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»Willkommen zurück bei unserer Sendungsserie ›Countdown zur Wahl‹! Jeden Tag liefern wir Ihnen, liebe Zuhörer, einen Einblick in ein aktuelles Thema zu den bevorstehenden Neuwahlen des Bundestags. Heute haben wir ein hoch spannendes Interview für Sie zum Thema ›Die manipulierte Wahl‹, das wir gestern für Sie aufgezeichnet haben. Mit unserem Kollegen Arno Stange diskutierten der Politologe Professor Manfred Fender und der Parteivorsitzende und Kanzlerkandidat der Partei ›Neue bürgerliche Mitte‹, Jan Berger.«

Das Interview vom Vortag. Berger drosselte die Geschwindigkeit seines Porsche und drehte das Volumen ein wenig auf. Dabei wäre es wahrscheinlich besser, das Radio einfach auszuschalten. Er hatte sich bereits den gesamten gestrigen Tag darüber geärgert, wie man versucht hatte, ihn vorzuführen.

»Herr Professor Fender, Herr Berger, schön, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Seit der Corona-Krise vor fünf Jahren kommt dieses Land nicht mehr zur Ruhe. Zuletzt hat sich der Bundestag kurz nach der Wahl aufgrund von Streitigkeiten der Koalitionspartner wieder aufgelöst. In zwei Wochen sind Neuwahlen – Wahlen in nicht ganz einfachen Zeiten. Das zeigen auch die Umfragen. Fast fünfzig Prozent aller Wähler geben an, noch nicht zu wissen, wen sie wählen wollen. Unser heutiges Thema dazu: Wahlmanipulation. Wir haben es bereits in anderen Ländern erlebt und jetzt auch bei uns: Fremde Staaten mischen sich über die Wahlen in unsere Politik ein, indem sie unter anderem versuchen, über die sozialen Medien und gezielt gestreute Fake-News Parteien zu unterstützen, die ihren Interessen am dienlichsten sind. Derzeit werden die behaupteten Unterschlagungsvorwürfe diskutiert, die dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten seinen Posten und seine politische Karriere kosteten, die sich dann jedoch als falsch herausstellten. Daher die provokante Frage an Herrn Professor Fender: Leben wir überhaupt noch in einer Demokratie, in der das Volk seine Führung wählt, oder sind wir alle nur noch Puppen an fremdgesteuerten Schnüren?«

»Guten Tag zunächst einmal. Und nein, Ihre Frage ist überhaupt nicht provokant. Eine funktionierende Demokratie setzt voraus, dass sich die Wähler frei entscheiden können. Das Grundgesetz garantiert deshalb die freien Wahlen. Ein manipulierter Wähler ist eindeutig kein freier Wähler.«

»Womit wir beim Problem wären. Die sozialen Medien machen es möglich. Und das wissen wir nicht erst seit gestern. Vor vielen Jahren gab es bereits die Einmischung von Russland in die Wahlen der USA. Weniger bekannt sind die politischen Manipulationen vieler Dritte-Welt-Staaten durch große Industrienationen. Und jetzt sind wir dran?«

»Na ja. Lassen Sie uns fair bleiben: Wahlbeeinflussungen gibt es, seitdem es Wahlen gibt. Viel diskutiert wurden im letzten Jahrhundert sogenannte Hirtensprüche. Das waren Wahlempfehlungen des lokalen Geistlichen. Und in Italien hat man sich über die Mafia immer wieder Stimmen gekauft.«

»Also alles nichts Neues, sagen Sie?«

»Das habe ich nicht gesagt. Ich wollte nur klarstellen, dass es Wahlbeeinflussung schon immer gegeben hat. Was in diesem Ausmaß allerdings wirklich neu ist, ist die manipulative Beeinflussung von außen, also durch andere Staaten, vor allem auch durch Fake-News und manipulierte Inhalte in den sozialen Medien.«

