Читать книгу SPIEGLEIN politisches Jahrbuch 2020 - Thomas Röper - Страница 10

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Epstein

Der Fall Epstein beschäftigte die Medien 2019 weit weniger, als er es verdient hätte. Es war der vielleicht größte politische Skandal der letzten Jahrzehnte oder doch zumindest einer der größten. In den deutschen Medien spielte er jedoch kaum eine Rolle. Daher wollen wir uns einmal anschauen, worum es ging und worüber in Deutschland unwahr, unvollständig oder gar nicht berichtet wurde.

Zunächst wollen wir einen Blick auf die bekannten Fakten der Vorgeschichte werfen.

Jeffrey Epstein hatte sein Geld an der Wallstreet gemacht und galt als Milliardär. Ihm gehört das teuerste Einfamilienhaus im Zentrum von New York. Er galt als Lebemann. 2007 wurde er in Florida angeklagt, weil er minderjährige Mädchen zur Prostitution angeworben haben soll. Er engagierte die teuersten Anwälte der USA und eine ganze Horde von Privatdetektiven, um einerseits die Belastungszeugen unglaubwürdig zu machen und andererseits im Gerichtssaal zu gewinnen. Gewonnen hat er trotzdem nicht, es kam aber zu einem Deal, bei dem er sich schuldig bekannte und zu 13 Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Die Strafe war ausgesprochen gering, und er hatte auch noch an sechs von sieben Tagen der Woche zwölf Stunden Ausgang.

Der anklagende Staatsanwalt war Alex Acosta, der später Arbeitsminister unter Trump war und nach heftigen Angriffen der Demokraten und US-Medien zurücktrat, als der Fall Epstein erneut in die Schlagzeilen geriet. Acosta behauptet bis heute, dass er vor Gericht gegen die Anwälte und Privatdetektive von Epstein nicht mehr erreichen konnte als den Deal, zumal vieles, was 2019 ans Licht gekommen ist, damals nicht bekannt gewesen sei. Ihm sei es darum gegangen, Epstein wenigstens als Sexualstraftäter registrieren zu können. Ob seine Version stimmt oder ob er sich ohne Not auf diesen für Epstein guten Deal eingelassen hat, wird sich kaum noch klären lassen.

Zu den Medienberichten in Deutschland komme ich etwas später, aber es sei schon einmal gesagt, dass es bemerkenswert ist, wie die deutschen Medien die Verbindungen zwischen Epstein und Bill Clinton herunterspielen und stattdessen eine angeblich enge Verbindung zwischen Trump und Epstein zeigen.

Epstein flog oft mit prominenten Freunden in seinem Privatjet, den Insider „Lolita-Express“ nannten, weil immer eine Reihe junger, oft sogar minderjähriger, Mädchen dabei waren. Eine Streitfrage ist, wie oft Bill Clinton dort mitgeflogen ist.

Wegen der vielen Fragen, die es dazu in den USA gibt, die aber in Deutschland kaum Erwähnung finden, war Clintons Sprecher gezwungen, sich gegenüber AP zu äußern und diese Erklärung auch auf Twitter zu veröffentlichen.45 Demnach sei Clinton zwischen 2002 und 2003 nur viermal im „Lolita-Express“ mitgeflogen und immer in Begleitung seiner Leibwachen vom Secret Service gewesen.

Allerdings hatte Fox News die Logbücher der Piloten veröffentlicht, und aus diesen geht hervor, dass Clinton tatsächlich 26-mal mitgeflogen sein soll, mehrmals auch ohne Mitarbeiter des Secret Service, dafür aber mit Begleiterinnen, von denen entweder nur Initialen oder Namen wie „Tatyana“ vermerkt worden waren.46 Auch die Journalistin Conchita Sarnoff, die den Fall ausführlich recherchiert und viele Zeugen befragt hatte, schreibt in ihrem Buch „TrafficKing“ darüber. Sie kommt auf 27 Flüge von Clinton im „Lolita-Express“. Die Echtheit der Logbücher hat bislang niemand bestritten.

