Читать книгу Leyendecker - Thomas Stange - Страница 4
1. Kapitel
ОглавлениеStill, fast einsam liegt die alte Mühle am Ausgang eines tiefen, langgestreckten Wiesentals. Zu ihrer nördlichen Seite fällt der Blick auf einen waldbestandenen Bergsporn, der in seiner Dunkelheit gleich einem wehrhaften Bollwerk Sicht und Gedanken abzuriegeln scheint. Diesem gegensätzlich scheint der weiden- und ackerbedeckte Hügelzug im Süden den unvoreingenommenen Beobachter zum Erklimmen aufzufordern, verspricht Befriedigung der Sehnsucht nach Weite, nach Ruhe für das beengte Auge. Der Hardtbach, der das Wiesental durchfließt, gab der Mühle Funktion und Namen. Zu keiner Zeit ihrer jahrhundertealten Geschichte stand die Mühle im Mittelpunkt des Interesses. Im Gegenteil, die Ströme des Verkehrs, damit die der Menschen, damit die der Aufmerksamkeit mieden das Tal, flossen stattdessen über die Höhenzüge und überließen die Mühle der Abgeschiedenheit. Nur selten kam es vor, dass einsame Wanderer der langgestreckten Scheune und dem quer dazu stehenden Mühlengebäude mit dem großen Zwerchhaus ansichtig wurden. Zumeist zogen sie dann an dem ernst und abweisend wirkenden Bauwerk vorbei, ohne inne zu halten, lockte doch das recht nahe gelegene kleine Dorf mit seinem Angebot zur gemütlich-beschaulichen Einkehr. Welches Bild sich damals, zu Kaiser Napoleons Zeiten, dem zufällig an der Mühle vorbeikommenden Reisenden bot, lässt sich heute nur schwerlich nachvollziehen, brannte die alte Mühle doch mehrfach ab - zuletzt Ende der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts - wurde jedes Mal wieder aufgebaut, veränderte dabei Charakter und Aussehen.
Doch all diesen Einwirkungen von Zeit und Schicksal zum Trotz lässt sich die Hardtmühle noch heute finden. Ihr Mühlrad ist schon vor langer Zeit abgebaut worden, kaum etwas erinnert noch an ihre einstmalige Bedeutung. Wer sich die Zeit nimmt und ein wenig genauer hinschaut, kann noch immer den alten Diebsgraben am Waldrand gegenüber erkennen, der es lichtscheuen Genossen früherer Zeiten so trefflich ermöglichte, ungesehen zur Mühle zu gelangen. Oh ja, die Hardtmühle hat in der Tat im Laufe ihrer langen Vergangenheit so manchem Gesetzlosen zeitweilig Unterschlupf und Sicherheit geboten. So manche Tat ist in ihr geplant, so manche Flucht durch sie erst ermöglicht worden.
Und so liegt sie heute noch in ihrem tiefen, langgestreckten Wiesental und wirkt immer noch ein wenig ernst und abweisend und bewahrt immer noch ein Geheimnis, das bis heute ungelüftet blieb. Und an stillen Winterabenden, wenn die Menschen der Gegend vor den Kaminfeuern zusammenrücken, sorgt es als Überlieferung dann und wann immer noch für Gesprächsstoff.