Читать книгу Hoffnung, Wunder und Liebe: 7 Arztromane - Thomas West - Страница 52

Оглавление

45



Dr. Alexandra Heinze betrat die chirurgische Station. Sie war froh. Sehr froh sogar.

Nicht nur, weil die Sorge um Anuschka endlich ausgestanden war. Heute morgen war Werner mit der Hündin zum ersten Mal seit über zwei Wochen wieder zu einem kleinen Spaziergang unterwegs gewesen. Sie war auch froh wegen Schwester Marianne.

Gerade hatte die Notärztin die Schwester auf der Intensivstation besucht. Seit die junge Frau sich der Pflege des verunglückten Söhnkers gewidmet hatte, war sie wie ausgewechselt. Sie tat ihre Arbeit wieder gern, sie brauchte keine Tabletten mehr, und sie nahm wieder am Leben teil. Dass Marianne wieder Theater spielte, freute Alexandra Heinze am meisten.

Sicher – damit, dass die Schwester sich gleich in ihren Patienten verlieben würde, hatte die Ärztin nicht gerechnet. Aber gut, die Ärztin hatte sich entschieden, diese Liebe als Symptom der zurückgekehrten Lebensbejahung zu werten. Und dass Schwester Marianne wieder gerne lebte, das war für Alexandra Heinze das Wichtigste.

Felix Söhnker lag nun seit gestern ebenfalls hier auf der chirurgischen Station. Man hatte ihm und seiner Frau angeboten, im selben Zimmer zu liegen. Beide hatten das abgelehnt, was für allerhand Verwirrung und Geschwätz bei Ärzten und Pflegepersonal gesorgt hatte.

Nur Schwester Marianne und sie selbst, Alexandra Heinze, wussten, dass die beiden eigentlich keine Beziehung mehr miteinander hatten. Natürlich war durch den schweren Unfall wieder alles möglich und offen. Schwester Marianne fieberte einer Entscheidung entgegen, und die Ärztin konnte weiter nichts tun, als ihr Mut zu machen, diese Spannung auszuhalten und abzuwarten.

Jetzt stand Alexandra Heinze vor dem Zimmer 212. Sie hatte Frau Söhnker seit ihrem Selbstmordversuch regelmäßig besucht. Langsam schien sie sich zu fangen. Dr. Heinze klopfte und trat ein.

Sie traf zwei lachende Frauen an. Edith Söhnker und Ute Sommer saßen am Tisch. Edith hatte ihr eingegipstes Bein auf einen Stuhl gelegt. Sie durfte seit heute aufstehen und an Krücken laufen. Allerdings, noch ohne das Bein zu belasten.

„Schön, dass Sie kommen, Frau Dr. Heinze“, freute sich Edith Söhnker. Für eine Frau, die vor knapp zehn Tagen ihrem Leben ein gewaltsames Ende setzen wollte, wirkte sie überraschend gelöst.

„Wenn es etwas zu Lachen gibt, komme ich doppelt gern“, sagte Alexandra Heinze und setzte sich zu den beiden Frauen. Auf dem Tisch lagen zahllose Fotos.

„Ich habe Urlaubsbilder mitgebracht.“ Ute Sommer reichte der Ärztin ein Foto. Es zeigte sie mit drei behinderten jungen Mädchen. „Ein herrlicher Affentanz ist das, mit diesen Weibern zu verreisen, das kann ich Ihnen sagen.“

Die Notärztin hatte die rothaarige Frau in den letzten Tagen öfter bei Edith Söhnker gesehen. Zwischen den beiden so unterschiedlichen Frauen schien sich eine regelrechte Freundschaft zu entwickeln.

„Und gerade haben wir die Idee ausgebrütet, dass Edith im nächsten Frühjahr mal an so einer Chaosreise teilnimmt“, verkündete Ute Sommer.

„Ach.“ Alexandra Heinze sah die Patientin staunend an.

„Ich weiß nicht recht“, Edith Söhnker schien etwas verlegen, „ich weiß nicht, ob ich als Mathematiklehrerin das Chaos nicht eher noch vergrößern werde. Ich fürchte, deine Schützlinge werden gar nichts mit mir anfangen können.“

„Quatsch“, fegte die Sozialarbeiterin den Einwand vom Tisch, „die Linda frisst dir doch schon aus der Hand. Und das Biest ist unser schwierigstes Kapitel.“

„Was meinen Sie Frau Dr. Heinze?“, wandte sich Edith an die Ärztin.

„Ich hatte in meiner Jugend zuletzt mit Jugendlichen zu tun“, lachte Alexandra Heinze, „und mit geistig Behinderten nur ganz selten. Probieren Sie es doch einfach mal aus. Ich glaube, Frau Sommer schätzt Sie schon richtig ein.“

Als Alexandra Heinze das Zimmer 212 verließ, schüttelte sie verwundert den Kopf. Diese resolute, lebenserfahrene und etwas derbe Frau in der schlampigen Jeansjacke schien Edith Söhnker ungeheuer gut zu tun. Erstaunlich, was Menschen einander geben können, dachte sie.


Hoffnung, Wunder und Liebe: 7 Arztromane

Подняться наверх