Außerdem gibt es Meldungen, Epstein habe Anfang der 2000er Jahre die Gründung der Clinton Foundation mit Millionen unterstützt. Quellen über die genaue Summe habe ich nicht gefunden, aber die New York Times berichtete von einem gemeinsamen Flug Clintons und Epsteins nach Afrika im Jahr 2002, als die Clinton Foundation noch in den Kinderschuhen steckte. Bei dieser Gelegenheit sagte Bill Clinton der New York Times über Epstein:47

„Jeffrey ist beides, ein sehr erfolgreicher Finanzier und ein Philanthrop mit einem guten Sinn für globale Märkte und einem tiefen Wissen über die Wissenschaft des 21. Jahrhunderts. Besonders dankbar bin ich für seine Großzügigkeit bei unserem kürzlichen Trip nach Afrika, um an der Demokratisierung zu arbeiten, den Armen zu helfen und AIDS zu bekämpfen.“

Im gleichen Artikel zitierte die New York Times Epstein mit den Worten:

„Ich investiere in Menschen, seien sie aus Politik oder Wissenschaft. Das ist es, was ich mache.“

Das klingt nicht nach „Philanthrop“, es klingt eher nach Korruption und Vetternwirtschaft. Das Wort „Networking“, das die New York Times benutzt, trifft es in meinen Augen nicht, wenn große Summen im Spiel sind. Und einen ehemaligen US-Präsidenten bekommt man sicherlich nicht für Kleingeld dazu, mit jemandem zu reisen, egal wohin und zu welchem Zweck.

Die genauen Summen sind unbekannt, doch im Artikel erwähnte die New York Times, dass zumindest für 2006 eine Spende über 25.000 Dollar von Epstein an Clinton belegt sei. Aber es ist unwahrscheinlich, dass dies die erste Spende war, wenn die beiden ab 2002 zwischen vier- und 27-mal zusammen im „Lolita-Express“ geflogen sind.

Wie sich Clinton schützen wollte, zeigen Screenshots einer Twitter-Userin48, die aufzeigte, wie Wikipedia beim Bekanntwerden des Skandals eiligst aus dem englischen Artikel über Epstein alle Verbindungen zu Clinton gelöscht, die Verbindungen zu Trump aber belassen hatte.


Womit wir bei Trump wären.

Trump hat als Platzhirsch in New York natürlich auch Epstein gekannt. Er ist zumindest einmal mit Epstein in dessen „Lolita-Express“ geflogen und hat 2002 laut New York Times über Epstein gesagt:

„Epstein ist einer, mit dem man viel Spaß haben kann. Es heißt auch, dass er schöne Frauen genauso mag wie ich, und viele sind auf der jüngeren Seite.“

Ob Trump an den Orgien, die im Flugzeug stattgefunden haben sollen, teilgenommen hat, ist also schwer zu sagen. Diese Aussage klingt eher so, als habe er davon gehört, nicht, als habe er es selbst erlebt. Und wenn wir uns an die Aussage von Trump, die im Wahlkampf 2016 für Schlagzeilen sorgte, erinnern, wo er sagte, er könne jeder Frau ungestraft in den Schritt greifen, ist Zurückhaltung bei deutlichen Aussagen nicht seine Stärke. Man darf erwarten, dass Trump sich deutlicher geäußert hätte, wenn er diese Dinge selbst erlebt hätte. Aber das ist spekulativ.

Aber ein Geheimnis waren die Eskapaden mit Minderjährigen in der New Yorker High Society offensichtlich nicht. Die Medien werfen Trump ja gerne vor, wirre Aussagen zu machen. Das galt auch für folgende Episode im Wahlkampf 2016: Trump wurde in einem Interview nach verschiedenen Personen befragt. Auf die Frage nach Bill Clinton sagte Trump in Minute 22.50 seines Auftritts:49

„Netter Kerl… Da kommen meiner Meinung nach eine Menge Probleme auf ihn zu im Zusammenhang mit der berühmten Insel und Jeffrey Epstein.“

Offenbar war der Skandal rund um Epstein und Clinton in der High Society ein offenes Geheimnis, denn Epstein wurde erst drei Jahre nach dieser Aussage von Trump erneut angeklagt.

Trump selbst hat sich übrigens nach übereinstimmenden Berichten mit Epstein zerstritten. Der genaue Zeitpunkt ist nicht bekannt, aber als 2007 das Verfahren gegen Epstein lief, wurde bekannt, dass Epstein auf Trumps Anwesen Mar-a-Lago in Florida Hausverbot bekommen hatte, nachdem er eine minderjährige Mitarbeiterin des Spa-Bereichs sexuell bedrängt haben soll.50

Und ein Anwalt eines der Opfer von Epstein im Verfahren 2007/2008 hatte in einem Interview mitgeteilt, dass Trump der einzige Prominente gewesen sei, der ihn damals bei seiner Arbeit unterstützte, alle anderen hätten jedes Gespräch verweigert.51

Das sind die Fakten, die zu Beginn des Skandals im Juli 2019 bekannt waren. Interessant ist nun, wie die Medien in Deutschland darüber berichteten.

