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»Jungs!« Coppenfeld holte so tief Luft, dass die Knöpfe seiner Weste spannten. Er trug einen seiner Glencheck-Anzüge, darunter ein weißes Hemd mit goldenen Manschettenknöpfen, auf denen das Familienwappen der von Coppenfelds eingraviert war. »Es gibt da etwas Unschönes, von dem ich euch berichten muss.«

Sie waren beim Hauptgang, einem Rehbraten mit diversen Beilagen, angelangt. Frederick von Coppenfeld – oder Coppi, wie sie ihren Freund gerne nannten – hatte sie, wie jedes Jahr an diesem Tag, zur Wildschweinjagd auf sein Schloss in Oberfranken eingeladen. Traditionell ging der Jagd ein üppiges Essen voraus. Es war ein lieb gewonnenes Ritual, mit dem sie ihre lange Freundschaft feierten, mit dem sich aber vor allem auch Coppenfeld für seine Kochkünste feiern ließ. Kochen war seit ein paar Jahren seine neue Religion und der Herd der Altar, auf dem er die erlesensten Jagd- und Importprodukte opferte. Wollte man es sich mit ihm nicht verscherzen, hielt man mit Kritik bezüglich seiner Kochkünste lieber hinterm Berg.

Scheidung, war der erste Gedanke, der Berger bei Coppenfelds Worten durch den Kopf schoss. Warum sonst diese theatralische Ankündigung? Die Ehe zwischen Coppenfeld und seiner Frau glich, soweit Berger wusste, schon seit Jahren nur noch einer Arbeitsgemeinschaft, die vergessen hatte, an welchem Projekt sie arbeitete. Oder vielleicht war das Projekt, das im Wesentlichen dem Ziel der Reproduktion zur Fortführung der Familienlinie sowie der Aggregation von Vermögen galt, auch einfach nur abgeschlossen.

»Ich setze auf eure absolute Vertraulichkeit.« Coppenfeld sah bedeutungsschwanger in die Runde.

Oder vielleicht eine schwere Krankheit?, überlegte Berger. Denn auch wenn es zwischen Coppenfeld und seiner Frau nicht mehr ganz rundlief, sie beide gehörten immerhin zum alten deutschen Adel, und der Adel ließ sich nicht einfach scheiden. Schließlich bedeutete eine Scheidung Vernichtung von Kapital, ein Umstand, den das Proletariat nicht zu scheuen schien, wenn es ihn überhaupt durchschaute, der dem entromantisierten Adel jedoch zutiefst zuwider war. Bevor man sich scheiden ließ, einigte man sich lieber auf außereheliche Experimente.

Coppenfeld atmete erneut tief durch. Er war derjenige gewesen, der nach dem Studium am längsten gebraucht hatte, eine gute Anstellung zu finden. Dank der hervorragenden politischen Kontakte seines Vaters, der ein hohes Tier im Innenministerium gewesen war, hatte er am Ende aber natürlich doch noch Karriere gemacht. Er hatte mehrere hohe Ämter in verschiedenen Ministerien durchlaufen und in unterschiedlichen Projektgruppen des Bundesinnenministeriums mitgearbeitet. Vor drei Jahren schließlich kam die Krönung: die Ernennung zum Präsidenten des Verfassungsschutzes.

»Es wird einen Anschlag geben«, verkündete Coppenfeld mit einem Gesichtsausdruck, als würde morgen die Welt untergehen. Trotz der hohen Vertraulichkeit seines Amtes ließ sich Coppenfeld immer wieder – und das sogar sehr gerne – dazu verleiten, aus dem Nähkästchen zu plaudern.

»O Gott!« Berger spielte den Erschrockenen. In der Regel berichtete Coppenfeld über die schmutzigen Hintergründe von Rücktritten von wichtigen Politikern oder Managern. Das hatte immer einen gewissen Unterhaltungswert. Aber ein Anschlag? Es gab ständig Anschläge. Wenn er nicht gerade ihm oder einem Atomkraftwerk galt, war es keine Nachricht, um die man so ein Aufsehen machen musste.

