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ОглавлениеMilena bei den Hennebergern
Die Grafschaft Henneberg war eine fränkische Grafschaft zwischen Main und Thüringer Wald. Zu ihr zählten einst die Gebiete Rhön und Grabfeld als auch Teile des Thüringer Waldes und die Hassberge aus dem angrenzenden Franken. Heute entspricht die Region dem Henneberger Land in Südthüringen mit den Landkreisen Schmalkalden-Meiningen, Hildburghausen, dem südlichen Teil des Wartburgkreises und der kreisfreien Stadt Suhl. Die Umgebung ist geprägt durch eine unberührte Natur mit vielen Schlössern und Burgen, wie zum Beispiel die Stammburg Henneberg südlich von Meiningen, die Bertholdsburg in Schleusingen, das Schloss Breitungen unweit Schmalkalden oder das Kloster Veßra bei Themar.
Noch bis 1806 gehörte die Grafschaft zum Fränkischen Reichskreis, wurde jedoch im Zuge der Neuordnung nach den Napoleonischen Befreiungskriegen aufgeteilt. Geblieben ist die Bezeichnung »Henneberger Land« für die Region als eine kulturhistorische Bezeichnung für große Teile Südthüringens.
Aus einem Reiseführer »Südthüringen und das Henneberger Land«
I
Mittwoch, 25. Juni 2008
Kloster Veßra, Südthüringen
Wieso musste sie diese Wandbilder auch bei der letzten Sitzung des Stiftungsrats ansprechen! Schlafende Hunde sollte man nicht wecken, das hatte ihre Großmutter schon gesagt.
Milena Dragovic, Diplom-Restauratorin, angestellt als freie Mitarbeiterin bei der Thüringer Stiftung für Schlösser und Gärten, saß vor der großflächigen Wandmalerei, die in den Räumen der ehemaligen Klausur in Kloster Veßra unter einer dicken Putzschicht entdeckt und notdürftig freigelegt worden war.
Es waren farbenfrohe Bilder, wahrscheinlich aus dem frühen 13. Jahrhundert. Ein Figurenensemble der Henneberger Grafen, ihrer Frauen und deren Verwandte. Ein illustrer Reigen, beginnend mit dem Begründer des Hauses Henneberg in Thüringen, Gotebold II., über dessen Nachfolger, diverse Popponen bis hin zu Heinrich I. und dem Minnesänger und Kreuzfahrer Otto I. von Botenlauben. Dazu deren Gattinnen, zu denen Königsschwestern und andere edle Damen des Hochadels gehörten. Historisch ein hochinteressantes Originalbeleg aus dem Mittelalter und künstlerisch ein wunderbares Artefakt.
Sie war immer noch verblüfft über die Farbintensität und Klarheit der Malerei. Allerdings sah sie auch den großen Restaurierungsbedarf. Putzschäden, schwarzer Salpeter und Schimmel hatten den Wandmalereien arg zugesetzt.
Eine Sisyphusarbeit!
Sie hatte bereits vor über einem Jahr darauf hingewiesen, dass bald etwas geschehen müsste, ansonsten wäre das Wandbild verloren. Das Wandbild war irgendwie in Vergessenheit geraten. Seit seiner Wiederentdeckung führte es ein Mauerblümchendasein hinter einem weißen Leinentuch, der es vor den Blicken allzu Neugieriger bewahrte.
Es scheiterte wie üblich am Geldmangel. Die Finanzen der Stiftung waren begrenzt. Der Haushalt wurde immer schon im Vorjahr beschlossen und von Oben abgesegnet. Kurzfristige Mittel für unerwartete Vorhaben waren daher nur schwer zu bekommen.
Jetzt hatte sie das Thema noch einmal zur Sprache gebracht. Etwas Geld hatte man bewilligt. Es war eigentlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein!
Wenigstens konnten erste Sicherungsmaßnahmen damit in Angriff genommen werden. Personalmangel war ein weiteres Manko. Deshalb saß Milena auch allein vor dem Wandbild und fluchte leise vor sich hin.
Hier könnten wenigstens drei, vier Leute arbeiten.
Ach was, müssten …!
Zentimeterweise müsste das Bild untersucht und wenigstens notdürftig gesichert werden.
Wochenlang würde sie hier beschäftigt sein. Dabei war das gar nicht ihr Spezialgebiet. Sie war mit der Renaissance vertraut, dem Barock und dem Klassizismus, aber nicht mit spätromanischen Wandmalereien. Natürlich hatte sie sich in ihrer Ausbildung auch damit beschäftigen müssen. Aber jetzt gleich so eine Mammutaufgabe! Nicht auszudenken, wenn sie hier einen Fehler machen würde.
In ihrer Heimat, in Bosnien-Herzegowina, hatte sie einmal ein paar uralte Ikonen aus nur schwer zugänglichen Bergklöstern gerettet und in ihrer Freizeit restauriert. Die waren von ihrer Farbzusammensetzung ähnlich der romanischen Wandmalerei gewesen. Doch das waren kleine Formate auf Holzuntergrund. Jetzt hatte sie es mit mindestens sechzehn Quadratmetern bemalter Fläche zu tun, gemalt auf bröckelndem Putz.
Sie hatte ihr Instrumentarium bereits vor sich ausgebreitet, mit ihrer Kamera jedes Detail des Kunstwerks abgelichtet und in eine digitale Tabelle eingetragen. An der Seite machte sie sich Notizen, beschrieb den Zustand und den Grad der Zerstörung. Es war eine zeitaufwändige und anspruchsvolle Arbeit, die sie wohl den ganzen Sommer und Herbst beschäftigen würde.
Ihre anderen Projekte müssten eben warten. So hatte es der Stiftungsrat beschlossen. Sie hatte sich gefreut auf die Ausstellungen, die im Herbst beginnen und von ihr mit vorbereitet und betreut werden sollten.
Die interessanteste wäre wohl in Gotha über die naturwissenschaftlichen Sammlungen der Gothaer Herzöge, die ein musealer Paukenschlag werden sollten. In den umfangreichen Archiven auf Schloss Friedenstein lagerten wertvolle Artefakte, die noch nie der Öffentlichkeit präsentiert worden waren.
Altägyptische Papyri, chinesische Seidenmalereien, afrikanische Holzskulpturen und kostbarer Perlmuttschmuck der Südseevölker. Dazu zahlreiche Tierpräparate, Insektensammlungen mit unbekannten Käfern und Faltern und Herbarien mit Pflanzen aus den Dschungeln des Amazonas. Das hätte sie sehr gereizt.
Auch die neue Ausstellung in den Dornburger Schlössern über die russischen Verbindungen der Weimarer Großherzöge wäre ein aufregendes Vergnügen geworden.
Russische Prinzessinnen waren am Hofe der Weimarer Herrscher gern gesehen. Zumal die Gattin des Herzogs Carl-Friedrich eine russische Großfürstin war, die sogar zur näheren Verwandtschaft der Zarenfamilie zählte. Maria Pawlowna war die Mäzenin zahlreicher Künstler und Schriftsteller. Sie galt als wichtige Mitbegründerin des »Silbernen Zeitalters« und damit des Ruhmes Weimars als Stätte der Klassik.
Nur zu gern hätte sie die beiden Ausstellungen mit betreut und vorbereitet. Die Restaurierung der Ausstellungsstücke wäre spannend und vielseitig gewesen. Keine Sekunde Langeweile wäre da aufgekommen.