Natürlich sind die Medien ihrer Linie treu geblieben: Trump ist böse und Clinton ist ein netter Kerl. Entsprechend begann der Artikel des Spiegel über die aktuelle Verhaftung von Epstein am 10. Juli mit folgenden Worten:52 „Der US-Finanzberater Jeffrey Epstein ist angeklagt, minderjährige Mädchen sexuell missbraucht zu haben. Nun gehen seine einstigen Bekannten auf Distanz – allen voran Donald Trump.“

Im Artikel hieß es dann: „Viele dieser Gäste ließ Epstein auf Fotos verewigen, die er US-Medienberichten zufolge überall bei sich zu Hause aufstellte. Bill Clinton, Prinz Andrew, der spätere saudische Kronprinz Mohammed bin Salman. Und natürlich der größte Partylöwe der goldenen Ära vor der Finanzkrise: Donald Trump. Doch jetzt könnte sich für manche rächen, in jenen Jahren keine Distanz zu Epstein gewahrt zu haben.“

Der Spiegel legte auch hier trotz der hochkarätigen (aber unvollständigen) Aufzählung von Epsteins Gästen wieder den Schwerpunkt auf Trump. Und der Spiegel fasste die oben zitierten Aussagen Trumps wie folgt zusammen: „Plötzlich will ihn keiner der alten Freunde mehr kennen. ‚Ich war kein Fan‘, behauptete Trump am Dienstag. Dabei hatte der US-Präsident, der sich 2016 ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt sah, Epstein früher als ‚fantastischen Typen‘ bewundert, gerade wegen seines Faibles für ‚jüngere Frauen‘.“

Wir haben die Aussage von Trump im Original gesehen. War das Bewunderung? Die korrekte Bezeichnung sollte wohl eher „bezeichnet“ lauten und nicht „bewundert“. Aber es geht dem Spiegel, man sieht es schon wieder, nicht um die Wahrheit. Es geht um Stimmungsmache gegen Trump, der durch die Häufigkeit der Erwähnungen im Zusammenhang mit jungen Mädchen im Spiegel-Artikel beim Leser in ein schlechtes Licht gerückt wird.

Dann zitierte der Spiegel eine Frage der New York Times und liefert auch gleich die Antwort mit: „‚Wer‘, fragt sich nicht nur die New York Times, ‚beschützte Epstein‘? Etwa Trumps heutiger Arbeitsminister Alex Acosta. Der war damals der zuständige US-Staatsanwalt in Florida und gönnte Epstein einen Deal: Er ließ die Anklage, die lebenslange Haft hätte bringen können, fallen.“

Danach ging es im Spiegel ausführlich um Acosta und um Vorwürfe der Demokraten gegen ihn. Kein Wort hingegen verlor der Spiegel darüber, dass Epstein die teuersten Anwälte der USA angeheuert und außerdem mit Hilfe von Privatdetektiven kompromittierendes Material über die Belastungszeugen gesammelt hatte, was diese vor Gericht unglaubwürdig machen sollte.

Ich will Acosta nicht verteidigen, aber unter diesen Umständen einen Prozess zu gewinnen, ist in den USA, wo bei den Geschworenen Emotionen oft wichtiger sind als juristische Fakten, nicht garantiert. Der Spiegel hätte, wenn er objektiv informieren wollte, diese Dinge zumindest erwähnen müssen.

Hinzu kommt, dass ein paar Tage später bekannt wurde, dass Epstein bei diesem Prozess mindestens zwei Zeugen mit 350.000 Dollar bestochen haben soll.

Acosta hatte als Staatsanwalt keine leichte Aufgabe. Ob er deshalb den für Epstein hervorragenden Deal abschließen musste oder auch andere Optionen gehabt hätte, ist damit aber auch nicht gesagt.

