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Polizeihauptmeister Gerber hatte es nicht eilig, nach Hause zu kommen. Es wartete dort ohnehin niemand auf ihn.

Auch auf die beiden freien Tage nach der Nachtschicht freute er sich nicht. Es war schwer, soviel Zeit totzuschlagen.

Schlafen konnte er ohnehin kaum noch. Früher hatte er nach der Nachtschicht das ganze Wochenende verschlafen können und war trotzdem nach Ende des Fernsehprogramms wieder ins Bett gegangen und neben Elke eingeschlafen. Am Montagmorgen hatte die Welt für ihn schon wieder so ausgesehen, als wenn es eine Nachtschicht nie gegeben hatte.

Am Kiosk kaufte er sich eine Tageszeitung. Früher hatte das Ding jeden Morgen im Hausflur gelegen, aber seit Elke nicht mehr da war, gab es auch keine Tageszeitung mehr.

„Na Schorsch, wie isset?"

„Gut Lilo. Warum auch nicht?"

Früher war Lilo in ihrer Klümpchenbude immer ein rotes Tuch für ihn gewesen, ganz einfach eine ordinäre Schlampe, und irgendwann hatte er ihr sogar mal mit einer Anzeige gedroht. Sie duldete immer, dass die Kerle bei ihr Bier kauften und es an der Bude auch noch soffen, obschon das verboten war. Seit ein paar Wochen duzten sie sich. Er hatte abends selber des öfteren bei Lilo an der Bude gestanden und ihr bei ein paar Püllekes sein Herz ausgeschüttet.

„War viel los heute Nacht?"

„So wie immer."

„Brauchse sons noch wat?"

„Ne, lass mal."

„Du denkst doch dran, dat ich heute um acht zumach? Vielleicht brauchse noch ein paar Püllekes?"

„Haste denn zufällig noch ein paar im Kühlschrank?"

„Na klar!" Die Frau lachte. „Ganz zufällig. Für dich sowieso."

„Ich halte es einfach nicht mehr aus, dass du soviel säufst", hatte Elke ihm vor ein paar Wochen gesagt. „Das wird jeden Tag mehr. Du merkst das schon gar nicht mehr."

„Halt doch deine blöde Schnauze! Kann man jetzt noch nicht mal mehr in Ruhe sein Bier trinken?"

„Und wenn du den Jungen noch einmal anrührst, bringe ich dich um!"

„Wieviel willse denn nu?"

Einen Augenblick sah Gerber die Frau in der Bude irritiert an. „Mach mir mal acht Pullen fertig! Heute ist schließlich frei, und morgen auch."

„Und hasse schon wat von deiner Verflossenen gehört und von deinem Sohn?"

„Ne, gar nix. Wieviel bin ich dir schuldig?"

Er bestellte noch eine Schachtel Zigaretten und sah, wie die Frau irgendetwas auf einen schmuddeligen Block schrieb. „Dat macht dann acht Euro. Plus die Zeitung. Also achtfuffzig." Sie reichte ihm die Flaschen in einer Tragetasche über die Theke.

„Billig bist du nicht gerade."

„Dann musse mir mal deine leeren Pullen wieder zurückgeben! Frisst du die Dinger eigentlich auf?"

„Ne, tu ich nicht. Mach's gut."

„Sieh mal zu, Schorsch. Ich wünsch dir wat."

Es war kurz vor halb acht. Der Berufsverkehr war um diese Zeit in vollem Gange. Auf der nahen Kurt-Schumacher-Straße stauten sich die Autos bereits wieder in beide Richtungen, und für einen Augenblick kam es ihm so vor, als dürfe er nun auf gar keinen Fall in seine Wohnung gehen. Er überquerte die Grillostraße und ging die paarhundert Meter bis zur Haustür bewusst langsam. Die Sonne schien, es würde heute ein herrlicher Tag werden, auf der gegenüberliegenden Straßenseite nahm er eine Gruppe von Schülern wahr. Guck dir das doch an!, dachte er. Von sieben Kindern schon vier Kanaken! Es wird immer besser! Und wer macht den meisten Lärm? Schon wieder die Kanaken! Als der Schlüssel in der Haustür sperrte, glaubte er, seine Wut nicht mehr beherrschen zu können. Nur das unerwartete Auftauchen einer Nachbarin hielt ihn davon ab, den Schlüssel im Schloss abzubrechen. „Morgen, Herr Gerber. Ist die Nachtschicht mal wieder überstanden?"

