Читать книгу Ludowingerblut - Thomas L. Viernau - Страница 10

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Cogitationes Nocturnae


Sentio senex et infirmi sed audacibus adune flav in saeculum dictandi mihi fabula verum ut scribis mihi annalium mihi sermo in temporibus supresse.

Filius predicti Comitis Hennebergensis

Vera tandem genere terreno illius qui Thuringis comitati

Cantor et Crucesignatis

OvB

Nachtgedanken

Ich fühle mich alt und schwach, dennoch reichen meine Kräfte noch, meine Geschichte zu diktieren.

Möge mein Chronist die Wahrheit schreiben, mein Wort soll die Zeiten überdauern.

Der Sohn der Grafen von Henneberg

Letzter wirklicher Nachkomme der Landgrafen von Thüringen

Sänger und Kreuzfahrer

OvB

Caput Primum

Frühsommer, Anno Domini 1235

Kloster Königsbreitungen,

Grafschaft Henneberg im Thüringerland

karbvnkel ist ain stain genant,

von dem saget man, vvwie lieht er schine,

der ist min – vnd ist das vvwol bevvwant:

zu loche lit er in dem rine.

der kvnig also den wvvaisen hat,

das ime den niemand schinen lat.

wmir schinet dirre als ime tvt der:

behalten ist min vrovvwe als er.

Karfunkel wird ein Stein genannt,

von dem man sagt, er scheine sehr hell,

er ist mein – und das ist wohl bewandt‘,

im Rhein liegt er im tiefen Loch*.

Der König hat den »Waisen«**,

der niemandem besser scheint.

Mir scheint dieser schöner als jener ihm:

Nur meiner Frau wird er vorbehalten sein.

*Untiefe bei Lochheim im Rhein

** Name des größten Edelsteins in der Kaiserkrone

Otto von Botenlauben, Codex Manesse , um 1300, Übersetzung aus dem Mittelhochdeutschen aus »Deutsche Gedichte des Mittelalters«, ausgewählt und übersetzt und erläutert von Ulrich Müller und Gerlinde Weiss, 1993

Die Vögel waren verstummt, nur das Summen der Insekten konnte man hören, legte man sich denn auf den Boden. Die Wiesen rings um das Kloster waren grün und saftig. Es roch gut. Der Tag ging, der Abend kam.

Unter einer großen Eiche lag ein alter Mann. Silbergrau sein Haar, silbergrau sein Bart. Er war in kostbares Tuch gekleidet, Indigo, edles Blau. Eine Farbe, die nur wenigen zustand. Sie galt als kostbar und rar. Neben ihm lag ein großer Hund, eher an einen Wolf erinnernd. Er bewachte den Schlaf seines Herrn. Ein Reisender wohl.

Reisende gab es wenige, selten waren sie allein unterwegs. Die Wege galten als unsicher und gefährlich. Überall lauerte das Böse. In der Grafschaft Henneberg sorgten zwar die Lanzenreiter des Grafen für Ordnung, aber überall konnten sie in dem dünnbesiedelten Land nicht sein.

Eine Abordnung aus dem Kloster, bestehend aus dem Klostervorsteher, einem Abt, und drei Mönchen, allesamt im typischen Habit der Benediktiner, schwarzen Kutten mit einer spitzen Kapuze, für das Auge eines Weltlichen eher abweisend wirkend, näherte sich dem Ruhenden.

Langsam bewegten sich die vier dunklen Schatten auf den Fremden zu. Die Schatten wirkten wie Boten aus einer anderen Welt in der sommerlichen Idylle.

Sie näherten sich dem Schlafenden vorsichtig, aber der Abt erkannte sofort seinen Vetter.

Es war ein Henneberger!

Er gab ein paar kurze Anweisungen, seine Mönche entfernten sich schattengleich ohne Geräusch.

Der schlafende Reisende bemerkte die Schwarzgewandeten erst spät. Seine Reflexe waren jedoch intakt. Mit der rechten Hand hatte er sein Schwert bereits umfasst, bereit es sofort zu ziehen. Auch er erkannte den dunklen Mann, der vor ihm stand. Lächelnd stand er auf, klopfte sich die Grashalme ab, deutete eine Verneigung an. Ja, es war sein Vetter, ein Henneberger.

Beide lachten jetzt, lagen sich in den Armen. Lange hatten sie einander nicht mehr gesehen.

