Читать книгу SPIEGLEIN politisches Jahrbuch 2020 - Thomas Röper - Страница 14
ОглавлениеLobbyismus
Dass in Deutschland nicht die Politiker regieren oder gar der Wille der Bevölkerung umgesetzt wird, gilt als ganz böse Verschwörungstheorie. Dabei ist Deutschland längst eine Lobbyistenrepublik. Das will ich am Beispiel des Fachkräftezuwanderungsgesetzes einmal aufzeigen.
Das Gesetz wurde in diesem Jahr geschaffen, weil Deutschland angeblich Fachkräfte fehlen, die nun ganz dringend aus dem Nicht-EU-Ausland angeworben werden müssen. Die Entstehung des Gesetzes zeigt aber, dass dieses angebliche Problem von der Bertelsmann Stiftung geschaffen wurde.
Im Februar 2019 machte eine Studie der Bertelsmann Stiftung Schlagzeilen, die zu dem Ergebnis kommt, dass Deutschland im Jahre 2060 260.000 Zuwanderer jährlich braucht.109 Ein näherer Blick auf die Studie lohnt sich, denn bei der Lektüre merkt man schnell, dass sie interessengesteuert ist und das gewünschte Ergebnis schon vorher feststand. Die Aufgabe war es also, für ein gewünschtes Ergebnis eine „Studie“ zu schreiben.
Wenn die Bertelsmann Stiftung eine Studie herausbringt, ist immer Wachsamkeit angesagt. Die Stiftung kontrolliert einen Großteil der deutschen Medien, sodass ein positives Medienecho garantiert ist. Schon diese Gemengelage muss skeptisch machen: Jemand möchte ein bestimmtes Ziel erreichen, bezahlt Experten, damit sie eine Studie schreiben, die dieses Ziel als erstrebenswert ansieht, und dann berichten die eigenen Medien positiv über die Studie und dieses Ziel.
So auch hier. Zunächst muss man sich doch einmal fragen, wie seriös eigentlich eine Studie sein kann, die Voraussagen zur Wirtschaftsentwicklung in den nächsten 41 Jahren macht. In der Studie werden ja auch zum Beispiel Lohnentwicklungen berücksichtigt. Um zu verstehen, wie seriös eine solche Studie sein kann, muss man sich fragen, wie zutreffend Studien aus dem Jahre 1979 zur wirtschaftlichen Situation im Jahre 2020 gewesen sind. Antwort: völlig unzutreffend.
Und das ist auch kein Wunder. 1979 herrschte der Kalte Krieg und man dachte, diese Konfrontation der Systeme wäre auf ewig in Stein gemeißelt. Als zehn Jahre später der Ostblock auseinanderfiel, wurden auch in der Wirtschaft die Karten neu gemischt. Und was sich politisch bis 2060 noch alles tun kann, wissen wir genauso wenig, wie man 1979 wusste, was die Zukunft bringt.
Aber auch die technische Entwicklung kann alles verändern. 1979 hatten Telefone noch ein Kabel und eine Wählscheibe. Wenn ich aus Kiel meine Oma in Bremen anrufen wollte, ging das fast nur um 20.00 Uhr, weil dann ganz Deutschland Tagesschau sah und die Leitungen frei waren. Zu anderen Tageszeiten kam man telefonisch nicht durch, es war immer nach wenigen gewählten Zahlen besetzt. Heute völlig unvorstellbar, aber so war es 1979. Damals konnte niemand die digitale Revolution voraussehen und wie sie die Wirtschaft verändern wird.
Schon bei dieser Betrachtung wird klar, dass die Studie, selbst wenn sie wissenschaftlich korrekt erstellt worden wäre, gar nicht zutreffen kann. Es gibt einfach viel zu viele Unbekannte in der Rechnung.
Aber Bertelsmann hat mit der Studie konkrete Ziele verfolgt. Man propagiert, dass Deutschland viel Zuwanderung braucht, um einen Fachkräftemangel zu verhindern und die Löhne niedrig zu halten.
Schon hier geht eine Alarmglocke an: Wer will denn niedrige Löhne? Sie etwa? Das ist das Interesse der Wirtschaft, nicht das Interesse der Menschen im Land. Ein wenig Fachkräftemangel wäre gar nicht verkehrt, denn dann müssten die Arbeitgeber mit höheren Löhnen um Fachkräfte werben. Solange das nicht passiert, gibt es auch keinen Fachkräftemangel, auch wenn Medien und Politik ständig davon reden. Ich bin sicher, dass sich morgen viele als Altenpfleger oder Erzieher ausbilden lassen würden, wenn eine gute Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen winken würden. Um aber die Löhne niedrig zu halten, kommen eben angelernte Pflegekräfte aus Osteuropa nach Deutschland.
