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Intermezzo I

Freitag, 11. Juli 2008

»Zur Alten Dorfschmiede«, Rabenau


Ein lauer Sommerabend sorgte für gut besetzte Tische im Gasthof »Zur Alten Dorfschmiede«. Das Gasthaus war neu gebaut, erinnerte eher an einen Gasthof im Alpenland mit seinem weit vorspringenden Dachfirst, der großen Außenterrasse und den mit Geranien dekorierten Fensterbänken. Die namensgebende Schmiede war schon vor vielen Jahren abgetragen worden.

Jetzt waren von dem Wirtspaar ein modernes Restaurant und mehrere Fremdenzimmer in dem Neubau eingerichtet worden. Zur Gastwirtschaft gehörte auch noch eine eigene Landwirtschaft. Der Gastwirt betrieb Viehzucht, hatte eigene Hühner, die für frische Landeier sorgten und bewirtschaftete einen großen Gemüsegarten, der den Gasthof mit Wurzelwerk, Salat und Früchten versorgte. Seine Frau, eine begnadete Köchin, zauberte dann aus den saisonal verfügbaren Schätzen köstliche Gerichte, die bei den Gästen in hoher Gunst standen und für ein volles Haus sorgten.

Heute Abend saßen am großen Tisch auf der vorderen Veranda sieben einheimische Männer und Frauen. Obwohl, die Frauen waren in der Überzahl, fünf der sieben Gäste zählten zum schönen Geschlecht. Es waren allesamt kräftige Damen, ausgestattet mit kühnen Kurven, typische Thüringerinnen, die selbstbewusst und laut schnatternd und kichernd ihre Reize präsentierten.

Die beiden Männer, ebenfalls der eher gemütlichen Fraktion zugehörig, standen ihren Tischgenossinnen nicht nach. Vor ihnen standen große Halblitergläser mit kühlem Köstritzer Bier, auch kleine Likörgläser waren mit einer schwarzglänzenden Flüssigkeit gefüllt: es war der Hauslikör, ein fein duftender Kräutermix, der irgendwo in einem kleinen Rhöndorf südöstlich von Meiningen gebraut wurde.

Die sieben waren Schulkameraden, die es irgendwie geschafft hatten, ihre Freundschaft aus Kinder- und Jugendzeit in den Erwachsenenalltag zu retten. Nicht nur, dass sie regelmäßige Klassentreffen organisierten, sie waren dabei, wenn es darum ging, einander zu unterstützen und beizustehen, wenn einmal etwas schief gelaufen war.

Regelmäßig trafen sie sich in der »Alten Dorfschmiede«, waren inzwischen eine gern gesehene Truppe und hatten beim Wirtspaar längst den Status von Stammgästen, die man duzte und denen man auch einmal ein Gläschen spendierte.

Gerade waren die gut beladenen Teller mit Rostbrätel, glasigen Zwiebeln, Salat und Pommes Frites gebracht worden. Das Nationalgericht des Thüringer Waldes war eine große Kammfleischscheibe, die mariniert und mit viel gebratener Zwiebel in einer Pfanne scharf durchgebraten wurde. Jeder schwur auf seine spezielle Marinaden Mischung, weshalb es auch nicht das Rostbrätel gab, sondern eine Vielzahl raffiniert marinierter und gewürzter Variationen, die von Dorf zu Dorf recht verschieden waren. Auf alle Fälle gehörte das Rostbrätel der Dorfschmiede zu den Geheimtipps und wurde von allen Liebhabern dieser deftigen Fleischmahlzeit hoch geschätzt.

Die Diskussion am heutigen Abend hatte ihren Höhepunkt erreicht. Es ging um das immer gefährlicher werdende Alltagsleben. Uwe, einer der beiden Männer, dessen spärliches Haupthaar von einem flotten Sommerhütchen bedeckt wurde, berichtete, was sein Schwager aus dem benachbarten Steinbach-Hallenberg ihm brühwarm erzählt hatte.

Oben an der Hallenburgruine sei ein Toter gefunden worden. Ein Unbekannter wäre es wohl. Keiner würde ihn kennen und niemand wüsste wohl Bescheid, woran er gestorben sei. Es wurde sogar gesagt, jemand hätte ihn erschlagen, weil er so viel Geld bei sich gehabt haben sollte.

Gabi, eine freundlich blickende, barocke Schönheit, die bei der örtlichen Sparkasse arbeitete, winkte ab. Sie hatte dank ihrer exponierten Stellung stets das Ohr am Geschehen. Ihr wurde erzählt, dass der Tote wie ein Wintersportler angezogen sei, was im Hochsommer sehr seltsam wäre. Möglicherweise sei er beim Leistungssportzentrum in Oberhof angestellt gewesen, was seine unzeitgemäße Kleidung erklären würde. Und das er wahrscheinlich in der Johannisnacht umgebracht worden war.

Ihr Sohn habe bei einer Johannisfeuernacht in Steinbach mitgemacht und berichtete ihr von einem unheimlichen Schrei, der in der Nacht erklungen war und allen das Blut in den Haarspitzen gefrieren ließ.

Petra, eine resolute Krankenschwester mit schwarzen Locken, die es dank ihres freundlichen Wesens in punkto barocker Schönheit locker mit Gabi aufnehmen konnte, nickte heftig. Sie hatte in der Johannisnacht Nachtschicht. Zwei Jugendliche, die sich beim Feuerspringen leicht verletzt hatten, hätten ihr das auch erzählt, also die Sache mit dem Schrei.

Heike, die ebenfalls als Krankenschwester und Sprechstundenhilfe bei der örtlichen Arztpraxis arbeitete und mit einer Stimmgewalt ausgestattet war, die mit ihrem Aussehen korrespondierte, übertönte spielend leicht mit einer Dezibel stärke, die an startende Düsenflugzeuge erinnerte, alle anderen aufgeregt schnatternden Tischgenossen.