»Was führt dich zu uns? «

»Ein trauriges Ereignis. Ein Bote brachte vor einer Woche die Nachricht. Meine Schwägerin Jutta liegt im Sterben.«

»Jutta? Jutta, die Ludowingerin?«

»Ja, du kennst sie?«

Der Schwarzgewandtete nickte. Natürlich kannte er sie. Sie war die Landesherrin. Nicht nur, dass sie die Frau des herrschenden Grafen Poppo VII. war, sie gehörte der Familie der Thüringer Landgrafen an, war die Tante des noch jungen Landgrafen Hermann II. und die ältere Schwester von Heinrich Raspe, dem Vormund Hermanns. Heinrich Raspe regierte die Landgrafschaft bis sein Neffe volljährig wurde.

Jutta war damit eine der einflussreichsten Frauen des Landes und galt als Schönheit, trotz ihres Alters. Böse Zungen jedoch verleumdeten sie als eine hässliche und streitsüchtige Hexe.

Sie war die älteste Tochter des umtriebigen und charismatischen Landgrafen Hermann I., das einzige Kind, das er mit seiner ersten Frau Sophia von Sommerschenburg, einer anhaltinischen Prinzessin, hatte.

Auf Hermann I. bezogen sich viele seiner Gefolgsleute, wenn es darum ging, Thüringen groß und mächtig zu sehen. Er hatte ein kühles Herz und starke Nerven. Intrigierte, opponierte, kämpfte mit Schwert und Verstand, wenn es darum ging, die Landgrafschaft Thüringen zu einem wichtigen und immer stärker werdenden Teil des immer noch instabilen Kaiserreichs zu machen. Hermann wechselte dabei die Seiten wie andere ihre Kleider. Mal hielt er es mit den Staufern, mal mit den Welfen, ganz so wie es ihm ins Zeug passte.

Seine Untertanen jedoch verfluchten ihn als einen vom Teufel besessenen, bösartigen Räuber und Tyrannen, der wegen seiner ständigen Kriegszüge und Fehden ihnen das letzte bisschen Hab und Gut stahl.

Der junge Hermann, ein kränkliches Bürschchen, wurde dominiert von seinen beiden Oheimen Heinrich Raspe und Konrad Raspe sowie der Witwe Hermanns, Sophie von Bayern. Er war nur ein Schatten seines Großvaters. Anstelle auf der mächtigen Wartburg zu residieren, zog er es vor, in der kleineren Creuzburg, etwas weiter westlich an der Werra gelegen, Hof zu halten.

Ja, wenn sein Vater Ludwig noch leben würde!

Aber Ludwig IV., genannt der Heilige, musste ja auf Kreuzfahrt in den Orient!

Was wollte er nur da?

Er starb, bevor er überhaupt ankam, kurz nachdem die Schiffe den Hafen von Otranto in Oberitalien verlassen hatten. Man mutmaßte, die Pest habe sich im Lager der Kreuzfahrer ausgebreitet, selbst der Kaiser soll dabei gestorben sein.

Heinrich Raspe intrigierte ebenfalls, so erzählte man. Es wurde gemunkelt, er würde gegen die Witwe seines Bruders, Elisabeth von Ungarn, Ränke schmieden. Er hielt auch alle anderen direkten Nachkommen Hermanns I. fern vom Hofe.

Irmgard, die jüngere Schwester Juttas, war mit einem Askanier verheiratet worden und residierte weit weg von Thüringen im Norden, Hedwig, die dritte Schwester, wurde mit dem streitsüchtigen Grafen Albrecht von Orlamünde verheiratet.

Die Jüngste, Agnes war, nachdem sie unglücklich mit einem unkultivierten und grausamen Babenberger liiert war, mit dem sächsischen Herzog Albrecht verheiratet worden und der jüngste Sohn, Konrad Raspe, wollte Hochmeister der Kreuzritter - dem Ritterorden der heiligen Jungfrau Maria - werden, dem wohl einflussreichsten Ritterorden im Kaiserreich. Der Kreuzritterorden wurde zwar in Jerusalem gegründet, aber ihm gehörten vor allem Thüringer und fränkische Ritter an.

Der Reisende wusste um die Malaise der Ludowinger. Er hatte selber eine gewisse Zeit auf der Wartburg zugebracht, das intrigante Spiel Hermanns mitverfolgt und sich seinen Reim auf die diplomatischen und kriegerischen Verwicklungen gemacht.