Wie gesagt sind die Medien bei einer Studie der Bertelsmann Stiftung völlig unkritisch und beten alles, was dort gesagt wird, als Wahrheit herunter. Hinterfragt wird nichts. Schon die Überschrift im Spiegel zur Studie war eindeutig: „Studie zu Arbeitskräftebedarf – Deutschland braucht 260.000 Zuwanderer pro Jahr“110
In anderen Fällen setzt der Spiegel die Aussagen anderer in Anführungszeichen, um sie als Meinung oder Zitat zu kennzeichnen. Aber nicht in diesem Fall. Wenn die Bertelsmann Stiftung etwas behauptet, dann ist es für den Spiegel wahr. Und so begann der Artikel folgendermaßen: „Um den Arbeitskräftebedarf der Wirtschaft zu decken, braucht Deutschland einer Studie zufolge in den nächsten 40 Jahren jährlich netto mindestens 260.000 Einwanderer. Ohne Migration werde das Angebot an Arbeitskräften angesichts der alternden Gesellschaft bis zum Jahr 2060 um rund 16 Millionen Personen – also um fast ein Drittel – massiv schrumpfen, schreiben die Forscher.“
Was ist so schlimm daran, wenn das Angebot an Arbeitskräften schrumpft? Die Produktivität wächst kontinuierlich, und immer weniger Arbeitskräfte produzieren immer mehr. Wir hatten deshalb jahrzehntelang viele Arbeitslose. Dass es heute weniger Arbeitslose sind, hat mit Hartz 4 nicht viel zu tun, auch wenn die Medien es immer behaupten. Es hat einerseits mit Tricks in der Statistik zu tun, die mittlerweile ca. eine Million Arbeitslose nicht mehr als arbeitslos erfasst. Und es hat damit zu tun, dass die geburtenschwachen Jahrgänge ins Berufsleben eintreten und geburtenstarke Jahrgänge in Rente gehen. Im Klartext: Das Angebot an Arbeitskräften sinkt. Das führt zu geringerer Arbeitslosigkeit. Und irgendwann dürfte es auch zwangsläufig zu steigenden Löhnen führen, wenn es einen Arbeitskräftemangel gibt. So weit sind wir aber noch lange nicht.
Das alles sind keine schlechten Nachrichten. Natürlich wäre es besser, wenn die Bevölkerung in Deutschland nicht wegen der niedrigen Geburtenraten schrumpfen würde. Aber so ist es nun mal, und solange niemand in Deutschland eine familienfreundliche Politik macht, wird sich daran auch nichts ändern.
Aber Bertelsmann findet diese Nachrichten schlecht, denn höhere Löhne zahlen zu müssen, ist offenbar „pfui“.
Um die Seriosität der Studie zu betonen, berichtet der Spiegel: „Deren Zahlen basieren auf Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und der Hochschule Coburg.“
Klingt gut, ist aber irreführend, wie ein Blick ins Impressum der Studie zeigt. RT-Deutsch hat einen sehr lesenswerten Artikel dazu geschrieben und da ich mich nicht mit fremden Federn schmücken möchte, formuliere ich es nicht neu, sondern zitiere RT-Deutsch:111 „Norbert Haering weist noch auf einen weiteren interessanten Aspekt der Studie hin. Diese vereinnahme fremdes Renommee. Die Autoren sind zwar Wirtschaftswissenschaftler, die beim Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) und der Hochschule Coburg arbeiten, sie haben diese Studie allerdings privat verfasst. Dies erfährt der Leser der Studie allerdings erst im Impressum auf Seite 114. In den Medien werden dann auch das IAB und die Hochschule Coburg als Urheber bezeichnet – unzutreffend, aber aus Sicht der Bertelsmann-Stiftung sicher nicht unbeabsichtigt.“
Das bedeutet, dass Bertelsmann zwei Wissenschaftler bezahlt hat, damit sie privat diese Studie in Bertelsmanns Sinne schreiben, die Medien das aber verschweigen und stattdessen den Eindruck erwecken, die genannten Hochschulen hätten mit der Studie etwas zu tun.
