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Lockenkrieg

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Als um 1500 die Schriften aus der Antike erstmals seit Jahrhunderten wieder gelesen, abgeschrieben und gedruckt wurden, erwachten in der Vorstellung über die Germanen erneut die antiken Klischees. Der deutsche Humanist Conrad Celtis, der 1497 an der Wiener Universität die erste deutsche Universitätsvorlesung über Tacitus’ Germania hielt, ergänzte in seiner Germania generalis (1500) den alten Text um ein beinahe 300 Hexameter umfassendes lateinisches Gedicht: „Blond ist das Haar, hell sind auch die Augen,“ schreibt er darin – aus Tacitus’ „rutilae comae“ war „flava comae“ geworden. Celtis’ Beweggründe für diese Änderung liegen heute im Dunkeln. Vielleicht war er sich bewusst, dass die römisch-griechischen Berichte bestimmten Schemata und Absichten folgten. Sicherlich wird ihm aber rötlich als unpassend für die edlen und wilden Germanen, die ersten Deutschen, wie man damals dachte, erschienen sein.

Zum Inbegriff des Deutschseins machte schließlich Heinrich von Kleist den blonden Germanen in seiner „Hermannsschlacht“ von 1808, zur Zeit der Napoleonischen Feldzüge. Natürlich sind in seiner „Hermannsschlacht“ Thusnelda, die Gemahlin des cheruskischen Heerführers, und ihre Söhne Rinold und Adelhart blond. „Gib eine Locke,“ haucht bei Kleist der Römer Ventidius Thusnelda, der Gattin des Cheruskerführers, ins Ohr. Germanien verdingt sich bei ihm in ihrer blonden Locke. Ventidius will sie der Kaiserin nach Rom schicken und versprechen, ihr eine ganze Perücke aus jenem Haar zu schenken. Was die Kaiserin in Rom damit will, muss der germanische Recke Hermann seinem „Thuschen“ erst erklären. Denn, so Hermann, wenn die Römer kommen, „Scheren sie dich so kahl wie eine Ratze“, weil: „Die römischen Damen müssen doch, wenn sie sich schmücken, hübsche Haare haben?“ Thuschen fragt: „Nun, haben denn die römischen Damen keine?“ Hermann: „Nein, sag ich! Schwarze! Schwarz und fett, wie Hexen! Nicht hübsche, trockne, goldne, so wie du!“ So erklärt er blondes deutsches Haar zum Grund für die römische Invasion Germaniens.

Seine volle Wirkung sollte Kleists Hermannschlacht erst nach Gründung des deutschen Reiches 1871 erfahren. In den zwanziger und dreißiger Jahren gehörte sie mit zu den am häufigsten gespielten Bühnenwerken. Zu dieser Zeit wurde das heutige Klischee der blonden Tussi geboren.

Bald darauf gestand die Wissenschaft, dass sich die Haarfarbe als wenig hilfreich erwies, um Menschengruppen und Völker zu beschreiben. Die Masse der Menschheit war und ist dunkelhaarig. Dennoch wurde blond ab 1890 zum Ideal einer vermeintlich arisch-germanisch-deutschen Abstammungsgemeinschaft zuerst in der völkischen Bewegung und später im Nationalsozialismus. Blond und blauäugig sollten Arier und die nordische Rasse sein, so wie ihre Nachfahren, die Germanen und die Deutschen. Völkische und nationalsozialistische Rassenkundler hielten Norddeutschland und Skandinavien für die Urheimat der Arier und glaubten, dass sich von hier aus alle Blonden über die Welt verteilt hätten (s. Irrtum 17).

Männer schalteten in den unzähligen Agitationsblättern der völkischen Bewegung Kontaktanzeigen, in denen sie nach reinrassigen, blonden germanischen Frauen suchten. Lanz von Liebenfels gründete 1905 in Österreich die Zeitschrift „Ostara – Briefbücherei der Blonden und Mannesrechtler“. Der Arzt und völkische Agitator Ludwig Woltmann suchte in Gemälden und Beschreibungen von Italienern und Franzosen nach Hinweisen auf große blaue Augen und blondes, lockiges Haar, um so nachzuweisen, dass die großen italienischen und französischen Künstler wie Galileo Galilei, Christopher Kolumbus oder Leonardo da Vinci Nachkommen von Germanen seien (s. a. Irrtum 17). Alles Blonde wurde germanisch. So hält sich noch bis heute hartnäckig das Gerücht, manche nordafrikanischen Berber wären aufgrund einer Vermischung mit den germanischen Vandalen blond. Dagegen spricht allein der Umstand, dass schon Hieroglyphen, die von der Libyschen Invasion in Ägypten 1227 v. Chr. berichten, blonde Nordafrikaner zeigen – mehr als eintausend Jahre vor den Germanen. Die Nazis schließlich machten sich rücksichtslos an die Erschaffung ihres „blühenden, blonden Endzeitparadieses“. Hans K. Günther („Rassen-Günther“), der Rassentheoretiker des Dritten Reichs, in seinen „Rassenkunden“, wie auch Heinrich Himmler, führten dabei Römer wie Tacitus an, denen zu Folge die Germanen hochgewachsene, blonde und blauäugige Menschen gewesen sein sollen. Dass auch Skythen und Kelten den antiken Schriftstellern blond erschienen und dass Tacitus von rötlichem Haar schrieb, ignorierten sie.

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