Berger sah zu Sebastian Saum. Im Gegensatz zu Coppenfeld, der in den letzten Jahren stark an Gewicht zugelegt hatte und an dessen roten Wangen man seinen hohen Blutdruck erkennen konnte, sah Saum immer noch ausgesprochen gut aus. Obwohl ebenfalls fast fünfzig, schien er kaum gealtert zu sein. Seine vollen, braunen Haare hatte er mithilfe von Gel oder Wachs wild durcheinandergewühlt. Das stand ihm erschreckend gut und verlieh seinem Gesicht etwas zusätzlich Jugendliches. Die enge, graue Chino saß perfekt, und auch das schwarze Hemd wölbte sich nicht an den kritischen Stellen. Er wirkte irgendwie … – Berger suchte nach dem richtigen Wort – … energetisch und … potent. Ja, potent, das war das Wort, nach dem er gesucht hatte, ein Attribut, das er anderen Männern nur ungern gönnte.

Saum hatte es vor allem mit Fleiß und Ellenbogen geschafft, sich in der weltweiten Top-Liga der Hedgefonds-Manager zu etablieren – einer neuen Generation von Investmentbankern, die es nicht nur mit Mehrheiten, sondern vor allem über psychologischen Druck auf das oberste Management und auf Regierungen schaffte, ihre Interessen durchzusetzen. Er hatte in der Corona-Krise ein goldenes Händchen bewiesen. Seitdem mischte er ganz oben mit, auch wenn es andere Manager gegeben hatte, die noch mehr »abgesahnt« hatten. Sein Jahresverdienst lag bei schlappen 1,7 Milliarden Euro. Auch ihn schien Coppenfelds Ankündigung nicht vom Hocker zu reißen.

Der Vierte im Bunde, Paul Wittkowski, wirkte hingegen ein wenig betroffen. Er sah neben dem dynamischen Saum wie ein ausgemusterter Buchhalter aus, dessen Dynamik sich auf die PS seines Autos beschränkte. Wegen des leicht schiefen Mundes hatten sie ihm früher immer eine Hasenscharte nachgesagt, die er aber gar nicht hatte. Vorsichtig ausgedrückt: Es gab Menschen mit einem einnehmenderen Äußeren. Auch ihn hatte Berger an der London School of Economics kennengelernt. Er war damals schon ein brillanter Computernerd und Mathematiker gewesen, weitaus fähiger als viele seiner Kommilitonen, und hatte Coppenfeld aus der Patsche geholfen. Jetzt arbeitete er für eine der größten deutschen Banken als Quant und erstellte Modelle, von denen Risikoabschätzungen und Investitionsentscheidungen abhingen. Er betonte häufig, das Zünglein an der Waage zu sein, was Berger jedoch für eher fraglich hielt.

»Drei Tage vor der Wahl!«, ergänzte Coppenfeld mit aufgerissenen Augen.

»Bitte?« Berger verschluckte sich am Wein. Das war natürlich direkt eine ganz andere Sache. Seine Gedanken galten sofort den möglichen Auswirkungen für ihn und seine Partei, der auch Wittkowski und Saum angehörten. Coppenfeld war auf Anraten seines Vaters offiziell parteilos geblieben, stand ihnen jedoch sehr nahe. »Geht es ein wenig konkreter?«, fragte Berger. »Wer? Wo? Und warum so kurz vor der Wahl? Zufall?«

»Ausgeführt werden soll der Anschlag von einem der großen Araber-Clans in Berlin.« Coppenfeld schob sich sein letztes Stück Fleisch in den Mund. »Dem Aziz-Clan. Gesteuert oder zumindest unterstützt wird das aber vermutlich alles von den Saudis. Es geht um die Ermordung von Journalisten, die sich kritisch gegenüber den Saudis und Clanleuten geäußert haben. Drei Tage vor der Wahl findet eine internationale Journalistenkonferenz in Berlin statt. Vier der Teilnehmer haben von dem Clan bereits Morddrohungen erhalten. Da scheint es ein paar offene Rechnungen zu geben.«