Und so kommt die Studie wenig überraschend zu dem Ergebnis, dass Zuwanderung aus der EU nicht ausreicht. Um das zu belegen, prognostizieren sie die Lohnentwicklung in EU-Ländern für 40 Jahre voraus und stellen laut Spiegel fest: „Die Forscher rechnen aber damit, dass die Einwanderung aus anderen EU-Ländern im Vergleich zu den vergangenen Jahren künftig abnehmen wird. Denn Wirtschaftskraft und Lebensqualität näherten sich innerhalb der EU voraussichtlich allmählich an und der Reiz sinke, einen Job in Deutschland zu suchen. Folglich komme der Zuwanderung aus außereuropäischen Drittstaaten eine wachsende Bedeutung zu.“
Dass es aber reichlich unseriös ist, die Einkommen auf 40 Jahre im Voraus zu prognostizieren, verschweigt der Spiegel. Und das mit gutem Grund, denn wie ich gesehen habe, sind die angewendeten Methoden so gewählt, dass sie zu einem zuvor festgelegten Ergebnis kommen müssen. Bei RT-Deutsch konnte man dazu lesen: „Frühere Vorhersagen für Zeiträume von über 40 Jahren hätten regelmäßig weit danebengelegen. Genauso lassen sich die in der Studie vorhergesagten Niveaus von Arbeitslosigkeit und Lohnniveau in Europa hinterfragen. So kommt die Studie durch das bloße Extrapolieren aktueller Wachstumszahlen zu dem Schluss, dass im Jahr 2060 in Polen und Lettland deutlich höhere Löhne gezahlt werden als in Deutschland.“
Logischerweise wachsen die Löhne in Osteuropa derzeit schneller als in Westeuropa, einfach weil sie dort niedriger sind. Aber wer nun meint, das gehe 40 Jahre ungebremst so weiter und dass die Löhne dort deshalb in 40 Jahren höher als in Deutschland sein werden, der arbeitet nicht seriös. Aber so arbeitet die Studie und kommt auf dieser Grundlage zu folgendem Schluss: Aus EU-Ländern kommt dann keiner mehr nach Deutschland, weil sie zu Hause besser bezahlt werden. Deshalb brauchen wir mehr Einwanderung aus nicht EU-Ländern, sprich Afrika und Asien.
Damit sind wir beim Kern der Studie: Sie will den Deutschen sagen, dass viel Einwanderung aus Afrika gut ist. So ein Zufall, wo wir seit 2015 schon über eine Million Menschen von dort aufgenommen haben. Bisher hat das allerdings nur Geld gekostet, und es ist nicht absehbar, dass sich daran etwas ändert. Bisher hat die massenweise Einwanderung aus Afrika und dem Nahen Osten nur negative Folgen gezeigt, nämlich hohe Kosten für den Steuerzahler und eine Erhöhung der Kriminalität um 20 % im Vergleich zu 2014. Aber die Fachkräfte, die Deutschland händeringend braucht, also zum Beispiel Ärzte und Ingenieure, waren nicht dabei.
Aber dem Spiegel ist das egal, er zitiert im letzten Absatz die Schlussfolgerungen der Studie unkritisch: „Es sei dringend nötig, den Zuzug nach Deutschland besser zu steuern, fordern die Studienmacher. Das von der Bundesregierung kurz vor Weihnachten auf den Weg gebrachte Einwanderungsgesetz müsse daher schnell verabschiedet werden, forderte die Stiftung. Es sei zu begrüßen, dass sich das Gesetz auch an Menschen mit mittlerem Qualifikationsniveau richte – hier liege der höchste Bedarf. Allerdings reiche ein Gesetz nicht aus. Ohne eine anhaltende Willkommenskultur und attraktive Integrationsangebote werde der Fachkräftemangel nicht ausgeglichen werden können.“
Es geht also bei der Studie um nichts anderes als um Lobbyarbeit für mehr Zuwanderung, und nicht erst in 40 Jahren, sondern jetzt sofort. Und um zu diesem Ergebnis zu kommen, wurden die nötigen Kennzahlen so ausgesucht und hochgerechnet, dass sie ins Konzept passen, siehe Lohnentwicklungen in Polen oder Lettland.
RT-Deutsch kommt auch in seinem letzten Absatz zu einem ganz anderen Schluss als der Spiegel: „Festzuhalten bleibt: Eine offensichtlich nicht nach wissenschaftlichen Kriterien erstellte Studie nutzt den Schein der Wissenschaftlichkeit, um die fortgesetzte Zuwanderung für notwendig zu erklären und Werbung für das Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Regierung zu machen. Und der gesamte mediale Mainstream spielt mit.“
Das hätte ich auch nicht treffender formulieren können.