Nun saß sie hier und überlegte, wo sie beginnen sollte. Erst die vom Schwarzschimmel befallenen Stellen säubern oder den bröckelnden Putz an den Außenrändern stabilisieren? Eigentlich müsste sie alles zugleich machen, um das Wandbild zu retten.
Seufzend rührte sie einen speziellen Epoxidkleber an.
II
Freitag, 27. Juni 2008
Kloster Veßra, Südthüringen
Milena hatte sich an ihre neue Arbeitsstätte gewöhnt. Zumal sie ein wunderbares Zimmer, direkt neben dem Klostergelände hatte, von wo sie auf die träge dahinfließende Werra und die Wiesenauen mit ihren alten Obstbäumen schauen konnte.
Der stille Tagesrhythmus des kleinen Dorfes und die Ruhe, die im Klostermuseum herrschte, waren ihr sehr angenehm. Sie genoss den ruhigen Takt des Sommers.
Vor noch wenigen Wochen war sie mitten im lauten und hektischen Museumsbetrieb der Heidecksburg in Rudolstadt tätig. Touristen drängelten gruppenweise und laut schnatternd durch die Säle des Schlosses. Alle zehn Minuten kamen Schulklassen vorbei, belästigten sie mit klugen und weniger klugen Fragen, auf die sie stets freundlich lächelnd antworten sollte.
Nur ab und an kam hier im Klostermuseum mal ein einzelner, verirrter Besucher vorbei, der höflich grüßte und auf Zehenspitzen an ihr vorbeischlich. Alles war überschaubar. Keine komplizierten Wege, wenig Verkehr, viel Natur.
Ihr Pensionszimmer war direkt gegenüber in einem stattlichen Gasthof, von wo verführerische Düfte herüberzogen. Südthüringer Küche, ein einziger Genuss für die Nase und den Gaumen. Mit etwas Sorge sah Milena auf ihre Hüften, die sich bedenklich rundeten und beschloss, wieder etwas mehr Salat zu essen. Die einheimischen Gerichte waren allesamt nahrhaft und kalorienreich. Sie seufzte. Alles in allem war ihr Los recht erträglich.
Abends las sie sich in die Geschichte der Henneberger Grafen ein. Wie üblich in Thüringen war auch dieses Grafengeschlecht, das bereits vor vierhundert Jahren erloschen war, äußerst umtriebig und spaltete sich in diverse Haupt- und Seitenlinien auf.
Kloster Veßra diente den Hennebergern als Hauskloster. Gegründet wurde das damalige Prämonstratenserkloster von Graf Gotebold II., der auch auf dem Wandbild als erster der Henneberger Herrscher zu sehen war. Wahrscheinlich kam es im Jahr 1131 zu der Klostergründung, nachdem Gotebold dem Ordensgründer, Norbert von Xanten, persönlich begegnet war.
Milena grübelte, wie damals so ein Treffen von statten ging. Ob Norbert bei Gotebold um eine Audienz bat oder ob Gotebold die Nähe zu dem Prediger suchte? Norbert, eigentlich ein wohlhabender Mann, der als Erzbischof von Magdeburg ausgesorgt hatte, war zwischenzeitlich als armer Wanderprediger durch die Gegend gezogen und missionierte seine heidnischen Zeitgenossen mit flammenden Reden. Wahrscheinlich war er auch als solcher Gotebold gegenüber getreten.
Galt es als nützlich oder hilfreich, wenn man ein Kloster gründete? Aus rein christlicher Nächstenliebe würde ein Graf so eine Neugründung im damals dünn besiedelten Südthüringen wohl kaum gemacht haben.
Milena hatte sich das Gebäude genauer angesehen, in dem die Klausur untergebracht war. Von außen war ihm sein Alter nicht anzusehen. Ein eher unscheinbares Nebengebäude im Schatten der beiden mächtigen, romanischen Türme der Klosterkirche Sankt Marien. Nur ein paar Wände am Kreuzgang waren aus der mittelalterlichen Originalklausur erhalten geblieben.
Im 17. Jahrhundert war ein Großteil des Gebäudes eingestürzt. Der Wiederaufbau wurde pragmatischen Zwecken untergeordnet. Ein Schweinestall und ein Kornspeicher wurden darin untergebracht. Wahrscheinlich überpinselten die Bauern auch damals die prächtigen Malereien der noch erhalten gebliebenen Wände des Kreuzgangs. Den Brand der Klosterkirche im Jahre 1939 hatte die Klausur wie durch ein Wunder ebenfalls fast unbeschadet überstanden. Erst zu Beginn der neunziger Jahre entdeckte man bei Renovierungsarbeiten unter der groben Übermalung mit weißer Tünche die mittelalterliche Malerei. In der regionalen Geschichtswissenschaft war es eine Sensation, aber ansonsten wurde davon in der Öffentlichkeit kaum Notiz genommen, zumal der Zugang zu dem Wandbild gesperrt blieb. Damals hatten die Leute mit den Wendeereignissen zu kämpfen und keinen Nerv für derlei Entdeckungen.
Eine erste Säuberungsaktion ein paar freiwilliger Restauratoren hatte das Wandbild freigelegt. Mit einem weißen Tuch wurde das Bild verhangen, um es notdürftig zu schützen.
Milena hatte bei einem Routinebesuch das Wandbild vor einem Jahr inspiziert und danach Alarm geschlagen.
Das von den Museologen als »Henneberger Grafenparade« bezeichnete Kunstwerk war kurz davor, für immer verloren zu gehen. Salpeter blühte, der Schwarzschimmel bedeckte große Flächen des Bildes und der Putz, auf dem es in der sensiblen Al-Secco-Technik gemalt war, löste sich vom Mauerwerk.
Von den frühen Grafen des Hauses Henneberg existierten kaum Bildnisse. Deshalb war das Wandbild ein außerordentliches Zeitdokument.
Auch Milena wusste das. Umso ehrfurchtsvoller arbeitete sie jetzt an dem einmaligen Kunstwerk.
Sie schaute in die Gesichter von Männer und Frauen, die allesamt in dem für das Mittelalter typischen Halbprofil dargestellt waren. Über den Gestalten war in spätkarolingischen Minuskeln deren Name geschrieben und ein Wappen wies auf die Herkunft des Namensträgers hin.
Überall in den Wappen, die oft auch Doppelwappen waren, konnte Milena die schwarze Henne auf dem grünen Hügel sehen. Namensgebend war die Henne für das Grafengeschlecht und zugleich etwas verwirrend. Das eigentliche Wappentier war der Sage nach ein Birkhahn, der aber durch die etwas vereinfachende heraldische Malweise zu einer schwarzen Henne mutierte. Der Birkhahn wurde aufgrund seines auffälligen Balzverhaltens auch »Spielhahn« oder »Schwarzer Ritter« genannt.
Möglich war auch eine sprachliche Verwechslung, denn die ursprünglich mittelhochdeutsche Bezeichnung des Birkhahns lautete »Hane«. Früher wurden streitbare Menschen so bezeichnet. Auf alle Fälle war für sie der Vogel im Wappen der Henneberger eher an das klassische Haustier Henne erinnernd, denn an die stolzen Waldvögel.
Gotebold war mit melancholischem Blick, gestutztem Bart und einer halblangen Haartracht gemalt worden. Auf seinem Haupte saß die leicht überdimensionierte Grafenkrone. Seine Gattin, Luitgard von Hohenberg, blickte ebenso verklärt in dieselbe Richtung, trug ein weißes Haartuch, das mit einem Goldreif bekrönt war. Ihr Mund war etwas zu klein geraten, fast als ob der Maler ihr kindliche Züge verleihen wollte.