Das wäre doch gar nichts, unten in Kloster Veßra hätten sie einen Toten gefunden, der aufrecht sitzend in einem der Museumshäuser gefunden worden war. So etwas sei ausgesprochen ungewöhnlich, weil man so nicht stürbe. Von ihrer Schwägerin im benachbarten Schwarza habe sie davon erfahren. Und es soll wohl ebenfalls ein Unbekannter sein, der nirgends vermisst würde.

Birgit, eine propere Frau mit dauergewellter Lockenpracht, schaute verdutzt in die Runde. Ob man sich überhaupt noch unbeschwert bewegen könne, wenn solche unheimlichen Vorgänge passierten? Und ob da vielleicht jemand nachgeholfen habe? Sie war eine eher ängstliche Natur. Nein, so etwas mache ihr keinen Spaß, darüber zu diskutieren. Sie träume davon schlecht und könne nicht gut schlafen.

Peter, der neben ihr saß, tröstete sie. Er war ein in sich ruhender Mann, der in seiner Freizeit trotz ein paar Kilos zusätzlichem Ballast immer noch bei der Altherrenmannschaft von Rabenau zu Spielen auflief und den daher vieles nicht wirklich schocken konnte. Gerade wollte er ansetzen und das Ganze abtun um über was Freundlicheres zu berichten, nämlich den überraschenden Punktsieg gegen die Alten Herren des Nachbarortes Benshausen, als er einen Knuff in die Seite bekam.

Es war die zweite Gabi, die im Reigen der freundlichen, barocken Damen einen Ehrenplatz hatte. Gabi thronte wie eine große, bunte Blume in der Mitte der Damen. Stets war sie farbenfroh gekleidet und versprühte permanent Frohsinn. Sie arbeitete auf dem Gemeindeamt, wusste bestens Bescheid, was im Dorf und den angrenzenden Ortschaften passierte.

Sieben Dörfer hatten sich zur Verwaltungsgemeinschaft »Haselgrund« zusammengeschlossen und der Verwaltungssitz war in Rabenau als dem größten Ort der Gemeinschaft.

Steinbach-Hallenberg gehörte zwar nicht dazu, dafür aber der nördlich angrenzende Ort Unterschönau. Und von den Kolleginnen aus besagtem Unterschönau hätte sie erfahren, dass die Mordkommission schon ermittelte. Jedenfalls waren Leute von der Schmalkaldener Kripo vor Ort gewesen und hatten alle möglichen Leute befragt.

Die Wirtin Sabine, eine im Gegensatz zu den Damen am Tisch vollkommen sehnige und schlanke Frau, die eher an eine Hochleistungssportlerin erinnerte denn an eine Gastwirtin, war herbeigekommen und setzt sich mit an den Tisch. Alle übrigen Gäste waren schon längst gegangen. Sie wollte Feierabend machen, es war schon nach Mitternacht. Interessiert lauschte sie ihren Gästen.

Ihr brannte schon seit ein paar Tagen ein Problem unter den Nägeln. Einer ihrer Herbergsgäste war überfällig. Er wäre nun schon seit ein paar Tagen nicht mehr aufgetaucht, obwohl er Übernachtung mit Frühstück gebucht hatte. Anfangs habe sie sich nichts dabei gedacht. Die frische Luft mit dem hohen Sauerstoffanteil habe schon oft ihre Gäste verschlafen lassen. Aber langsam mache sie sich Sorgen.

Ihr Mann Hans-Jürgen, von allen nur Hannes genannt, ebenfalls wettergegerbt und sehnig wie ein Marathonläufer, war auch herangetreten. Ja, der seltsame Gast wäre schon unheimlich. Zumal bis vor zwei Tagen sein Gepäck noch im Zimmer gewesen sei und seit gestern wäre alles spurlos verschwunden. Zechprellerei käme nicht in Frage, er hatte bar im Voraus gezahlt. Auch sein Auto war verschwunden.

Peter war aufmerksam geworden. Ob der Tote von der Hallenburg möglicherweise …?

Birgit hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund um nicht laut los zu quieken. Schulterzucken beim Wirtspaar. Möglich sei alles, aber … letztendlich hatten sie sich ja nicht zu beklagen. Bezahlt war das Zimmer noch bis zum kommenden Wochenende. Vielleicht wäre etwas Familiäres dazwischen gekommen und der Unbekannte musste schnell abreisen? Wer weiß das schon?

Ob sie denn einen Namen hätte?

Ja, irgendwas habe er in ihr Gästebuch wohl eingeschrieben. Außerdem habe er einen alten Volvo chauffiert mit Kennzeichen WAK - Wartburgkreis, also aus der Eisenacher Gegend.

Die Freunde am Tisch kratzten sich am Kopf. Sollte man so etwas der Polizei melden? Eine der beiden Gabis erinnerte sich, dass im »Rennsteig-Kurier« ein kleiner Artikel stand. Da wäre auch eine Telefonnummer mit bei.

Sabine, die Wirtin, fühlte sich unwohl bei der Idee, dass Polizisten in ihrer Herberge herumschnüffeln würden. Vielleicht sollten sie noch bis zum Wochenende warten, denn bis dahin wäre schließlich das Zimmer noch legal bezahlt.

Alle nickten, ja, das wäre vernünftig, man solle nicht voreilig und hektisch Chaos verbreiten. Möglicherweise kläre sich ja auch alles auf. Damit verabschiedeten sich die sieben Freunde vom Wirtspaar. Vorher bekamen sie jedoch noch eine Runde Birnengeist aufs Haus spendiert.

Ludowingerblut

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