»Also doch! Wie können wir uns dagegen schützen?«

»Eine schwierige Frage, auf die ich Ihnen leider keine befriedigende Antwort geben kann. Das Problem ist, dass man die Beeinflussungsmöglichkeiten, die uns das digitale Zeitalter bietet, zu lange nicht ernst genug genommen hat. Die systematische Hetze über das Netz, oft mit perfider technischer Hilfe von Bots aus dem In- und Ausland, ist eine große Gefahr. Hätte man schon vor Jahren mit gesetzlichen und technischen Anpassungen experimentiert, dann wären wir hier sicherlich weiter.«

»Vielleicht genau der Punkt, um zu Ihnen zu kommen, Herr Berger. Selten hat es eine Partei in so kurzer Zeit geschafft, so viele Stimmen zu vereinen. In der ersten Bundestagswahl nach der Corona-Krise schoss Ihre Partei von null auf fünfzehn Prozent. Den neuesten Umfragen zufolge wäre jetzt mit viel Glück sogar eine absolute Mehrheit im Parlament möglich. Doch Ihre reißerische Wahlkampfkampagne in den sozialen Medien steht in der Kritik. Zulässige Wahlwerbung oder schon Manipulation?«

»Guten Tag auch von meiner Seite. Und ich muss sofort klarstellen: Unsere Kampagne zu verdächtigen, manipulativ zu sein, ist natürlich an den Haaren herbeigezogen. Wir kommunizieren einfach, knapp und gut verständlich. Das ist keine Manipulation, sondern unsere Fähigkeit, die Sprache der Bürger zu sprechen, anstatt sie von oben herab mit leeren oder unverständlichen Floskeln abzuspeisen.«

Jetzt, wo er das Interview noch einmal hörte, ärgerte sich Berger über den Vorwurf fast noch mehr. Warum wurde ihre Kommunikationsstrategie immer wieder angefeindet? Die Medien arbeiteten größtenteils ganz ähnlich. Denn wie hatte noch der Philosoph Karl Popper gesagt: »Was man nicht versteht, ist nicht.« Nicht erst seit heute musste man auf dem Niveau von Castingshows kommunizieren, um die Massen zu begeistern. »Sorry, deine Stimme ist scheiße. Aber du siehst geil aus. Und deine Story hat mich echt berührt. Daher willkommen im Recall.« Dass das die anderen Parteien nur sehr begrenzt begriffen hatten, war nicht sein Problem.

Zudem verdankten sie ihren Erfolg nicht allein ihrer Kommunikationsstrategie. Sie waren schlicht und einfach die einzige Partei, die mit einem Programm aufwarten konnte, das für den in Deutschland dringend notwendigen Wandel stand. Von der Wirtschaft wurden sie für ihre liberalen Standpunkte und Vorschläge zur Deregulierung immer nur gelobt. Die Idee, Europa in einen Norden und einen Süden zu zerschlagen, kam ebenfalls gut an, genauso wie auch ihre fundamentale Kritik an der Politik des offenen Geldhahns; Geld, das größtenteils in den korrupten Süden von Europa floss und dort in den durstigen Kehlen von Politikern und Lobbyisten versickerte.

»Es wird Ihnen vorgeworfen, dass Sie sehr populistisch unterwegs sind und es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Auch der Vorschlag einer sogenannten Kanzlerdemokratie wird sehr kritisch gesehen. Diesbezüglich wurden Sie in letzter Zeit sogar als ›moderner Möchtegerndiktator‹ bezeichnet.«

»Zunächst zum Punkt, dass wir es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen: Ich weiß, dass sich die Medien hier gerne die alleinige Deutungshoheit zuschreiben. Aber nicht mit uns. Und zum ›Möchtegerndiktator‹ – ich möchte Sie doch bitten, solche Vergleiche in Zukunft zu unterlassen. Eine Kanzlerdemokratie, wie wir sie fordern, ist keine Diktatur. Sie ist schlicht und einfach eine Weiterentwicklung unseres derzeitigen demokratischen Systems. Letztlich ist sie nichts anderes als eine Umsetzung von Führungsprinzipien, nach denen Demokratie schon in vielen Ländern gelebt wird.«