„Ja ja, gottseidank", murmelte er und hatte es plötzlich eilig, in seine Wohnung zu kommen.

„Ziehen Sie eigentlich aus?", rief ihm die Frau hinterher.

„Wie kommen Sie denn darauf?"

Seit über 15 Jahren wohnten sie nun hier. Früher hatten sie vorgehabt, ein Haus zu bauen, aber daraus war nie etwas geworden. Vor allem weil er nicht gewollt hatte, dass Elke weiterhin arbeitete.

„Du brauchst nicht arbeiten zu gehen. Ich verdiene genug."

„Darum geht es doch nicht. Ich möchte arbeiten."

„Meine Frau hat das nicht nötig. Du hast dich um den Jungen zu kümmern."

Vor ein paar Tagen war er 45 geworden. Für ihn hatte es nie einen anderen Berufswunsch gegeben als die Polizei. Nach der Mittleren Reife hatte er ein Jahr lang den Grundlehrgang mitgemacht, und diese Zeit hatte ihm nicht gefallen. Das theoretische Geschwätz über Gott und die Welt ging ihm prinzipiell auf die Nerven, und um ein Haar hätte er damals die Ausbildung abgebrochen. Aber die anschließende fachpraktische Zeit auf dem Revier im Essener Norden hatte seinen Vorstellungen dann schon genau entsprochen und ihn auch den abschließenden Anstellungslehrgang überstehen lassen.

Heute war die Ausbildung bei der Polizei doch nur noch ein Witz. Die saßen bloß noch in der Schule, und was sie da lernten, konnten sie für die Praxis gleich vergessen. Sesselfurzer waren die, die sich die Hände nicht mehr dreckig machen wollten. Dafür wollten sie aber immer weiter zur Schule gehen, um höher zu kommen. Mittlerweile konnte man in NRW überhaupt nur noch erst mit 18 Jahren zur Polizei gehen und musste dann ein Fachhochschulstudium absolvieren, um anschließend als Kommissar den langgedienten Kollegen vor die Nase gesetzt zu werden.

Westermann war auch so ein Typ. Eigentlich ganz nett, aber auch schon verdorben. Auch der hatte noch auf der alten Polizeischule als einer der letzten Jahrgänge seine Ausbildung gemacht, aber im Herbst wollte er auf der Fachhochschule in Dortmund studieren. Für den normalen Polizeidienst war er sich zu fein, der Herr, und musste natürlich auch weitermachen!

Früher waren sie noch eine echte Gemeinschaft gewesen, und kein Hahn hatte nach Schulbildung und solchem Firlefanz gefragt. Heute hatten die Rotärsche fast alle Abitur, und nur deshalb kamen sie weiter. Kollegen, die jahrelang ihre Haut zu Markte getragen hatten, wurden nicht mehr befördert und mussten sich plötzlich von den jungen Stenzen auch noch herumkommandieren lassen. Da stimmte doch was nicht! Und wenn sie es fertigbringen sollten, ihm nach Westermann ein Weibsbild auf seinen Streifenwagen zu setzen, dann war für ihn endgültig Schluss bei der Polizei.

Auch er hatte natürlich keine Chancen mehr, weiter nach oben zu kommen. Nach dem Tamtam der letzten Wochen ohnehin nicht mehr. Polizeihauptmeister war er geworden, und das würde er bis zu seiner Pensionierung auch bleiben. Das war der Dank dafür, dachte er wütend, dass er sich oft genug im Dienst den Arsch aufgerissen hatte. Aber so etwas zählte heutzutage ja ohnehin nicht mehr.

Als er die Wohnungstür aufgeschlossen und voller Wut zur Seite gestoßen hatte, traf ihn augenblicklich der Schlag. Die Wohnung sah aus wie ein Schlachtfeld. Ein Großteil der Möbel war verschwunden. Er lief durch alle Zimmer, und von Sekunden zu Sekunde steigerte sich seine Wut. Das Wohnzimmer war nur noch ein Torso, das Kinderzimmer völlig leer, die Küche sah aus wie ein ausgeschlachtetes Schwein. Nur sein eigenes Zimmer war nicht angerührt worden, und auch im Schlafzimmer schien auf den ersten Blick nichts zu fehlen.

Er hatte es doch befürchtet! Warum hatte er nicht das Schloss auswechseln lassen? Elke hatte es tatsächlich fertiggebracht, während seines Nachtdienstes die Bude leer zu räumen! Aber das war nicht das Schlimmste. Was ihn am meisten aufbrachte war, dass sie es nicht alleine getan haben konnte. Wenn sie einen neuen Macker haben sollte, würde er den Kerl kaltlächelnd umlegen.

