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London, eine Woche später …

Der Royal Musketeers Fencing Club war einer der ältesten Fechtclubs Londons. Ein Traditionsverein, der zu Zeiten von Lord Nelson und seinem legendären Sieg bei Trafalgar gegründet worden war und der den Ruf genoss, in seinen Kampfregeln genauso streng zu sein wie in der Auswahl seiner Mitglieder. Hier aufgenommen zu werden, setzte voraus, dass man über Verbindungen zu den höchsten Ebenen verfügte und im näheren Umfeld zur Queen stand. Ein Club für Mitglieder der Upperclass und solche, die es werden wollten.

Das runde Ziegelgebäude mit seiner goldenen Kuppel und seinem Umgang aus weißen Säulen grenzte direkt an die Themse unweit der Westminster-Kathedrale. Efeu umrankte die Säulen und die angrenzenden Platanen warfen lange Schatten. Das Rasseln von Klingen drang aus dem Inneren.

Max Pepper hatte Degen und Säbeln noch nie etwas abgewinnen können. Nicht, dass er den Umgang damit nicht beherrschte, er konnte Waffen nur generell nicht leiden. Er hielt sie für Standesmerkmale spätpubertierender Muttersöhnchen. Wer es für nötig hielt, anderen mit der Länge oder Größe seiner Waffe zu imponieren, dem hatte der liebe Gott entweder zu wenig Selbstvertrauen oder zu wenig Grips geschenkt. In den meisten Fällen eine Kombination aus beidem.

Er selbst sah sich als Mann des Geistes, der in der Lage sein sollte, jede Situation Kraft seines Verstandes zu meistern. Was nicht hieß, dass er ein wehrloses Opfer war. In der Stadt der Regenfresser hatte er seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt. Aber er empfand keine Liebe zum Töten.

»Lord Wilson macht um diese Uhrzeit immer seine Waffenrunden.«

Patrick O’Neill war ein sympathischer Rotschopf von der Grünen Insel, der viel redete und eine Menge Lachfältchen um die Augen hatte. So schlimm konnte Sir Wilson eigentlich nicht sein, wenn er einen solchen Mann an seiner Seite duldete. Andererseits … man sollte nie den Tag vor dem Abend loben.

Wie recht er mit seiner Skepsis hatte, zeigte sich, als O’Neill die beiden in die Umkleidekabinen führte und sie bat, ihre Sachen auszuziehen.

»Wir sollen was?« Pepper schaute auf O’Neill, der bereits in Unterhosen vor ihm stand.

»Sie müssen sich ausziehen und Trainingskleidung anlegen. Die Statuten des Clubs sind sehr streng«, erläuterte Sir Wilsons Assistent. »Keine Waffenkleidung, kein Eintritt.«

»Dann warte ich draußen.«

»Aber Sir Wilson hat ausdrücklich befohlen, Sie sollen ihn drinnen treffen. Ich glaube nicht, dass es ratsam wäre …«

»Ich habe nicht vor zu kämpfen«, sagte Pepper. »Ich werde ganz ruhig in der Ecke sitzen und zusehen.«

»Das macht keinen Unterschied. Es kann durchaus passieren, dass Sie gefordert werden. Glauben Sie mir, wenn das passiert, sind Sie glücklich, wenn Sie einen Anzug haben.« O’Neill schlüpfte in die Hose, zog die weiche wattierte Weste über seinen Kopf und tauchte grinsend daraus wieder hervor.

»Außerdem sieht es doch sehr kleidsam aus, oder?« Er breitete die Arme aus.

»Na, komm schon, Max.« Boswell klopfte ihm auf den Rücken. »Wir wollen doch nicht wie Weicheier dastehen. Wenn uns einer zu einem Waffengang fordert, wird er sein blaues Wunder erleben.«

»Das ist die richtige Einstellung«, sagte O’Neill. »Sir Wilson empfängt seine Mitarbeiter gern in ungewohnter Umgebung. Er ist der Auffassung, dass man Menschen besser einschätzen kann, wenn man sie neuen Situationen aussetzt. Nur wer sein gewohntes Terrain verlässt, zeigt sein wahres Gesicht.«

»Gilt das auch für ihn selbst?«

O’Neill blieb die Antwort schuldig. Das Lächeln, das um seinen Mund spielte, sprach allerdings Bände.

Pepper schlüpfte in seinen Kampfanzug. »Was ist eigentlich an den Gerüchten, dass Sir Wilson einer einfachen Arbeiterfamilie entstammt? Soll sein Vater nicht im Kohlebergbau tätig gewesen sein?«

O’Neill blickte ihn erschrocken an. »Woher wissen Sie das?«

Max zuckte mit den Schultern. »Ich hatte während der Überfahrt eine Menge Zeit und habe diverse Erkundigungen eingezogen. Recherche gehört zu meinen besonderen Talenten.«

»Wenn Ihnen Ihre Gesundheit am Herzen liegt, sollten Sie kein Wort darüber verlieren. Sir Wilson kann ausgesprochen unangenehm reagieren, wenn ihn jemand auf seine Vergangenheit anspricht. Besser, Sie vergessen alles, was Sie darüber gehört haben.« Er betrachtete sie prüfend. »Sitzen die Anzüge? Gut, dann können wir gehen.«

Die Trainingshalle des Royal Musketeers Fencing Club war ein vollendetes Rund von beeindruckenden Ausmaßen. Etwa dreißig Meter von Wand zu Wand und mit einer Höhe von über zwanzig Metern wirkte sie wie eine verkleinerte Ausgabe der Royal Albert Hall. Tatsächlich war sie von demselben Architekten erbaut worden, der so stolz auf seinen Entwurf war, dass er ihn gleich noch ein zweites Mal zur Ausführung brachte.

