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Marianne hatte an diesem Tag Spätdienst. Gegen halb zwei betrat sie Felix Söhnkers Zimmer, begrüßte ihn, und stellte das Beatmungsgerät an.

„Bevor ich Ihre Frau hole, machen wir noch ein paar Atemübungen.“

Felix nahm die Atemmaske und absolvierte seine Übungen. Immer wieder musterte er die Gestalt der jungen Frau. Sie studierte die Verlaufskurve. Wie vertraut sie ihm in den wenigen Tagen geworden war. Er konnte sich nicht länger etwas vormachen: Den ganzen Vormittag über hatte er darauf gewartet, dass es endlich halb zwei würde und Marianne sein Zimmer betreten würde.

Ja, er musste es sich eingestehen, wie stark sie ihn berührte: Der weiche Klang ihrer Stimme, ihre warmen Augen, ihre gerade Körperhaltung, ihr geschmeidiger Gang – ihre ganze Erscheinung war so tief in ihn eingedrungen, dass der bloße Gedanke an sie seine Brust mit einem warmen Pulsieren erfüllte. Es war, als würde sich in seinem Inneren ein lange verschüttetes Lachen endlich wieder befreien.

Du spinnst, Felix, sagte er zu sich selbst, bist gerade dem Tod von der Schippe gesprungen, hingst vorgestern noch an einem Beatmungsgerät und gibst dich Gefühlen hin, von denen du kaum noch wusstest, dass es sie überhaupt gibt.

Er musste über sich selbst grinsen. Na und?, raunte eine andere Stimme in ihm. Du hast es doch oft genug gelesen, dass die Liebe nicht fragt, ob sie ungelegen kommt. Sie klopft an und tritt ein. Und dann musst du sie willkommen heißen. Oder weglaufen.

So versunken war er in seine Gedanken und in ihren Anblick, dass er darüber die Atemübungen vergaß. Marianne sah von der Verlaufskurve auf.

„Sie atmen ja gar nicht mehr.“ Jetzt erst merkte sie, dass er sie anschaute und dabei versonnen lächelte. „Herr Söhnker?“

„Sie anzuschauen ist eine viel bessere Therapie, als die lästigen Atemübungen.“ Der Satz rutschte ihm einfach so heraus. Marianne wurde rot. „Sind Sie verheiratet, Schwester Marianne?“

Ihre Gestalt straffte sich. Sie wandte den Blick von ihm und begann etwas in die Kurve zu schreiben.

„Machen Sie Ihre Atemübungen, Herr Söhnker, bitte.“

Das leise Beben ihrer Stimme entging ihm nicht.

Als sie ihm Minuten später die Atemmaske abnahm, grinste er sie verlegen und um Entschuldigung bittend an.

„Ich dachte nur, dass jemand, der so ausgeglichen und professionell seine Arbeit macht, sicher in einer glücklichen Beziehung leben muss.“

Ihre Gesichtszüge schienen sich zu verschließen, und er wusste sofort, dass er einen wunden Punkt in ihr getroffen hatte. Er schwieg betroffen.

Marianne antwortete zunächst kein Wort, sondern machte sich hektisch an den Infusionsflaschen zu schaffen, die am Kopfende des Bettes über ihm hingen. Schließlich setzte sie sich an den Bettrand und sah ihn ernst an. Noch bevor sie zu sprechen begann, war ihm klar, dass er mit seinen unbedachten Worten einen Stein ins Rollen gebracht hatte, der eine ganze Lawine mit sich reißen konnte.

„Herr Söhnker“, begann Marianne stockend, „wenn Sie am vergangenen Montag nicht eingeliefert worden wären, würde ich wohl schon nicht mehr hier, auf dieser Station arbeiten.“

Ein Ausdruck verständnisloser Überraschung trat auf seine Miene.

„Ich hatte einen Freund“, fuhr sie fort, „vor einem Jahr hatten wir einen Verkehrsunfall, genau wie Sie. Michael kam dabei ums Leben.“

Sie erzählte von Michael, sie erzählte von ihren Schwierigkeiten nach seinem Tod, sie erzählte von der Notärztin, die ihr in den letzten Tagen so unglaublich mitfühlend beigestanden hatte.

Felix schwieg betroffen. „O Gott“, seufzte er schließlich, „wie brutal uns das Leben manchmal aus der Bahn schleudert. Es tut mir so leid für Sie, Marianne, und ...“, er berührte ihre Hand, „ich weiß gar nicht, was ich sagen soll ...“, er legte seine Hand auf ihre, „ich danke Ihnen.“

„Man muss nicht immer etwas sagen.“ Sie drückte seine Hand.

Einige Augenblick saßen sie so und schauten sich schweigend an.

„Jetzt hole ich Ihre Frau.“ Marianne gab sich einen Ruck, stand auf und verließ das Zimmer. Draußen, auf dem Gang der Intensivstation, musste sie erst einmal tief durchatmen. Außer Frau Dr. Heinze gegenüber war sie schon lange zu keinem Menschen mehr so offen gewesen. Sie biss sich unwillkürlich auf die Unterlippe, als sie die Stationstür öffnete. Das war mehr als eine vertraute Beziehung zwischen einer Schwester und einem Patienten. Marianne hatte genügend Erfahrung mit Männern, um zu wissen, dass Felix Söhnker ähnliche Gefühle hatte wie sie. Und jetzt würde sie seine Frau holen und zu ihm bringen, absurd!

Vor dem Zimmer 212 blieb sie für einen Moment stehen, um tief durchzuatmen. Sie klopfte an und trat ein.

„Guten Tag, Frau Söhnker, ich fahre Sie jetzt ...“ Sie erstarrte.

Bevor sie zu Edith Söhnkers Bett rannte, drückte sie reflexartig auf den Notrufknopf neben der Tür.

„Frau Söhnker!“

Die Frau lag mit geschlossenen Augen und leichenblassem Gesicht in ihren Kissen. Neben ihrer linken Hand lag ein blutiges Skalpell auf der Bettdecke. An ihrer rechten Seite stand eine Waschschüssel im Bett. Darin lag ihr rechter Arm, bedeckt von rot gefärbtem Wasser. Ohne Zögern griff Schwester Marianne in die warme Flüssigkeit, hob den Arm hoch und presste ihre Finger auf die Stelle am Handgelenk, aus der hellrotes Blut pulsierte.

„Notfall!!“, schrie sie.

Durch die offene Tür hörte sie Schritte, die sich näherten.


Hoffnung, Wunder und Liebe: 7 Arztromane

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