Schon einen Tag, nachdem der erste Artikel dazu erschienen war, ging die Lobbywelle zu dem Thema weiter. Unter dem Titel „Fachkräftemangel – FDP fordert lockereres Zuwanderungsgesetz“ schrieb der Spiegel über das geforderte Zuwanderungsgesetz:112 „Das Bundeskabinett beschloss im Dezember ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Es sieht vor, dass die Hürden für die Einreise von Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Staaten gesenkt werden. Wer qualifiziert ist und gut Deutsch spricht, soll bereits im Frühjahr auch ohne Arbeitsvertrag kommen dürfen, um sich einen Job zu suchen. Das war bisher nur für Hochschulabsolventen möglich.“
Die Tür nach Deutschland steht also für alle weit offen, obwohl man im selben Artikel lesen kann, in welchen Berufen tatsächlich ein Mangel an Arbeitskräften herrscht: „Ein Mangel an Fachkräften herrscht derzeit unter anderem bei Informatikern, Ingenieuren für Elektrotechnik und Metallbau, in den Bereichen Gesundheit und Pflege sowie in einigen Handwerksberufen.“
Natürlich muss man einen solchen Mangel, wenn er tatsächlich besteht, beheben. Aber man sieht auch, dass es eben in erster Linie Berufe mit Hochschulabschluss, also Ingenieure, Informatiker und Ärzte sind, wo Deutschland Zuwanderer braucht. Warum aber werden dann im Gesetz auch Menschen ohne Hochschulabschluss zur Einreise aufgefordert, selbst wenn es in ihrem Beruf gar keinen „Fachkräftemangel“ gibt? Warum dieses Gießkannenprinzip? Einzige logische Antwort: um zu verhindern, dass die Löhne steigen. Solange es genug Bewerber gibt, hat kein Betrieb einen Grund, mit höheren Löhnen um Mitarbeiter zu werben.
Sinnvoll wäre es, wenn man Kriterien festlegen würde, um festzustellen, in welchen Berufen tatsächlich ein echter Mangel herrscht und dann diesen Fachkräften die Einreise zur Arbeitssuche zu erlauben. Wenn man dabei Lohndumping verhindern möchte, kann man auch noch festlegen, dass Ausländer nur dann eingestellt werden, wenn zum Beispiel 35 % über Mindestlohn bezahlt wird. In der Altenpflege zum Beispiel schwanken die Stundenlöhne zwischen Mindestlohn und mehr als 13 Euro pro Stunde. Wenn ein Heim auch für 13 oder 14 Euro Stundenlohn keine Pfleger findet, dann kann man den Bedarf auch mit Arbeitsmigranten decken. Aber wenn diese Migranten dann für Mindestlohn arbeiten müssen, dann ist genau das gegeben, was ich kritisiere: Lohndumping. Das macht das Gesetz in der geplanten Form möglich, und das kann nicht im Interesse der Menschen im Land sein, egal ob sie deutsch oder zugewandert sind.
Das war im Februar 2019, und es war interessant, wie die Sache dann im Laufe des Jahres Fahrt aufnahm. Schon im Mai war das Gesetz im Bundestag. Der Spiegel schrieb dazu unter der Überschrift „Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung – Union besteht auf Begrenzung der Migration“ einen Artikel113, in dem es um den Streit um das Zuwanderungsgesetz ging.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Die Union wollte weniger Einwanderung von „Fachkräften“ als die FDP. Und in dem Artikel konnte man lesen: „Schon nach den Prognosen von CDU/CSU und SPD reiche das geplante Gesetz nicht aus, um den Fachkräftebedarf in Deutschland zu decken, so Vogel. ‚Dem laut Studien bestehenden jährlichen Bedarf von 260.000 Fachkräften stellt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz lediglich eine erwartete zusätzliche Fachkräftezuwanderung von 25.000 Personen gegenüber.‘“
Nun stammt die Zahl 260.000 aber gar nicht aus „Prognosen von CDU/CSU und SPD“, sondern aus der genannten Studie der Bertelsmann Stiftung.
Daran lässt sich die Macht der Bertelsmann Stiftung gut erkennen. Sie veröffentlicht eine völlig unsinnige Studie, und diese Studie wird keine drei Monate später bereits als Argument in der Gesetzgebung herangezogen.
Wer nun aber glaubt, das wäre schlimm genug, der wurde im Juni eines Besseren belehrt, denn Bertelsmann legte noch einmal nach.