Warmes Nachmittagslicht strömte durch die schießschartenähnlichen Fenster und zauberte weiche Strahlen in den Raum. Die Luft war erfüllt von Atemgeräuschen und dem Klirren der Waffen.

Etwa fünfzehn Kämpfer waren anwesend. Kräftige, konzentriert aussehende Männer, die ihren Sport anscheinend sehr ernst nahmen. In ihrer Mitte, unschwer zu erkennen an seinen ungewöhnlichen Proportionen, Jabez Wilson. Seine Haare waren zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden und auf seiner geröteten Haut glänzte der Schweiß. Seine Bewegungen zeugten von ungeheurer Kraft und Ausdauer. Vorstoß, Parade, Finte, Ausfallschritt. Präzises Timing, blitzschnelle Angriffe.

Sein Gegner war ein Mann, der beinahe einen Kopf größer und deutlich schlanker war. Das Haar war kurz geschoren und unter seinen buschigen Brauen leuchteten stählerne Augen. Eine lange bleiche Narbe zog sich quer über seine Schläfe bis runter zum Kinn. Beide Männer trugen keinen Gesichtsschutz.

Kaum hatten Pepper und Boswell den Saal betreten, als Wilson sie auch schon bemerkte. Er hob seinen Degen, grüßte seinen Fechtpartner und kam dann auf sie zu.

»Ah, die Herren aus New York«, keuchte er. »Kommen Sie, treten Sie näher. Ich freue mich, dass wir uns endlich persönlich kennenlernen.« Max, dem es schwerfiel, seinen Blick von dem silbernen Auge abzuwenden, ergriff die Hand des Meteoritenjägers. »Ist mir eine Ehre, Sir Wilson.«

»Mir ebenfalls«, sagte Boswell. »Wir freuen uns sehr, mit Ihnen zusammen auf Expedition gehen zu dürfen.«

»Freuen Sie sich nicht zu früh«, sagte Wilson. »Das wird kein Spaziergang. Haben Sie Auslandserfahrung?« Er nahm von O’Neill ein Handtuch entgegen und wischte den Schweiß von seiner Stirn.

»Boswell ist der Erfahrenere von uns beiden«, sagte Max. »Er ist längere Zeit in Europa und Asien gewesen. Ich selbst war bislang nur in Peru.«

»Schon mal in Afrika gewesen?«

Max schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Und Sie, Boswell?«

Harry zuckte mit den Schultern. »Nur auf einen Zwischenstopp. Südafrika und Namibia. Nichts Weltbewegendes.«

Wilson lächelte. »Nun, das macht nichts, wir werden Sie schon zurechttrimmen. Ehe die Jagd zu Ende ist, haben wir aus Ihnen zwei richtige Beduinen gemacht. Sind Sie Rechts- oder Linkshänder?«

»Beide Rechtshänder, wieso?«

Wilson drehte sich um. »Jonathan, bringen Sie uns zwei Degen, Größe 3, rechtshändig.«

Der Mann mit der Narbe ging rüber an einen Waffenschrank und kam mit zwei schön gearbeiteten Waffen zurück. Aus der Nähe betrachtet wirkte der Mann älter, als es vorhin den Anschein gehabt hatte. Mindestens fünfundvierzig, eher fünfzig. Trotzdem sah er ungemein zäh und drahtig aus. Ein Mann, den man besser nicht zum Feind hatte.

»Darf ich Ihnen meinen Adjutanten, Mr Jonathan Archer, vorstellen? Hochdekorierter Infanterieoffizier der British Indian Army und für seinen Einsatz in der Schlacht von Kandahar mit den höchsten Ehren ausgezeichnet. Ihm obliegt die Führung meiner Einsatzgruppe.«

Der Mann deutete eine knappe Verbeugung an und händigte ihnen die Klingen aus. Max blickte darauf, als hätten sie eine ansteckende Krankheit. »Und was sollen wir damit?«

»Sich verteidigen natürlich«, sagte Sir Wilson. »Schauen wir mal, wie es mit ihren Kampfkünsten bestellt ist. Wie ich Sie einschätze, können Sie noch ein paar Trainingsstunden brauchen, ehe wir uns in den Senegal einschiffen.«

Pepper ließ die Klinge prüfend durch die Luft sausen. Die Waffe war erstklassig gefertigt und gut ausbalanciert.

»Nun gut«, sagte er. »Mit wem wollen Sie anfangen?«

Wilsons Zähne blitzten auf. »Wie wär’s mit Ihnen beiden?«

Der gläserne Fluch

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