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Großherzogliche Feierlichkeiten

Erst sitzt er eine Weile, Die Stirn von Wolken frei; Auf einmal kommt in Eile Sein ganz Gesicht der Eule Verzerrtem Ernste bei. Ihr fragt, was das sei? Lieb' oder Langeweile? Ach, sie sind's alle zwei!

»Der Misanthrop« ,

aus »Neue Lieder«, von Johann Wolfgang von Goethe, 1779

Die Ernestiner

Die meisten Thüringer Herzogtümer wurden von den Nachkommen des Hauses Wettin beherrscht. Die Ernestiner waren eine der beiden Hauptlinien dieses deutschen Fürstengeschlechts.

Der Name leitet sich vom Stammvater der Linie, Kurfürst Ernst von Sachsen her. Die Ernestiner waren bis zum Ende der Monarchie infolge der Revolution im November 1918 die Staatsoberhäupter in diversen Thüringer Ländern. Daher stand stets der Namenszusatz »Sachsen« in der offiziellen Bezeichnung, obwohl die Gebiete allesamt weit weg vom eigentlichen Sachsen lagen.

Es waren die Nachfahren des im Bruderzwist um die sächsische Krone unterlegenen Ernst, der seinem Bruder Albert den kursächsischen Königsthron überlassen musste. Durch etwas Glück und mit Hilfe des recht verworrenen Erbrechts bekamen sie die Thüringer Besitzungen zugesprochen. Innerhalb kürzester Zeit hatten die Ernestiner fast alle Thüringer Ländereien unter ihre Herrschaft gebracht. Neben den »großen« Herzogtümern Weimar und Gotha kamen dank der fehlenden Primogenitur (Erbfolge, die nur dem Erstgeborenen den Besitz zuerkennt) viele kleinere Herzogtümer hinzu. Manche verschwanden bereits nach kurzer Zeit wieder, einige wurden mit anderen vereinigt, wieder andere behaupteten sich …

Neben Weimar und Gotha entstanden so eigenständige, ernestinische Herzogtümer in Altenburg, Meiningen, Hildburghausen, Römhild, Eisenach, Coburg, Jena, Saalfeld und Eisfeld.

Einige waren so klein, dass nur drei, vier Dörfer dazugehörten, existierten gerade mal dreißig Jahre, dennoch waren sie allesamt miteinander verbunden und bestimmten so die Entwicklung Thüringens für lange Zeit mit. Ihnen verdankte die Region ihre kulturelle Blüte und auch ihre Akzeptanz als unabhängige Staaten innerhalb Europas. Auf fast jedem europäischen Thron saßen Thüringer Prinzen und Prinzessinnen der Ernestinischen Herzöge.

Erst mit der Ausrufung der Republik im Jahre 1918 verschwanden sie aus dem Brennpunkt der Geschichte, hinterließen ein reichhaltiges Erbe, dass Thüringen bis heute einen einzigartigen Status als Kulturlandschaft gibt. Auf engstem Raum befinden sich prächtige Residenzschlösser, kostbare Sammlungen, wertvolle Bibliotheken und Archive; viele Thüringer Städte erlebten kulturelle Blütezeiten, als sie noch Hauptstädte eines kleinen, aber unabhängigen Herzogtums waren.

Sonnabend, 22.Juli, 1815

Großherzogliche Residenz, Weimar


Großherzog Carl-August von Sachsen-Weimar-Eisenach

Die Feierlichkeiten für die Verleihung der Großherzoglichen Würde an Seine Majestät, Herzog Carl-August und seine Gattin Herzogin Luise, einer Prinzessin aus dem Hause Hessen-Darmstadt, hatten gerade begonnen. Carl-August war mit seinen Begleitern vor zwei Wochen vom Wiener Kongress zurückgekehrt und hatte die freudige Nachricht vorab bereits per Depesche dem Hause und seinen Untertanen kundgetan.

Nicht zu vergessen waren die gewaltigen Gebietszugewinne, die sein bis dato recht bescheidenes Herzogtum fast verdoppelten, sowohl hinsichtlich der Ausdehnung als auch der Untertanen. Wertvolle, reiche Städte fielen ihm zu und er konnte sich so im Reigen der Thüringer Länder als »Primus inter pares«, als Erster unter Gleichen, behaupten.

Zu seinem frischgebackenen Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach waren der kursächsisch-albertinische Kreis Neustadt/Orla, ein Teil der kurmainzischen Exklave Erfurt, dazu kleinere Herrschaften, die schon lange Weimarer Begehrlichkeiten geweckt hatten, gekommen. Blankenhain und Kranichfeld gehörten dazu, das Eisenacher Oberland in der Rhön und einige Randgebiete des hessischen Kurfürstentums Cassel mitsamt dem bereits zuvor säkularisierten Hochstift Fulda.

Alles in allem eine schöne Sache, die dem Range eines Großherzogs gut anstanden.

Eine große Siegesparade war angeordnet worden, ebenfalls wurden Gäste aus den anderen Thüringer Herzogtümern und Fürstentümern eingeladen. Die prächtig uniformierten Soldaten und Offiziere seines Weimarer Regiments, das sich wacker gegen Napoleons Truppen geschlagen hatte, waren allerorten in den Straßen Weimars anzutreffen.

Auch die Damen und Herren des Hofstaates hatten sich herausgeputzt und in ihrer besten Garderobe promenierend an den öffentlichen Feierlichkeiten teilgenommen. Wichtig war, dass man gesehen wurde …

Die Augen der Hofbeamten, der berufenen Gelehrten und Künstler blickten unruhig, um ja niemanden zu verpassen. Zudem galt es, den Gästen aus den benachbarten Ländern zu zeigen, dass Weimar-Eisenach seine neue Würde als Großherzogtum zu recht verliehen bekommen hatte. Die Straßen waren in den Landesfarben schwarz-gelb-grün geschmückt, an den Fassaden der Bürgerhäuser prangten grüne Kränze und Girlanden und es erklangen Jubelgesänge.

Zum abendlichen Fest erschienen neben dem gesamten Hofstaat auch die verwandten und verschwägerten Familien der übrigen Ernestiner Herzogtümer, sowie der alteingesessenen Thüringer Fürstenhäuser zu Schwarzburg und der Reußischen Fürsten.

Der Weimarer Hof war bekannt für seine freigiebigen Feste. Der Großherzog gönnte sich den Luxus als Kunstmäzen, unterhielt neben den zahlreichen Legaten auch noch die Schirmherrschaft über diverse Künstler, Dichter und Musiker.

Weimar ließ sich seinen Ruf als Kunst- und Kulturmetropole etwas kosten. Keiner wollte wirklich wissen, was das alles für Unsummen verschlang, aber man munkelte, dass die guten Beziehungen zum russischen Zarenhof dabei wohl eine erhebliche Rolle spielten.

Später sprachen die Historiker auch vom »Silbernen Zeitalter«, das am Hofe Einzug gehalten hatte. Der Erbprinz Carl-Friedrich, ein noch junger Mann, der durch seine hohe Gestalt und perfekten Manieren auffiel, hatte bereits 1804 die bildhübsche russische Prinzessin Maria Pawlowna geheiratet. Seine Gattin war nicht nur eine russische Prinzessin, sondern auch die Schwester des derzeit regierenden Zaren Alexander I.