Der Spiegel hatte seinen Lesern verschwiegen, dass Bertelsmann damit überhaupt etwas zu tun hatte. Die Überschrift des Spiegel-Artikels lautete nämlich: „Ifo-Studie – Arbeitskräftemangel bremst Wirtschaft bis 2035“114
Warum der Spiegel verschwiegen hat, dass es eine Studie von Bertelsmann war, bleibt sein Geheimnis. Wahrscheinlich sollte es seriöser klingen, wenn es eine Ifo-Studie und nicht eine Bertelsmann-Studie ist. Im Spiegel-Artikel wurde Bertelsmann nur einmal erwähnt, und es wurde der Eindruck erweckt, es sei eine Studie des Ifo-Instituts: „Weil Arbeitskräfte fehlen, wächst Deutschlands Wirtschaft laut Ifo-Institut in den kommenden 15 Jahren deutlich langsamer. (…) Der demografische Wandel beeinträchtigt künftig wohl stark die Wirtschaftsleistung Deutschlands. Bis 2035 werde das Wachstum deutlich geringer ausfallen, als in der Vergangenheit, heißt es in einer Studie des Ifo-Instituts für die Bertelsmann Stiftung.“
Im Impressum der Studie kann man jedoch ganz eindeutig lesen, dass Bertelsmann die Studie erstellt hat.115 Von den sieben Autoren der Studie sind nur zwei bei Ifo-Instituten, einer ist als Bertelsmann-Mitarbeiter ausgewiesen, und bei den anderen Autoren gibt es keine Informationen über ihren Hintergrund. Aber es steht im Impressum unmissverständlich, dass die Studie von Bertelsmann kommt, und als Verantwortlicher wurde ein Bertelsmann-Mitarbeiter namens Dominic Ponattu genannt.
Der Inhalt der Studie ist wieder schnell erzählt, obwohl sie 72 Seiten umfasst. Mit unendlichen Zahlenkolonnen wird beschrieben, dass die neuen Bundesländer beim Lebensstandard schlechter dastehen als die alten Bundesländer, was nun weiß Gott keine Neuigkeit ist. Dann schreibt die Studie auf Basis der Daten aus der Vergangenheit eine Projektion in die Zukunft und kommt zu dem Schluss, dass es noch schlechter wird. Auch das kann keinen überraschen, der auch nur ein bisschen etwas von Wirtschaft versteht.
Es wird in der Studie erklärt, dass in Zukunft immer weniger Arbeitnehmer da sein werden, aber immer mehr Rentner, also der demografische Wandel. Und das führt gemäß der Studie zu weniger Wirtschaftswachstum und weniger Wohlstand. Das alles ist nicht wirklich neu, und auch wenn eine Studie, die 16 Jahre in die Zukunft blickt, natürlich kaum mit ihren Zahlen richtig liegen wird, dürfte die Tendenz so stimmen.
Man kann aber nicht 16 Jahre in die Zukunft schauen, oder glauben Sie, dass eine Studie aus dem Jahre 2003 die wirtschaftliche Entwicklung bis 2019 korrekt vorhergesehen hätte? Natürlich nicht, denn die Studie hätte weder die Finanzkrise noch die Eurokrise und deren Folgen korrekt prognostizieren können, und schon stimmen die Zahlen nicht mehr, selbst wenn alles andere völlig korrekt berechnet worden wäre.
Aber die demografischen Probleme sind bekannt, und deshalb dürfte zumindest die Grundannahme richtig sein: Es wird weniger Arbeitnehmer und mehr Rentner geben.
Die Frage ist, wie man mit diesem Problem umgehen sollte.
Bertelsmann hat für wirtschaftliche Probleme immer Lösungen, die den Konzernen zugutekommen. Bertelsmann schlägt wenig überraschend in seinem Fazit vor: „Ein Weg läge darin, die Wachstumsfaktoren Arbeit und Kapital zu stärken – ersteren etwa durch eine höhere Erwerbsquote. Allerdings ist eine Steigerung der Erwerbsquote nicht unbegrenzt möglich.“
Im Klartext: Wir müssen noch mehr arbeiten. „Eine höhere Erwerbsquote“ bedeutet, dass die Deutschen mehr arbeiten müssen.
Die zweite Lösung von Bertelsmann ist ebenfalls wenig überraschend: „Ebenfalls könnten die immer wieder in der politischen Debatte genannten Maßnahmen im Rahmen einer gezielten Fachkräftezuwanderung zu einer Stärkung des Faktors Arbeit und letztlich zu höherem Wachstum führen.“
Als Lösung nennt Bertelsmann also zwei Wege, die man auch gerne kombinieren könne: Mehr arbeiten und mehr Zuwanderung.