Seit Elke weg war, hatte sie nur noch aus unverschämten Schreiben eines Rechtsanwalts aus Essen bestanden. Zuerst hatte er geglaubt, sie sei zu ihren Eltern nach Herne gezogen, hatte deren Wohnung stundenlang beobachtet und schließlich eingesehen, dass sie dort nicht war. Wo sie war, das wusste er nicht, und bis gerade hatte er sich noch einreden können, dass ihn das auch nicht im geringsten interessiere. Er stellte die Tragetasche mit den Bierflaschen in die Küche. Erst als ihm klar wurde, dass er sich hier kein Frühstück mehr machen, sich nicht mal mehr irgendwohin setzen konnte, nahm er die Tasche, ging in sein Zimmer und knallte die Tür zu.

Nach der dritten Flasche Bier glaubte er, sich etwas beruhigt zu haben. Es war einfach nicht zu fassen! Da lief einem die eigene Frau so mir nichts dir nichts weg und räumte einem in einer Nacht- und Nebelaktion auch noch die ganze Bude leer. Mit der Bierflasche in der Hand lief er durch die Wohnung, als komme es nun darauf an, den gemeldeten Schaden genau zu bestimmen. Und je länger die Liste in seinem Kopf wurde, um so fassungsloser wurde er. Diese Dinge gehörten doch ihm! Er hatte schließlich das Geld nach Hause gebracht.

Auf dem Teppichboden des Kinderzimmers war deutlich zu sehen, wo das Bett des Jungen gestanden hatte. Dort war der Boden sauber, während der Rest schmuddelig aussah. Er spürte, wie die Wut wieder in ihm hochstieg. Der Junge hatte einfach nichts getaugt und eine harte Hand gebraucht. Und indirekt hatte er dem eigenen Sohn den peinlichen Auftritt bei seinem Dienstgruppenleiter zu verdanken.

„Sag mal Schorsch, da ist noch was. Deine Frau hat uns erzählt, dass du im Rausch euren Jungen halbtot geschlagen hast."

„So ein Quatsch! Halbtot geschlagen! Der Bengel ist im Augenblick in einer schlimmen Phase und braucht ab und zu was um die Ohren."

„Sie hat gesagt, du hast ihn mit einem Ledergürtel blutig geschlagen."

„Unsinn! Ich habe ihm den Hintern versohlt, weil das mal wieder fällig war."

„Pass auf, Schorsch. Ich will davon nichts mehr hören. Du meldest dich bei deinem SAP und siehst zu, dass du wieder in Ordnung kommst."

„Mensch, Werner, was soll ich denn bei dem? Die ganze Sache ...."

„Ich habe dir gesagt, ich will davon nichts mehr hören. Du unternimmst jetzt sofort bestimmte Schritte, oder aber du trägst die Konsequenzen. Wir können uns so etwas hier nicht erlauben."

Erneut wollte er einen tiefen Schluck aus der Flasche nehmen, als er feststellte, dass sie bereits leer war. Mit voller Wucht warf er die Flasche gegen die Wand, wo sie in tausend Stücke zersprang.

Es war doch alles ganz anders gewesen, ganz anders. Was hatte er denn mit irgendwelchen Statistiken zu tun, aus denen angeblich hervorging, dass Kindesmisshandlung in Polizistenfamilien übermäßig häufig vorkam?

An dem Samstagabend hatte er sich das Sportstudio angesehen, und schon den ganzen Abend hatte Elke ihn genervt, wo denn der Junge nur bleibe. Angeblich war er bei der Geburtstagsfeier eines Schulfreundes und sollte spätestens um neun Uhr zu Hause sein. Ralf war erst um kurz nach halb elf nach Hause gekommen.

„Wo kommst du jetzt her?"

„Von Mehmet. Der hatte heute Geburtstag." Alleine schon die leise und unsichere Stimme des Jungen hatte ihn auf die Palme gebracht. Diese schlappe Leisetreterei hatte ihn sei eh und je an dem Jungen angeekelt.

„Sprich lauter, wenn du mit mir redest! Wo warst du?"

„Bei Mehmet."

„Ach! Mein Sohn treibt sich jetzt schon bei Kanaken rum!"

„Ach, halt doch den Mund! Du hast doch gar keine Ahnung!"