Eine strategisch günstige Verbindung, die den eher unscheinbaren Kleinstaat in die erste Reihe der europäischen Politik katapultierte. Man munkelte, dass die Verleihung der Großherzogswürde wohl auch dank der diplomatischen Aktivitäten des Zarenhofes beim Wiener Kongress mit zustande gekommen war. Viele europäische Höfe hatten mit saurer Miene auf diese Erhöhung reagiert, waren doch die Thüringer Kleinstaaten als ausgesprochen wankelmütig bekannt. Standen sie anfangs noch fest zu den preußischen Verbündeten, wechselten sie nach Napoleons Einmarsch schnell die Seiten und marschierten mit der Grande Armee, ließen sich, als die Franzosen in den Weiten der russischen Ländereien jämmerlich erfroren, wieder bei der Allianz gegen Napoleon einreihen und kämpften zusammen mit den Preußen, Österreichern, Russen und Schweden erneut gegen die Franzosen und ihre Verbündeten. Es war ein Tanz auf einer Schwertklinge, der jedoch virtuos gemeistert wurde.

Alle Thüringer Länder profitierten von der Napoleonischen Niederlage, aber am meisten wohl die Weimarer. Dabei sah es zwischenzeitlich für den Fortbestand des Landes gar nicht so gut aus.

Nach der Niederlage der preußischen Armeen bei Jena und Auerstedt, die beiden Schlachtfelder lagen übrigens inmitten des Weimarer Herzogtums, rückten Napoleons siegreiche Armeen in der Residenz zu Weimar ein. Der Hofstaat war geflohen, Der Herzog kämpfte mit seinem Regiment weit ab vom Schuss in preußischen Diensten.

Nur seine Gattin, Herzogin Luise, hielt noch im Residenzschloss aus. Mutig stellte sie sich Napoleon entgegen, als dieser einrückte. Als Landesmutter fühlte sie sich verantwortlich für ihre Untertanen und erklärte dem Usurpator, dass es eine Schande wäre, eine schutzlose Stadt zu plündern. Die beiden Schlachten hätten dem kleinen Herzogtum bereits genug Schaden zugefügt. Auf die Frage, wo denn ihr Gatte sei, antwortete sie ihm, dass Pflichttreue und Verträge ihn an Preußen banden und er weiter im Dienste der preußischen Könige kämpfen werde.

Napoleon insistierte umsonst, dass der Herzog sich aus den preußischen Diensten zurückziehen sollte. Luise machte ihm klar, dass es daran nichts zu ändern gab.

Der Franzosenkaiser war beeindruckt von der Herzogin und stellte die Plünderungen ein. Das Herzogtum war gerettet. Der Preis allerdings war hoch. Im sogenannten »Frieden zu Posen« 1806 verpflichteten sich alle Thüringer Länder, dem von Napoleons Bruder geführten Rheinbund beizutreten. Fortan marschierten die Thüringer mit in den Reihen der Napoleonischen Truppen.

Erst als der Stern des Korsen zu sinken begann, wechselten sie auf Seiten der Allianz. Einige meinten, dass es ziemlich spät gewesen wäre, um die Thüringer noch mit als Siegermächte anzuerkennen, doch der Einspruch des Zaren ließ die Kritiker verstummen.

Der Empfang in den Prunksälen der Weimarer Residenz hatte seinen Höhepunkt erreicht. Der Großherzog, ein stattlicher Mann in den späten Fünfzigern, an der Seite seine Gemahlin Luise, die trotz ihres prächtigen Ballkleides einen etwas verhärmten Eindruck machte und ihre Kinder, vorneweg der charismatische Prinz Carl-Friedrich mit seiner bildschönen Gattin, der russischen Großfürstin Maria Pawlowna, dahinter die übrigen Prinzen und Prinzessinnen, marschierten unter Beifall in den Festsaal ein.

Der frischgebackene Großherzog Carl-August war bekannt für seine amourösen Abenteuer. Im Publikum waren mehrere seiner Maitressen zu finden. Mit einem breiten Grinsen zeigte er unverhohlen, dass er sie alle wohlwollend beim Ball empfangen wollte.

Die Gefühlslage seiner Gattin war ihm egal, die Ehe war sowieso nur eine »Liaison formale«, mehr der Staatsraison geschuldet als echter Liebe. Großherzogin Luise hatte es sich in ihrer Rolle als Landesmutter eingerichtet und die Eskapaden ihres Gatten ignoriert, soweit das eben möglich war.

Eine etwas dreiste, aufreizend gekleidete Dame drängelte sich aus der Menge hervor. Es war die Schauspielerin Caroline Jagemann, ein Star auf den deutschen Bühnen, bekannt für ihr ausdrucksstarkes Spiel, intelligent und belesen dank einer vorzüglichen Ausbildung. Neben der Jagemann verblasste jede andere Frau. Die Jagemann, eine großgewachsene, üppige Schönheit, deren große Rehaugen ihr klassisch schönes Gesicht dominierten, war sich ihrer Wirkung bestens bewusst.

Ihr hellblaues, glitzerndes Galakleid konnte es locker mit der prächtigen Garderobe der Prinzessinnen und Herzoginnen aufnehmen. Obwohl sie schon Ende Dreißig war, wirkte sie noch immer jugendlich und setzte ihre weiblichen Reize gekonnt ein. Ihr Dekolleté war prall gefüllt, dazu die vielen Edelsteine, die das darüber liegende Collier zierten, das teurer war als die ganze Garderobe.

Der Großherzog ging kurz auf sie zu, deutete einen Handkuss an und erkundigte sich kurz nach ihrem letzten großen Auftritt. Seine geschätzte Hofsängerin trat gerade als Titania in Wranitzkys Singspiel »Oberon« auf, in dem sie bereits vor ein paar Jahren in Mannheim brillierte und das ihren Ruhm begründet hatte.

Carl-August liebte das Theater, besuchte jede neue Inszenierung und war seinem Intimus Goethe dankbar für jede Nachricht aus dem quirligen Künstlerleben seiner Schauspieltruppe. Goethe hatte sich speziell in den Jugendjahren Carl-Augusts als Faktotum unentbehrlich gemacht, galt als Ideengeber für derbe Scherze und als Vermittler bei den Damen, speziell aus dem Theaterleben. Ohne Goethe hätte der Großherzog wahrscheinlich viel weniger Spaß in seinem Leben gehabt.

Neben der Jagemann standen die noch junge Sopranistin Henriette Eberwein, deren Koloraturen schon jetzt Legende waren, ihr Gatte, der Komponist Franz Carl Adalbert Eberwein, der für sie eigene Lieder schrieb, dahinter der hochgewachsene Tenor Karl Melchior Moltke und der schwergewichtige Bassist Karl Stromeier. Die vier Stars der Weimarer Bühne waren weit über die Grenzen des kleinen Landes bekannt und auf allen Bühnen Europas präsent als das »Weimarer Quartett«. Eine bessere Werbung für sein kunstsinniges Großherzogtum konnte sich Carl-August gar nicht wünschen.

Seiner Favoritin, der Jagemann, hatte er sogar vor sechs Jahren einen Adelstitel verliehen, um seiner Liaison etwas mehr Würde zu verleihen. Sie trat seither als Freifrau von Heygendorff auf. Ihre Kinder waren damit automatisch in den großherzoglich-weimarischen Adel aufgenommen.

Als Operndirektrice war sie zudem ein politisches Schwergewicht am Weimarer Künstlerhimmel und ein Gegenpol zu dem alles vereinnehmenden Goethe.

Der Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe war trotz seiner Bewunderung für Napoleon an diesem Abend bester Laune. Ihm zur Seite stand sein Vertrauter Knebel, ebenfalls in weimarischen Diensten.

Speziell Carl Ludwig von Knebel, ein vor allem als Lyriker den Ideen Goethes sehr nahe stehender Mann, der sich auch als Übersetzer einen Namen gemacht hatte und von Goethe als sein »Urfreund« bezeichnet wurde, hatte die aktuelle Entwicklung mit Missfallen beobachtet und Goethe in seiner Haltung bestärkt.