Erst zum Ende des langen Artikels kam der Spiegel auch zu Bill Clinton: „So dementierte Ex-Präsident Clinton Berichte, er sei 26-mal an Bord eines Epstein-Jets gewesen, den sie ‚Lolita Express‘ nannten. Er sei nur viermal mit Epstein geflogen, meist für humanitäre Missionen, erklärte Clinton jetzt, habe ihn aber seit einem Jahrzehnt nicht mehr gesprochen und keine Kenntnis von den ‚schrecklichen Straftaten‘. Ghislaine Maxwell, eine der engsten Vertrauten Epsteins, war aber noch 2010 zu Gast bei der Hochzeit der Clinton-Tochter Chelsea – auf Fotos grinst sie hinter dem Vater der Braut.“

Tja, immerhin ein kurzer Absatz über Clinton. Man kann dem Spiegel nicht vorwerfen, er habe Clinton nicht erwähnt. Aber er hat doch eine Menge weggelassen und stattdessen den Eindruck erweckt, Trump sei am Missbrauch Minderjähriger intensiv beteiligt gewesen: „Epstein wollte nach Justizangaben seine private ‚Modelagentur‘ so aufziehen wie Trump seinen eigenen Kreis aus Freundinnen.“

Das klingt gerade so, als sei Trump der Ideengeber für Epstein gewesen. Trump war bekanntermaßen kein Kind von Traurigkeit und hatte ungezählte Frauengeschichten. Aber niemand wirft ihm vor, etwas mit Minderjährigen gehabt zu haben. Man kann Trumps Verhalten Frauen gegenüber moralisch verurteilen, aber strafrechtlich gab es nie eine Anklage und auch keine Berichte, er hätte etwas mit Minderjährigen gehabt. Aber im Spiegel-Artikel wird ein anderer Eindruck erweckt.

Doch das schien dem Spiegel nicht auszureichen, denn er musste im letzten Absatz noch eine Lüge einbauen: „Nach dem Florida-Verfahren setzte ihn Trump vor die Tür, die Freundschaft war offenbar Geschichte.“

Damit suggerierte der Spiegel, dass Trump den Kontakt zu Epstein erst nach dessen Verurteilung abgebrochen habe, quasi nur, weil Epstein nun ein „Schmuddelkind“ war. Das stimmt nicht, denn die Berichte über den Streit von Trump und Epstein sind aus der Zeit, als das Verfahren begann und berichten über einen Vorfall in der Vergangenheit. Trump hatte sich also in jedem Fall schon vor der Anklage in Florida 2007 von Epstein abgewandt.

Und der Grund, warum Trump Epstein Hausverbot erteilt hat, wird im Spiegel gar nicht erwähnt.

Gut, dass dieser letzte Absatz erst lange nach dem Absatz über Clinton im Spiegel-Artikel kam, sonst hätte der Leser bemerken können, dass Clinton – im Gegensatz zu Trump – offensichtlich noch 2010, also lange nach der Verurteilung, Kontakt mit Epstein hatte, auch wenn er ihn wohl nicht zum öffentlichen Teil der Hochzeit seiner Tochter eingeladen hat.

Ich möchte hinzufügen, dass ich Trump hier keineswegs in Schutz nehmen oder seine Rolle herunterspielen möchte. Ein Flug von ihm im „Lolita-Express“ ist belegt, und ich würde zum Beispiel gerne das Logbuch sehen, um zu erfahren, wer da noch mitgeflogen ist.

Aber ich finde es bemerkenswert, wie die deutschen Medien die Verbindung zwischen Trump und Epstein aufgebauscht und die Verbindung zwischen Clinton und Epstein heruntergespielt haben. Trump und Epstein dürften in den 80ern und 90ern einige wilde Partys zusammen gefeiert haben, New York ist ja für seine High-Society-Partys bekannt.

Doch bei Clinton war die Verbindung offensichtlich mindestens genauso eng, wenn nicht enger, denn Epstein hat Clinton einiges an Geld gespendet und offen zugegeben, dass er sich Leute kauft. Nichts anderes war gemeint, als er im Zusammenhang mit Clinton davon sprach, er „investiere“ in Menschen.

Vor allem hat Clinton den Kontakt zu Epstein offensichtlich auch nach dessen Verurteilung wegen der „Anwerbung minderjähriger Mädchen zur Prostitution“ nicht abgebrochen, sonst wäre Epsteins engste Vertraute 2010 kaum zur Hochzeit von Chelsea Clinton eingeladen worden.