Bisher hat die massenweise Einwanderung aus Afrika und dem Nahen Osten nur negative Folgen gezeigt, aber die Fachkräfte, die Deutschland dringend benötigt, also zum Beispiel hochqualifizierte Facharbeiter, Ärzte oder Ingenieure, waren nicht darunter. Die Zuwanderer kosten Bund, Länder und Gemeinden derzeit ca. 30 Milliarden pro Jahr, von einem Nutzen kann man also ganz objektiv nicht sprechen.
Auf eine viel günstigere und effektivere Idee kommt Bertelsmann jedoch nicht. Wie wäre es denn mit einer echten Familienförderung, damit die Deutschen selbst Kinder bekommen und das demografische Problem aus eigener Kraft lösen können?
Wir lesen ständig vom demografischen Wandel und den Problemen, aber die Presse schreibt regelmäßig positiv über Bücher, die dem Leser erklären, warum Kinder kriegen nicht ratsam ist. Mit einer veränderten Gesetzgebung, die Kinder nicht zu einem Armutsrisiko macht, sondern Familien mit Kindern finanziell fördert und auch Ganztagsbetreuung kostenlos zur Verfügung stellt, damit auch Schichtarbeiter wie alleinerziehende Krankenschwestern Kinder und Beruf unter einen Hut bekommen können, wäre viel gewonnen.
Aber das scheint niemand zu wollen. Die Politik fördert Familien mit Kindern kaum, Betreuungsangebote sind immer noch Mangelware, und die Presse redet den Deutschen ein, dass Kinder bekommen nicht ratsam ist. Und bei Bertelsmann wird dieser Lösungsansatz nicht einmal erwähnt. Stattdessen lesen wir überall, wir bräuchten mehr Zuwanderung.
Bertelsmann könnte ja einmal eine Studie veröffentlichen, in der Maßnahmen anderer europäischer Länder untersucht werden, die zu positiven Geburtenraten geführt haben, und daraus Empfehlungen ableiten, die das Problem in Deutschland lösen würden. Für den Staat wäre das billiger und für die Menschen besser. Aber die Konzerne haben lieber ein vom Staat finanziertes Heer an zugewanderten Menschen, die sie dann als „Integrationshilfe“ per Ausnahmeregelung sogar unter Mindestlohn einstellen können. Und schon sieht man, wessen Interessen Bertelsmann verfolgt.
Und weil Bertelsmann nicht nur die Stiftung ist, sondern auch noch einer der größten Medienkonzerne in Deutschland, kann Bertelsmann sich selbst Studien schreiben, die seine Interessen lobbyieren und darüber dann in der eigenen Presse positiv berichten. Die restlichen Medien stimmen dann in den Chor mit ein und niemand hinterfragt die Studien oder ihre Methodiken.
Bertelsmann hat übrigens nicht nur in Deutschland Interessen. Ich habe analysiert, wer Transparency International finanziert und wie die Organisation ihr Ranking der weltweiten Pressefreiheit erstellt.116 Und siehe da: Die Finanzierung dieser „unabhängigen und kritischen“ Organisation kommt zu 88 % direkt von den Nato-Staaten und zu 10 % von Stiftungen und der Industrie. Der jährliche Bericht über die weltweite Pressefreiheit basiert auf nur 13 Quellen, zwei davon sind Bertelsmann-Berichte. So kann Bertelsmann auch gleich noch Eigenwerbung betreiben und seine eigene Presse als absolut frei, kritisch und objektiv präsentieren.
Es ist wahrlich interessant, wo Bertelsmann überall seine Finger drin hat, dies war nur ein kleiner Ausschnitt. Aber schon der zeigt deutlich, dass Bertelsmann sich von den eigenen Interessen und nicht vom Gemeinwohl leiten lässt und seine Macht massiv dafür einsetzt.
Wenn Sie also in Zukunft vom Fachkräftezuwanderungsgesetz hören, denken Sie einfach daran, dass es „Bertelsmanngesetz“ heißen müsste.
Damit Stiftungen wie Bertelsmann und andere Lobbyisten aber eine solche Macht über die Gesetzgebung haben können, braucht es noch andere Mittel. Man muss nicht nur Studien schreiben und sich in der Presse selbst über den grünen Klee loben, man braucht auch direkten Einfluss auf die Abgeordneten, die dann solche Gesetze einbringen und dafür bei Abstimmungen ihre Hände heben.
Im August wurde wieder einmal veröffentlicht, was unsere Bundestagsabgeordneten nebenbei noch so verdienen. Und wer genauer hingeschaut hat, dem wurde dabei angst und bange, denn von Unabhängigkeit sind die Abgeordneten weit entfernt.