Sein Nachkomme, Poppo IV. von Henneberg sah deutlich grimmiger aus. Er schaute fast trotzig in die Welt, sein lockiges Haar war unbekrönt. Direkt neben Poppo stand seine Gattin, Irmgard von Stade, etwas leutselig lächelnd, auch mit einem feinen Haartuch, dem sogenannten Gebende, bedeckt, das von einem roten Zierreif gehalten wurde.
Hinter den beiden präsentierten sich Berthold I. und Poppo VI., beide in Rüstungen mit dem typischen schwarzen Kreuz, das sie als Kreuzritter des Marienordens auswiesen. Ihre Gesichter waren nur wenig aussagekräftig, da ein schwerer fränkischer Spitzhelm es verdeckte. Es folgten wieder ein paar Damen, die nur mühsam identifizierbar waren, denn sie hatten weder einen Namenszusatz noch ein Wappen, das auf ihre Herkunft verwies.
Möglicherweise waren es unverheiratete Grafenschwestern oder Töchter, die als Klosterdamen ihr Leben beschlossen.
Die Historiker konnten ihnen jedenfalls bisher noch keinen Namen zuordnen. Da sie in der Parade zwischen den Kreuzfahrern und dem Grafen Berthold II. platziert waren, konnten sie wahrscheinlich nur in diese Generation eingeordnet werden.
Bekannt war nur die Schwester Poppos, Hildegard von Henneberg, die einen Grafen von Katzenellenbogen heiratete.
Milena wandte sich der zweiten Hälfte der Parade zu. Ein Baum trennte die Parade in der Mitte. Seine Äste überdachten die Henneberger Grafen. Jedes Blatt war einzeln gemalt, erinnerte an Lindenblätter. Kunstvoll waren die Äste arrangiert, so dass sie die Wappen der einzelnen Grafen umschlossen, um zu zeigen, dass alle dargestellten Personen in einer Beziehung zueinander standen. Milena hatte das Gefühl, dass die gesamte Komposition eine Art Stammbaum darstellen sollte. Wieso nun ausgerechnet die Malerei im Kreuzgang der Klausur erfolgte und nicht in der Klosterkirche, wo ein solches Wandbild eigentlich viel präsenter wäre, konnte sie nicht wirklich nachvollziehen.
Möglicherweise gab es noch mehr Malereien, die aber im Laufe der Jahrhunderte verschwunden waren. Man ging früher nicht zimperlich mit alten Dingen um. Eine mittelalterliche Wandmalerei war im 17. Jahrhundert völlig außerhalb des Zeitgeschmacks. Im 18. Jahrhundert hätte man sie ebenfalls noch überpinselt. Zu lax war die damalige Zeit mit überkommenen Artefakten umgegangen. Sie wusste darüber bestens Bescheid. Oftmals hatte sie bei Restaurierungsarbeiten in den alten Burgen und Schlössern übermalte Bilder aus längst vergangenen Zeiten entdeckt.
Sie wandte sich den folgenden Personen der Parade zu. Hinter Berthold II. stand wieder ein Graf in Ritterrüstung. Es war wohl dessen Bruder Poppo VII. Wieder waren drei Damen direkt hinter dem Kreuzritter zu sehen. Wieder ohne Namenszusatz oder sonstige Hinweise, wer sie sein könnten.
Auf alle Fälle schien eine der unbekannten Damen eine stolze, selbstbewusste Frau gewesen zu sein. Sie hatte ihr Haupt nicht demütig zur Seite gelegt, schaute dafür direkt den Bildbetrachter an. Ungewöhnlich war das schon. Die strenge Ikonographie der romanischen Bildersprache ließ eigentlich eine solche Darstellungsweise nicht zu. Dennoch war es passiert.
Ihr Gesicht war klar und ohne das damals übliche, weltentrückte Lächeln. Sie trug feine blaue Kleider, schien also eine edle und reiche Frau gewesen zu sein. Da, wo ihr Wappen sein sollte, waren drei übergroße Lindenblätter zu sehen. Vorsichtig betrachtete Milena die drei Blätter. Es war offensichtlich, hier hatte sich später noch einmal ein Maler zu schaffen gemacht und das Wappen übermalt. Seltsam …
Milena hatte bei ihren Recherchen als Kandidatinnen für die drei Edeldamen die Töchter Poppos VII., Margarete und Bertha, beide verheiratet mit einflussreichen Grafen, ermittelt. Wer die dritte der Damen sein könnte, war nicht herauszubekommen. Alle drei Frauen waren ohne Haartuch mit üppiger, blonder Haarpracht zu sehen. Sie trugen feine Gewänder und hielten Miniaturgebäude im Arm. Ein Hinweis auf ihren reichen, weltlichen Besitz.
Milena hatte die Idee, dass es möglicherweise eine der beiden Ehefrauen Poppos sein könnte. Elisabeth von Wildberg, seine erste Frau, starb bereits mit dreißig Jahren im Kindbett. Seine zweite Frau war keine Unbekannte. Jutta von Thüringen aus dem Geschlecht der Ludowinger, die Witwe des Markgrafen von Meißen, war eine umtriebige Frau gewesen. Die enge Bindung der Henneberger an die Ludowinger war durch die Ehe zwischen Poppo und Jutta untermauert worden. War die schöne Unbekannte etwa eben jene Jutta?
Nach ihnen folgten noch drei weitere Herren. Einer war der bekannte Minnesänger Otto von Botenlauben, der auch im Codex Manesse verewigt war. Er war einer der wenigen, frühen Henneberger, von dem es ein Bild gab. Allerdings war er hier als Kreuzritter dargestellt, so dass von seiner Persönlichkeit nur wenig zu erahnen war. Die beiden anderen Grafen waren Hermann I. und Heinrich I., beide in edler Tracht und mit der Grafenkrone.
Mit Hermann begann und endete eine Nebenlinie, die als Henneberg-Coburg nur kurze Zeit bestand. Heinrich hingegen hatte drei Söhne, die jeweils die drei Hauptlinien der Henneberger Grafen begründeten. Mit ihm endete die »Grafenparade«.
Heinrich war verheiratet mit Sophia, einer Tochter der Ludowingerin Jutta. Sie hatte auch mit Poppo noch gemeinsame Kinder. Die Thüringer Landgrafen lebten so in den Hennebergern fort. Der rot-weiß gestreifte Löwe der Ludowinger tauchte seitdem auch immer wieder in den Wappen der Henneberger auf. Heinrich starb 1262. Die Datierung des Wandgemäldes wurde für sie etwas einfacher.
Milena wusste, das noch viele Untersuchungen notwendig waren, um eindeutig eine Altersangabe zu machen. Aber sie hatte auf alle Fälle einen Anhaltspunkt.
Sie hatte ziemliche Schwierigkeiten, die Gesichter der beiden letzten Grafen zu sehen. Ein dicker, schwarzer Schimmelbelag zog sich quer über die Häupter der letzten Grafen der Parade. Ihn zu entfernen würde ihre nächste Aufgabe sein.