Extra aus Dresden war ein alter Bekannter und inzwischen auf Distanz zum Meister gegangener alter Freund angereist.

Der Philologe Carl August Böttiger hatte mit seinen gezielten Affronts bereits zahlreiche Skandale provoziert und galt als Enfant terrible am Weimarer Hof. Aber seine Sachkenntnis und seine musische Belesenheit bewahrten ihn stets vor einer Bestrafung. Bei passender Gelegenheit nutzte Böttiger die Chance, am Dresdner Hof tätig zu werden. Zu Goethe unterhielt er trotz Kritik des Meisters noch immer freundschaftliche Beziehungen. Die drei älteren Herren waren eine Instanz am Hofe und galten als einflussreiche Berater des Großherzogs.

Goethe, inzwischen zu einem älteren Lebemann gereift, hatte alle Allüren aus seiner jugendlichen Sturm-und-Drang-Phase abgelegt und gefiel sich als distinguierter Staatsmann und ernstzunehmender Wissenschaftler am Hofe zu Weimar. Dass er nebenbei immer noch als einer der am meisten gelesenen und bewunderten Dichter seiner Zeit galt, erfüllte ihn ebenfalls mit tiefer Genugtuung. Alle wollten sein Urteil zu aktuellen Neuerscheinungen hören, alle waren begierig nach seiner Kritik. Er war die letzte Instanz, wenn es um Literatur ging und er war ebenfalls der wichtigste Mann des Theaterlebens. Ihm unterstand lange Jahre das hochangesehene Weimarer Hoftheater, in dem seine Stücke uraufgeführt wurden. Erst die Favoritin des Großherzogs, die Jagemann, vertrieb ihn nach langem Intrigieren von dem Posten des Theaterdirektors.

Das brachte eine gewisse Verstimmung mit sich, Goethe machte sich rar am Hofe. Doch heute Abend schien er sich gut zu unterhalten, parlierte mit den diversen Thüringer Staatsoberhäuptern ganz, als ob er schon immer dazugehören würde. Seine »Farbenlehre« fand großen Anklang, ebenso seine Schriften über die Welt der Mineralien und auch seine Exkurse in die Welt des Orients, die er unter dem Titel »West-Östlicher Diwan« vor kurzem publiziert hatte.

Trotz aller Veröffentlichungen war es in den letzten Jahren etwas still geworden um ihn. Schiller war bereits zehn Jahre tot, auch Herder und Wieland weilten ebenfalls schon lange nicht mehr unter den Lebenden. Goethe sah sich zunehmend einsamer werdend.

Seine pathetische Verehrung für den kriegerischen Korsen wurde ihm inzwischen am Hofe übel genommen. Der Großherzog sah jedoch über die Passionen seines Vertrauten hinweg, gestattete ihm sogar, den Orden des Ritters der französischen Ehrenlegion offiziell zu tragen, den Goethe zusammen mit Wieland von Napoleon höchstpersönlich bei einem Treffen in Erfurt verliehen bekommen hatte.



Herzog Ernst Von

Sachsen- Coburg-Saalfeld

Die Toleranz des Großherzogs war sprichwörtlich. Er wusste, was er an seinem Geheimrat und obersten Inspektor diverser Gewerke hatte.

Doch im Moment schaute der hochverehrte Dichterfürst etwas sauertöpfisch drein. Er bemerkte wohl, dass sein Freund und Gönner, der Großherzog, in letzter Zeit seine Sympathie der Jagemann viel offensichtlicher bezeugte als üblich. War ihm sein politisches Engagement etwa peinlich? Oder wurde da nur zu viel amouröse Energie zur Schau gestellt?

Die großherzogliche Familie wandte sich wieder dem diplomatischen Protokoll zu und begrüßte die einmarschierenden Diplomaten und Landesfürsten der Nachbarstaaten.

Als erstes kam Herzog Ernst von Sachsen-Coburg-Saalfeld herein. Herzog Ernst war ebenso wie Großherzog Carl-August Offizier in preußischen Diensten, kämpfte zusammen mit seinem Vetter gegen die Franzosen, hatte Jena und Auerstedt überlebt, begleitete den Preußenkönig ins sichere Ostpreußen und war schließlich als hochdekorierter General auch Teilnehmer am Wiener Kongress. Ernst war noch jung, gerade mal Anfang Dreißig, großgewachsen und ein Frauenschwarm.

Sein kleines Reich galt lange Zeit unter den Thüringern als schlecht verwaltet und abgewirtschaftet. Doch dank des persönlichen Engagements des jungen Herzogs konnte ein Staatsbankrott gerade noch einmal abgewendet werden. Seine guten Verbindungen zum russischen Zarenhof, dem englischen Königshaus und vielen anderen europäischen Höfen garantierten ihm sein Fortbestehen als unabhängiges Herzogtum.

Die umtriebigen Geschwister von Herzog Ernst waren allesamt in die besten Kreise verheiratet worden. Juliane war inzwischen russische Großfürstin, Victoire und Leopold, der später der erste König von Belgien werden sollte, gingen im englischen Königshaus ein und aus.

Die Heiratspolitik der Ernestiner war schon immer eine hohe Kunst. Trotz seiner Jugend war Herzog Ernst schon lange im Geschäft. Bereits 1803 wurde er vorzeitig auf den Thron gesetzt, da sein Vater überraschend schwer erkrankte. Drei Jahre später wurde er zum Herzog gekrönt. Den korrupten Staatsminister Theodor von Kretschmann, der sein Herzogtum nahezu an den Rand des Ruins gebracht hatte, ließ er anklagen und er begann damit, sein Land zu sanieren.

Dank der ihm beim Wiener Kongress zugestandenen Länderzugewinne konnte Herzog Ernst sich vollkommen entschulden und sein Herzogtum zu einem liberalen Musterland umgestalten.

Er war sich mit seinem Weimarer Vetter einig, wie man ein Land zu regieren hatte und was man arrangieren musste, um Aufsehen zu erregen.

In Coburg hatte er das Theater restaurieren lassen und auch Saalfeld bekam zahlreiche Prachtbauten hinzu. Ernst war ein glühender Anhänger der neuen Kunstrichtung namens Romantik, hatte deshalb ein Faible für die Neugotik, die gerade in ganz Mitteleuropa en vogue war.

Fast alle Schlösser in seinem Herzogtum bekamen ein neugotisches Lifting verpasst, dazu gestaltete er passend die Parks und Gärten im modernen englischen Stil um.

Ernst war Kunstliebhaber und Förderer zahlreicher Künstler. Es gehörte zu den Leidenschaften der Thüringer Herrscherhäuser, sich auf diesem Felde zu engagieren. Ein heimlicher Wettbewerb schien die Thüringer zu immer neuen Eskapaden zu treiben.

Wer hatte das prächtigste Theater, wem gehörten die meisten Bilder, wer konnte die größte Bibliothek vorweisen? Nicht zu vergessen, wer die spektakulärste Residenz sein Eigen nennen konnte.

Auch Herzog Ernst nahm an diesem stillen Wettstreit teil. Stolz erhobenen Hauptes schritt er in seiner preußischblauen Generalsuniform in den Saal.

In seiner Entourage befanden sich auch Theaterleute, darunter die bildhübsche Sängerin Pauline Panam, die als seine Maitresse bereits einen sechsjährigen Sohn mit ihm hatte.