Zunächst einmal sei gesagt, dass es ja grundsätzlich in Ordnung ist, wenn ein Bundestagsabgeordneter zum Beispiel selbständig ist und daher weiterhin aus seiner Firma Gelder bezieht. Es wäre kaum zumutbar, zu verlangen, dass ein Abgeordneter seine Firma schließen muss. Aber die Frage ist eben, wo es Interessenkonflikte geben kann, und da sollte man genauer hinsehen.
Nicht in Ordnung ist es in meinen Augen aber, wenn ein Abgeordneter nach seinem Einzug in den Bundestag dadurch zusätzliche Einnahmen hat, weil er zum Beispiel Posten in Interessenverbänden angeboten bekommt. Da ist schon offensichtlich, dass es sich um (verdeckte?) Korruption handelt, denn diesen Posten inklusive Bezahlung bekommt er ja nur, weil er Abgeordneter ist und er sich von dem Interessenverband, man nennt sie auch „Lobbyisten“, Vorteile und Kontakte erhofft.
Durch diese Möglichkeit des Nebenverdienstes sind in Deutschland (und auch allen anderen westlichen Ländern) den Lobbyisten Tür und Tor geöffnet. Man müsste es korrekterweise „legale Korruption“ nennen. Und viele Abgeordnete machen davon Gebrauch, sie nehmen Ämter an oder halten für Geld Reden vor Interessenverbänden.
Der Spiegel berichtete im August über die Nebeneinkünfte der Bundestagsabgeordneten, und dort konnte man unter anderem lesen:117 „FDP-Partei- und -Fraktionschef Christian Lindner gibt Einkünfte von mehr als 300.000 Euro an, die aus Honoraren für 50 Vorträge stammen.“
Herr Lindner bekommt also pro Rede im Schnitt 6.000 Euro, aber er ist nicht verpflichtet, mitzuteilen, von wem er diese Gelder bekommt. Mit anderen Worten: Wir wissen zwar, dass Herr Lindner in dieser Legislaturperiode laut Spiegel insgesamt mindestens 311.000 Euro bekommen hat, und wir wissen, dass davon 300.000 Honorare für Reden waren, aber wir wissen nicht, von wem er das Geld erhalten hat.
Der Spiegel erklärte das System so: „Die Höhe von Nebeneinkünften wird in groben Einkommensstufen veröffentlicht. Dadurch ergeben sich Ungenauigkeiten. Nach oben sind keine Limits gesetzt, denn die Stufe 10 hat keine Obergrenze – sieben Abgeordnete geben diese Stufe an. Und Einkünfte unter der Bagatellgrenze müssen überhaupt nicht gemeldet werden.“
Auch andere Politiker bekommen Gelder, deren Herkunft sie ganz legal verschweigen dürfen. Im Spiegel konnte man dazu lesen: „Ebenfalls nicht benannt werden zahlreiche Vertragspartner von Abgeordneten: Anwälte, Berater und Landwirte anonymisieren sie häufig. So bekam der AfD-Abgeordnete und Rechtsanwalt Enrico Komning mindestens 600.000 Euro von ‚Mandant 30468‘. Der ehemalige Verkehrsminister Peter Raumsauer (CSU) erhält als Strategieberater von ‚Mandant 1‘ monatlich mindestens 7000 Euro. (…) Mehr als sechs Millionen Euro sind in dieser Wahlperiode so schon ohne Zuordnung an Abgeordnete geflossen.“
Aber es gibt für Abgeordnete nicht nur diese recht plumpe Art der Korruption, bei der sie direkt Geld bekommen, während sie im Bundestag sitzen.
Wer sich zum Beispiel die Grafiken in diesem Spiegel-Artikel anschaut, stellt etwas Interessantes fest. Bei der Frage, wie viel Prozent der Abgeordneten einer Partei bezahlte Nebentätigkeiten haben, gehen die Zahlen weit auseinander. Die FDP führt mit Abstand mit 53 %, gefolgt von der Union mit 35 %. Und bei den vermeintlichen Saubermännern des Parlaments, den Grünen, sind es nur 15 %. Wer sich jedoch alle Nebentätigkeiten anschaut, stellt fest, dass 87 % der Grünen Abgeordneten Nebentätigkeiten nachgehen, damit stehen sie auf Platz zwei nach der Union (92 %) und noch vor der FDP mit 86 %.