Verrückte Muslime, die einen Anschlag verübten? Bergers Gedanken waren direkt wieder bei der Wahl. Das Thema seiner Partei im Wahlkampf war eigentlich nicht das elende, spaltende Thema »Ausländer raus! Grenzen zu!« gewesen. Dafür stand die »Partei der Heimatverbundenen«, der ein solcher Anschlag kurz vor der Wahl zweifelsohne in die Karten spielen würde. Sie war mit ihren rhetorischen Grenzüberschreitungen, billigen Hetzereien und einfachen Schuldzuweisungen einige Jahre lang bei einer bestimmten Wählerklientel nicht unerfolgreich gewesen. Zum Glück für die anderen Parteien hatte sie jedoch seit gut einem Jahr ein Plateau erreicht, von dem es nicht mehr aufwärtsging. Ein Anschlag allerdings würde dieser Partei neuen Aufwind geben, und das, wie die Vergangenheit immer wieder zeigte, auch aus der unzufriedenen Mitte der Gesellschaft. Bei seinen Wählern.

»So ein Mist«, murmelte Berger.

»Kann man wohl sagen«, pflichtete ihm Coppenfeld bei. »Wir alle wissen, wer von so einem Anschlag profitieren würde.«

»Ganz genau.« Jetzt, wo er gedanklich die Stimmenverteilung durchspielte, verging Berger auch noch der Rest seiner guten Laune. »Laut aktueller Umfragen sind fünfzig Prozent aller Wähler noch unentschlossen. Die werden sich dann spontan aufgrund der Ereignisse der letzten Tage vor der Wahl entscheiden. Weiter zurück können die meisten von denen eh nicht denken. Ein größerer Anschlag von einem muslimischen Clan! Da würde selbst ich mir überlegen, die PdH zu wählen.«

»Ich nehme an, die Beweislage ist zu dünn, um diese Clanmenschen präventiv einzubuchten?«, fragte Saum.

»Exakt«, gab ihm Coppenfeld recht. »Auch erste Vernehmungen haben nichts ergeben. Zudem reden wir hier über den Aziz-Clan. Das sind mehr als hundert Leute. Schneid einen Kopf ab, und es wachsen zwei neue nach.«

Es wurde wieder still am Tisch. Jeder schien nachzudenken.

Was für eine verdammte Scheiße! Berger betrachtete das letzte Stück Rehbraten auf seinem Teller. Neben der guten Laune war ihm nun auch der Appetit vergangen. Er hatte einen glänzenden Wahlkampf hingelegt. Und jetzt das! Der Wahlkampf war ein Marathon, das zeigte sich immer wieder. Wer anfangs zu schnell loslief, der schaffte es kaum bis zur Ziellinie. Gut war der beraten, der am Ende noch genug Reserven oder ein Ass im Ärmel hatte, um seine Widersacher auf den letzten Kilometern zu überholen. Doch dieses Ass spielte das Schicksal gerade der PdH zu.

»Wie wäre es, wenn wir der PdH einfach ein paar Slogans klauen und uns auch gegen Ausländer positionieren?«, schlug Wittkowski vor.

»Bullshit!«, raunzte Saum. Er schien nicht mal darüber nachdenken zu wollen. »Wir bleiben bei unseren Themen: Mehr freie Marktwirtschaft. Weniger Sozialstaat. Agilität. Abbau von Verwaltung. Mehr Macht für den Kanzler.«

»Moment!« Wittkowski wirkte beleidigt. »Was spricht denn gegen ein paar Statements gegen die Zuwanderung? Nach so einem Anschlag werden die Wähler unsere wirtschaftspolitischen Vorschläge nicht die Bohne interessieren. Warum sie nicht da packen, wo wir sie kriegen?«

»Witti!« Saum rollte mit den Augen. »Denk doch mal nach, bevor du sprichst. Ausländerraus-Parolen? Damit wir unser Programm verwässern und zwei Wochen vor der Wahl am Ende noch einen innerparteilichen Streit auslösen? Totaler Bullshit!«

Wittkowski duckte sich, als hätte ihm Saum nicht nur verbal eine Ohrfeige verpasst. Berger wusste, dass ihm Kritik von Saum besonderes zusetzte. Von Anfang an war es Wittkowski gewesen, der Saum am meisten bewundert hatte – dessen selbstbewusstes Auftreten, die lockere Art, mit der er mit Frauen umging, die Fähigkeit, schnell Entscheidungen zu fällen.