Nachdem Epstein im Juli 2019 verhaftet worden war, dürften viele seiner „Gäste“ schlaflose Nächte gehabt haben. Epstein drohte eine harte Strafe, und es war keineswegs ausgeschlossen, dass er auspackt, um Strafmilderung zu erreichen.

Aber schon Ende Juli gab es Meldungen über einen Selbstmordversuch Epsteins in seiner Zelle. Und Anfang August war er dann tot. Angeblich durch Selbstmord.

Wie der Zufall es will, hatte ich den Fall in den Tagen zuvor mit einigen Menschen diskutiert, die sich mit dem Fall weit besser auskannten als ich zu diesem Zeitpunkt. Und ganz gleich, mit wem ich sprach, jeder war sich sicher, dass Epstein den Beginn des Prozesses nicht erleben würde. Wenn er angefangen hätte, in der Hoffnung auf Strafminderung auszusagen, dann hätte es wahrscheinlich im Establishment ein Erdbeben gegeben. Meine Gesprächspartner und ich waren uns einig, dass Epstein vor dem Prozess Selbstmord begehen würde. Ein Mord würde zu viel Aufmerksamkeit erregen, ein Selbstmord wäre der Öffentlichkeit leichter zu verkaufen.

Und so ist es ja auch gekommen. Wie schon zuvor zeigte der Spiegel, dass er lieber so wenig wie möglich berichtet. In einem Spiegel-Artikel konnte man unmittelbar nach dem „Selbstmord“ lesen:53

„Das New Yorker Gefängnis, in dem Epstein saß, gilt als eines der sichersten der USA. Der berüchtigte mexikanische Drogenbaron Joaquín ‚El Chapo‘ Guzmán hatte dort zwei Jahre verbracht.“

Wie kann sich jemand in einem der sichersten Gefängnisse der USA mal eben erhängen? Zumal der Spiegel noch schrieb:

„Sein mutmaßlicher Suizid in einer als Hochsicherheitsgefängnis geltenden Anstalt mitten in Manhattan wirft Fragen auf. (…) Zusätzlich zum FBI soll auch der Generalinspekteur des Justizministeriums zu dieser Frage ermitteln. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, sehen im Metropolitan Correctional Center Wärter eigentlich alle 30 Minuten nach den Insassen. Gilt jemand als suizidgefährdet, verkürzt sich die Zeit sogar auf 15 Minuten.“

Ja, nur galt Epstein trotz des angeblichen Selbstmordversuches schon Tage später plötzlich nicht mehr als suizidgefährdet, was der Spiegel verschwiegen hat. Die New York Times schrieb dazu:54

„Mr. Epstein stand unter besonderer Beobachtung für Suizid-Gefährdete, nachdem er am 23. Juli verletzt in seiner Zelle gefunden worden war und bekam tägliche psychiatrische Behandlung (…) Er wurde am 29. Juli von der Beobachtung für Suizid-Gefährdete genommen und in einen Spezialtrakt verlegt, einen Teil des Gefängnisses mit extra hoher Sicherheitsstufe.“

Außerdem teilte die New York Times mit, dass die Ermittlungen gegen Epstein damit beendet seien. Die vielen hochrangigen Gäste Epsteins in seinem „Lolita-Express“ konnten wieder ruhig schlafen, denn ohne einen Täter gibt es keinen Prozess gegen Epstein.

Danach wurde es dann auch ruhiger um den Skandal. Die Opfer sollen aus dem Vermögen Epsteins mit vielen Millionen entschädigt werden, und es ist zu erwarten, dass sie für die Entschädigung eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben müssen. Damit dürften die Namen der anderen prominenten Täter nicht mehr ans Licht kommen.

Die ersten Äußerungen dazu kann man unterschiedlich interpretieren. Der Nachlassverwalter sagte wörtlich, der Fond, der zur Entschädigung der Opfer eingerichtet wird, solle als „voluntary, confidential, non-adversarial alternative to litigation“ entschädigen, also als „freiwillige, vertrauliche, nicht kontradiktorische Alternative zu Rechtsstreitigkeiten“.55 Das weist darauf hin, dass die Entschädigungen letztlich ein Schweigegeld sein werden.

Aber ein Opfer scheint dieses Spiel nicht mitspielen zu wollen, und diese Frau erhob schwere Vorwürfe gegenüber Prinz Andrew.