Nun kann man fragen, was an einer unbezahlten Nebentätigkeit so schlimm sein soll. Ganz einfach: Es ist genauso eine Form von Lobbyismus, denn meist folgen der unbezahlten Nebentätigkeit eines Abgeordneten nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag neue, sehr gut bezahlte Posten. Man sorgt also schon mal vor für „die Zeit danach“. Und natürlich kann man es sich dabei nicht erlauben, anders abzustimmen, als die Lobbyisten, für die man ehrenamtlich tätig ist, es wünschen. Das könnte „die Zeit danach“ gefährden.
Gerade bei den Grünen sieht man das immer wieder. Ebenfalls im August ist die Grünen-Abgeordnete Kerstin Andrae direkt vom Bundestag auf den Posten als Chefin des Lobbyverbandes der Energiewirtschaft gewechselt. Sie macht also nun Lobbyarbeit unter anderem für die Atomkonzerne, die von der Bundesregierung Entschädigungen für den Atomausstieg haben wollen.
Ob sie von den Wählern der Grünen wohl dafür ihre Stimme bekommen hat?
82 % der Deutschen sind für eine Begrenzung der Lobbyarbeit, bei kaum einem Thema sind sich die Deutschen einiger als bei dieser Frage. Nur interessiert das in unserer „Demokratie“ niemanden in der Politik. Die Abgeordneten werden doch keine Gesetze erlassen, die ihnen an den Geldbeutel gehen! Die Grünen trommeln zwar ständig für eine Begrenzung der Macht der Lobbyisten, aber das lässt sich auch leicht fordern, wenn man weiß, dass diese Forderung nie eine Mehrheit im Bundestag erhalten wird. Und wenn es um den eigenen Geldbeutel geht, vergessen die Grünen ihre offiziellen Forderungen ganz schnell wieder, wie Frau Andrae, die auf Kritik an ihrem Wechsel folgendermaßen reagiert hat:118 „Kritik an ihrem Wechsel weist sie zurück: „Lobbyarbeit ist nichts Anrüchiges.““
Auf einmal? Das klingt bei den Grünen in Interviews immer ganz anders. Aber so erklärt sich auch, warum die Grünen fast immer völlig anders abstimmen, als sie sich in Interviews äußern.
In aller Regel sehen wir ohnehin nur die Spitze des Eisbergs. 2016 kam heraus, dass die SPD gar eine Preisliste für Lobbyisten hatte. Für festgelegte Summen konnten Lobbyisten ein Gespräch mit SPD-Ministern und Staatsekretären buchen. Und obwohl das durchaus strafrechtliche Fragen aufwirft – es könnte gegen die Regeln der Parteienfinanzierung verstoßen worden sein, und auch ein Anfangsverdacht der Vorteilsgewährung (also Korruption) stand in meinen Augen im Raum –, ist nichts passiert. Dafür haben wir den § 146 GVG, der verhindert, dass in solchen Fällen der Staatsanwalt aktiv wird.
Obwohl der Richterbund diese Gesetzgebung, die Politiker de facto straffrei stellt, kritisiert und sogar der Europäische Gerichtshof in einem Urteil verkündet hat, dass die deutsche Justiz nicht unabhängig ist (siehe Kapitel „Justiz in Deutschland nicht unabhängig“), wollen die Politiker daran nichts ändern. Wen wundert´s?
Da muss man nicht überrascht sein, dass der Bundestag ständig Gesetze beschließt, die die Menschen mehrheitlich nicht wollen. Und Gesetze, die die Menschen wollen, werden nicht beschlossen. Die Macht der Lobbyisten wird nicht eingeschränkt, obwohl 82 % der Deutschen das wollen. Die Banken wurden gegen den Willen der Menschen gerettet, die Bundeswehr ist seit 20 Jahren im Krieg (Kosovo, Afghanistan, etc.), obwohl es dafür nie eine Mehrheit in der Bevölkerung gegeben hat. Die US-Atombomben bleiben in Deutschland, obwohl die Mehrheit der Deutschen dagegen ist. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen und man fragt sich, ist das überhaupt noch eine Demokratie, wenn die Politik laufend gegen den Willen der Mehrheit der Menschen regiert?
Sogar Studien machen bereits deutlich, dass nur noch weniger als die Hälfte der Deutschen Vertrauen in die deutsche Form der Demokratie hat. Eine Mehrheit wünscht sich mehr direkte Demokratie und nicht etwa ein Ende der Demokratie. Für einen „starken Führer“ sind nur ein Prozent der Deutschen, aber über 40 Prozent wollen die Möglichkeit haben, Entscheidungen des Bundestages durch Volksabstimmungen wieder aufzuheben oder den Bundestag zu zwingen, bestimmte Themen zu behandeln. Ich nenne als Beispiel nur die Beschränkung der Lobbyisten-Macht.