»Auch wenn wir jetzt ein wenig vom Thema abkommen, möchte ich doch kurz darauf eingehen. Sie wollen demokratische Gremien außer Kraft setzen, die gerichtliche Überprüfbarkeit von staatlichen Entscheidungen reduzieren und viele Mitspracherechte des Parlaments einschränken. Sie wollen insbesondere auch ein erweitertes Durchgriffsrecht des Kanzlers nicht nur im Kriegsfall. Das mag so manch einen von uns an ein sehr dunkles Kapitel in der deutschen Geschichte erinnern.«

»Jetzt hören Sie doch bitte mit diesen Vergleichen auf! Sie machen sich ja lächerlich! Lassen Sie uns einfach bei den Fakten bleiben. Demokratische Prozesse sind gut und richtig. Ich liebe Diskussionen. Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, da müssen Entscheidungen gefällt und konsequent umgesetzt werden. Wenn ein Virus die Welt im Griff hat, dann ist das plötzlich möglich. Das haben wir aus der Corona-Krise gelernt. Doch anschließend sind alle Parteien – außer uns – wieder in ihren Dornröschenschlaf gefallen. Es kann nicht sein, dass wir den durch moderne Technologien geschaffenen Fortschritt, vor allem auch bezüglich einer schnelleren Umsetzbarkeit von Dingen, durch unsere politischen Prozesse immer wieder auf ein mittelalterliches Niveau zurücksetzen. Vor allem können wir uns das im internationalen Umfeld nicht mehr leisten. Ich möchte hier nicht wieder die vielen Beispiele bemühen, wie viele Autobahnen, Bahnhöfe, Krankenhäuser und Flughäfen die Chinesen bauen, während wir gerade den nächsten Gerichtsprozess abwarten oder über den Brandschutz diskutieren. Lassen Sie uns ehrlich sein: Europa ist vergleichbar mit dem Römischen Reich. Selbst träumenden Nostalgikern muss klar sein, wo das alles endet: Wir werden von China überrannt. Und über unsere Arbeits- und Lebensbedingungen werden dann andere entscheiden. Wenn Ihnen das lieber ist – keiner zwingt Sie, mich zu wählen. Aber ich und meine Partei werden das niemals akzeptieren.«

»Aber Herr Berger …«

»Ich bin Demokrat, aus vollem Herzen. Ich liebe unser Land, unsere Werte. Waren die Kanzler und Politiker vor mir, die mit harter Hand regiert und dadurch einiges erreicht haben, Nazis oder Diktatoren? Natürlich nicht. Und was haben die Parteien erreicht, die versucht haben, politische Probleme basisdemokratisch mit Tausenden von Abstimmungsrunden und Diskussionen zu lösen? Manche von ihnen gibt es nicht mal mehr!«

»Demokratie braucht manchmal Zeit. Glauben Sie nicht, dass man die ein oder andere Diskussion benötigt, um sich einem Thema anzunähern?«

»Diskussion? Ja! Endlose Debatten? Ein entschiedenes Nein! Und wissen Sie, warum? Weil das, worauf man sich dann einigt, nicht mehr aktuell ist. Die Zeiten haben sich geändert. Wir sitzen nicht mehr auf einer Kutsche, sondern im Überschallflieger. ›Fail fast‹ heißt es in der Wirtschaft. Und das bedeutet, lieber schnell eine falsche Entscheidung treffen und aus ihr lernen als langsam eine richtige, die dann für den Markt nicht mehr relevant ist. Ich bin für eine Fehlerkultur in den Behörden, nicht eine Kultur, deren Hauptanliegen es ist, ja nicht den eigenen Beamtenstatus zu gefährden. Und wie ich schon sagte: Ich liebe Deutschland. Und ich glaube, wir können auf dieser Welt einiges bewirken … wenn wir wollen.«

Berger schaltete das Radio aus. Den Rest dieses höchst tendenziösen Interviews, in dem fast nur noch dieser alberne Professor zu Wort gekommen war, würde er sich nicht erneut antun. Zudem hatte er das Anwesen der Coppenfelds fast erreicht. Hinter ein paar Bäumen sah man es bereits durchblitzen, das kleine Schloss seines Studienfreundes. Nur noch die Kiesauffahrt, dann wäre er da.

Homo Lupus

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