III
Sonntag, 29. Juni 2008
Kloster Veßra, Südthüringen
Über den Doppeltürmen des Klosters kreiste ein Bussard und spähte nach etwas Fressbarem. Lautlos zog er seine Kreise. Im Gras der Auenwiesen an der Werra lagen Milena und ihr Partner und Freund, Theo Linthdorf. Er hatte ein freies, langes Wochenende, war extra aus dem fernen Brandenburg gekommen um mit Milena im beschaulichen Kloster Veßra ein paar Stunden in romantischer Abgeschiedenheit, fernab von Mord und Totschlag, zu verbringen.
Linthdorf war Hauptkommissar beim Landeskriminalamt Brandenburg und meist mit komplizierten Fällen betraut. Doch im Moment war er nur Urlauber, streckte seine langen Knochen auf der Decke aus und blinzelte in die Sonne, sah den Bussard kreisen und überlegte, was der wohl auf dem Speiseplan stehen hatte.
Milena knuffte den liegenden Riesen – Linthdorf maß stattliche zwei Meter und vier Zentimeter – und versuchte ihn zum Aufstehen zu bewegen. Immerhin lagen die beiden schon mehr als zwei Stunden im Gras, lauschten den Insekten und dem gleichmäßigen Rauschen des Flusses, der über ein kleines Wehr seine Wassermassen fast einen Meter in die Tiefe stürzen ließ.
Sie hatte dem interessiert lauschenden Mann alles über ihren neuen Job im Klostermuseum erzählt. Von dem wiederentdeckten Wandbild, dessen kritischem Zustand und der prekären Situation in der Thüringer Schlösserstiftung. Restaurierungsarbeiten waren dringend nötig und Kapazitäten waren knapp. So war letztendlich sie es, die damit betraut wurde.
Linthdorf wusste über die handwerklichen Fähigkeiten Milenas bestens Bescheid. Ob sie aber so etwas Aufwändiges wie eine mittelalterliche Wandmalerei, die kurz vor dem endgültigen Aus stand, retten könnte, war er sich nicht sicher.
Gestern Abend hatten die beiden einen Blick auf das Bild geworfen. Andächtig hatte Linthdorf davor gestanden und gestaunt. Ein Hauch aus den Tiefen der Zeit schien ihn zu umwehen, als er das Bild mit seinen buntgekleideten Figuren musterte. Fremd waren die Personen und dennoch vertraut. Das Mittelalter war nicht die bevorzugte Zeit des Ermittlers.
Er hatte anfangs etwas Mühe, die Minuskeln zu entziffern und freute sich, dass Milena ihm etwas über die dargestellten Personen erzählen konnte. Milena zeigte ihm auch die Schäden, die das Wandbild genommen hatte.
Es würde viele Monate dauern, um das Wandbild zu sichern, geschweige denn vollständig zu restaurieren. Milena würde die Grundsicherung ausführen können, eine sachgerechte Restaurierung jedoch müsste jemand anderes machen.
Die Sonne verschwand langsam hinter den bewaldeten Berghängen und verbreitete noch einmal ein warmes, goldenes Licht. Die beiden genossen das Abendlicht, beobachteten die Forellen, die aus den dunklen Wassern der Werra kurz emporschnellten und dann wieder verschwanden. Mücken sirrten, ein Kuckuck rief in der Ferne, es war einfach ein wunderbarer Sommerabend. Wenn Milena die Zeit anhalten könnte, würde sie es genau jetzt tun.
Linthdorf hatte ihr vorgeschlagen, abends im benachbarten Gasthof einzukehren. Er hatte Appetit auf Thüringer Klöße.
Am nächsten Morgen musste er wieder zurück nach Potsdam, seine Aktenberge warteten auf ihn. Polizeiarbeit hatte er sich eigentlich anders vorgestellt, aber natürlich, die Aufarbeitung und Archivierung der einzelnen Fälle war wichtig. Spätestens, wenn er selbst mal wieder einen gelösten Fall heranziehen musste, um etwaige Parallelverläufe und Muster zu erkennen.
Er lächelte still und nickte seiner Milena kurz zu.
IV
Montag, 30. Juni 2008
Kloster Veßra, Südthüringen
Der Alltag hatte Milena wieder fest im Griff. Mit feinen Pinselchen, Schwämmchen und scharfgeschliffenen Skalpellen rückte sie dem Salpeter und Schwarzschimmel zu Leibe. Es war ein mühseliges Unterfangen, zumal sie dabei darauf achten musste, die darunterliegende Farbschicht nicht zu beschädigen.
Nach und nach legte sie die Gesichter der beiden letzten Grafen frei. Hermann von Henneberg-Coburg hatte einen eher traurigen Gesichtsausdruck. Er blickte weltentrückt unter einer schwarzen Lockenpracht an ihr vorbei. Heinrich hingegen schien ein etwas grobschlächtiger Mann gewesen zu sein. Sein deutlich breiteres Gesicht war fast bäuerisch-derb, die Augen schauten streng und die Nase war ausgeprägt. Unter der Grafenkrone quoll graues Haar hervor, wies wohl auf das hohe Lebensalter Heinrichs hin.
Milena wunderte sich, immerhin waren die beiden Brüder. Sehr verschiedene Charaktere mussten sie gewesen sein.
Ob sie sich mochten?
Oder eher argwöhnisch beobachteten?
Angst, dass der eine dem anderen seinen Erbteil streitig machte?
Im Mittelalter gab es oft Bruderfehden …
Fast wie in der heutigen Zeit, nur wurden diese Fehden damals als blutige Konflikte ausgetragen, heutzutage landeten solche Streitereien meist vor Gericht.
Hatte es bei den Hennebergern solche Fehden gegeben?
Sie musste noch mehr nachforschen.
Bei ihr hatten sich zudem zwei Leute von der Stiftung angesagt, wollten wohl mit ihr besprechen, wie es weiter gehen sollte und was man noch alles machen könnte, um die Wandmalerei zu retten. Sie wusste jetzt schon, wie das ausgehen würde.
Verständnisvolle Blicke, gutgemeinte Ratschläge und Schulterzucken. Auch die Stiftungsleute kochten nur mit Wasser. Und sie wusste über die finanziellen Verhältnisse Bescheid. Ihr Chef, Dr. Knobbrich hatte sich da recht unmissverständlich ausgedrückt.
Weshalb er nun noch mal zwei Leute vorbeischickte, war ihr ein Rätsel. Sie schaute auf die Uhr, es war Mittagszeit.
Milena aß zusammen mit den Museumsmitarbeiterinnen in der kleinen Kantine des Torhauses. Meist gab es Bockwurst, Kartoffelsalat oder aufgewärmte Tiefkühlpizza. Ihr war es recht. Sie hatte fürs Mittagessen keine hohen Ansprüche. Hauptsache, der Kaffee war stark und heiß und es gab gratis dazu meist angenehme Gespräche.
Die drei Frauen, die sich um das Museum kümmerten, waren freundliche Dorfleute, die immer etwas Lustiges zu erzählen hatten und auch sonst Frohsinn verbreiteten. Sie waren beeindruckt von Milenas Arbeit, kamen auch ab und zu vorbei und schauten ihr zu, wie sie mit den Pinselchen und Schwämmchen hantierte und Zentimeter für Zentimeter vorankam.
Als Milena den kleinen Kantinenraum betrat, waren die drei Museumsdamen bereits zu Tisch. Heute gab es eine Soljanka, die von Renate Krausgans, der kleinsten Frau in der Runde am Wochenende angesetzt worden war und durch beständiges Köcheln auf dem Herd und Beigabe diverser Köstlichkeiten, wie frischen Paprika, reifen Tomaten, gebratenen Würstchen und Zwiebelringen, zu einem lukullischen Gesamtkunstwerk gediehen war. Milena schnupperte begeistert und holte sich einen tiefen Teller.
