Читать книгу Signaturen der Erinnerung - Thomas Ballhausen - Страница 23

1.4.5 Freiheit vs. Tugend

Оглавление

Die (bissige) Zeit taucht im Rückspiegel auf, die Geschichte im past imperfect – so wie sie uns im Film erscheint, so wie sie im Kino wiederaufgeführt wird. Die Wirklichkeit tritt uns als Geflecht entgegen, die ihr entgegengesetzte Widerständigkeit steht in einem Verhältnis zur Macht, aus der sie sich schöpft. Nicht weniger Geflecht als die sogenannte Realität, ist diese Widerständigkeit kein monolithisches Massiv, sondern eher eine Vielzahl von Punkten, Aktionen und eben auch Filmen. Was also ist das Schicksal im Nachbeben, was ist das Schicksal der Bilder, die uns einzuholen drohen, uns erinnern? Utopia kann – unabhängig von ihrer Anschaulichkeit, die Diedrich Diederichsen (Diederichsen, 2008) prägnant herausgearbeitet hat – nicht uneingeschränkt eingelöst werden, es kann immer nur eine Richtung, eine Zielvorgabe sein. Dieses Potential des Uneingelösten sollte zu unserem Vorteil gewendet werden, es kann im Rahmen einer Verlebendigung der Bilder zum Einsatz kommen. Nicht nur die Künste haben einander viel zu geben, Film als ständig neu zu erschließendes Mysterium hat der Gesellschaft etwas zu geben, er gibt es ihr freimütig und manchmal eben auch frech. Sich der die Künste betreffenden Debatte Freiheit vs. Tugend zu stellen, macht schließlich auf zweierlei aufmerksam: Einerseits, dass wir wohl nicht leicht davonkommen werden; andererseits, dass wir die Hände frei haben, dass wir also Spuren zu sichern, zu denken und zu fragen haben: Ein kritischer Blick und gefährliche Fragen sind unsere Instrumente, unser (hoffentlich) intellektueller und intelligibler Werkzeugkasten, der das Archiv zum Ort der Wertschöpfung, zur Fabrik des Denkens und Träumens machen kann. Solange wir etwas bewegen können und wollen, wir als Filmmenschen der Öffentlichkeit und dem Medium verpflichtet sind, werden wir auch der Zweiwertigkeit der Bilder – um einen Gedanken von Jacques Rancière aufzunehmen – gerecht werden können: ihrer materiellen, zu bewahrenden physischen Präsenz und ihrer mitunter verschleierten Geschichtsschreibung. Nicht jeder Film nimmt uns in unerwünschte Geiselhaft; so wie der Film uns fesselt, so macht er uns hoffentlich auch freier, leitet zum Denken an, lädt zum Wünschen und Sehnen ein. Die immer noch gültige und wirksame Macht des Zeigens und Bezeichnens transformiert ein problematisches history repeating zur akzentuierten, sich wandelnden repeating history der Filmrollen. Es ist alles sehr ernst geworden, so, als wäre es nicht ohnehin immer schon ernst gewesen. Erinnern wir uns an die Möglichkeit (und Begrenztheit) der Künste, insbesondere Literatur und Film, nicht nur rückwärtsgewandte Prophetie oder Zustandsanalyse zu bieten, sondern auch einen prägnanten Ausblick auf das Kommende. Das an den Anfang gestellte Bekenntnis, die Versicherung der andauernden Lebendigkeit des Mediums Film und des Aufführungssystems Kino, kann uns von der past perfect hin zur Zukunft, vielleicht sogar in Richtung einer future (almost) perfect, begleiten. Es liegt (immer noch) ganz bei uns.

Signaturen der Erinnerung

Подняться наверх