Seine Schwägerin Jutta mochte er. Sie war eine kluge Frau. Als sie seinen Bruder, den Schleusinger Grafen Poppo VII. von Henneberg, heiratete, war sie bereits Witwe, ihre neununddreißig Jahre sah man ihr bei ihrer Hochzeit nicht an. Poppo war ebenfalls verwitwet. Seine junge Frau, Elisabeth von Wildberg, starb mit gerade einmal dreißig Jahren im Kindbett. Sechs Kinder hatte sie ihm bis dahin geschenkt.

Fünf Kinder brachte Jutta mit in die Ehe! Und zu guter Letzt bekam sie mit ihrem neuen Ehemann noch einmal drei Kinder, darunter auch einen Sohn, wieder einen Hermann, in Erinnerung an den umtriebigen Großvater.

Der alte Mann war damals bei der Hochzeit dabei, brachte seine schöne Frau, Beatrix de Courtenay, die Segneurin von Joscelin, mit. Alle staunten. Eine vornehme französische Dame, reich und elegant.

Er war zwar nur der viertgeborene Sohn des Henneberger Grafen, hatte seine älteren Geschwister jedoch dank seines Engagements im Heiligen Land in den Schatten gestellt.

Sein Vetter, der Abt Godehard, wusste um seine aufregende Vita. Er wunderte sich, dass Otto, so der Name des alten Mannes im blauen Tuch, allein reiste. Doch der lächelte nur müde. Genug habe er erlebt, genug Leid und Tod gesehen. Er reise meist allein, da errege er am wenigsten Aufsehen.

Ob er über Nacht bleiben könne?

Bis Slusungen (alter Name für Schleusingen) wäre es für einen Tagesmarsch zu weit.

Godehard freute sich auf den unerwarteten Besuch

Capitulum Secundum

Frühsommer, Anno Domini 1235

Kloster Königsbreitungen,

Grafschaft Henneberg im Thüringerland


Otto, Graf von Henneberg-Botenlauben, war aufgewacht. Der Abend bei seinem Vetter, Abt Godehard, war lang geworden. In dessen Cellarium waren einige edle Tropfen versammelt, die es galt zu verkosten. Reichhaltiges aus der klostereigenen Meierei vervollständigte das üppige Mahl. Es gab köstliche Käse, kalten Hirschbraten, frische Waldbeeren und Met, dazu Honignaschereien und Sahne.

Otto hatte Godehard ein Säckchen mit Gewürzen aus dem Orient übergeben, der andächtig an den exotischen Körnchen schnupperte. So etwas sah man hier nur sehr selten. Einzig auf der Wartburg solle es noch ähnliche Spezereien geben.

Wo er denn die feinen Krümel her habe?

Otto winkte ab. Auf den Märkten des Orients würden Waren angeboten, davon könne man sich hierzulande keine Vorstellung machen.

Godehard nickte andächtig. Sein Vetter Otto war viele Jahre als Kreuzfahrer im Heiligen Land, hatte dort eine glückliche Hand bei all seinen Unternehmungen bewiesen.

Als armer Ritter war er losgezogen, einer von vielen im Gefolge des Stauferkaisers Heinrich VI., war mit ihm durch die welschen Lande südlich der Alpen gezogen, war dabei, als der englische König Richard »Lionheart« Plantagenet gefangengenommen wurde, nahm schließlich an der Eroberung des Normannenkönigreichs Sizilien teil, als die Ritter Heinrichs VI. den noch unmündigen Normannenkönig Guillaume III. überwältigten, hatte sich daraufhin dem dritten Kreuzzug zusammen mit dem damaligen Thüringer Landgrafen, Ludwig III., angeschlossen und wie durch ein Wunder alles überlebt.

Der Ludowinger jedoch überlebte den Kreuzzug nicht. Bei der Rückreise starb er auf der Insel Cyprus, geschwächt durch eine langwierige, unbekannte Krankheit, die kein Medicus lindern konnte.

Otto heiratete im Heiligen Land eine reiche französische Grafentochter, deren Besitz wohl mehr wert war als die ganzen Reichtümer Thüringens, so wurde gemunkelt.