Und so etwas musste man sich von einem 14Jährigen nicht sagen lassen. Er hatte Ralf windelweich gehauen, und dessen weibisches Gewinsel hatte ihn in immer größere Wut versetzt. Mit dem Ledergürtel hatte er ihn auf den entblößten Rücken geschlagen, und weil der Junge plötzlich laut geschrieen hatte, hatte er dessen Gesicht mit dem Knie aufs Bett gedrückt und weiter geschlagen. Er hatte nicht mehr aufhören können, weil es so ekelhaft ausgesehen hatte, wie das schlaffe weiße Fleisch unter den Schlägen aufgeplatzt war und die saubere Bettwäsche mit Blut beschmiert hatte. Wahrscheinlich hätte er die Memme wirklich totgeschlagen, wenn es Elke letztlich nicht doch noch gelungen wäre, ins Zimmer zu kommen.

„Ich hatte dir doch gesagt, es ist aus, wenn du den Jungen noch einmal anrührst." Er hatte anschließend wieder das Sportstudio gesehen, und am nächsten Morgen waren die beiden verschwunden gewesen.

Er ging zurück in sein Zimmer und ließ sich in den Sessel fallen. Es war erst kurz vor elf, als auch die letzte Flasche Bier leergetrunken war. Er nahm sich vor, gleich überall in der Wohnung nach den Flaschen zu suchen, die immer im Wohnzimmerschrank gestanden hatten. Aber wahrscheinlich hatte Elke aus lauter Bosheit auch diese Flaschen mitgenommen. Oder schlimmer noch: sie hatte sie in der Toilette ausgeschüttet, um ihn zu ärgern. Irgendwann schlief er ein.

Als er erwachte, schien die Sonne schräg in sein Zimmer. Erschrocken sah er auf seine Uhr. Es war kurz nach vier.

Er hatte geträumt und fand das erstaunlich. Seit er soff wie ein Loch, träumte er kaum noch. Oder vielleicht träumte er doch, vergaß aber alle Träume. Wahrscheinlich verbrauchte er zuviel Energie, um sein Saufen vor anderen zu verbergen. Nicht dass er sich als Beamter sonderlich anstrengte, sein Laster vor Kollegen verborgen zu halten; aber eine Menge Energie kostete es doch.

In seinem Traum war er auf dem Grundstück des Penners gewesen, der sie heute nacht gerufen hatte. Auf der Weide hinter dem Bauwagen hatten Hunderte kleiner weißer Pferde gestanden, und als er gekommen war, hatten sie sich ängstlich immer weiter in eine Ecke des riesigen Areals zurückgezogen. Mitten auf der Weide hatte Elke auf einem Stuhl gesessen und immer wieder gerufen: Lass sie in Frieden! Wenn du sie auch nur anrührst, ist es aus! Ihn hatte ihr Gezeter nur angespornt, regelrecht geil gemacht, er hatte eines der Tiere gepackt und sich auf dessen Rücken geschwungen. Er war erschrocken und enttäuscht darüber gewesen, dass das Tier plötzlich gar nicht mehr da zu sein schien, nur noch schemenhaft wie eine Wolke unter ihm zu sehen war, während seine Füße in einem riesigen Haufen Pferdemist steckten. Erst als er wütend hinter sich schlug, um das Tier anzutreiben, spürte er dessen Rücken plötzlich unter sich, wurde von ihm fortgetragen. Je schneller das Tier lief, um so rücksichtsloser stieß er ihm die Füße in die Seiten. In immer enger werdenden Kreisen bewegte er sich um Elke, die von ihrem Stuhl aufgesprungen war und ihn mit entsetzten Blicken verfolgte. Als er die Frau fast erreicht hatte, zog er den Kopf des Tieres so stark zwischen seine Schenkel, dass es sich noch einmal aufbäumte und dann zu Boden stürzte. Als es dort lag, war es plötzlich das Tier, das sie heute nacht gesehen hatten. Elke schrie völlig hysterisch, und vom Rand der Weide kam Westermann angelaufen. Er war in Uniform, und als er sie beide erreicht und einen Blick auf das Tier geworfen hatte, wandte er sich ab und musste sich übergeben.

