bei Frieda hatte er ihr es sofort und ohne Umschweife erzählt. Doch das hier war größer. Viel größer.
„Katharina.“, gab er schließlich zu und wusch sich weiter die Hände. Sie waren bestimmt schon sauber, doch er hörte nicht damit auf. Er wurde rot.
Anna sah sich um und versicherte sich, dass niemand hereinplatzen würde. Sie wollte ganz offenbar diejenige sein, die die Neuigkeiten zuerst erfuhr. Der Grund lag auf der Hand. Wenn sie etwas wusste, was ihre Geschwister und ihre Eltern noch nicht wussten, konnte sie damit lange etwas anfangen. Sie würde ein paar Häppchen hier, und ein paar dort streuen und genüsslich abwarten, bis ihre nicht ganz so schlauen Schwestern und ihr desinteressierte Bruder darauf kamen, dass sie wichtige und äußerst lohnenswerte Informationen besaß, die sie nicht hatten. Und dann würden sie nicht zu Johann laufen und ihn ausquetschen, weil sie wussten, dass er ihnen nichts sagen würde. Sie würden Anna anbetteln, sie würden sie anflehen ihnen ebenfalls alles zu verraten. Wenn es gut lief, würde sie das Spiel, zwei, oder sogar drei Wochen durchziehen können, was zu ihrem dringend benötigten Unterhaltungsbedarf beitragen würde.
„Katharina?“, erwiderte sie. „Katharina wer? Ich kenne keine Katharina.“, überlegte sie „Ach, doch.“, Sie sah ihren Bruder erschrocken an. „Die Katharina? Oh, Gott, Johann. Das ist nicht dein ernst.“
Der Bruder sah seine Schwester überrascht und auch eine Spur verwirrt an, da fiel es ihm auf. „Nein.“, lachte er sie an. „Nicht die Katharina. Du kennst sie nicht. Sie arbeitet als Hausmädchen bei den Schmids. Sie ist nicht von hier – glaube ich.“ Er wusste es nicht und konnte nur raten.
„Soso, ein Hausmädchen.“, grinste sie. Noch immer war niemand von den anderen in Sicht. Sie konnte noch etwas weiterbohren.
Johann lachte „Die Neugier steht dir wieder ins Gesicht geschrieben. Lass gut sein.“ Er trocknete sich die Hände ab – er hatte endlich aufgehört sie zu waschen – und setzte sich an den Küchentisch. Er hoffte Margareta würde gleich wiederkommen und nach ihrem Eintopf sehen – oder was immer es war, was da auf dem Herd vor sich hin köchelte.
Doch Anna war noch nicht fertig mit ihm. Sie setzte sich, putzte sich kurz ihre Hände an ihrem Schurz ab und sah ihn verschmitzt an. „Woher kennst du sie?“
Bevor er antworten konnte, sprach sie weiter „Von der Auslieferung. Klar. Blöde Frage. Gut. Was noch? Ah...“, sie lehnte sich vor. „Wie sieht sie denn aus?“ Eine gute Frage.
Johann überlegte, ob er ihr antworten sollte. Er entschied sich auf Zeit zu spielen und darauf zu hoffen, dass die Tür sich öffnete. Doch sie blieb zu. Wo waren nur alle, wenn man sie mal brauchte?
„Sie hat...“
Die Tür ging auf und Anna fluchte unhörbar. Margareta betrat die Küche und polterte gleich los: „Natürlich. Ihr zwei sitzt hier, macht euch eine schöne Zeit und lasst einfach meine Suppe verkochen. Vielleicht mal auf die Idee kommen und den Kochlöffel in die Hand nehmen und umrühren? Hm? teure Schwester?“, Sie schnappte sich besagten Holzhochlöffel und widmete sich dem großen Topf auf dem Herd.
Anna grinste Johann an und erwiderte: „Es tut mir leid, Margareta. Ich war abgelenkt von den großen Neuigkeiten, die unser kleiner Bruder mit nach Hause gebracht hat.“ Sie legte den Kopf schief und lächelte ihr schönstes Sonntagslächeln.
„Neuigkeiten?“, kam es daraufhin aus einem vollen Mund über dem Kochtopf.
Johann stand auf, schüttelte den Kopf und verließ die Küche. Margareta drehte sich um. „Wohin gehst du? Es gibt gleich essen.“ Doch er ignorierte sie. „Wohin geht er? Und: Welche Neuigkeiten?“, schickte sie an Anna hinterher.
„Neuigkeiten?“, fragte Anna unschuldig zurück „Was denn für Neuigkeiten?“ Sie stand auf und verließ süffisant grinsend die Küche, während ihre Schwester verwirrt und durcheinander zurückblieb.
