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Sie war mir vom ersten Moment an sympathisch. Sie war blond, hübsch und ungefähr fünfzig. Mit einem offenen Lächeln begrüßte sie mich, als freute sie sich, eine gute Freundin zu treffen. Für gewöhnlich macht mich so etwas stutzig. Mein Verstand riet mir auch unmittelbar zu Vorsicht, behauptete, derlei unverdiente Freundlichkeit könne nicht echt sein, mein Gefühl hingegen, völlig entspannt, sagte: doch, kann echt sein. Mein Gefühl hat mich nicht betrogen, bis heute.

Ihr Name war Elisabeth. Elisabeth von Hohensinn, Gräfin auf Schloss Litstein.

Welche Wirkung Kleinigkeiten haben. Kleinigkeiten verändern mitunter alles, kehren Bedeutungen ins Gegenteil. Nur weil ich nach Mein Gefühl hat mich nicht betrogen ergänzte bis heute, sind Sie misstrauisch geworden, ob ihr wirklich zu trauen ist. Wäre die Satzstellung ein wenig anders, hätten Sie bedenkenlos weitergelesen und die Sache wäre Ihnen so erschienen: Elisabeth war grundehrlich, mein Gefühl hat mich bis heute nicht betrogen.

Sie sind gar nicht misstrauisch geworden? Haben sich gar nichts gedacht dabei? Es geht mich ja nichts an, aber lesen Sie Ihr Leben auch so flüchtig, so an der Oberfläche entlang?

Burg und Schloss Litstein waren schon vom Marktplatz aus zu sehen, beide dem Erdboden enthoben auf einem Felsmassiv, nebeneinander wie ein ungleiches Geschwisterpaar. Ich blickte zu ihnen nach oben, über die Dächer der Bürgerhäuser hinweg. Links reckte trotzig die Burg ihren Turm in den Himmel, rechts machte sich das schönbrunnergelbe Schloss breit.

Die gepflasterte Auffahrt war steil, als ginge es hinauf zu einer Alpenfestung. Ich schaltete zurück in den zweiten Gang, dennoch soff mir beinahe der Motor ab, also wechselte ich in den ersten Gang, woraufhin der Fiat aufjaulte, als wäre es das jetzt gewesen mit der Motorisierung. Wie um sich Luft zu verschaffen, drehten die Räder des Cinquecento durch. Schließlich entschied mein kleiner Italiener, die Auffahrt im Schritttempo emporzujammern, mit quietschendem Keilriemen.

Der kreisrunde Wehrturm der Burg blickte nachlässig wachend auf mich herab. Um etwas wichtiger zu erscheinen und auch etwas höher, trug er über seinen Zinnen ein kegelförmiges Schindeldach samt Fahnenmast. An dem hing, schlapp, ein Fetzen Stoff.

Nachdem mein Fiat und ich die hundert Meter der Auffahrt überwunden hatten, nahm der Weg eine scharfe Rechtskurve und ein Plateau eröffnete sich uns. Schloss Litstein lag nun, adrett und nicht wenig stolz auf seine betonte Unaufdringlichkeit, entfernt links, die gedrungene Burg unmittelbar rechts von uns. Also gut: rechts von mir, nicht von uns. Ja, es ist zu kindisch, meinem alten Auto eine Persönlichkeit zuzugestehen, bloß weil es lebensanfällig ist wie wir alle.

Ich widerstand meinem Entdeckerdrang auszusteigen und nachzusehen, ob die grün-weiß gestrichene Holzpforte der Burg verschlossen war. Alles in allem wirkte das Gemäuer auf mich, als wäre es seit Jahrhunderten nicht mehr betreten worden. Einladend hell hingegen das zweigeschossige Schloss, zu dem eine geschotterte Zufahrt führte, von Rosensträuchern flankiert wie in einem dieser vorhersehbaren englischen Liebesfilme.

Als ich im Schritttempo über die gekieste Zufahrt rollte und ein Rauschen unter mir spürte, als glitte ich durch goldene Dukaten, besaß ich augenblicklich die Wahrheit über die zweite Bedeutung der Wörter Schotter und Kies: Wer seine Zufahrt nicht profan asphaltierte oder mit staubigem Sand anschüttete, sondern mit geschmeidigen Steinchen auslegen ließ und darin fahrend klimperte, wann immer es ihn danach verlangte, hatte ordentlich Schotter, jede Menge Kies, bei dem lag das Geld auf der Straße.