Vor fünfunddreißig Jahren kam er als gemachter Mann zurück. Seine Burg zu Botenlauben, unweit der kleinen Siedlung Villa Cissingen ließ er prächtig ausbauen, nannte sich alsdann auch nur noch Graf Otto von Botenlauben. Er konnte es sich leisten auf den Zusatz »Henneberg« zu verzichten. Seine Burg hatte Otto vor einem Jahr an den Kreuzritterorden für einen stattlichen Betrag abgegeben. Er lebte mit seiner Frau in dem von ihm neu gegründeten Kloster zu Frauenroth. Auch seine Söhne hatten sich aus der weltlichen Sphäre zurückgezogen. Das geistliche Leben bekam ihm. Er hatte genügend Zeit, seine Gedanken zu sammeln und über sein Leben nachzudenken.

Godehard war auf den Namenszusatz angewiesen. Ohne Verweis auf die edlen Herren von Henneberg war nichts zu bewerkstelligen. Sein Kloster, eine Gründung der Benediktiner, die vor über hundert Jahren begannen, systematisch die Gegend zu missionieren, war ein eher unbedeutendes Gemäuer. Einzig die gute Lage im fruchtbaren Werratal prädestinierte Breitungen zu mehr Glanz und Gloria.

Etwas weiter südlich gab es das große Prämonstratenserkloster Vessera, das von den Henneberger Grafen zu Slusungen gegründet worden war und eindeutig bevorzugt wurde.

Er seufzte, dafür waren seine Herkunft und sein Stand nicht edel genug. Er stammte nur aus einer verarmten Seitenlinie der Henneberger, die im meranischen Coburg ein eher bodenständiges Leben fristete.

Otto wollte weiter. Slusungen war in einem Tagesritt zu erreichen. Sein Pferd hatte er bereits satteln lassen, der Wolfshund sprang aufgeregt herum. Er solle nur der Werra folgen. Bis Kloster Vessera, ab da sei es nur noch ein kurzes Stück bis Slusungen. Die große, neue Burg sei schon von weitem zu erkennen.

Ja, natürlich, Otto wusste, dass die Henneberger Grafen ihren neuen Stammsitz prächtig ausgebaut hatten. Slusungen war der ideale Ort, um schnell in alle Winkel und Ecken der Grafschaft zu gelangen. Die Gegend war nicht ganz so unwirtlich wie die Höhenzüge des Thüringer Waldes, die kaum besiedelt waren. Es gab fruchtbares Weideland, genügend Wasser und Slusungen war gut vernetzt mit den Handelswegen, die vom Süden kommend bis hinauf an die Küste führten.

Die vieltürmige Burg war klar und deutlich am Horizont zu sehen. Die Henneberger Grafen hatten sich neben den Ludowingern zur wichtigsten und bedeutendsten Herrschaft im südlichen Thüringerland gemausert. Ihre neu errichtete Burg zeigte das ganz stolz.

Beim Näherkommen sah Otto, dass die Burg in Trauer war. Aus allen Fenstern wurden schwarze Banner gerollt. Er kam zu spät. Jutta von Thüringen, Gräfin von Henneberg, war bereits tot.

Capitulum Tertium

Frühsommer, Anno Domini 1235

Castrum Novum, Civitas Slusungen,

Grafschaft Henneberg im Thüringerland

Aus der Ferne sah das Castrum Novum schon beeindruckend aus. Erst vor drei Jahren beendete Graf Poppo VII. den Bau seiner neuen Burg.

Sieben Jahre hatte er dafür gebraucht!

Und in was für einem unglaublichen Tempo erbaute er diesen Prachtbau!

Die Vorgängerburg, eher ein schlichtes Gemäuer, die sein Großvater, Graf Berthold einst erbauen ließ, war nicht mehr wiederzuerkennen. Ein imposantes Bauwerk thronte auf einem Hügel und beherrschte die Auenlandschaft im Süden der Stadt. Otto war überwältigt von dem Anblick. Kein Vergleich zu seiner eigenen Burg Botenlauben. Nun, sein Bruder hatte genügend Leute, die er großzügig entlohnte, außerdem unzählige Leibeigene, die er von seinen Raubzügen mitgebracht hatte.

Slusungen war zwar ein befestigter Marktflecken gewesen, aber als Residenz eines Grafen doch etwas zu klein. Poppo steckte viel Mühe in die Civitas, die seine neue Burg umgab, siedelte Kaufleute an und gewährte vielen Untertanen freies Land, um die Burg und die Civitas mit allem Lebensnotwendigem zu versorgen.