Elvira Kehl, eine rundliche Frohnatur, schob den Teller beiseite.
»Neneee, Milenchen, für de Soljongah nimmsde ne Schüssel, da bassd mehr nei. Gelle?«
Elvira versuchte Hochdeutsch mit Milena zu reden. Den unverständlichen Fränkisch-Hennebergischen Dialekt wollte sie ihr nicht zumuten. Etwas verwirrt von der Ansage schob sie ihren Teller zurück und bekam im selben Moment eine Riesenschüssel vorgesetzt, in der die orangerote Suppe mit allen Zutaten dampfte. Mit großem Appetit fing sie zu löffeln an.
Die Frauen unterhielten sich über einen seltsamen Kauz, der seit ein paar Tagen auf dem Museumsgelände herumschlich und allen auswich. Anfangs war er nur im hinteren Teil des weitläufigen Areals herumgeschlendert. Jedes einzelne der Fachwerkhäuser wurde von ihm begutachtet und mit missmutigem Blick fotografiert. Inzwischen würde er auch im vorderen Teil, im ehemaligen Kloster, auftauchen. Wie ein Geist bewegte er sich, lautlos und unerwartet.
Elke Wipper, die dritte im Bunde der Museumsdamen, eine kräftige Mittvierzigerin, zuständig für den Museumspark mit den Fachwerkhäusern aus ganz Südthüringen, war ziemlich erbost über den seltsamen Besucher. Er würde andere Besucher vergraulen.
»Hod üor moa dään sei Glubbscher gesehe? Wie irre, vau verrüggerd, würd ich sööh.«
Elvira nickte: »Gloar! Ho dään zwäämoa oogeschbroche, niss! Als ob‘ch net doa wär! Näh, normoaul is där net.«
Und Renate warf ein, dass er stets der erste an der Kasse am Morgen sei, das Eintrittsgeld abgezählt ihr, ohne ein Wort zu sagen, hinschob und ebenso stillschweigend wieder aus dem Kassenbereich hinausging.
Milena hatte den seltsamen Besucher auch schon zweimal gesehen. Einmal stand er still hinter ihr und beobachtete sie bei ihrer Arbeit. Als sie ihn ansprach, verschwand er ebenso still, wie er gekommen war.
Abends, kurz vorm Schließen, war er ihr noch einmal begegnet. Er stand im Schatten der Kirchenmauer und wusste wohl nicht, wie spät es war. Jedenfalls machte er keinerlei Anstalten, das Museum verlassen zu wollen. Sie wies ihn höflich darauf hin, dass der Museumspark in zehn Minuten schließe. Er verschwand sofort. Seltsamer Typ. Aber er war friedfertig.
»Wie lange kommt der denn schon?«, fragte sie in die Runde. Elvira zuckte mit der Schulter, auch Elke wusste nichts Genaues. Renate überlegte kurz, dann vermeldete sie, dass er mindestens schon seit einer Woche täglich früh um zehn Uhr eine Eintrittskarte kaufte und dann den Tag irgendwo im Museumsgelände verbrachte. Das war schon seltsam. Kommunikativ sei der Typ auch nicht, keine der drei Frauen hatte ihn in ein Gespräch verwickeln können oder ein Wort von ihm vernommen.
»Vielleicht macht er Urlaub hier und weiß mit sich nichts anzufangen …«
»Doas kooaste wu vau vergäß!«
Milena schaute etwas verwirrt auf Elvira. »Wie bitte?«
»Ach so, nee, das kannste wohl vergessen, meinte ich.«
Elke fügte hinzu, dass kein normaler Mensch jemals acht Tage lang täglich im Museumspark verbracht hatte. Da sei etwas nicht richtig im Oberstübchen des seltsamen Kauzes. Womöglich habe er einen Tick oder noch was Schlimmeres.
»Heute kommen zwei aus der Zentrale in Rudolstadt. Die wollen mal schauen, wie es bei mir vorangeht. Denen können wir das mal erzählen. Vielleicht ist der Typ auch schon woanders aufgekreuzt.«
Milena hatte ein etwas mulmiges Gefühl, als sie das sagte. Sie musste an die Ereignisse im vorigen Frühjahr denken. Damals wäre sie beinahe gestorben. Eine gute Freundin hatte sie umbringen wollen, nur weil sie ihr den Mann weggeschnappt hatte. Eine psychische Störung hatte bei der Freundin Mordgedanken aufkommen lassen. Um ihren perfiden Plan umzusetzen, fielen alle Hemmschwellen. Vier Menschen mussten sterben und sie konnte nur im letzten Moment dank Linthdorfs Eingreifen vor Schlimmerem bewahrt bleiben. Ab und zu träumte sie noch von den schrecklichen Ereignissen.
Sie war plötzlich wieder im unterirdischen Labyrinth der Feengrotten in Saalfeld gefangen, fror bis auf die Knochen und sah überall an den Wänden die Schatten der Verfolgerin. Meist wachte sie auf, schweißgebadet, und griff dann erst einmal zum Telefon. Theo Linthdorf beruhigte sie, auch wenn er meist weit weg in Brandenburg war. Nicht einmal hatte er sich beklagt, wenn sie ihn mitten in der Nacht weckte.
Wahrscheinlich würde sie nie wieder in ein altes Bergwerk oder eine Höhle gehen können. Die klaustrophoben Vorstellungen machten ihr immer noch zu schaffen. Und jetzt tauchte wieder ein psychisch gestörter Mensch an einem Arbeitsplatz von ihr auf. Konnte das nicht einmal aufhören?
Renate bemerkte die Veränderung im Gesicht Milenas. »Mensch, Mädel! Wirst ja ganz blass!«
Milena schüttelte den Kopf. »Alles gut.«
»Na, iss ma erst deine Soljanka auf. Dann geht’s dir schon wieder. Mach dir ma keinen Kopf. Den ganzen Tach da drüben in der ollen Klausur mit den komisch guckenden Rittern und Fräuleins …«
Sie hatte sich Mühe gegeben, alles in einem halbwegs verständlichen Hochdeutsch zu sagen. Milena lächelte sie kurz an.
»Ich musste nur an voriges Frühjahr denken. Ihr erinnert euch sicherlich.«
»Du meinst die Feengrottenmörderin?«
Milena nickte.
»Sie war meine Freundin. Und mich wollte sie …«
Elvira stöhnte auf. »Oh, mein Gott! Dann warst du die arme Frau, die nachts da drinnen eingesperrt war?«
Milena nickte wieder.
»No, doa hoste ebbes midgemochd!«, sie verfiel wieder ins Fränkische.
Elke hatte aus dem kleinen Kühlschrank vier Eistüten hervorgezaubert und verteilte sie.
»Macht euch mal nicht ins Hemde. Wir haben es hier mit einem harmlosen Spinner zu tun. Und keinem Mörder. Der Typ ist harmlos, könnt ihr glauben!«
Erleichtert stimmten die anderen Frauen ihr zu. Jaja, harmlos, ein Spinner, was sonst …
Milena biss herzhaft in die Eiswaffel. Es schmeckte nach Vanille und Marzipan. War vielleicht wirklich nur ein harmloser Spinner, der komische Kauz.