Das Geräusch des Reifenprofils auf luftigem Stein, das hatte schon was. Und noch mehr das Gefühl des rauschenden Einsinkens und dennoch sicher Gehaltenwerdens. Ja, unbestreitbar hatte das was.

Ich hielt an – bedauernd, dass ich schon da war – und sah durchs Autofenster zum Eingangsportal des Schlosses. Nur noch aussteigen müsste ich, die drei Stufen nehmen und läuten. Da stieg mein Fuß aufs Gaspedal. Der Kies spritzte unter den Rädern davon, prasselte gegen die Bodenplatte. Und schon badete ich wieder im Vollen, drehte eine Runde im Hof, umkreiste die kleine Rasenfläche, die Rosensträucher, die auf Podesten stehenden Skulpturen, schotterte durch den Kies. Als wäre mein kleiner Fiat kein kleiner Fiat, sondern eine Jacht; eine Jacht, die in das Meer eindrang, es teilte unter ihrem Bug.

Erst als ich anlegte, der Jacht entstieg und sie sich in einen Fiat zurückverwandelte, erst als mein Zeigefinger den Messingknopf der Türglocke niederdrückte, sodass er in der Hauswand verschwand und ein melodiöses Dong-Dong-Döng zu hören war, kam mir der Gedanke, bei meiner infantilen Runde durch den Schotter womöglich beobachtet worden zu sein. Doch dann ging die Tür auf und alles war gut, sie strahlte mich an.

»Aliza Berg! Wie schön! Ich freue mich so!« Nichts musste ich sagen, nichts erklären, weder wer ich war noch dass ich im Hotel zur Post kein Zimmer bekommen hatte und von dort hierher geschickt worden war, sie nahm mir alles ab, machte es mir ganz leicht.

»Ich bin Elli«, sagte sie, »wollen wir per Du sein?«

»Gerne«, sagte ich, »sehr gerne, Elli … Ich bin Aliza.«

Sie habe sich schon den ganzen Vormittag auf mich gefreut, sagte Elli. Seit dem Aufwachen schon, den ganzen Vormittag!

Unmittelbar erlebte ich, was gemeint ist mit: ein Herz im Sturm erobern. Im Licht ihrer Freundlichkeit, ihrer Unmittelbarkeit, die auf Konventionen pfiff, schmolz die Maske, die ich für gewöhnlich bei ersten Begegnungen trage, und nicht nur bei ersten. Meine Gesichtsmuskulatur entspannte sich, meine Schilder fuhren nach unten. Ich durfte einfach sein; sein, wie ich war; musste hier nichts darstellen, mich nicht konzentrieren, um nur ja keinen Fehler zu machen. Nichts würde mir hier passieren, niemand den Kopf schütteln über mich, niemand mich sonderbar finden.

»Ich hab dich gesehen, wie du im Hof eine Runde gefahren bist«, sagte Elli.

Begeistert ergänzte sie: »Das muss ich unbedingt auch einmal machen. Ich bin bisher gar nicht auf die Idee gekommen.«

Sie sei dreiundfünfzig. »Drei-und-fünfzig! Stell dir das vor!« Und bis vor Kurzem habe sie nur gemacht, was man von einer Gräfin so erwarte, nichts Verrücktes. Aber genau das sei doch verrückt, nicht wahr? Gerade das sei doch völlig verrückt, »weil wir haben ja nur ein Leben, nicht wahr«? Und sollten wir auch mehrere haben, wer weiß, auszuschließen sei das ja nicht, aber selbst wenn, dann hätten wir ja dennoch unser jetziges Leben nur einmal. Und da sei es doch verrückt, ja verrückt, nicht die Dinge zu tun, die in einem steckten und nur darauf warteten, rauszudürfen, um wahr zu sein und wirklich. Denn dürften sie nicht raus, wäre das doch, als ob … als ob … ein Maler die aufregendsten Farben vor sich hätte und nicht wagte, sie auszuprobieren!

Sie hielt inne, bemerkte, dass es mit ihr durchgegangen war. Vor Aufregung standen ihr rotscheckige Flecken an Wangen und Hals. Sähe ich – Sorge in ihren Augen – sähe ich das denn anders?

»Elli«, sagte ich. »Ich sag dir was: Ich sehe es: genau! so!«

Sie lachte auf, griff dabei erleichtert nach meiner Hand und behielt sie für Momente in ihrer.

Die Erfindung der Welt

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