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3. Kapitel

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Leyendecker unterdrückt einen schmerzhaften Seufzer, als er sich in seinem Lehnsessel vorsichtig aufsetzt. Einmal wieder in Frieden aufwachen, denkt er beiläufig, einmal von diesem Alpdruck befreit sein. Die Vergangenheit sitzt als Lebenslinie tief in mir drinnen. Sie sitzen mir immer noch im Nacken....

Verdrießlich nimmt Leyendecker die silberbeschlagene Karaffe mit dem alten Port von dem kleinen Rauchtisch zu seiner Rechten und füllt sein Glas. Zwei Schlucke von der braunrotöligen Flüssigkeit. Einen Moment lang genießt Leyendecker den samtigen Nachgeschmack, hebt dann das Manuskript vom Boden auf, das seinen im beginnenden Schlaf kraftlos werdenden Händen entglitten ist. Seine Augen gleiten über die Seiten, ohne an einem Satz, an einem Wort Halt zu finden.

Die Holzdielen knarren leise, als sich Leyendecker schwerfällig erhebt. Ihn fröstelt. Er greift sich ein paar Scheite aus dem Vorratskorb und legt sie in das nur noch schwach züngelnde Kaminfeuer. Nachdenklich, langsam hinkt er dann zu dem alten Sekretär an der Wand hinter ihm, gleich neben der Türe. Mit knappen, durch tägliche Übung geformten Bewegungen schließt er das Manuskript sorgfältig ein. Seine Vergangenheit lässt ihn nicht los. Seine Vergangenheit, so ist ihm klar geworden, würde ihn niemals loslassen, wenn er nicht etwas dagegen unternähme. Schreiben kam ihm in den Sinn. Aufschreiben, was war. Aufschreiben, wie alles begann. Warum alles so wurde, wie es geworden ist. Rechenschaft ablegen vor sich selbst. Ein Geständnis ablegen......

Er hat tatsächlich angefangen zu schreiben, vor...wie langer Zeit? Es muss bereits Monate her sein, dass er sich zum ersten Male an seinen Schreibtisch setzte, um auf die leeren Blätter vor sich zu starren. Gedanken, die sich der Formung widersetzen, Worte, die sich weigern, zu fließen. Rastlos, mit einem Anflug von Verzweiflung im Herzen war er damals von seinem Schreibtisch wieder aufgestanden, hatte sich an sein Pult gestellt, von dem aus er durch das rechte Fenster direkt in den großen verwilderten Garten der Mühle blicken kann. Wenn mir doch jemand den ersten Gedanken gäbe, den aller ersten Gedanken, dachte er. Nur einen Gedanken, dann wird es schon gehen.

Dann hatte er begonnen, langsam im Zimmer auf und ab zu hinken. Fünf Schritte vom Bücherregal rechts am Schreibtisch vorbei bis zum Kamin, zwei Schritte um den Lehnsessel herum, vier Schritte zurück zum Bücherregal. Bei Regenwetter konnte sich sein Bein mitunter besonders nachdrücklich in Erinnerung bringen. Ein Himmelreich für den aller ersten Gedanken. Er hatte seine Wanderung durch den Raum fortgesetzt.

Dann drängte sich eine Zahl in seinen Sinn. Neunundneunzig. Es war ihm gar nicht bewusst geworden, dass er seine Schritte mitgezählt hatte. Neunundneunzig. Und dann war der aller erste Gedanke plötzlich da gewesen.....

Leyendecker

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