Ernst war noch unverheiratet und hatte bisher noch wenige Ambitionen, eine standesgemäße Ehe einzugehen. An seiner Seite war heute Abend die französische Prinzessin Sophie Fermepin de Marteaux, die bereits vor einigen Jahren vor den Schrecken des Französischen Terrorregimes geflohen war und als Zeichnerin und Malerin erste Meriten erlangt hatte.

Prinzessin Sophie war eine Schönheit ohnegleichen, der die Männer reihenweise zu Füßen lagen. Aber sie war eine Prinzessin ohne Land und Besitz. Das schreckte viele Verehrer wieder ab.


Herzog Emil-Leopold-August von Sachsen-Gotha-Altenburg

Ihnen folgten die weiteren Thüringer Herzöge und Fürsten mit ihrer Entourage. Gerade kam die Gothaer Delegation in den Saal.

Obwohl offiziell Herzog Emil-Leopold-August von Sachsen-Gotha-Altenburg eine Persona non grata war, erschien er als geladener Gast zu den Feierlichkeiten. Sein Weimarer Vetter ließ sich die Genugtuung nicht nehmen, ihn in der Stunde seines großen Sieges dabei zu haben.

August, wie er von allen genannt wurde, obwohl er sich selbst nur als »Emile«, also der französisierten Form seines Erstnamens Emil nennen ließ, war ein zierlicher Mann Anfang Vierzig, Er war in einer roten Prunkuniform erschienen, die ihn als Ritter des Malteserordens auswies. Seine Lockenpracht hatte er im Gegensatz zu den nach preußischer Mode geschnittenen Frisuren der meisten Anwesenden im französischen Empire-Stil frisiert. Ein eindeutiger Affront für den Gastgeber!

August hatte stets mit Napoleons Ideen kokettiert, er sprach perfekt Französisch, hatte seine Jugend in Paris verbracht und als Erzieher waren jakobinerfreundliche Lehrer für seine Affinität zu den Franzosen verantwortlich.

Herzog Emil-August regierte seit 1804 sein Herzogtum, machte auch keinen Hehl aus seiner Bewunderung für Napoleon und trat 1806 im Gegensatz zu den übrigen Thüringer Herzögen ohne großes Zögern dem Rheinbund bei.

Die Weimarer hatten diese enge Liaison der Gothaer mit den Franzosen stets mit Zähneknirschen begleitet, es waren ja enge Verwandte, die sich ohne Grund auf die falsche Seite schlugen. Dabei hatte Augusts Vater, Herzog Ernst II., zuvor noch die engen Beziehungen zu Weimar und den anderen Ernestinern als das wichtigste Moment seiner Politik angesehen, fühlte sich den Ideen der Aufklärung und Weimarer Klassik zugetan und hegte keinerlei Sympathien für die umstürzlerischen Franzosen.

Napoleon wusste es sehr zu schätzen, dass Emil-August ihm ergeben war. Mehrfach besuchte er ihn auf dem Gothaer Residenzschloss Friedenstein, speiste mit ihm zusammen und es gab auch einen äußerst vertraulichen Briefwechsel.

Zu Napoleons Geburtstag wurde auf dem Residenzschloss jährlich ein großer Gala-Empfang gegeben, zu dem auch die Weimarer eingeladen wurden, die allerdings stets dem Fest fernblieben. Als Dank für seine Gunstbeweise schenkte Napoleon übrigens dem Herzog einen seiner berühmten Zweispitze. Herzog Emil-August war sichtlich erfreut, trug den Zweispitz zu diversen Festlichkeiten höchstpersönlich auf seinem Kopf und ließ dem kostbaren Stück eigens eine Vitrine in seiner Sammlung bauen. Seine fast manische Verehrung des Korsen gipfelte in der Einrichtung eines Napoleon-Zimmers auf Schloss Friedenstein, das bei seinen ernestinischen Verwandten auf noch mehr Unverständnis traf.

Dass Herzog Emil-August dennoch bei den Feierlichkeiten in Weimar eingeladen war und von seinen Cousins, Vettern und sonstigen Verwandten empfangen wurde, war ein kleines diplomatisches Wunder.

Sicherlich war es auch sein großes Herz, das ihn seine politischen Verfehlungen entschuldigen ließ. Der Gothaer Herzog war ein hochgebildeter und sensibler Mann. Er war ein bedeutender Kunstsammler und Mäzen, half zudem vielen Dichtern und Künstlern mit nicht unbeträchtlichen Geldsummen aus der Misere. Sein Engagement wurde von den Weimarern sehr geschätzt, zumal sich die Weimarer ebenfalls als Kunstförderer und Mäzene verstanden.

Und letztendlich galt er als perfekter Unterhalter. Er hatte einen Hang zum Exzentrischen, trat in diversen Kostümierungen auf, scheute auch nicht davor, in Frauenkleidern die Lacher auf seine Seite zu bringen und glänzte als geistreicher Plauderer, der stets ein Bonmot auf den Lippen hatte und sogar derbere Scherze machte.

Es wurde gemunkelt, dass er schönen Jünglingen zugetan war. Augusts Ehefrau, die hessische Prinzessin Karoline-Amalie, begleitete ihren Mann schon lange nicht mehr bei seinen Auftritten. Sie hatte sich bereits vor einigen Jahren von ihm entfernt, lebte getrennt vom Herzog im Gothaer Schloss Friedensthal. Außerdem war sie bereits seine zweite Ehefrau. Zuvor war er mit einer Mecklenburger Prinzessin verheiratet. Dieser Ehe war auch seine einzige Tochter, Prinzessin Louise, entsprungen, die inzwischen fünfzehn Jahre alt sein musste. Auf dem Ball hatte die schöne Prinzessin noch niemand erblickt, sie galt als scheu und etwas schüchtern. Womöglich schämte sie sich auch für die Eskapaden ihres Vaters.

Der Geheime Hofrat von Goethe, erster Berater und enger Freund des Weimarer Großherzogs, war vom Gothaer Herzog Emil-August fasziniert und angewidert zugleich. Er begrüßte ihn höflich und mit einem spöttischen Lächeln, das seine Begrüßungsworte sogleich hintertrieb.

Goethe waren die literarischen Ambitionen des exzentrischen Herzogs bekannt. Den poetischen Roman »Kyllenion – Ein Jahr in Arkadien« des Herzogs hatte der Dichterfürst kurz nach seinem Erscheinen vor zehn Jahren in einer bissigen Kritik verrissen.

Fürst Friedrich-Günther

von Schwarzburg-Rudolstadt

Emil-August wusste über die Kritik Goethes Bescheid, hatte seinerseits Spottverse zu Goethes Gedichten verfasst. Die beiden beobachteten sich beim Austausch von höflichen Floskeln argwöhnisch. Beide waren Napoleonverehrer, dennoch hatten sie kaum Sympathien füreinander. Goethes Aufmerksamkeit wurde durch ein Raunen abgelenkt, dass beim Einzug des Schwarzburger Fürsten Friedrich-Günther durch die versammelte Gästeschar ging.

Friedrich-Günther von Schwarzburg-Rudolstadt war erst seit einem Jahr Fürst. Das kleine Fürstentum gehörte dennoch zu den ältesten Herrscherhäusern Thüringens. Die Schwarzburger residierten schon zu Zeiten der Ludowinger als Grafen, stellten sogar einen deutschen Kaiser, wenn es auch nur für kurze Zeit, genauer gesagt, gerade mal ein Jahr, war.

Friedrich-Günther war noch ein junger Mann, erst zweiundzwanzig Jahre alt. Vor knapp einem Jahr hatte er den Fürstenthron bestiegen. Er galt als Hoffnungsträger in seinem kleinen Fürstentum, hatte bereits die Schweiz, Italien und Frankreich bereist, eine vorzügliche Ausbildung in Genf genossen und parlierte perfekt in Französisch und Italienisch.