Der entschied sich, Ende November in die Offensive zu gehen. Er gab der BBC ein Interview, das für ihn in einem medialen Fiasko endete.

Die Medien mussten daher notgedrungen wieder über den Fall berichten. Aber wieder war dabei interessant, worüber die deutschen Medien ihre Leser nicht informiert haben.

Die Medien berichteten ausführlich über das Interview. Das Interview war eine PR-Katastrophe, Prinz Andrew hat quasi medialen Selbstmord begangen. Er konnte seine Kontakte zu Epstein nicht wirklich begründen, war sehr unglaubwürdig und die ganze Zeit damit beschäftigt, sich selbst „als zu ehrenhaft“ zu beschreiben. Andrew gab sich als Opfer der eigenen „Ehrenhaftigkeit“.

Das kam nicht gut an und beherrschte danach die Schlagzeilen. Nach dem Interview haben sich Sponsoren von Projekten abgewandt, deren Schirmherr Prinz Andrew war. Vier Tage nach der Ausstrahlung des Interviews hat er unter dem Druck dann alle öffentlichen Ämter niedergelegt.

Darüber wurde in den deutschen Qualitätsmedien ausführlich berichtet. Und damit wurde von den offenen und wirklich interessanten Fragen abgelenkt.

Die erste und wichtigste Frage ist: Wer waren Epsteins Kunden? Diese müssten wegen Sex mit Minderjährigen, Pädophilie und Ähnlichem angeklagt werden. Aber weil Epstein so freundlich war, sich im Gefängnis das Leben zu nehmen, droht kein Verfahren. Kein „Qualitätsmedium“ stellte diese wichtigste aller Fragen.

Dabei gibt es an der Selbstmordthese einige Zweifel. Nach den gültigen Regeln hätte er als selbstmordgefährdeter Gefangener besonders bewacht werden müssen, und in seiner Zelle durfte nichts sein, womit er sich gefährden könnte. Er saß in einem Hochsicherheitsgefängnis und sogar seine Bettwäsche war aus einer Art Papier. Das müsste reißen, wenn man versucht, sich damit aufzuhängen.

Aber er hat sich gemäß offizieller Version aufgehängt. Wie es der Zufall will, haben sämtliche Überwachungskameras für Epsteins Zelle in der Nacht seines Selbstmordes nicht funktioniert.56 Und die Wachen, die ihn regelmäßig kontrollieren sollten, haben das in der Nacht nicht getan und ihre Protokolle gefälscht.57 Gegen diese Wachleute wurde nun Anklage erhoben. Die Anwälte von Epstein zweifeln die Selbstmordthese an58, und sogar ein in den USA berühmter Pathologe, der bei der Obduktion von Epstein dabei war, zweifelt die offizielle Version an und spricht von „Beweisen für Mord“.59

Über all das wurde in der deutschen Presse nicht berichtet, es wurde so gut wie möglich verschwiegen. Und wenn doch einmal über die offenen Fragen berichtet wurde, sprach die deutsche Presse von „Verschwörungstheorien“. In den USA ist all das aber durchaus ein Thema. Die Worte „Epstein didn’t kill himself“ („Epstein hat sich nicht umgebracht“) sind zu einem Meme geworden und finden sich als Hashtag in allen sozialen Medien.

Außerdem gibt es einen Skandal beim US-Sender ABC News. Eine Moderatorin dort hatte sich kürzlich beschwert und mitgeteilt, sie habe bereits 2016 Material gegen Epstein gehabt, der Sender habe sich aber geweigert, es zu veröffentlichen.60

Die Mauer des Schweigens bei diesem Pädophilie-Skandal der internationalen Eliten ist bemerkenswert: ABC lehnte es 2016 ab, darüber zu berichten. Und heute verschweigen die deutschen Medien alles, was die Eliten belasten könnte. In der Berichterstattung über Prinz Andrew fand sich nicht ein einziges Mal der Name Bill Clinton.