Die kommenden Tage folgten einem vorgegebenen Trott. Bis auf eine Ausnahme: Johann war nicht bei der Sache. So gar nicht. Er war unkonzentriert und leichtfüßig – obwohl es keinen Grund dafür gab, freudig beschwingt zu sein. Er hatte Katharina weder wiedergesehen, noch hatte er es geschafft, sich eine Lösung für sein Problem mit ihr einfallen zu lassen. Diese Eroberung glich einer extrem harten Nuss. Also musste er ein effektiver Nussknacker sein. Mit Kraft im Kiefer und Durchhaltevermögen. Eine äußerst leichte Disziplin also. Nur eines lenkte ihn immer wieder von Katharina ab. Seine Schwester, die sich offenbar diebisch darüber freute, die Familie aufzuscheuchen.
Er stellte fest, dass Anna mindestens genauso gut gelaunt war wie er - Obwohl Margareta wieder vergessen hatte, welche Neuigkeiten es gab. Es machte ihr nichts aus. Sie musste erst noch die anderen anfüttern. Bei Sepp ließ sie fallen, dass er vielleicht bald eine Schwägerin bekommen würde, was er zuerst nicht verstand, dann aber nicht mehr lockerließ, bis sie ihn wirsch abwies. „Du wirst es schon noch irgendwann erfahren.“, war alles, was sie ihm sagte. Er zog beleidigt ab, wohl in dem Glauben, er sei der letzte, der hier etwas erfuhr. Bei Marie musste sie schlauer und weniger plump sein. Sie war hellhörig und schnell bei der Sache. Also versuchte sie es lapidar mit dem Spruch: „Weißt du, ob Johann wieder eine Freundin hat?“
Marie konterte sofort und sah von ihrem Nähzeug auf. „Nein. Wieso? Weißt du was?“, ihre Augen leuchteten und sie war mindestens ebenso neugierig, wie ihre Schwester.
„Ich?“, der Heiligenschein strahlte „Nein, ich dachte du vielleicht.“
Marie sah sie ungläubig an. „Du weißt doch was? Was ist es?“
„Ich weiß nichts, wirklich. Ich habe keine Ahnung. Ich hab da nur so ein Gefühl.“, Sie schaute nachdenklich, als ob sie tatsächlich überlegte und ließ Marie sitzen.
Ihre Eltern ließ sie bei ihren Spielchen außen vor. Sie wusste ja, dass die Tatsache, dass Johann noch nicht verheiratet war, schwer an ihnen nagte. Sie machten sich ernsthaft Sorgen. Sie konzentrierte sich deshalb lieber auf ihre Geschwister und flog, wie ein fleißiges und fieses Bienchen, sogleich von einer Schwesternblüte zur nächsten. Margareta saß am Tisch und schälte Kartoffeln, als Anna die Küche betrat.
„Was gibt es heute?“
„Du wirst es sehen.“, blaffte Margareta zurück.
„Ich hoffe, etwas Leckeres. Ich habe Hunger. Viel Hunger.“
Margareta sah auf. „Willst du etwas Bestimmtes sagen.“
„Ich?“, flötete Anna
Margareta widmete sich wieder den Kartoffeln.
„Obwohl...“, begann Anna von neuem und ihre Schwester seufzte genervt auf. „eine Frau mehr im Haus wäre ja schon was Gutes. Vor allem für dich in der Küche.“
Margareta kniff die Augen zusammen. „Wovon redest du?“, da fiel es ihr wieder ein und Anna frohlockte innerlich in den höchsten Tönen. „Stimmt! Da war doch was mit Johann. Was ist es? Hat er eine neue Auserwählte?“
„Woher soll ich das wissen?“
„Oh komm’ schon Anna. Du weißt doch was. Spucks schon aus.“
„In Ordnung. Aber du darfst es niemandem weiter erzählen.“ Sie zählte darauf, dass Margareta ihren Mund nicht halten konnte. Eine sichere Sache. „Ich habe gehört, er interessiert sich für ein Mädchen aus gutem Hause.“, log sie.
„Was?“, Margareta ließ das Messer sinken. „Weißt du wer es ist?“
„Keine Ahnung. Aber ich finde es schon noch heraus.“
Streng genommen hatte sie nicht gelogen. Katharina war ja wirklich aus gutem Hause – auch wenn sie nur dort arbeitete. Details. Es gab weitaus wichtigeres als Details.
Johann bemerkte von alledem wenig. Nur, dass Anna umherschlich und seine Geschwister meist aufhörten zu reden, wenn er dazukam. Er kannte seine Familie und wusste, was gespielt wurde. Doch noch war es nicht an der Zeit Anna zurückzupfeifen. Im Gegenteil. Er war erleichtert, dass sie sich mit anderen Dingen beschäftigten, als mit der Situation in der Stadt. Sollten sie doch reden – es lenkte sie ab. Von allem. Und Ablenkung war gerade alles, was sie hatten.