V
Mittwoch, 2. Juli 2008
Kloster Veßra in Südthüringen
Der Tag begann ganz wunderbar. Die Sonne schien von einem makellosen Himmel herab und verwandelte alles mit ihren golden Strahlen. Milena war schon früh wach. Vogelgezwitscher hatte sie geweckt.
Sie fühlte sich ausgesprochen wohl, ausgeschlafen und tiefenentspannt. Seit gestern war der seltsame Kauz nicht mehr gekommen. Renate war gleich zu ihr gekommen und hatte ihr berichtet, dass der »Spinner«, so nannten sie den eigenartigen Besucher, nicht erschienen war. Alle Museumsdamen waren erleichtert. Elke machte einen kleinen Freudensprung und Elvira nickte dauernd dazu.
Milena hatte gut gefrühstückt und arbeitete bereits an ihrem Wandbild, als Renate vorbeikam und ungeduldig mit den Füßen trippelte.
»Sache ma, die Schdifdungsleude, also am Muindich, äh, Mondach, also, du hoddsde doch fosd zwäh Stonne bei dir. Uida?«
Milena lauschte dem eigenartigen Dialekt der kleinen Frau. Viele Wörter musste sie erraten, aber mit der Zeit verstand sie immer mehr von dem anfangs unverständlichen Kauderwelsch. Sie war vertraut mit dem Weimarer Dialekt und dem Ostthüringischen, eher ans Sächsische erinnernden Gebrabbel. Alles, was südlich des Rennsteigs gesprochen wurde, war ihr suspekt.
»Jaaa, die haben sich lange unterhalten mit mir.«
»Un? Boos is bei nauskumma‘?«
»Keine zusätzlichen Mittel für die Restaurierung. Jedenfalls vorerst … Für nächstes Jahr haben sie mehr Mittel in Aussicht gestellt. Aber es hängt wohl mehr an personellen Kapazitäten. Es gibt nur wenige Spezialisten fürs Mittelalter. Im Moment sind die meisten oben auf der Wartburg, die hat Vorrang. Ist UNESCO-Weltkulturerbe. Da gibt’s ganz andere Finanzierungen.«
»Ach so …«
»Tja, da hat die Stiftung keinen Einfluss drauf. Die Wartburg gehört leider nicht zu unseren Burgen und Schlössern, die ist zu wichtig.«
»Nooah, sin mir dänn onwichdich?«
»So war das doch nicht gemeint. Die Wartburg ist eben was ganz Eigenes. Eine Nummer zu groß für die Stiftung. Sei doch froh. So bleibt mehr übrig für die kleineren Burgen und Schlösser.«
»Jaa, mänsde. Nooah, für ons gans hüsch, gell?
»Ihr könnt euch doch nicht beklagen. Das Klostermuseum hat doch viel abbekommen und steht heute ganz prächtig da. So schön wie jetzt war es noch nie.«
»Schdömd.«
»Die Vermarktung müsste besser werden. Viele wissen gar nicht, was ihr hier für Schätze beherbergt und wie schön das alles ist.«
»Wir machen doch schon …«
»Ja, aber das ist zu wenig. Wie bei allen anderen Schlössern eben auch. Außer den großen Residenzen führt ihr alle ein Mauerblümchendasein. Aber davon habe ich auch zu wenig Ahnung, bin leider kein Marketingexperte. Dennoch sehe ich, was überall so los ist. Zuwenig Besucher … Einfach schade.«
»Die Leud sin mit annere Denger beschäfdichd. Hon koi Zied. Un die Lufdschnabber, die sän au önnerwäächs nuffer uf die Bäärg. Bans räänd, kömme se schu.«
Wieder war Milena verwirrt. Was wollte ihr Renate gerade sagen?
Irgendetwas mit den ausbleibenden Urlaubern, die auf Bergen lieber herumliefen als im Museum?
Sie verkniff es sich, noch mal nachzufragen. Renate seufzte laut und begab sich wieder Richtung Torhaus, wo ihre Kasse auf sie wartete.
Milena rief ihr noch kurz hinterher: »Was ist denn mit deinem seltsamen Besucher los?«
Renate grinste. »Hä is wag. Schbuhrlos verschwonne, äh haud wag. Is nu gudd so!«
»Hat ihn noch mal jemand gesehen?«
»Nee, nee! Elviroh un Elgge hon oah nüschd gesehe. Hä is oifach so wag. Gudd is. Gell!«
Milena nickte. Sie hatte sich wohl schon wieder zu viel Gedanken gemacht. Seltsame Menschen gab es überall, sie mussten deshalb nicht gefährlich sein und schon gar keine potentiellen Mörder. Sie war einfach zu sensibilisiert, wenn es um solche Dinge ging.
Tief in ihrem Innern gab es noch eine Grundangst, die immer mal wieder nach oben kam und sie in Panik versetzte. Ein Psychologe, der sie nach den Ereignissen im letzten Frühjahr betreute, hatte zu ihr gesagt, dass sie die dunklen Seiten des Lebens ebenso akzeptieren müsste, genau wie die lichten. Es hülfe ihr nicht, ihre Ängste zu verdrängen. Aber das sagte sich so leicht.
Abends, kurz vorm Einschlafen, kamen sie wieder. Ängste, die schwer fassbar waren. Sie konnte sie nicht zuordnen und klar abgrenzen. Es waren meist vage Gefühle, die von ihr Besitz ergriffen. Die Dunkelheit mit ihren Geräuschen, der fahle Mondschein, tropfendes Wasser, knarrendes Holz, Flüsterstimmen, die immer wieder in ihrem Kopf Furcht verbreiteten …
Sie machte dann ihr Nachttischlämpchen an und schnappte sich ein Buch, wobei sie auf andere Gedanken kam. Meist wurde sie dabei so müde, dass sie nach zehn, zwölf Seiten einschlief.
Milena war kein Angsthase. Sie war bereit, sich mit ihren inneren Ängsten auseinanderzusetzen. Es war eine Frage der Zeit, dass sie damit klar kommen würde. Sie wusste das. Außerdem gab es Theo, der für sie in solchen Momenten da war und sie vergessen ließ, dass das Böse, so nannte sie ihre Ängste, in ihr weiter herumspukte.
Sie versenkte sich wieder in ihre Arbeit mit den Hennebergern und setzte präzise ihr Skalpell an. Ein großer Bereich des Wandbildes war bereits vom Schwarzschimmel befreit. Sorgfältig achtete sie darauf, dass keine Farbpigmente der Malerei mit entfernt wurden. Sie wollte das Wandbild reinigen, so dass es für spätere Betrachter so authentisch wie möglich erschien.
Während sie sich in ihre Arbeit vertiefte, fuhren draußen mehrere Polizeiwagen, ein Krankentransporter und auch ein schwarzer Leichenwagen vor.
VI
Mittwoch, 2. Juli 2008
Polizeidirektion, Hildburghausen
So ein verrückter Tag war das!
Der Anruf aus dem Museum Kloster Veßra war alles andere als ein alberner Scherz.
»Bei uns sitzt ein Toter im Haus 11.«
Alfred »Ali« Roggenmüller, Polizeioberkommissar und Leiter der Polizeidirektion der Kreisstadt Hildburghausen, zuständig für das gesamte Kreisgebiet, zu dem auch Kloster Veßra gehörte, fühlte sich anfangs ziemlich veräppelt. Aber die Frauenstimme am anderen Ende der Leitung hatte eine gewisse Panik in ihrer Stimme mitschwingen lassen, die in stutzen ließ.