Die Zweifel an der Selbstmordthese sind kein Thema in den deutschen Medien, sogar die Hintergründe seines Falles werden möglichst nicht erwähnt. Im Spiegel konnte man zum Beispiel lesen:61 „Epstein hatte sich am 10. August umgebracht. Ihm war von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen worden, Dutzende minderjährige Mädchen missbraucht zu haben. Der 66-Jährige habe zwischen 2002 und 2005 in New York und Florida einen illegalen Sexhandelsring aufgebaut, hieß es in der Anklageschrift.“

Ob sich Epstein umgebracht hat, ist keineswegs sicher. Und der Spiegel-Leser erfuhr über die durchaus berechtigten Zweifel und offenen Fragen im Zusammenhang mit Epsteins Tod nichts. Über seine Zuhälterdienste für die internationale Elite erfuhr der Spiegel-Leser ebenfalls nichts. Dort wurde so vage wie möglich von einem „Sexhandelsring“ gesprochen, ohne die Frage zu stellen, wer denn die Kunden des „Handelsrings“ waren.

Warum verschwieg der Spiegel hier die Details? Warum hat er die Namen, die im Gespräch sind, verschwiegen? Warum stellte der Spiegel keine kritischen Fragen über professionell aufgezogene Prostitution von Minderjährigen mit Prominenten wie Bill Clinton? Man hätte ja darauf hinweisen können, dass es Zeugen gibt, die Clinton beschuldigen und dass er alles abstreitet. Aber all diese Dinge komplett zu verschweigen und nur über Prinz Andrew zu berichten, war mindestens „unvollständige“ Berichterstattung, man könnte auch „Lückenpresse“ dazu sagen.

In den Tagen von Prinz Andrews Interview kam eine weitere Meldung, die man in den deutschen Medien nicht finden konnte. Ausgerechnet der Richter, der den Fall Epstein verhandeln sollte, äußerte ebenfalls massive Zweifel an der offiziellen Erklärung über Epsteins Selbstmord.62

Noch dreister lenkte der Spiegel von der Frage ab, wer denn die Kunden von Epstein waren. In der der Printversion 48/2019 des Spiegel wurde ja bereits verschwiegen, was Epstein getan hatte, und es wurde kurzerhand so dargestellt, als habe sich Epstein alleine an Minderjährigen vergangen. Dort konnte man lesen:63 „Viele Leute, mit denen sich dieser (Epstein) umgab, wollen immer noch nicht wahrhaben, dass sie durch ihr Wegsehen Mitschuld tragen. (…) Epstein verkehrte mit allen möglichen Figuren aus Politik, Forschung, Mode, Adel und Kultur – hat wirklich kein einziger seiner zahlreichen Bekannten von seinen Neigungen etwas mitbekommen? (…) Das ist der wahre Epstein-Skandal, bis heute: dass um ihn so viele Menschen kreisten wie Satelliten, die jetzt zumindest so tun, als wüssten sie nichts.“

Nirgendwo im Artikel wird die Frage gestellt, welche seiner illustren Gäste er mit minderjährigen Prostituierten versorgte, sondern es wird nun so dargestellt, als ob Epstein allein all die Mädchen missbraucht hätte. Laut Spiegel war die wichtigste Frage nun, warum niemand etwas mitbekommen hatte.

Das ist absurd! Alle haben es gewusst. Trump hatte sich wie gesehen dazu schon im Wahlkampf 2015 geäußert. Aber das weiß der Spiegel-Leser ja nicht.

Davon, dass niemand etwas wusste, kann also keine Rede sein. Es war ein offenes Geheimnis in der amerikanischen High Society, wenn es sogar Trump wusste, der mit Epstein seit einem Jahrzehnt nichts mehr zu tun gehabt hatte.

Um die Sache weiter in die gewünschte Richtung zu treiben, berichtete der Spiegel am 2. Dezember, dass auch die norwegische Kronprinzessin Mette-Marit bedauert, Epstein gekannt zu haben. Sie ist über jeden Verdacht erhaben, und beim Spiegel-Leser entstand so der Eindruck, dass Kontakt mit Epstein so schlimm ja nicht gewesen sein konnte. Klar, es ist im Nachhinein peinlich, den Mann gekannt zu haben, aber das macht ja noch niemanden zu einem Mittäter.

