Читать книгу Die Erfindung der Welt - Thomas Sautner - Страница 18
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ОглавлениеIch gieße reines Wasser über euch,
dann werdet ihr rein.
Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust
und gebe euch ein Herz von Fleisch.
BUCH EZECHIEL,
Kapitel 36, Vers 25–26
Aliza zog sich die glitschig nasse Bluse von den Armen, vom Körper. Wasserbesoffen schmatzten ihre Sneakers von den Fersen. Aliza warf ihnen die Socken hinterher, schälte sich aus den an der Haut klebenden Jeans. Sie griff an ihren Rücken, öffnete, es gelang nicht gleich, die Häkchen und legte den BH zur Seite.
Es war vor Mittag, die Sonne teils wolkenverhangen. Aliza bibberte, ihr Körper wie kühl verschnürt.
Sie sah an sich nach unten. Ihre Brüste waren gänsehäutig und nass, wie alles an ihr. Aliza nahm sie in die Hände. Zitterndes barg Zitterndes. Sie lächelte wegen dieses kleinen Staunens. Auch wegen des Gefühls und wegen des Bildes, wie diese Hände, als täten sie es selbstbestimmt, zärtlich und fest ihre kleinen Brüste nahmen.
Im Sitzen ließ sie sich nach hinten in die Wiese fallen. Die Erde war kalt, Aliza zuckte zusammen und widerstand dem Impuls, in die Höhe zu fahren, blieb liegen, ließ den Schrecken zu. Ein Schauer unter ihrer Haut. Sie beobachtete ihn, bis er verebbte. Sie nahm die ersten Sonnenstrahlen wahr, die durch die Wolken brachen. Und das Licht auf ihrer weißen Haut.
An ihrer Schläfe spiegelte ein Wassertropfen die Sonne. Ein anderer kitzelte sie, glitt an der Flanke ihres Bauches nach unten. Aliza streckte im Liegen die Arme von sich, griff nach den Halmen unter ihren Händen, ballte die Fäuste, krallte sich fest am hohen Gras, am Boden. Jetzt trug die Erde sie auf ihrem Rücken. Rücken an Rücken lagen sie, schossen durchs All, unbewegt. Aliza ließ los, sie konnte ruhig loslassen. Einfach loslassen.
Der Slip war nasskalt. Sie hob ihr Becken, zog ihn nach unten, weg damit. Und schon wieder ein Moment. Schon wieder. Ein Moment. Er war passiert und zugleich hatte sie ihn gemacht. Ihr gemachtpassierter Moment.
Nackt in der Wiese. Sonnenstrahlen trockneten einen Körper. Gras zeichnete ein Muster in einen Frauenrücken. Von Alizas Schulter rann ein letzter Tropfen Teich.
Als Elli, Gräfin Elisabeth von Hohensinn, erwachte, war der Himmel hellblau und rosa und puppenhaus-unwirklich erleuchtet von der aufgehenden Sonne. Als wäre der Himmel frühmorgendlich sauber gewaschen worden vom Licht der Sonne, sauber und adrett und sonntäglich hell herausgeputzt. Zwischen Elli und dem Licht schwebten bauschige Wattewölkchen. Das Hellblau und das Rosa friedlich. Wie Geschwister, die an diesem Morgen noch nicht auf die Idee verfallen waren zu streiten. In Ellis Ohren summte es. Sie wollte nicht glauben, was sie doch wusste: dass dieses Summen, dieses leise, beständige Summen, nicht von außerhalb kam, sondern von ihrem Blut herrührte, vom Leben, das ihr durch Adern und Äderchen pulsierte.
Rosa und hellblau der Himmel, immer noch. Elli drehte sich im Liegen um, vergrub ihr Gesicht im Daunenpolster und schlief wieder ein.
Als sie zwei, drei Stunden später nach draußen in den Schlosshof trat, in Händen die Lieblingskaffeetasse aus dünnwandigem Porzellan, kam ihr die Schriftstellerin entgegen, das Fahrrad schob sie neben sich her. Von Weitem schon lächelte Aliza ihr zu, was heißt sie lächelte, ein Auflachen schien sie zu unterdrücken. Wie glücklich sie wirkte! Und zugleich verlegen, als stünde ihr solch kindlich pralles Glück nicht zu. Oder als wäre es angebracht, versuchsweise zumindest, dieses Glück für sich zu behalten. Weil so viel Glück, gehörte sich das denn, war das denn gerecht und drohte es nicht zu zerfallen, sobald alle Welt darauf sähe? Zerstöbe es womöglich zu nichts, zu dem, woraus es entstanden war?