Üblicherweise waren solche Scherze auch eher eine Passion jugendlicher Spaßvögel, die damit ihrem Freundeskreis zeigen wollten, was sie für tolle Typen seien, und nicht im Repertoire von gestandenen Museumsmitarbeiterinnen.
Er musste sich stark zusammen reißen, um nicht gleich eine Schimpfkanonade los zu lassen.
»Wieso sitzt der? Tote können nicht mehr sitzen!«
»Doch! Der hier sitzt! Auf einem alten Sofa.«
»Sind Sie sicher, dass er tot ist?«
»Ja, ganz sicher. Er hat die Augen geöffnet und starrt damit immer gerade aus. Das kann kein Lebender.«
»Gut. Wir kommen.«
»Bitte! Dringend! Wir drehen hier bald alle durch.«
»Wie heißen Sie?«
»Krausgans, Renate Krausgans. Ich leite das Museum. Sie finden uns … Nein, ich werde vorn am Torhaus, also am Eingang auf Sie warten.«
Roggenmüller gab seinen beiden Mitarbeitern ein Zeichen. Einsatz!
VII
Donnerstag, 3. Juli 2008
Kloster Veßra, Südthüringen
Milena war geschockt. Gerade war Renate noch bei ihr gewesen und hatte alles Unwohlsein bei ihr beseitigt mit ihrer burschikosen Art.
Dann der gellende Schrei Elviras, der übers gesamte Museumsgelände zu vernehmen war.
Zwei verstörte Besucher standen vor dem Fachwerkhaus, das als Bauernhaus von 1716 ausgewiesen war. Es war ein wunderschönes Gebäude mit dunkelrot gestrichenem Fachwerkgebälk, weiß getünchten Feldern zwischen dem Fachwerk, kleinen Fenstern mit Blumenkästen davor, in denen üppig Geranien blühten. Das Haus stand mitten im Grünen, umgeben von ein paar alten Obstbäumen. Eine einzige Idylle!
Als Milena kam, waren bereits Elke und Renate eingetroffen. Elvira war bleich wie ein Bettlaken, saß im Gras und weinte. Elke saß neben ihr und streichelte mechanisch Elviras Kopf.
»Was ist passiert?«
»Där Schbinner sidsd ofm Soofo. Hä laad nedd mer.«
Elke übersetzte: »Der komische Kauz sitzt tot auf‘m Sofa. Ganz furchtbar! Wirklich!«
Milena nickte ungläubig. »Ist er wirklich tot?«
Beide nickten. Die beiden Besucher waren noch verwirrter.
»Un mür daschden, dös gehöörd sum Museumssörwis. Eh lebenseschde Bubbe! Nej, eh eschder Dooder! Wär hädde das gedaschd! Schdümds, Schbadsi?«
»Haben Sie den Toten entdeckt?«
»Nu gloar. Ham die nedde Dohme da driem druff angschbrochn. Was für eh besondersch gelungner Gääg dös is.«, dabei deuteten sie auf die schreckensbleiche Elvira im Gras.
»Nu, die is auch gleisch neigeschdürmd un had geguggd. Un danne gaam se nausgeschdürmd un had gebläägt! Nej, so e Laudschdörge hädsch der Frau ned zugedraud.«, fuhr der Mann fort, der mit seinem Hütchen, der Strickjacke und dem umgehängten alten Fotoapparat wie der typische Kulturtourist aussah. Seine Ausführungen wurden von seiner Gattin durch heftiges Kopfnicken bestätigt.
»Un üsch habbe müsch noch neben dän gesedsd, damid mei Eddi äh Bild mochd mit uns. Oh nej, wenn‘sch gewusd häd, dass do äh Dooder sidsd …«
Die Begleiterin, eine dauerwellenerprobte Dame mit Blümchenkleid und einer riesigen Handtasche, nickte noch immer heftig. Milena musste unwillkürlich lächeln bei der makabren Vorstellung. Sie ging ins Innere des Fachwerkhauses. Die Decken waren niedrig. Sie war mit ihren 177 Zentimetern plus sechs Zentimeter Absatzhöhe eindeutig zu groß für das Haus. Geduckt ging sie durch den kleinen Flur, spähte in die Küche und dann ins Wohnzimmer. Sie passte auf, nichts zu berühren.
Das Wohnzimmer, besser die »Gute Stube«, wie die Bauern früher diesen Raum nannten, war erstaunlich großzügig geschnitten. Ein fast quadratischer Raum mit vier Fenstern, lichtdurchflutet und spartanisch eingerichtet. Ein großer Tisch, vier klobige Stühle, eine Stehwanduhr, gestickte Wandtücher, an der fensterabgewandten Seite ein großes Sofa, darauf sitzend der seltsame Kauz, ungewöhnlich aufrecht, als ob er einen Stock verschluckt hätte.
Die Augen starrten geradeaus aus einem seltsam verfärbten Gesicht. Die Haut war bläulich angelaufen, der Mund leicht geöffnet. Die Ohren leuchteten rot. Auf den ersten Blick konnte man schon denken, es wäre eine ziemlich lebensechte Puppe, die da saß. Zumal der Tote mit einem eher altmodischen Karohemd aus dickem Baumwollstoff und Manchesterhosen bekleidet war. So lief man heutzutage eigentlich nicht mehr herum.
Milena stand in dem Raum und starrte auf den Toten. Er hatte etwas unsagbar Trauriges an sich, so wie er auf dem Sofa saß, als ob er von allen Menschen verlassen war und als übriggebliebener Gast einer Feier einfach vergessen wurde.
Auf dem Tisch stand ein Glas und ein Teller. Beide waren leer. Milena wunderte sich. Das Glas gehörte doch in die Kantine. Und der Teller kam ihr ebenfalls bekannt vor. In der kleinen Kantine gab es genau solche Teller.
Wie war der Tote an das Glas und den Teller gekommen? Und überhaupt, irgendjemand musste den Mann doch hierher gesetzt haben. Von allein nahm ein Toter doch nicht eine solche Haltung ein. Wurde der Mann ermordet?
Einiges sprach dafür, zumal sein seltsames Benehmen ebenfalls nicht für einen natürlichen Tod sprach. Er war von Anfang an mysteriös. Still, eher lautlos bewegte er sich auf dem Gelände, wich jedem Gespräch aus, so benahm sich kein normaler Besucher. Sie ging vorsichtig zurück ins Freie, sorgsam bedacht, nicht anzustoßen oder etwas anzufassen. Sie wusste, dass die Polizei das Haus als Tatort behandeln würde.
Draußen im Gras saßen Elvira und Elke. Beide hatten sich wieder etwas unter Kontrolle. Elviras Teint hatte seine Farbe zurück und eine gesunde rosige Farbe ins Gesicht gezaubert. Elke hatte sich ihre dichte schwarze Haarmähne, die vorhin etwas wild nach allen Seiten abstand, gezähmt und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Das Besucherpaar saß auf der kleinen Holzbank und kaute friedlich seine mitgebrachten Stullen.
Milena ließ sich auf dem Rasen nieder, setzte sich zu den beiden Frauen. Renate stand ein paar Meter entfernt und telefonierte. Sie trampelte dabei heftig mit den Füßen. Das Telefonat war emotionsbeladen.