Mit seinem Onkel, dem hessischen Prinzen Philipp von Homburg, nahm er auch an den Kriegen gegen Napoleon teil, ohne dass er jedoch militärisch aktiv war. Dafür war er einfach noch zu jung, dennoch kannte er sich bestens aus, wusste über die Affinitäten und Streitereien der übrigen Thüringer Dynastien Bescheid und versuchte, früh mitzuspielen in dem großen Lotteriespiel.


Fürst Günther-Friedrich

Carl von Schwarzburg-Sondershausen

Es galt, sein eigenes Land zu etablieren im Bunde der Siegermächte und wenn möglich, auch etwas abzubekommen vom großen Kuchen, der beim Wiener Kongress verteilt wurde. Seine Karten jedoch waren schlecht gemischt. Er verfügte nicht über die glänzenden Beziehungen, die den ernestinischen Herzogtümern halfen, ihre Besitzungen zu mehren.

Sein kleines Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt war ein Flickenteppich, eingebunden in die komplizierten Thüringer Herrschaftsverhältnisse, grenzte an so ziemlich alle übrigen Länder oder besaß Exklaven inmitten ernestinischer Herzogtümer. Hinzu kam noch die innerschwarzburgische Teilung. Es existierten nämlich zwei Schwarzburger Fürstenhäuser, sein Vetter aus Sondershausen war natürlich auch geladen.

Fürst Günther-Friedrich-Carl I. von Schwarzburg-Sondershausen war ein jovialer Lebemann. Bereits Mitte Fünfzig, dennoch voller Kraft und Eleganz, war sein Auftritt fast theatralisch. Er galt als großer Freund der Jagd, hatte zahlreiche Trophäen in seinem Jagdschloss zu Ebeleben ausgestellt und lud regelmäßig die Thüringer Herrscher zu seinen allseits bekannten Jagdvergnügungen ein. Heute Abend war er in der traditionellen Schwarzburger Galauniform erschienen, also hellblau-weiß und sah so seinem Rudolstädter Vetter ziemlich ähnlich, der ebenfalls in hellblau-weißer Galauniform auftrat.

An seiner Seite schwebte seine Gemahlin, Fürstin Caroline. Sie war eine Rudolstädter Prinzessin und gleichzeitig die Tante des amtierenden Rudolstädter Fürsten. Ihnen folgten Prinz Günther-Friedrich-Carl II., der gerade vierzehn Jahre alt war und seine Schwester, die ebenfalls noch blutjunge Prinzessin Emilie-Friederike-Caroline.

Beide Fürsten waren zwar aus demselben Hause, hatten jedoch grundverschiedene Ansichten. Waren die Rudolstädter Fürsten eher liberale Herrscher, die der neuen Zeit recht aufgeschlossen gegenüber traten, hatte Günther von Sondershausen erzkonservative Ansichten. Am liebsten sollte alles so bleiben, wie es war.

Die Rudolstädter Fürsten sahen sich eher auf Augenhöhe zu den Weimarer Herzögen, förderten Kunst und Kultur in ihrem kleinen Fürstentum.

Doch auch Günther von Sondershausen war trotz seiner Jagdleidenschaft ein Musenfreund. Fürst Günther, wie er von allen genannt wurde - übrigens fast alle Schwarzburger Fürsten hießen Günther - ließ ein großes Theater erbauen und gründete ein eigenes Orchester, das bald schon über die Landesgrenzen bekannt wurde. Als Lohorchester reiste es durch Europa und verbreitete den Ruf des Hauses Schwarzburg-Sondershausen als kunstsinniges Fürstentum.

Reformfreudig zeigte sich Günther jedoch wenig.

Artig begrüßten sich die beiden Schwarzburger Fürsten am heutigen Abend, prosteten den übrigen Gästen mit einem Glas Champagner zu und defilierten die lange Reihe der illustren Gäste ab.

Eine üppige Schönheit kam freudig auf den jungen Fürsten von Rudolstadt zugeeilt. Sie knickste eine flüchtige Begrüßung und hatte ihn bereits für sich vereinnahmt. Der Fürst war noch unverheiratet und ein gutaussehender Dandy.

Die Dame, die sich ihm vorgestellt hatte, war schon etwas reifer, war aber sichtlich eine der außergewöhnlichsten Erscheinungen auf dem Ball. Dunkle Locken zierten ihr Haupt, das Gesicht wies eine natürliche Schönheit auf, die nur von freundlichen Menschen erzeugt werden konnte. Sie verbarg geschickt ihre etwas zu üppig geratenen Kurven unter einem dunkelgrünen Ballkleid, das mit einem großen Tüllschal lässig umkränzt war. Die Dame gehörte einem der vornehmsten Häuser seines kleinen Fürstentums an. Es war Caroline von Wolzogen, verwitwet seit sechs Jahren, geschiedene von Beulwitz, geborene von Lengefeld.

Sie war die älteste Tochter des Oberlandjägermeisters Carl Christoph von Lengefeld, dem die überaus reichhaltigen Wälder des kleinen Fürstentums unterstanden und der damit einen der wichtigsten Wirtschaftszweige und Einnahmequellen des Fürstentums verwaltete. Das Lengefeldsche Haus in Rudolstadt war eines der ersten am Platze. Der frühe Tod des Vaters brachte die Lengefelds jedoch in eine prekäre Lage.

Caroline wurde schon als Sechszehnjährige mit dem reichen Regierungsrat Friedrich Wilhelm von Beulwitz verheiratet, eine Ehe, die von Anfang an unter einem schlechten Stern stand. Beulwitz glänzte mit Abwesenheit, war in diplomatischer Mission meist unterwegs und kümmerte sich nicht im Geringsten um seine junge Frau. Caroline war gekränkt, fühlte sich hintenan gesetzt und zog wieder ins Lengefeldsche Hause ein, in dem noch ihre Mutter und Schwester residierten. Beulwitz beglich alle Rechnungen, war aber ansonsten kaum zu sehen.

Ihre Schwester Charlotte, die immer etwas im Schatten der größeren Schwester stand, war mit dem Dichter Friedrich Schiller verheiratet gewesen. Beide Schwestern galten als kunstsinnig und gebildet, waren dem Musenhof von Herzogin Anna-Amalia, der Mutter des jetzt regierenden Großherzogs von Weimar-Eisenach, verbunden und pflegten auch viele weitere Kontakte zur literarischen Welt.

Die Ménage a trois, wie man elegant das Dreiecksverhältnis zwischen Schiller und den beiden Schwestern umschrieb, war ein offenes Geheimnis. Warum der berühmte Dichter die etwas unscheinbarere Charlotte der geistreichen und bildhübschen Caroline vorzog, war für alle Eingeweihten ein Rätsel.

Charlotte war als Frau Schiller jedenfalls völlig zufrieden und glücklich, sorgte dafür, dass ihr Mann mit Goethe befreundet blieb und hatte sich als philosophierende und scharfsinnige Frau in Weimars Geisteselite einen Namen gemacht.

Charlotte war an diesem Abend allerdings nicht an der Seite ihrer Schwester zu finden, ihr ehemals enges Verhältnis hatte sich merklich abgekühlt. Sie zog die Gesellschaft ihrer Patentante, der Freifrau von Stein vor. Die in die Jahre gekommene Hofdame, einst Goethes Freundin und Favoritin, war immer noch eine schillernde Persönlichkeit, die es verstand, eine große Anhängerschaft um sich zu scharen.