»Ich meine ja nur.«

»Und er hat nicht unrecht«, sprang ihm Berger zur Seite, den es ein wenig ärgerte, wie schnell Saum Wittkowskis Vorschlag unter den Tisch kehren wollte.

»Guys!« Saum erhob beide Arme wie ein Priester, der seine Gemeinde segnete. »Keep calm, keep cool! Es gibt Dinge, die kann man nicht ändern. Ein Anschlag auf ein paar von der Lügenpresse – so what? Wichtig ist jetzt nur eins: dass wir der Welt zeigen, dass wir die einzige Partei sind, die einen schnellen Umbau von Deutschland hinbekommt, bevor uns die Tataren und Hunnen aus dem Osten komplett überrennen. Vertraut mir.«

»Ich weiß nicht …« Berger war alles andere als überzeugt. »Wir sind so nah dran. Und wir haben diesen Wissensvorsprung. Sollten wir den nicht zu unseren Gunsten nutzen?«

Saum wandte sich an Coppenfeld. »Sag mal! Bekommt ihr das denn nicht mehr unter Kontrolle?« In seiner Frage schwang mit, was er vom Verfassungsschutz hielt. Genau genommen gar nichts. Er hatte Coppenfeld mal vorgeworfen, dass der Verfassungsschutz über das wirkliche Ausmaß von Verbrechen so viel wusste wie ein Arzt, der versuchte mit einem Zungenspatel Magenkrebs zu diagnostizieren.

»Wir sind dran, keine Frage. Mit absolutem Hochdruck. Das Problem ist nur …« Coppenfeld tupfte sich mit einer Serviette seine speckigen Lippen sauber, »… dass präventive Eingriffe in unserem Rechtsstaat nur bedingt zulässig sind. Ihr kennt das Problem. Ohne Beweise sind sogar mir die Hände gebunden. Zudem rennt uns die Zeit davon.« Ob wirklich frustriert über seine beschränkten Möglichkeiten oder nur um vor ihnen zu betonen, was für ein »harter Hund« er doch eigentlich war, schlug Coppenfeld mit der Faust energisch auf den Tisch.

»Macht sie nervös. Gebt ihnen das Gefühl, dass ihr sie auf Schritt und Tritt beobachtet. Dann geben sie ihre Pläne schon auf«, schlug Saum vor.

»Ach!« Coppenfelds Miene versteifte sich. Sein Gesicht wurde eine Nuance dunkelroter, und sein Hals schwoll an. »Für wie doof hältst du uns eigentlich?«

»Alles gut, mein Lieber.« Saum klopfte seinem Freund auf die Schulter. Dann wandte er sich zufrieden an Berger. »Siehst du. Coppi ist dran. Mach dir keinen Kopf. Jetzt die Strategie zu wechseln wäre der falsche Schritt. Trust me. Never change a winning horse! Du musst auch an die negativen Folgen denken. Sollte es am Ende doch keinen Anschlag geben, dann haben wir es uns unnötig mit bestimmten Wählern verdorben. Das mit der Kanzlerdemokratie ist sowieso schon eine Gratwanderung.«

Saum hatte nicht unrecht. Trotzdem verstand Berger nicht, wie er so gelassen bleiben konnte. Obwohl Saum die Partei mitgegründet hatte, hatte Berger zunehmend das Gefühl, dass er das Interesse an der Politik verlor. Saums Spielfeld waren nur noch die internationalen Finanzmärkte.

»Alles wird gut!« Saum legte sein Besteck zur Seite. »Trust daddy.« Er hob sein Weinglas. »So Jungs. Und jetzt bitte wieder gute Laune. And no dilly-dally. Wir wollen schließlich heute noch ein paar Wildschweine erlegen!«

»Stimmt.« Wittkowski war der Erste, der Saum lachend zuprostete. Auch für ihn schien das Problem gelöst. So war es schon immer gewesen: Wenn Saum entschied, dass alles gut werden würde, dann wurde es gut. Er war ein charismatischer Gewinnertyp, den man – trotz eines gewissen Neides – bewunderte und dem man zutraute, das Ruder in die richtige Richtung zu reißen. Nur kannte er sich dieses Mal leider nicht mit dem Schiff aus, das er segeln wollte. Und der Steuermann hieß eigentlich Berger.

Homo Lupus

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