Milena wollte sie nicht unterbrechen, beobachtete nur, wie sie in das kleine Gerät hineinschrie. Sie wiederholte ein paar Mal ihren Namen, um sicher zu gehen, dass der unsichtbare Zuhörer sie auch ernst nahm.
Danach rannte Renate los Richtung Torhaus. Die anderen schauten ihr verwundert nach.
Kurze Zeit später tauchte Renate in Begleitung von drei Männern wieder auf. Der älteste der drei stellte sich als Polizeioberkommissar Roggenmüller vor, die beiden jüngeren nuschelten etwas von Kommissarsanwärter, ihre Namen gingen ein bisschen unter. Für Milena klang es wie Zobel und Flieder. Sie musste lächeln. Elvira gab ihr einen Klaps. Nicht lächeln, wenn die Obrigkeit etwas von dir will.
Roggenmüller und seine beiden Begleiter verschwanden im Fachwerkhaus. Erschienen jedoch nach nur wenigen Augenblicken wieder. »Hier wird nichts angefasst! Die Spurensicherung ist bereits auf dem Weg.«
Alle nickten stumm.
»Wer hat denn die Leiche entdeckt?«
Elvira meldete sich schüchtern. »Das war ich. Nein, eigentlich waren es die beiden Besucher. Die hamse zuerst gesehen.«
Roggenmüller wandte sich dem immer noch kauenden Paar zu. »Wer sind Sie? Wie sind Sie denn auf die Leiche gestoßen?«
Der Mann, der von seiner Begleiterin Eddi genannt wurde, räusperte sich kurz, schluckte den letzten Bissen seiner Käse-Wurststulle hinunter und begann zu sprechen: »Mir sin Gehrsche. Also, aus Gerooh. Edoard und Edno Ewersboch. Gönnse auch guggen in unsene Ausweise. So! Also, dös war so. Da drinne hamwa uns alles angeguggd. Schdümmd dosch, Edno? Nu, also wamwa ooch in de gude Schduhbe neigegange. Un do saß er ehmde so rum. Die Edno saggde och noch. Eddi, soggde se, Eddi masche ma äh Fodoh mit der Bubbe un mia. Nu, un isch gnibbsde se och. Un danne, meinde Edno, der guggd eh so gohmisch. Un fürne Bubbe war er eh äh bissel su guud gemachd, ne? Hasde doch gesaggd, Edno?«, er schaute immer wieder zu seiner vor sich hin mümmelnden Frau, die dauernd nickte.
»Un da habsch mir gedachd, dos die seldsahme Bubbe vielleischd a Dohder is. Un die Frau vum Museum, die grad vorbeigahm, der habsch üsch es eh gleisch ersähld.«
Wieder nickte Edna und nahm einen beherzten Schluck aus der Thermoskanne.
»Nu, un die is gleisch nei. Un gahm naus geschdürmd un schrie rum, gans laud, nee, so laud, wie eh Sirene!«
Dabei zeigte er auf Elvira, die sich inzwischen hochgerappelt hatte und gefasst der Erzählung Eddis lauschte.
Roggenmüller nickte, wandte sich nun an Elvira: »Kannten Sie den Mann?«
»Das war der Spinner!«
»Wer war das?«
»Na, der Spinner. So haben wir ihn genannt. Der kam nun schon seit einer Woche täglich ins Museum. Sagte kein Wort, bewegte sich wie ein Gespenst lautlos zwischen den Häusern, fotografierte alles und verschwand, wenn man ihn ansprechen wollte. Wir haben ihn den Spinner genannt. Weil ein normaler Museumsbesucher so was nicht macht.«
Roggenmüller zog die Augenbrauen hoch. Der ganze Fall wurde immer seltsamer. Die sitzende Leiche, die eigenartigen Zeugen und nun auch noch eine seltsame Vorgeschichte. Alles passte zusammen, aber eher für einen Mystery-Thriller, denn für eine seriöse Ermittlung in der südthüringischen Provinz.
In Kloster Veßra hatte sich seit dem Klosterkirchenbrand im Jahre 1939 nichts Nennenswertes mehr ereignet. Drei Verkehrsdelikte und ein Akt von jugendlichem Vandalismus, das war alles. Das Dörfchen mit seinem großen Museum war polizeilich ein unbeschriebenes Blatt. Und nun das!
Seine beiden Begleiter hatten inzwischen mit Elke und Milena gesprochen und deren Aussagen aufgenommen. Auch Renate wurde noch einmal eingehend befragt.
Gerade fuhr am Torhaus der weiße Kastenwagen der Spurensicherung vor. Er hatte etwas länger gebraucht, da er aus Suhl angefordert wurde. Hildburghausen verfügte über keine eigenständige Abteilung Kriminaltechnik. Ein Krankenwagen war auch schon eingetroffen und ein schwarzer Leichenwagen parkte diskret etwas abseits. Vor dem Leichenwagen standen zwei Herren in schwarzen Anzügen und rauchten entspannt.
Roggenmüller gab den Technikern kurze Anweisungen, sprach mit den Leuten der Schnellen Medizinischen Hilfe und gab auch den diskreten Herren in Schwarz ein kurzes Statement.
»Sieht nach einem Kapitalverbrechen aus.«
Der Kriminaltechniker und der Gerichtsmediziner, beides noch junge Leute, nickten.
»Mal sehen, ob sich die Suhler den Fall ran holen werden. Die haben doch ‘ne Truppe »Mord & Totschlag«. Oder wurde die inzwischen auch aufgelöst?«
Der Kriminaltechniker schüttelte den Kopf. »Nee, nee, die gibt’s noch. Thiele und Heilmann sind seit den vielen Toten aus dem letzten Frühjahr wieder ganz obenauf. Sogar nen dritten Mann hamse bekommen. Hähä, is sogar ne Frau. Aus Mühlhausen. Dort hamse nämlich die MoKo aufgelöst. Wegen zu viel Arbeit, hähähä!« Dabei zwinkerte er nervös mit dem rechten Auge.
Roggenmüller schniefte geräuschvoll. Ihm sollte es nur recht sein. Sherlock Holmes war er nicht, dass wusste er ganz bestimmt. Und dieser Fall sah nicht so aus, dass man ihn in Nullkommanix zu den Akten legen könnte.
Sollten doch die Suhler Kollegen sich daran abarbeiten. Er kannte sie und wusste, dass die Suhler Abteilung für Kapitalverbrechen, so der exakte Name, genau dafür prädestiniert war. Sowohl Thiele als auch Heilmann galten als clevere und ausdauernde Kriminalisten.
VIII
Freitag, 4. Juli 2008
Ein Artikel im »Rennsteig-Kurier« (von Tom Hainkel)
Leichenfund in Kloster Veßra
Am Mittwoch wurde die örtliche Polizei von einem Anruf der Museumsleitung im Hennebergischen Museum Kloster Veßra über einen Leichenfund informiert. Zwei Mitarbeiterinnen des Museums hatten bei einem Rundgang in einem dem Museum zugehörigen Fachwerkhaus eine männliche Leiche entdeckt. Über die Identität der gefundenen Person konnten bisher noch keine Angaben gemacht werden.
Ein Sprecher der Polizeidirektion Hildburghausen betonte, dass die Ermittlungen über die Todesursache und den Todeszeitpunkt noch nicht abgeschlossen seien. Ein Fremdverschulden könne im Moment nicht ausgeschlossen werden.
Weitere Informationen werden zu gegebenem Zeitpunkt mitgeteilt. Die Polizei bittet um Verständnis für die gegenwärtige Informationslage