Caroline, die ebenfalls schrieb und mit Schiller eine tiefe Seelenverwandtschaft entwickelte, blieb trotz ihrer Scheidung vom ungeliebten Beulwitz auf der Strecke, heiratete schließlich Schillers alten Schulfreund Wilhelm von Wolzogen. Dessen Frau Mama hatte den jungen Rebellen Schiller in ihrem Bauerbachschen Anwesen aufgenommen und so vor den Schergen der Württemberger geschützt. Schiller war als junger Bursche von der Karlschule, einer schwäbischen Kadettenschule, geflohen, da er keinerlei Ambitionen hatte, als Militärarzt sein Leben zu fristen. Ihn zog es in die Welt.

Wolzogen und Schiller verband eine lebenslange Freundschaft. Er stand Schiller auch in dieser delikaten Situation bei, als die Ménage a trois auseinanderbrach. Böse Zungen lästerten, es wäre eine Scheinehe, die von Wolzogen und der Lengefeldschen Schwester eingegangen wurde, da sie schwanger war, mit einem Kinde, das wohl von Schiller sei.

Jedenfalls ging Caroline mit Wolzogen auf Reisen in die Schweiz, kam zurück als Ehefrau von Wolzogen und zeigte stolz ihr Baby vor. Doch auch diese Ehe hielt nicht lange. Wolzogen verstarb plötzlich nach kurzer Krankheit. Das Getuschel war groß, doch die selbstbewusste Dame machte sich nichts daraus.

Sie hatte inzwischen einen gewissen literarischen Ruhm erlangt, ihr Roman »Agnes von Lilien«, ein schwärmerischer Gefühlsausbruch eines jungen Mädchens, in Briefform erzählt, war vor zwölf Jahren Stadtgespräch.

Obwohl sie den Roman anonym in der von Schiller herausgegebenen Zeitschrift »Die Horen« veröffentlichte, war schnell klar, wer die Autorin war. Caroline galt als literarische Entdeckung.

So schnell der Ruhm kam, so schnell verschwand er leider auch wieder. Es wurde sogar gemunkelt, Schiller hätte ihr beim Schreiben geholfen. Caroline war empört.

Sie zog von Rudolstadt nach Weimar. Ihr Haus wurde zu einem Treffpunkt der Geistesgrößen der Stadt und viele prominente Besucher weilten bei ihr. Caroline von Wolzogen war inzwischen eine Institution in Sachen Literatur und schöne Künste.

Fürst Friedrich-Günther von Schwarzburg-Rudolstadt wusste um die gesellschaftlichen Verwicklungen seiner prominenten Untertaninnen, genoss sichtlich, wie ganz Weimar ihnen zu Füßen lag. Seinen guten Beziehungen zu dem Großherzogtum war das nur förderlich. Er lächelte über seine heimlichen Botschafterinnen, prostete ihnen zu und wandte sich den übrigen Gästen zu. Es galt, noch viele wichtige Leute heute Abend zu treffen und zu sprechen.



Herzog Friedrich von

Sachsen-Hildburghausen

Gerade waren Herzog Friedrich und seine Gattin Charlotte von Sachsen-Hildburghausen eingetroffen. Der leutselig lächelnde Herzog, inzwischen auch schon leicht ergraut, hatte eine bayerische Marschallsuniform an. Charlotte, die ihrer Schwester, Königin Louise von Preußen, immer noch zum Verwechseln ähnlich sah, hatte ein etwas distanziertes Verhältnis zu ihrem Mann. Ihm war sie suspekt, viel zu schlau und selbstbewusst.

Seine Tochter Therese, eine Schönheit im klassischen Sinne, hatte vor fünf Jahren den bayerischen König Ludwig I. geheiratet. Diese Ehe war ein Segen für das kleine Herzogtum im Süden Thüringens.

Friedrich war ein eher unscheinbarer Mann, der trotz mehrjähriger Aufenthalte am Wiener Hofe und bei den anderen Herzögen als sehr bodenständig und volksnah galt. Sein kleines Land war wirtschaftlich in einer prekären Situation. Alle wussten das, protegierten ihn jedoch heimlich, da er ein nützlicher Verbündeter war.

Seine Ehefrau Charlotte war die Schwester der preußischen Königin Louise und nun war er auch noch der Schwiegervater des bayerischen Königs. Somit wurde er ein wichtiger Mann für die Thüringer Herzöge, wenn es darum ging, neue Allianzen zu schmieden. Am Weimarer Hof war er ein oft und gern gesehener Gast, seine Mutter Ernestine war nämlich eine Weimarer Prinzessin.

Und Herzog Friedrich hatte ein weiteres Ass im Ärmel. Er hatte einem geheimnisvollen Grafenpaar Asyl in seinem kleinen Herzogtum gewährt. Es wurde erzählt, dass es eine Tochter des letzten französischen Königs war, die inkognito mit einem ebenfalls französischen Adeligen in dem abgeschiedenen Schloss Eishausen, der Sommerresidenz des Herzogs lebte. Die geheimnisvollen Fremden, die vom Volksmund als die Dunkelgrafen bezeichnet wurden, waren dem Herzog sehr zugetan und es sollten auch nicht unbedeutende Geldsummen in dessen Schatztruhe geflossen sein.

Das war für alle übrigen Ernestiner äußerst ärgerlich, zumal das geheimnisvolle Grafenpaar sowohl bei den Gothaern, den Weimarern als auch den Meiningern vorgesprochen hatte.

Die spürten jedoch, was für eine brenzlige Situation für sie entstehen könnte, falls an den Gerüchten etwas Wahres dran war. Zumal es die Zeit der Rheinbund-Allianz war und alle Thüringer Staaten de facto nur noch von Napoleons Gnaden existierten. Herzog Friedrich wusste um all diese Vorgänge bestens Bescheid und schritt hocherhobenen Hauptes mit seinem Gefolge übers Parkett. Nein, er war zwar nicht der größte der Herzöge, aber sicherlich einer der wichtigsten.Seine Meininger Nachbarn, die gerade angekommen waren, hatten da ganz andere Probleme.

Herzogin Louise-Eleonore von Sachsen-Meiningen war eine respekteinflößende Persönlichkeit. Sie rauschte in einem dunklen, blau-schwarz schillernden Kleid übers Parkett, ihre ewige Trauer um ihren Gatten, Herzog Georg I., der nun schon seit zwölf Jahren tot war, zur Schau zu stellen. Seit dem Tod ihres Mannes war sie auch Regentin des Herzogtums, da ihr Sohn, Bernhard II. Erich Freund, noch nicht volljährig war.

Herzogin Louise-Eleonore

von Sachsen-Meiningen

Der junge Prinz, ein schmales Bürschchen mit hoher Stirn und schwarzem Haar, stand in seiner Uniform etwas verloren hinter seiner gestreng blickenden Frau Mama, neben ihm die beiden Prinzessinnen Adelheid und Ida, beide auffallende Schönheiten mit einer glänzend schwarzen Haarpracht und dunklen Augen, die eher südländisches Blut vermuten ließen.

Louise-Eleonore hatte ihre Familie fest im Griff, ebenso ihr Herzogtum. Nur sehr unwillig trat sie dem Rheinbund bei, ein »Nein« hätte jedoch das Ende ihrer Regentschaft und wohl auch des Landes bedeutet.

Die Truppenkontingente und Abgaben, die das kleine Herzogtum zu zahlen hatte, überstiegen weit die eigentliche Wirtschaftskraft. Meiningen verarmte in kürzester Zeit. Nur die privaten Getreidekäufe der Herzogin, die sie aus ihren Rücklagen bestritt, konnten das Land vor einer Hungersnot bewahren.

