Читать книгу Der gläserne Fluch - Thomas Thiemeyer - Страница 17

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Es war kurz vor halb zwölf, als Oskar völlig erschöpft nach einer kleinen Pause verlangte. Er hätte es nie für möglich gehalten, dass Tanzen ihm so viel Spaß machen würde. Er war wahrhaftig kein geübter Tänzer, aber Charlotte war nachsichtig und beklagte sich nicht, wenn er ihr mal auf den Fuß trat oder aus dem Takt kam. Außerdem war er glücklich, dass sie ihm den kleinen Zwischenfall neulich im Treppenhaus nicht übel nahm. Zwischen ihnen war alles wie zuvor, außer dass er immer noch nicht erfahren hatte, was Charlotte mit all den Dokumenten vorhatte. Doch darüber wollte er sich heute Abend nicht den Kopf zerbrechen. Er war außer Atem und sein Herz schlug wild.

»Na, ihr beide scheint euch ja prächtig zu amüsieren.« Eliza lächelte. »Passt nur auf, dass euch nicht schwindelig wird.« »Charlotte scheint überhaupt nicht müde zu werden«, keuchte Oskar. »Ich habe mich eigentlich immer für gut trainiert gehalten, aber mit ihr kann ich nicht mithalten.« Er blickte zu seiner Cousine hinüber, die gerade mit einem älteren Herrn eine Mazurka tanzte.

»Ja, sie ist tatsächlich sehr sportlich.« Der Forscher gab ein verlegenes Räuspern von sich. »Darf ich trotzdem deine Gedanken auf unseren Auftrag lenken?«

»Mmh?« Oskar fiel es schwer, sich von dem Anblick loszureißen.

»Es geht um etwas, das Frau Bellheim mir während des Vortrags ihres Mannes erzählt hat.«

Oskar hörte nur mit halbem Ohr hin, aber er sah ein, dass er den Forscher nicht länger ignorieren konnte.

»Und um was ging es?«

»Sie erwähnte ein Tagebuch, das ihr Mann angeblich in Afrika dabeihatte. Sie erwähnte zwei Begriffe. Der eine lautete Dogon und der andere Meteorit.«

Oskars Interesse war plötzlich erwacht. »Ein Meteorit? Ein Gesteinsbrocken aus dem Weltall?«

»Ganz recht.« Humboldt blickte zu allen Seiten, um sicherzugehen, dass sie nicht belauscht wurden. »Es gibt da etwas, das ich dir zeigen möchte. Komm mit.«

Oskar folgte Humboldt und Eliza ins Nebenzimmer.

»Hier herüber.« Humboldt winkte ihn zu einer großen Vitrine mit aufwendigen Bleiglaselementen. Das Stück sah ungeheuer alt und wertvoll aus.

»Was ist damit?«, wollte Oskar wissen.

»Schau dir das mal genau an. Fällt dir irgendetwas daran auf?«

Oskar trat näher. Auf den ersten Blick wirkte die Vitrine makellos und erlesen, doch beim genaueren Hinsehen stellte sich heraus, dass etliche der Scheiben gesprungen oder zersplittert waren. Viele der gläsernen Einlegearbeiten fehlten oder waren zerstört. Eine Stelle war besonders seltsam. In einer der Scheiben klaffte mittendrin ein rundes Loch. Die Ränder sahen irgendwie geschmolzen aus. Als er den Forscher fragend ansah, nickte dieser.

»Seltsam, nicht wahr? Wie reingeätzt.«

»Was kann das sein?«

»Keine Ahnung. Alles, was ich weiß, ist, dass diese Löcher in Glasscheiben überall im Haus zu finden sind. Sie befinden sich an Stellen, die schlecht zugänglich und wo sie nicht gleich zu erkennen sind. Frau Bellheim wies mich darauf hin, konnte aber selbst keine Erklärung dafür finden.«

»Und was denken Sie?«

»Ich weiß es nicht. Ich bin noch in der Phase, in der ich Informationen sammle. Tatsache ist, dass diese Schäden erst entstanden sind, nachdem Richard Bellheim von seiner Reise zurückkehrte.« Der Forscher verschränkte seine Arme vor der Brust. »Wie du weißt, habe ich von Frau Bellheim den Auftrag erhalten, Nachforschungen über ihren Mann anzustellen.«

»Charlotte hat es mir erzählt.«

»Gut. Dann kannst du dir vorstellen, wie wichtig es für mich wäre, dieses Tagebuch in die Finger zu bekommen. Ich bin sicher, es stehen Sachen darin, die für unseren Fall von großem Interesse sind. Ich habe Frau Bellheim bereits gebeten, mich einen Blick hineinwerfen zu lassen, doch sie hat strikt abgelehnt. Sie möchte nicht, dass irgendwelche privaten Details ans Tageslicht kommen. Wenn ihr mich fragt, ich glaube, sie fürchtet sich vor der Wahrheit.«

»Und wie kann ich dabei helfen?« Oskar sah in die eisblauen Augen des Forschers. »Moment mal … Sie wollen, dass ich es stehle?«

»Ich möchte, dass du es ausleihst.« Humboldt lächelte verlegen. »Ich kann es dir nur schwer erklären, aber ich habe ein ganz merkwürdiges Gefühl bei dem Mann. Mein Instinkt sagt mir, dass etwas in Afrika vorgefallen ist. Etwas, von dem wir nicht wissen sollen, was es ist. Bellheim gibt sich größte Mühe, jeden Verdacht bezüglich seiner Person zu zerstreuen. Je mehr er das tut, desto misstrauischer werde ich. Du hättest ihn früher erleben sollen. Er war ein waghalsiger junger Mann, voller unbändiger Energie und Ehrgeiz. Er wusste immer genau, was er wollte und wie er es bekam. Und er hatte Charme. Die Frauen lagen ihm zu Füßen. Dieser Mann dort drüben ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Jemand, der so tut, als wäre er jemand anders.«

Oskar war weit davon entfernt zu verstehen, auf was sein Vater da anspielte, aber er wusste, was von ihm erwartet wurde.

»Na gut«, seufzte er. »Das Tagebuch. Wo soll ich suchen und vor allem wann?«

Humboldt blickte zur Standuhr auf der anderen Seite des Raums. »Es ist jetzt halb zwölf. In einer guten Viertelstunde wird die Kapelle aufhören zu spielen und alle werden nach draußen auf die Straße gehen. Selbst das Dienstpersonal wird das Haus verlassen, um das Feuerwerk zu betrachten. Eine halbe Stunde lang wirst du völlig ungestört sein. Am besten, du durchstöberst zuerst das Schlafzimmer. Dort werden normalerweise die persönlichsten Gegenstände aufbewahrt. Versuch es mit den Nachttischchen und arbeite dich dann durch Vitrinen und Sekretäre. Halte nach einem Buch Ausschau, das alt und abgewetzt wirkt. Wenn es zwei Jahre in Afrika war, dürfte es ziemlich ramponiert sein.«

»Und wenn ich es habe?«

»Mich interessieren nur die letzten Einträge. Sieh nach, ob du irgendetwas zum Thema Meteoriten findest. Nimm dir am besten etwas zu schreiben mit und mach dir Notizen. Hier sind ein Stift und ein Blatt Papier.« Er zog beides aus seiner Weste.

»Was, wenn ich es nicht finde oder erwischt werde?«

»Lass dir etwas einfallen. Du bist doch ein geschickter Dieb. Und jetzt los. Ich werde mir eine passende Entschuldigung für dich einfallen lassen.«

Der gläserne Fluch

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