Trotz seiner fürchterlichen Kopfschmerzen lachte er plötzlich los. Westermann hatte heute Nacht gekotzt wie ein Reiher. Zweimal noch. Ein Kerl wie ein Baum, und dann haute ihn der Anblick eines toten Tieres um! Westermann war insgeheim ein Schlappschwanz, eine Wurst! Der Schwarm aller Schwiegermütter zwar, weil er jung war, gut aussah und das Leben und seine Karriere noch vor sich hatte. Aber vom wirklichen Leben hatte er keine Ahnung, weil er Angst davor hatte, sich die Finger dreckig zu machen.

In diesem Augenblick schellte es.

Noch als er sich irritiert fragte, ob es tatsächlich geschellt hatte, klingelte es noch einmal. Er sah in den Spiegel des Badezimmers, fand, dass er betrunken aussah, und nahm sich vor, die Tür nicht zu öffnen. Als es mehrfach hintereinander schellte, lief er zur Wohnungstür und betätigte den Türsummer. Dann hörte er, wie jemand zügig die Stufen im Treppenhaus nach oben kam. Als er durch den Spion Doris’ Gesicht erblickte, atmete er erleichtert auf und öffnete die Tür.

„Was willst du denn hier?"

„Wir hatten uns doch verabredet." Die Frau sah ihn einen Augenblick lang an, und er wandte sich ab. Ihr Blick hatte ihn wütend gemacht. Du hast also schon wieder getrunken, hatte dieser Blick gesagt.

„Komm schon rein! Oder willst du da Wurzeln schlagen?"

„Was ist denn hier los?", fragte die Frau erstaunt, als sie die Wohnung betreten hatte.

„Was ist denn hier los? Was ist denn hier los?", äffte Gerber sie wütend nach. „Du siehst doch, was hier los ist. Die blöde Kuh hat mir heute Nacht die Bude leer geräumt."

Die Frau ging langsam durch den Korridor und sah durch die geöffneten Türen in die einzelnen Zimmer. „Das darf doch nicht wahr sein!", meinte sie schließlich, und als sie in das Kinderzimmer sehen wollte, zog Gerber ihr die Tür vor der Nase zu.

„Es ist aber wahr! Ich habe dir doch gesagt, dass die Alte ein hinterhältiges Luder ist. Und wenn du dich hier nützlich machen willst, kannst du eben zur Bude gehen. Ich habe nichts mehr zu trinken im Haus. Hat das Weibsbild auch alles mitgehen lassen."

Wieder sah die Frau ihn an, und Gerber glaubte, seine Wut nicht länger beherrschen zu können. Er konnte diese vorwurfsvollen Kuhaugen nicht mehr sehen. „Meinst du denn, dass das etwas ändert, Georg?"

„Erzähl doch jetzt keine Opern!", rief er außer sich. Er lief in sein Zimmer, stopfte die leeren Flaschen in die Plastiktüte und drückte sie der Frau in die Hand. „Also mach schon!" Er drängte sie zur Wohnungstür.

„Wenn du meinst", resignierte die Frau.

„Ja, meine ich." Er schlug die Tür hinter ihr zu.

Doris hatte er vor zwei Wochen kennengelernt. In einer Kneipe.

Nichts war mit der, gar nichts. Von Anfang an nicht. Als seinen neuen Fickschlitten hatte er sie Westermann gegenüber einmal bezeichnet, und nicht mal das war sie. Sie war schließlich schon 40 und hatte ihn nur genervt. Hatte sich bei ihm ins gemachte Bett legen wollen. Vor vier Jahren hatte ihr Kerl sie verlassen und war seit der Zeit unauffindbar; mit irgendwelchen Unterhaltszahlungen lief also gar nichts. Für ein paar Monate hatte sie dann in einer Wäscherei arbeiten können, anschließend war sie arbeitslos und tablettensüchtig geworden. Seit drei Jahren war sie jetzt schon arbeitslos und lebte von der Sozialhilfe. Vor ein paar Wochen hatte das Arbeitsamt sie in irgendeinen blödsinnigen Kurs gesteckt, und anscheinend konnte sie von gar nichts anderem erzählen als von diesem Kurs.

„Ich hätte selber nicht gedacht, dass einem diese Sache weiterhilft. Aber es ist wirklich ganz wichtig, mal wieder aus dem Haus raus zu kommen, einfach unter Menschen zu sein."

„Blödsinn ist das doch alles! Beschäftigungstherapie für faule Schweine, die sich auf Kosten der Steuerzahler ein paar schöne Wochen machen."

„Wie kannst du denn so etwas sagen! Du solltest mal die Leute kennen lernen."

Das hatte gerade noch gefehlt! Mit diesen Elementen würde er ganz anders umspringen! Denen durfte man doch nicht auch noch Zucker in den Arsch blasen!

