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Zwei Tage vor der Wahl

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Abgesehen von der abwaschbaren Gummimatratze gab es in der Zelle nichts, was man hätte zerstören können. Das Bett war gemauert und wie der gesamte restliche Raum weiß gekachelt. In einer Ecke hatte man eine Toilette ohne Klobrille und ein kleines Waschbecken, alles aus Stahl, angebracht. Es roch säuerlich, im besten Fall nach einem stark essighaltigen Reinigungsmittel – im schlechtesten nach dem Erbrochenen irgendeines armen Teufels, den sie hier zuvor untergebracht hatten.

Er hörte, wie sie die Tür hinter ihm zuschlossen. Immer noch fassungslos darüber, was gerade passiert war, brauchte er einen Moment, um sich zu sortieren. Dann drehte er sich um und hämmerte gegen die Stahltür.

»Ich will einen Anwalt sprechen!«

Keine Reaktion.

Er versuchte es erneut, dieses Mal deutlich lauter: »Ich will verdammt noch mal mit einem Anwalt sprechen!«

Wieder keine Reaktion, obwohl sie ihn hörten, da war er sich sicher.

Er blickte nach oben, zur Decke. Das grelle, sirrende Licht der Leuchtstoffröhren machte ihn wahnsinnig. Und dieser Geruch!

Dann trat er zu. Das dumpfe Geräusch von Gummisohlen, die auf Metall trafen.

»Hallo! Einen Anwalt! Sofort!«

Er trommelte mit der Faust gegen die Tür und stieß die übelsten Beschimpfungen aus, obwohl er wusste, dass das alles nichts brachte. Diese Schweine. Es würde keinen Anwalt geben.

Frustriert ließ er sich gegen die kalten Fliesen fallen. Eine unglaubliche Müdigkeit brach über ihn herein. Die letzten 48 Stunden waren die Hölle gewesen. Doch daran lag es nicht. Er liebte die Hölle – war wie für sie geschaffen. Was ihn so kraftlos machte, war das Gefühl, eine Partie verloren zu haben, ohne die Chance auf Revanche – denn die würden sie ihm sicherlich nicht geben.

Langsam ließ er sich zu Boden gleiten. Dann kämpfte er sich auf allen vieren zum Bett. Dort legte er sich auf den Rücken und schloss die Augen.

Er fragte sich, ob sie Bondroit auch schon in ihrer Gewalt hatten. Oder vertrauten sie darauf, dass sie ihren Mund hielt? Denn darum ging es ihnen doch?

Er musste an ihre erste Begegnung denken, damals, sechs Jahre war es her. Aufgrund ihrer aufbrausenden Art hatte er sie für ein unsicheres, verstocktes Frauchen gehalten, das man nicht wirklich ernst nehmen musste. Er hatte sich getäuscht. Bondroit war blitzgescheit. Und sie hatte etwas, was man immer seltener fand: einen unbestechlichen Glauben an die Gerechtigkeit und den Mut, dafür zu kämpfen. Wer sie herausforderte, musste damit rechnen, dass er in ihr ungeahnte Energien freisetzte. Zudem hatte sie jetzt als Mutter noch etwas dazugewonnen, um das es sich zu kämpfen lohnte – einen Sohn. »Unterschätzen Sie nie die Bindungskräfte einer Familie«, hatte sie ihn gelehrt, und die Kampfbereitschaft einer Mutter, wenn es um ihre Kinder geht.

Er hingegen, obwohl gerade erst fünfzig Jahre alt, hatte das Gefühl, sein Leben gelebt zu haben. Alles, was jetzt noch kam, waren Erniedrigungen im Job, zunehmende Fettleibigkeit, Magengeschwüre und Erektionsprobleme. Zudem gab es wenige Menschen, die ihn vermissen würden, da machte er sich keine Illusionen.

Er ballte die Faust und schlug mit aller Kraft gegen die Wand. Verdammt! Wie hatte er sich nur so blenden lassen können. Blut rann an seinen Knöcheln herab. Der Geruch von Eisen.

Wenn sie Bondroit etwas antaten … Er hätte sie nie in den Fall reinziehen dürfen.

Erneut schlug er zu, und jetzt spürte er auch den Schmerz, der ihm von der Hand bis in den Arm schoss.

»Gott, ich hasse dich! Ich hasse dich so sehr, als würde ich wirklich an dich glauben.«


Homo Lupus

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