Nach dem Ende der Napoleonischen Vorherrschaft war sie eine der ersten Herrscher, die sich für ein neues Bündnis aussprach. Ihrem Sohn und auch den beiden Töchtern ließ sie eine exzellente Ausbildung zukommen. Bei einer Italienreise hatte sie den Schweizer Pädagogen Pestalozzi kennengelernt, der ihr seitdem freundschaftlich verbunden war und dessen reformfreudiger Erziehungsstil bei ihr auf lebhaftes Interesse stieß. Sie galt als liberal.

Alle Herzöge und Fürsten Thüringens waren von ihrer Persönlichkeit tief beeindruckt und sie wurde in ihren Reigen stets respektvoll aufgenommen. Mit ihrer ungewöhnlich tiefen Stimme und dem skeptischen Blick, der ihr Antlitz immer missmutig erscheinen ließ, konnte sie sich stets Gehör verschaffen.

Herzogin Louise-Eleonore steuerte mit ihrem Gefolge als erstes die reich gedeckten Bankett-Tische an. Sie hatte bereits von weitem die goldfarben überzogenen Ananasfrüchte entdeckt. Ananas galt als etwas Besonderes. Wer es vermochte, diese köstliche, saftige Frucht zu kultivieren, war ein begehrter Mann. Louise-Eleonore hatte wie viele andere ihrer Zeitgenossen ein Faible für diese Frucht.

Die riesigen Früchte waren ein Geschenk des Gothaer Herzogs August für seinen Vetter, den Weimarer Großherzog. In der Orangerie von Schloss Friedenstein zu Gotha züchteten Augusts Gartenmeister schon seit vielen Jahren diese köstlichen Früchte. Als Dank für die Einladung hatte der Gothaer Herzog seinem Weimarer Cousin fünfzig Ananas mitgebracht. Alle Früchte waren vorher mit goldener Farbe besprüht worden und glitzerten jetzt wie exotische Schmuckstücke.

Die königlichen Früchte, dank des Blattwerks, das die Frucht zierte wie eine natürliche Krone, wurde der Ananas dieses vornehme Attribut gewährt, waren von den Trancheurs des Großherzogs vor den Augen der Gästeschar kunstvoll in appetitliche Happen zerteilt worden. Auf kleinen Tellerchen wurden sie dem illustren Publikum dargeboten. Ein freudiges Raunen und Ächzen begleitete den Vorgang. Jeder wollte von der köstlichen Frucht wenigstens einen Happen abbekommen.

Manche Prinzessin verlor vollkommen die Contenance bei der Jagd nach den saftigen Würfelchen. Freifrau von Stein kam freudestrahlend zur Entourage des Großherzogs herbeigeeilt, balancierte ein Tellerchen mit fünf Ananashappen kunstvoll durch das Menschengewimmel und verteilte dann den Prinzen und Prinzessinnen je einen Happen. Den letzten Happen hatte sie für sich aufgehoben.

Auch Caroline von Wolzogen hatte eines der begehrten Tellerchen ergattert und teilte es mit ihrer Freundin, Caroline von Dacheröden, einer großgewachsenen Dame, die einem alten Thüringer Adelsgeschlecht aus der Gegend um Nordhausen entstammte und seit über zwanzig Jahren mit dem preußischen Universitätsprofessor Wilhelm von Humboldt verheiratet war.

Die Dacheröden führte eine sehr moderne Ehe, gönnte sich Auszeiten und hatte sogar diverse Liebhaber, wovon ihr Mann wusste, der das mit einem Lächeln tolerierte und ebenfalls eigene Liebschaften pflegte. Am Weimarer Hofe war das Ehepaar gern gesehen. Die Lengefeldschen Schwestern waren ihre Jugendfreundinnen und später in Jena auch Nachbarinnen des Ehepaars Humboldt.

Caroline von Dacheröden weilte mehrmals in Paris, Wien und Rom, erlebte hautnah den Terror der Revolution, ging am Wiener Hof ein und aus, begleitete ihren Mann bei diplomatischen Missionen und unternahm eine Reise ins von napoleonischen Truppen besetzte Spanien. Dort katalogisierte sie Kunstwerke und Gemälde aus den Kunstsammlungen der spanischen Könige, bewahrte sie dadurch wohl vor Raub und Zerstörung.

Von den acht gemeinsamen Kindern hatten drei es nicht geschafft, die ersten Jahre zu überstehen. Wilhelm von Humboldt weilte gerade in Berlin, aber die Dacheröden war dankbar für die Einladung. Sie hatte zwei ihrer älteren Töchter, Caroline und Adelheid, mitgenommen um sie bei Hofe einzuführen.

Die beiden jungen Damen staunten über die vielen vornehm gekleideten Menschen, hielten sich ansonsten bescheiden zurück und plauderten mit ein paar Gleichaltrigen, die ebenfalls erstmals zu einer solchen Feier mitdurften. Alles war aufregend und neu für sie …

Caroline von Dacheröden fühlte sich sichtlich wohl, denn es gab wirklich etwas zu feiern. Nicht nur, dass sie ihre Freundinnen zu einem kleinen Schwatz traf, es gab ja auch die vielen Prinzen, Herzöge, Fürsten und anderen Personen der Politprominenz, die für sie interessante Gesprächspartner waren. Billets mit Einladungen zum Nachmittagstee wurden ausgetauscht und der neueste Klatsch machte seine Runde.


Fürst Heinrich

Reuss zu Greiz

Gerade kam wieder ein Prinz in österreichischer Ulanenuniform auf sie zu. Es war der Sohn des Fürsten Reuß zu Greiz, der als schneidiger Offizier die Blicke auf sich lenkte.

Er hatte in österreichischen Diensten gegen die Franzosen gekämpft. Caroline von Dacheröden war am Wiener Hof bekannt, sie wusste auch um die engen Bindungen der Reußischen Fürsten zu den Österreichern.

Heinrich XIX. war zwar noch nicht offiziell der Fürst seines kleinen Landes, sein Vater hatte ihm aber alle wichtigen Ämter bereits übergeben. Heinrich XVIII. war ein alter, gebrechlicher Mann, der nicht mehr auf dem Ball erscheinen wollte.

Die Reußischen Fürsten waren ähnlich den Schwarzburgern ein Adelsgeschlecht, das bereits im frühen Mittelalter im Osten Thüringens residierte. Eigentlich waren es Vögte, also Burgverwalter. Als Vögte von Weida waren sie schnell aufgestiegen, hatten die Ländereien zwischen Gera, Schleiz und Köstritz erobert, dann auch noch Greiz, Ebersdorf und Lobenstein unter ihre Herrschaft gebracht. Die Gegend wurde nach ihnen daher auch als das Vogtland bezeichnet.



Fürst Heinrich

Reuß zu Schleiz

Aber die Reußen waren noch viel zersplitterter als die übrigen Thüringer Adelshäuser. Es gab diverse Linien, die sich immer weiter aufsplitterten und ein heilloses Durcheinander von Kleinstherrschaften etablierten.