Wenn sie heute noch einmal von diesem Kurs anfing, würde er ihr eins vor die Mappe hauen. Er lief in die Küche, weil er Hunger hatte, und dann war ihm wieder klar, dass es in dieser Küche nichts mehr zu essen gab. Schon ein paar Mal hatte er ihr eins vor die Mappe hauen wollen, weil ihn ihr unterwürfiges Getue maßlos anekelte. Er lief in sein Zimmer zurück und warf sich voller Wut auf den Sessel. Und weil sie permanent versuchte, ihm mit ihren treu-doofen Kuhaugen ein schlechtes Gewissen einzuflößen. Wo blieb diese Schlampe denn! Mussten die das Bier erst noch machen?

Als er schon glaubte, die bohrenden Kopfschmerzen keine Sekunde länger mehr ertragen zu können, hörte er, wie die Wohnungstür geöffnet wurde. Wenig später stand Doris vor ihm und sah ihn fast erwartungsvoll an.

„Mein Gott! Kommst du auch noch mal wieder?“

Die Frau hob resigniert die Schultern, stellte die Plastiktüte mit dem Bier auf den Boden und zog den Mantel aus.

„Nu mach schon! Oder soll ich hier verdursten?“

Widerwillig nahm die Frau eine Flasche aus der Tragetasche und reichte sie Gerber.

„Warum guckst du so dämlich aus der Wäsche?

„Wie soll das denn weitergehen, Georg?“

Er konnte es schon nicht ausstehen, wenn jemand ihn Georg nannte. Seine Freunde nannten ihn Schorsch, and alle anderen sollten ihn am besten überhaupt nicht anreden. „Wie soll was weitergehen?“, schrie er los. „Was redest du da eigentlich für einen Quatsch?“

Als wolle sie einen letzten Versuch unternehmen, ging die Frau auf Gerber zu, hockte sich vor ihn auf den Boden und sah ihn an. „Du musst aufhören zu saufen, Georg, sonst wird das nichts mit uns.“

„Was soll denn aus uns werden?“, rief Gerber und lachte höhnisch. Er nahm noch einen tiefen Schluck aus der Flasche.

„Wir könnten es doch so gut haben, ich meine jetzt, wo .....“

„Was meinst du? Du meinst wohl, jetzt, wo Elke weg ist, kannst du dich bei mir ins gemachte Nest setzen! Aber da täuscht du dich! Glaubst du vielleicht, ich habe irgendwelche Absichten mit so einer abgetakelten Schlampe! Noch dazu tablettensüchtig! Du spinnst doch wohl!“

Das war zuviel gewesen. Die Frau presste sich gegen ihn, als wollte sie ihn nötigenfalls mit Gewalt daran hindern weiterzureden und begann plötzlich haltlos zu weinen. „Warum bist du nur so gemein?“

Gerber nahm die Wärme des anderen Körpers zwischen seinen Oberschenkeln wahr. „Du taugst doch nicht mal mehr zum Vögeln.“

Die Frau wollte sich zurückziehen, und dann hatte Gerber seine rechte Faust in ihr Haar gekrallt und hielt sie fest. „Oder vielleicht doch? Wir können es ja mal probieren.“

Als die Frau nun in Gerbers Gesicht sah, bekam sie plötzlich eine panische Angst. „Lass mich los! Du tust mir weh!“

Gerber packte noch fester zu und zog den sich wehrenden Kopf der Frau gegen seinen Körper. Ihre nun ganz offensichtliche Angst steigerte seine Raserei. „Los, hol ihn raus und zeig mal, was du kannst!“

„Lass mich los, oder ich rufe um Hilfe!“

„Du sollst ihn rausholen, oder ich schlage dir den Schädel ein!“, schrie Gerber außer sich und zog mit der linken Hand den Reißverschluss seiner Jeans nach unten.

Mit letzter Anstrengung konnte sich die Frau aus Gerbers Griff befreien und stürzte nach hinten auf den Boden. Augenblicklich saß Gerber rittlings über ihr.

Sie würde nun versuchen zu schreien, das war klar. Also packte er mit beiden Händen ihren Hals und drückte mit den Daumen zu, so fest er konnte. Er schloss die Augen, weil ihn das Gesicht auf dem Boden zusehends anekelte, und er ließ erst los, als der zuckende Körper unter ihm aufgehört hatte sich zu wehren.

Der Pferdestricker

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