Graefin Jutta

Vvon Thueringen

Erst nachdem Otto aus dem Orient zurückgekommen war, konnte auch er es sich leisten, die bis dato kümmerliche Steinbehausung oberhalb der kleinen Villa Cissingen zu einer wirklichen Burg umzubauen. Ein Großteil seines Vermögens war in den Umbau geflossen.

Die Henneberger Grafen zu Slusungen waren stets auf ihre Ausnahmestellung bedacht gewesen. Sie mischten ganz oben mit, waren Berater des Königs, gingen am Hofe des Landgrafen auf der Wartburg ein und aus und hatten ein riesiges Gebiet zu einer wirklich großen Grafschaft zusammengefügt.

Jutta von Thüringen, die Tochter des Landgrafen Herrmann I., war das Bindeglied, das die Henneberger eng an die thüringischen Landgrafen band. Was würde nun passieren?

Hermann I. war ein umtriebiger Mann. Er taktierte und opponierte ganz so, wie es ihm gefiel. Sein Sohn, Ludwig IV., hatte ebenso ehrgeizige Pläne wie sein Vater. Er hatte es auch auf die östlichen Ländereien abgesehen, kam damit aber den Wettinern in die Quere. Seine Stiefschwester Jutta verbat sich dessen Einmischung in die Interessen der Wettiner, es kam sogar zu ein paar kleineren Scharmützeln. Ludwigs Ritter mussten sich zurückziehen. Jutta hatte ihn geerdet und an seine ureigenen Interessen erinnert. Otto musste lächeln, wenn er daran dachte.

Das Ludowingerblut war merklich kühler als das zu heißen Attacken neigende Hennebergerblut. Es floss ja auch in ihm.

Sein Bruder, ebenso wie er selbst, inzwischen vollkommen ergraut und mit einem silbernen Bart als Zeichen seiner Grafenwürde verziert, begrüßte ihn am Totenbett. Jutta lag aufgebahrt, bleich, aber dennoch makellos schön.

»Woran ist sie gestorben?« Poppo zuckte mit den Schultern.

Graf Poppo

von Henneberg-Slusungen

»Sie fühlte sich seit Tagen siech. Hatte bereits die alte Kräuterhexe holen lassen und den Medicus, doch beide konnten ihr nicht wirklich helfen. Sie konnte nichts mehr essen, trank nur noch Wasser. Nach acht Tagen war sie hin.«

Otto wusste, wie sehr sein Bruder an ihr gehangen hatte. Es war ein schwerer Schlag, der aus heiterem Himmel gekommen war. Innerlich pries er seinen Schöpfer, dass seine Frau noch gesund und munter wie ein Fisch im Wasser war. Er wüsste sonst nicht, was er machen sollte.

Otto umarmte seinen Bruder fest. In gebührendem Abstand zum Totenbett hatten sich die Nachkommen der beiden aufgestellt. Jutta brachte fünf Kinder mit in die Ehe, Poppo hatte deren sechs, und die drei kleinsten waren gemeinsame Nachkömmlinge. Der älteste der drei war ein freundlich blickendes Bürschchen namens Hermann, benannt zur Erinnerung an seinen Großvater, den großen Landgrafen.

Ob Otto noch seine Laute habe?

Natürlich, er war bekannt im Thüringerland für seine hohe Kunst des Minnesangs. Eine Kunstform, die am Hofe des Landgrafen Hermann stets gefördert wurde und die auch an den Höfen der Henneberger Grafen ihren festen Platz hatte.

Ob er vielleicht in Erinnerung an Jutta ein paar seiner Weisen vortragen könne?

Otto nickte, ja, das wäre sicherlich eine gute Idee. Tief in seinem Gedächtnis hatte er die Verse versteckt. Schon lange hatte er sich nicht mehr damit befasst, aber zur Trauerfeier wolle er sie wieder hervorholen und zu den Klängen seiner Laute vortragen. Sein Bruder war zufrieden.

Otto von Botenlauben war nicht nur ein erfolgreicher Kreuzfahrer, er hatte sich auch etliche Meriten auf dem Gebiet des kunstvollen Gesanges zu Hofe erworben. Vor wenigen Dezennien wurden die Minnesänger, so nannte man die Dichter und Akteure dieser Zunft, am Hofe Hermanns I. gefeiert.

Es gab jährliche Wettbewerbe, zu denen alles strömte, was sich gut genug dünkte, seine Verse zum Besten zu geben.