In lockerer Konversation mit seinem Vetter war Fürst Heinrich LXII. Reuß zu Schleiz, Graf zu Plauen und Herr von Gera, vertieft. So wie die Schwarzburger Fürsten alle Günther hießen, waren die Reußen allesamt mit dem Namen Heinrich beglückt worden. Durch die verwirrende Vielfalt der Reußischen Fürstentümer konnten die vielen Heinriche nur anhand ihres vollen Titels unterschieden werden. Der Schleizer Heinrich war in einer grünen Uniform erschienen. Er war auch noch ein junger Mann, Anfang Dreißig, galt als integrer Partner der Ernestiner und aufstrebender Mann, der es möglicherweise schaffte, die vielen kleinen Reußischen Besitzungen zu einem einheitlichen Staatsgebilde zu vereinen. Fürst Heinrich war ein studierter Mann, hatte in Würzburg und Erlangen eine fundierte Ausbildung in Wirtschaft, Geschichte und Politik bekommen und hatte bereits begonnen seine Besitzungen zu modernisieren. Die Zersplitterung hatte den Reußischen Ländereien mehr Nachteile als Vorteile gebracht. Nennenswerte Reichtümer konnten so nicht angehäuft werden.Sein Gegenspieler war Erbprinz Heinrich LXXII. Reuß zu Ebersdorf, ebenfalls der jüngeren Reussischen Linie zuzuordnen. Der Ebersdorfer Reuße war ein schneidiger Offizier, noch jung an Jahren, gerade einmal achtzehn geworden, aber ebenso ambitioniert wie sein Schleizer Vetter.

Er machte der anwesenden Damenwelt gerade den Hof, galt als Charmeur und war speziell den Sängerinnen und Schauspielerinnen sehr zugetan. Der Prinz war bereits vielgereist, weilte in England, der Schweiz und auch in Frankreich.


Fürst Heinrich

Reuss zu Ebersdorf-

Lobenstein

Trotz seiner jungen Jahre wusste er bereits, wie das kleine Fürstentum umgestaltet werden musste.

Er jonglierte mit Fachbegriffen wie Akrobaten im Zirkus mit Bällen, verblüffte selbst ältere Regierungsräte mit seinen Ideen einer Verwaltungsreform, einer landeseigenen Feuerversicherung und einem neuen Steuersystem, dass er bei den Briten abgeschaut hatte.

Abseits des Trubels um die bunte Schar der uniformierten Reußischen Fürsten stand ein untersetzter Husarenoffizier, der seinen Tschako lässig über der Schulter trug. Er beobachtete interessiert die Menge, hielt sich allerdings etwas distanziert.

Der Coburger Herzog Ernst war mit einem Glas Champagner auf ihn zugetreten. Beide hatten zusammen gegen Napoleon gekämpft.

Es war der inzwischen zum Rittmeister der Husaren ernannte Fürst Heinrich LXIV. Reuß zu Köstritz, dem kleinsten Reußischen Fürstentum.

Eigentlich war Reuß-Köstritz nur ein Paragiat, also ein Abfindung für nachgeborene Prinzen. Dennoch wurde es wie ein vollkommen unabhängiges Fürstentum behandelt.

Der Husarenoffizier Heinrich wusste das und hielt sich lieber abseits, wenn seine Cousins und Vettern miteinander parlierten. Er hatte sich zahlreiche Meriten in den Schlachten gegen Napoleon erworben, kämpfte unter den Österreichern, später als Oberstleutnant bei Wellington und war auch aktiv in russischen Diensten.

Ein echter Haudegen, mutig und zäh, blickte mit verwunderten Augen auf die Ansammlung schöner Damen und gutgekleideter Herren. Er fühlte sich nicht wirklich wohl auf diesem Ball. Aber seit einem Jahr hatte er die Regierungsgeschäfte in seinem kleinen Fürstentum übernommen und musste sich jetzt auf diplomatischen Parkett beweisen.


Fürst Heinrich

Reuß zu Köstritz

Seine alten Freundschaften zu den Männern der Allianz hatten ihn auch an den Verhandlungstisch beim Wiener Kongress gebracht. Eigentlich hatte er keinerlei Ambitionen für das Fürstenamt, aber sein älterer Bruder war vor zwei Jahren gefallen und sein Vater vor knapp einem Jahr verstorben.

Reuß-Köstritz war den meisten nur bekannt durch seine Schwarzbierbrauerei, die sich in fürstlichem Besitz befand und natürlich seine Dahlienzucht. Köstritzer Dahlien waren ein Verkaufserfolg ohnegleichen, wurden an allen Höfen heiß begehrt und waren auch heute auf dem Ball überall verteilt worden. Fürst Heinrich hatte sie als kleines Geschenk mitgebracht und der Damenwelt überreichen lassen.

Der erklärte Junggeselle hätte dank seines imponierenden Auftretens und seiner Blumengrüße sicher eine passende Dame gefunden, aber ihn zog es immer wieder zum Militär, und da passte keine Frau dazwischen. Um den Fortbestand seines Fürstentums machte er sich sowieso keine allzu großen Sorgen. Reuß-Köstritz war nur ein Paragiat, blieb er ohne Nachkommen, wurde es von einem anderen Reußen übernommen.

Eine geheimnisvolle Schönheit in einem rosa Domino hatte sich dem etwas verloren dastehenden Reußenfürsten genähert. Mit einem Lächeln warb sie um Aufmerksamkeit. Fürst Heinrich stellte sich ihr vor, bekam von der Dame jedoch keinerlei Hinweise, wer sie denn sei. Sie hatte eine gelbe Dahlie in der Hand, spielte mit der Blume, als ob sie ein lebendiges Wesen sei.

»Gefällt sie Ihnen?«

»Die Blume, wie heißt sie?«

»Es ist eine Dahlie. Erst vor fünfzehn Jahren kamen Dahlien nach Deutschland. Sie kommen aus Amerika, aus Mexico. Ein Schwede namens Dahl hat sie kultiviert in einem Botanischen Garten. Er beglückte sie mit seinem Namen. In meinem Garten haben meine Hofgärtner sie erfolgreich gezüchtet. Ich habe sie aus England mitgebracht, dort sind sie schon sehr populär.«

»Oh, sie kennen sich gut aus …«

Der Fürst lächelte, einem Husarenrittmeister traute die unbekannte Schönheit wohl nicht zu, sich mit so etwas Diffizilem wie einer exotischen Blume auszukennen.

»Haben Sie schon von den köstlichen, goldenen Früchten probiert? Sie sind wunderbar.«

Wieder lächelte der Fürst.

»Sie meinen die Ananas?«

»Ja, Ananas. Seltsamer Name. Finden Sie nicht auch?«

»Kommt auch aus Amerika, ursprünglich. Früher wurde sie nur an den großen Königshöfen serviert. Inzwischen kann sich selbst ein Geck wie der Gothaer Herzog August damit eine goldene Nase verdienen.«

»Sie mögen ihn nicht?«

Der Fürst schwieg.

»Was ist mit Herzog Emil-August? Alle finden ihn furchtbar interessant und lieben seine Scherze, aber wirklich gemocht wird er nicht…«

»Er hat sich mit den Franzosen zu eng …, Na, Sie wissen schon! Aber was geht Sie das an? «

Die Dame lächelte maliziös. Inzwischen war auch der junge Ebersdorfer Reußenprinz Heinrich LXXII. hinzugekommen, wollte wissen, wer die schöne Dame sei. Sein Fürstentum Reuß-Ebersdorf war nur wenig größer als Reuß-Köstritz. In den Wirren des Napoleonischen Einmarsches hatte Ebersdorf Pech. Napoleons Truppen verwüsteten beim Durchmarsch das kleine Land und hinterließen zerstörte Dörfer und abgebrannte Felder.

Die Dame im rosa Domino hatte sich abgewandt und beim Einsetzen der Musik eilte sie Richtung Ausgang. Draußen wartete schon eine Kutsche, in die sie schnell flüchtete und davonfuhr.

Kaum jemand hatte davon Notiz genommen. Alle geladenen Gäste unterhielten sich aufs Beste und vergnügten sich.

Die Kutsche, in die die junge Schönheit sprang, hatte ein Herzoglich Gothaer Wappen an der Tür. In den Gassen Weimars verklang das Rattern der Räder schnell.

Ludowingerblut

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