Über die Hintergründe im Epstein-Fall steht im Spiegel-Artikel Folgendes:64 „Epstein war 2008 zu einer 13-monatigen Haftstrafe verurteilt worden, nachdem er zugegeben hatte, eine Minderjährige für sexuelle Dienstleistungen bezahlt zu haben. Zuletzt wurde er 2019 beschuldigt, Dutzende Minderjährige missbraucht und zur Prostitution gezwungen zu haben. In Erwartung des Prozessauftakts nahm er sich in einem New Yorker Gefängnis Anfang August das Leben.“

Am Ende des Artikels fand sich noch etwas über Prinz Andrew und sein Interview zu seiner Bekanntschaft mit Epstein. Eine damals 17-Jährige wirft dem Prinzen vor, sie sei dreimal zum Sex mit ihm gezwungen worden. Obwohl der Spiegel über das katastrophale Interview ausführlich berichtet hatte und selbst beim Spiegel unterschwellig durchklang, dass da etwas nicht stimmen konnte, klang es nun – nur Tage später - schon wieder ganz anders. Jetzt sprach der Spiegel im aktuellen Artikel davon, dass es Vorwürfe gegen Andrew gebe, die er bestreitet. All die peinlichen Details des Interviews und die Widersprüche, über die der Spiegel nach Veröffentlichung des Interviews zumindest ansatzweise berichtet hatte, waren schon wieder vergessen.

Wir fassen zusammen: Es gibt den Verdacht, dass Epstein der High Society im großen Stil minderjährige Prostituierte zugeführt hatte, aber die Medien fragen nicht nach den Kunden und versuchen es inzwischen schon zwischen den Zeilen so darzustellen, als habe nur Epstein Minderjährige missbraucht und die große Frage sei, warum es keiner seiner prominenten Gäste bemerkt hatte.

So lautete die Überschrift des Artikels in der Printversion 48/2019 des Spiegel auch folgerichtig: „Wer wusste Bescheid?“ und nicht „Wer waren Epsteins Sex-Kunden?“.

So sieht „Qualitätsjournalismus“ eines ehemaligen Nachrichtenmagazins aus. Und es gibt immer noch Leute, die dafür Geld bezahlen…

45 https://twitter.com/angelurena/status/1148357927625023490/

46 https://www.foxnews.com/us/flight-logs-show-bill-clinton-flew-on-sex-offenders-jet-much-more-than-previously-known

47 https://www.nytimes.com/2019/07/09/nyregion/bill-clinton-jeffrey-epstein.html

48 https://twitter.com/Blondiedez/status/1147897801197662208

49 https://www.youtube.com/watch?v=JOktR-FbzvU

50 https://www.washingtonpost.com/national/palm-beach-trial-could-reveal-details-of-billionaires-alleged-abuse-of-teen-girls/2018/12/03/f42e0c4e-f4d0-11e8-bc79-68604ed88993_story.html

51 https://www.youtube.com/watch?v=Yqb59n69Z80

52 https://www.spiegel.de/panorama/justiz/jeffrey-epstein-das-netz-des-verdaechtigen-finanzberaters-a-1276597.html

53 https://www.spiegel.de/panorama/justiz/jeffrey-epstein-fbi-ermittelt-nach-tod-in-gefaengniszelle-a-1281387.html

54 https://www.nytimes.com/2019/08/10/nyregion/jeffrey-epstein-suicide.html

55 https://www.theguardian.com/us-news/2019/nov/14/jeffrey-epstein-estate-victim-compensation

56 https://www.washingtonpost.com/politics/investigators-scrutinizing-video-outside-epsteins-cell-find-some-footage-unusable-according-to-people-familiar-with-the-inquiry/2019/08/26/df405636-c827-11e9-a4f3-c081a126de70_story.html

57 https://www.justice.gov/usao-sdny/press-release/file/1218466/download

58 https://deutsch.rt.com/nordamerika/91387-anwalte-von-epstein-zweifeln-selbstmord-an/

59 https://deutsch.rt.com/nordamerika/94153-internationaler-top-pathologe-zweifelt-an-selbstmord-epsteins-es-gibt-beweise-fuer-mord/

60 https://deutsch.rt.com/nordamerika/94760-epstein/

61 https://www.spiegel.de/panorama/justiz/prinz-andrew-zu-jeffrey-epstein-interviewt-britischer-adeliger-unter-verdacht-a-1296713.html

62 https://www.nytimes.com/2019/11/24/opinion/letters/jeffrey-epstein-prisons.html

63 https://magazin.spiegel.de/SP/2019/48/167093491/index.html?utm_source=spon&utm_campaign=centerpage

64 https://www.spiegel.de/panorama/justiz/norwegische-kronprinzessin-mette-marit-bereut-treffen-mit-jeffrey-epstein-a-1299331.html

SPIEGLEIN politisches Jahrbuch 2020

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