War die Schriftstellerin, war ihr Gast schwimmen gewesen? Aliza trug keine Hose. Sie lag, ja, das musste ihre Hose sein, zusammengerollt auf dem Gepäckträger des Fahrrads. Im Slip und mit nackten Beinen watschelte Aliza die gekieste Einfahrt entlang, die Füße in schlabbrigen Sneakers. Die Bluse klebte feucht an Armen und Schultern. Das lange schwarze Haar, sonst beneidenswert voll, hing ihr strähnig vom Kopf.
Sie grinste verlegen. Grinste verschmitzt die Sekunde danach. Ihre Lippen waren froh, ihre Nase, Augen, Wangen waren froh und rund um diese Augen mäanderten Schlieren und Flecken aus heillos zerronnener Wimperntusche. Aliza Berg schob augengerändert und nassglücklich das Fahrrad.
»Was ist denn mit dir passiert?!«, rief Elli.
»Alles okay!« Sie kam näher.
»Hab mich irgendwie selbst getauft! Bin in den Teich gesprungen, gefallen, … jedenfalls war ich im Teich. In dem Teich, den du mir empfohlen hast.«
»Ich hab dir den Steg empfohlen, aber doch nicht, dass du samt Kleidung reinspringst. Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?«
»Ja, ja, alles super!« Aliza wischte sich über die Wange. Die Wimperntuscheränder in ihrem Gesicht veränderten ihre Form.
»Du zitterst ja! Komm, ich nehme das Fahrrad. Und du, ab unter die heiße Dusche!«
»Ein Kaffee wäre mir lieber. Und dann möchte ich gleich loslegen.«
»Loslegen?«
»Mit der Recherche. Ich will alles rundum schnell kennenlernen, die ganze Gegend, besonders das Gebiet, das auf der Karte rot umrandet ist, und alle Menschen, die da wohnen. Ich weiß schon, dass da abgesehen von eurem Schloss nur ein Forsthaus ist und eine Hütte, aber dann eben das. Lass uns nachher gleich hinfahren, lass uns anfangen, ja?«
Erneut waren Aliza feuchte Haarsträhnen ins Gesicht gerutscht, sie versuchte, sie wegzublasen, wischte sie schließlich mit beiden Händen energisch zur Seite. Beachtlich, nun hatte ihr Wimperntusche-Aquarell etwas Kriegerisches.
»Du bist ja ganz überdreht. Wo willst du als Erstes hin, bei wem möchtest du denn beginnen?
»Dein Mann kommt erst heute Abend aus der Stadt zurück, stimmt’s?«
»Ja, Leopold freut sich schon auf dich, wir werden gemeinsam zu Abend essen.«
»Dann lass uns bei dieser alten Frau beginnen, bei dieser alten Einsiedlerin im Forsthaus, von der du mir gestern erzählt hast.«
»Die hätte sicher Leopold dir gerne vorgestellt, in Wirklichkeit ist er enger mit ihr befreundet als ich. Weißt du, um ganz ehrlich zu sein, habe ich all die Jahre nie einen Draht zu ihr gefunden. Freilich grüßen wir uns, wenn wir einander zufällig begegnen, aber ich glaube, die Alte ist, was mich betrifft, ebenso skeptisch wie ich ihr gegenüber. Leopold dagegen hat regelrecht einen Narren an ihr gefressen, ich will gar nicht wissen, was die beiden so anstellen. Sie treiben sich oft den ganzen Tag im Wald herum oder sitzen auf der Veranda vorm Haus, trinken Wein und pofeln selbstgedrehte Zigaretten, die die Alte mit Kräutern aus ihrem Garten stopft.«
»Klingt vielversprechend! Bitte, Elli, stell sie mir vor! Das ist doch auch für dich eine Chance, sie neu kennenzulernen. Du kannst dich aus unserem Gespräch völlig entspannt raushalten, ich mach das schon. Und mit deinem Mann kann ich immer noch hin. Es ist ohnehin nötig, die Leute mehrmals zu treffen, die meisten erzählen beim ersten Mal kaum etwas, müssen erst auftauen und Vertrauen gewinnen, ist ganz normal bei solchen Recherchen. Wir fahren einfach einmal hin, okay, Elli? Wir zwei und die alte Einsiedlerin im Forsthaus. Vielleicht spendiert sie uns ja auch ein Glas Wein! Oder eine ihrer Selbstgedrehten!«