Otto hatte sie alle erlebt. Allen voran den hünenhaften Wolfram von Eschenbach, der ohne Unterbrechung tausende Verse seines »Parzivals« vortrug, eine französischen Legende, die ein Barde namens Chrétien de Troyes ursprünglich erdacht hatte.



Uolfram

von Eschenbach

Wolfram ließ sich von einem gelehrten Mönch die Worte übersetzen und brachte sie alle in ein schönes Versmaß. Sein Vortrag war stets der Höhepunkt der Sängerfeste auf der Wartburg.

Ein ähnlich großer Sänger war der Ritter Hartmann von Aue, dessen »Iwein« jedes Mal den ganzen Festsaal zum Kochen brachte. Auch Hartmann war ein guter Turnierkämpfer, stammte wohl aus einem Ministerialengeschlecht im fernen Schwaben und deklamierte voller Leidenschaft seine Heldenverse, in denen edle Ritter um die Gunst schöner Frauen kämpften. Sich mit ihnen zu vergleichen wäre vermessen. Sie waren inzwischen ja auch schon lange tot. Wolfram war bereits vor fünfzehn Jahren gestorben, über Hartmanns Ende wusste man nicht so genau Bescheid. Es wurde gemutmaßt, er wäre im Zweikampf tödlich verletzt worden.

Otto war einer der wenigen Übriggebliebenen, der noch am Hofe Herrmanns I. auf der Wartburg zugegen war, als die großen Sänger ihre Lieder vortrugen.

Aber Otto gehörte auch zu der Fraktion von Sängern, die mit kleineren, poetischen Balladen speziell bei der Damenwelt für Freude sorgte.

Hier war der schmächtige, eher unscheinbare Walther von der Vogelweide ein Meister seines Fachs. Otto war sich nicht mal sicher, ob er von edlem Geblüt war – er hatte noch nie etwas von dem Geschlecht derer von der Vogelweide gehört. Irgendwo in der Ostmark sollte es wohl ein Lehen geben, das er sein eigen nannte.

Letztendlich war es ja auch egal, ob er nun einen großen Namen trug oder nicht, seine Verse waren jedenfalls ausgesprochen spitzzüngig und auch recht gewagt. Er bewunderte ihn für seinen Mut, diese Verse bei Hofe vorzutragen.

Am Abend holte Otto seine Laute hervor, ein Instrument, das er von einem welschen Händler in Sizilien erstanden hatte und dessen Klang ihn sofort in seinen Bann zog. Man musste nur leicht zupfen und schon breitete sich der Ton aus, schwoll an, erfüllte den Raum und brachte alle zum Verstummen.

Alles lauschte nun seinen Worten:

Singet, vogel, singet miner frouwvven,

der ich sanc: ich sanc umbe alle ir ere

und umbe ir werden

friundes lip, den beiden diente ich gerne:

ir so diene ich ane vvwanc.

Daz triuwvve ich wol ervvwenden, sit ich daz

Wvvunderschoene vvwip eins ritters und ir eren hat

Bewvvegen, ich pflac ir her, nu mueze ir got der

Riche pflegen und helfe im wvvol von hinnen:

Er hat ze lange hie geslagen.

*Singt, Vögel, singt für meine Dame,

für die ich gesungen habe.

Ich sang, um ihr Ansehen und

das Leben ihres edlen Geliebten zu bewahren.

Beiden habe ich bereitwillig und zuverlässig gedient.

Glaube nun, es aufgeben zu können,

da die wunderschöne Dame auf einen Ritter und ihr

Ansehen keine Rücksicht mehr nimmt.

Bisher habe ich sie beschützt,

nun möge Gott, der Allmächtige, sie beschützen

und ihm helfen, unbehelligt fort zu kommen.

Zu lange hat er hier geschlafen.

*Otto von Botenlauben, Codex Manesse , um 1300, Übersetzung aus dem Mittelhochdeutschen aus »Deutsche Gedichte des Mittelalters«, ausgewählt und übersetzt und erläutert von Ulrich Müller und Gerlinde Weiss, 1993

Der letzte schwebende Ton verklang, es herrschte Stille, alle waren von den Versen ergriffen. Der Geist Juttas, der Ludowingerin, schwebte noch einmal unter den Gästen, heraufbeschworen von Ottos magischen Klängen und Versen.

Ludowingerblut

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