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1.3.7 Der Brighton-Effekt

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Das Konzept des Zugänglichmachens im Rahmen der Möglichkeiten, das aktive Arbeiten mit dem Konzept des lebendigen Archivs ist leider alles andere als selbstverständlich. Eine Besserung in dieser Hinsicht brachte eine 1978 von der FIAF organisierte Filmkonferenz in Brighton, die den Spielfilm zwischen 1900 und 1906 zum Thema hatte und die inzwischen als wesentliche Zäsur in der Filmwissenschaft gilt. Die klare Eingrenzung des Konferenzthemas war durch die positiv zu verstehende Archivsituation bedingt worden. Der Filmwissenschaftler David Francis formulierte diesen Umstand folgendermaßen:

“Originally we intended to consider all films produced between 1900 and 1906 and discuss the interrelationship between fact and fiction. However, when we discovered how many fiction films had survived in members’ collections and how many would be available for screening in Brighton, we decided to limit our researches to this aspect of the period” (Gunning, 2003, 19).

Die Hinwendung zur Erforschung des frühen Films ermöglichte einer jüngeren Generation von Filmwissenschaftlern – unter ihnen auch heute etablierten Granden der Filmgeschichte wie Tom Gunning, der bereits zitierte David Francis oder André Gaudreault – konstruktive Kritik an der klassischen Filmgeschichte, wie sie etwa von Georges Sadoul oder Friedrich von Zglinicki vorgelegt worden war, zu formulieren. Dabei kam es zu noch heute, auch für die Archivarbeit, wesentlichen Neuüberlegungen bezüglich Periodisierungsversuchen in der Filmgeschichtsschreibung und dem Beginn einer noch immer andauernden, fruchtbaren Diskussion über sozial- und kulturgeschichtliche Rahmenbedingungen der Produktion und Rezeption von Filmen. Geradezu revolutionär war auch der Versuch, die Entwicklung der Kinematografie und der Institutionalisierung des Kinos in Sinnzusammenhang mit einer Ideengeschichte der Moderne zu bringen:

“Increasing urbanism, mass audiences and mass production, the rise of commercial popular entertainment, the proliferation of visual culture, new claims of gender and racial equality, new technologies of communication and transportation, new models of perception and consciousness, increased secularisation and influence of science – all this broad cultural issues could be focused trough the lens of early cinema” (Gunning, 2003, 25).

Mit der Umsetzung dieser Ideen fand auch wieder ein stärkerer Rückgriff auf die tatsächlichen Quellenmaterialien statt, der eine wesentliche Änderung im Forschungsansatz und im alltäglichen Rechercheverhalten der Filmwissenschaftler mit sich brachte: Die Einbindung der Filmarchive war notwendig und auch erwünscht. Dass zu diesem Zeitpunkt auch eine neue Generation innerhalb der Archive ihren Dienst aufnahm, die ebenso wie die Wissenschaftler an einer Sensibilisierung und Begeisterung des Publikums interessiert war und immer noch ist, war dieser Entwicklung überaus zuträglich:

“[O]ne of the key purposes of the Brighton Symposium, and certainly one of its valuable achievements, lay in making new contacts between film scholars. Bluntly stated, the Symposium wanted to make sure that the films lying in their vaults got dusted off and shown to people outside the archive” (Gunning, 2003, 23).

Archivbetrieb bedeutet darüber hinaus immer auch soziale Praxis: Die Filmarchive stehen im Dienste der Erinnerung und werden somit auch in Zukunft daran arbeiten müssen, das Erinnerbare zu erweitern, ohne die notwendige und reizvolle Auseinandersetzung mit dem (Spannungs-)Verhältnis von Bewahren und Zugänglichmachen zu scheuen. Mit der Erhaltung und Verlebendigung des Archivs stellt man sich nicht nur alten und neuen Herausforderungen, die Filmarchive werden mit ihrer umfassenden Verantwortung auch als „Wiege einer neuen Filmkultur“ (Kahlenberg, 1978, 143) denkbar – fällt ihnen doch die anspruchsvolle Aufgabe zu,

„Hüter des Materials für zukünftige Generationen zu sein und doch alles zu tun, um den gegenwärtigen Nutzern die bestmögliche Dienstleistung zu bieten. Denn ohne die Auswertung der Dokumente und Artefakte durch heutige Wissenschaftler gehen zeitgebundene Erkenntnisse verloren, versickert das Interesse für gewisse Bereiche, können die Nachfolgenden bedeutende Fragestellungen nicht mehr erkennen“ (Lenk, 1998, 165).

Signaturen der Erinnerung

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