Читать книгу Hoffnung, Wunder und Liebe: 7 Arztromane - Thomas West - Страница 64
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Es war noch ruhig in der Praxis, und die beiden eifrigen Arzthelferinnen hatten sich ein bisserl Zeit genommen, in der Tageszeitung zu lesen. Auch wenn die Kollmannberger Vreni, das lebende Tageblatt von Hindelfingen, alle möglichen und unmöglichen Neuigkeiten herumerzählte, so gab es doch einiges, was man nur aus der Zeitung erfuhr.
„Ja, da schau her“, rief die Hermine aus und beugte sich näher über das Blatt.
„Was hast denn? Passen deine Lottozahlen?“, wollte die Maria wissen und blickte neugierig von ihrem Teil auf.
„Schmarrn. Ich spiel doch net mal, da sind mir die Chancen einfach zu gering. Nein, schau her, was ich hier grad find’. Da tät`s einen Heilpraktiker geben, den manche Leut’ als Wunderheiler bezeichnen. Und der kommt nach Hindelfingen, um hier wahrscheinlich seine Wunder zu wirken. Mit Garantie.“
„Was?“ Maria war ehrlich bestürzt. „Wie können manche Leut’ so was denn nur glauben? Als ob’s tatsächlich wen gäb’, der so was kann. Da würd’ ich ja noch eher annehmen, dass der Pfarrer Feininger mit einem Gebet ein Wunder bewirken könnt. Und mit Garantie auch noch? Was ist denn dann, wenn der Patient doch net gesund wird? Kriegt der Tote oder seine Erben das Geld zurück?“
Minchen lachte trocken auf. „Sowas glaubst ja wohl net im Ernst. Wenn wirklich einer sein Geld zurückhaben will, dann ist der Bazi ganz bestimmt verschwunden, oder er hat tausend gute Gründe, warum es denn net geklappt hat. Dann haben die Leut’ eben was falsch gemacht, sich net an seine Anweisungen gehalten, oder es ist gleich eine ganz andere Krankheit. Also wirklich, Garantie, net zu glauben. Wieso tät`s dann eigentlich immer noch so viele unheilbare Krankheiten geben, wo auch unser Herr Doktor net weiter kommt? Das Beste wär’s, solche Schwindler gleich einzusperren, damit’s nie wieder falsche Hoffnungen verbreiten und Unheil anrichten können.“
Minchen regte sich ganz furchtbar über diese Anzeige auf. Allerdings klang das auch reichlich großspurig, was da in wenigen Worten versprochen wurde.
„Jetzt auch in Ihrer Stadt! Der weltberühmte Friedrich-Jonas Wanninger gibt sich die Ehre, in Hindelfingen seine vielfach bezeugten Methoden zu praktizieren. Haben auch Sie ein Leiden, welches bisher kein Arzt heilen konnte? Dann suchen Sie Friedrich-Jonas Wanninger auf. Selbst in aussichtslosen Fällen hat dieser Heilpraktiker mit Sicherheit eine Möglichkeit, Ihnen zu helfen. Zahlreiche garantierte Erfolge beweisen das tagtäglich. Sie werden mit Sicherheit gesund, oder Sie erhalten Ihr Geld zurück. Melden auch Sie sich schnell an, um noch einen der wenigen begehrten Termine zu erhalten.“
Als Adresse war einer der Bungalows im Feriendorf angegeben, und besonders das fanden die beiden Frauen schlichtweg dreist.
„Wie kann der Anderl nur so einen Scharlatan aufnehmen?“, empörte sich Minchen. Sie, die ohnehin nichts auf ihren Doktor kommen ließ, betrachtete es als persönliche Beleidigung, dass sich jemand anmaßte, jede Krankheit heilen zu können, wo die ärztliche Kunst versagte. Wer gab diesem Kerl das Recht solche Behauptungen in die Welt zu setzen? Das war doch durch nichts bewiesen, denn die Frau glaubte nicht an diese „zahlreichen garantierten Erfolge“.
Ausgerechnet in diesem Moment kam die Vreni Kollmannberger herein und schwenkte ebenfalls eine Zeitung in der Hand. „Habt’s ihr schon gehört, wer nach Hindelfingen kommt?“, rief sie aufgeregt.
Die zornige abweisende Miene von Minchen und Maria sprach Bände.
„Na, dann muss ich euch das ja net mehr erzählen. Aber wisst ihr auch, dass der Anderl Schwarz versucht hat, die Buchungen rückgängig zu machen, als er hörte, was für ein Bazi sich da als sein Gast angemeldet hat? Da sollt’ man doch tatsächlich meinen, dass der Besitzer von so einem Hotel das Recht hat sich seine Gäste auszusuchen. Aber nix da. Der Anderl bekam sofort einen Brief von irgendwelchen Anwälten, die ihm mit Klagen vor dem Gericht drohten. Und da hat er halt eben nachgegeben. Er meint, es würd’ sich hier in Hindelfingen wohl eh keiner finden, der zu so einem Schwindler und Scharlatan hinläuft. Schließlich haben wir den Doktor, der seine Arbeit ganz ordentlich macht. Was braucht’s da einen Wunderheiler?“
„Na, da bin ich aber doch froh und dankbar, dass ich eine so gute Verteidigerin hab wie dich“, klang in diesem Moment die Stimme von Daniel Ingold auf, der wohl schon eine ganze Weile zugehört hatte. Interessiert betrachtete er die Anzeige und schüttelte dann den Kopf.
„Net mal wir Ärzte haben die Möglichkeit gegen einen solchen Schwindler vorzugehen. Da soll der Anderl mal schön aufpassen, dass er net ins Fettnäpfchen tritt. Aber glaub’ mir, Vreni, es gibt immer und überall Leut’, die der Meinung sind, dass nur so ein Wunderheiler ihnen helfen kann. Meist haben`s gar keine schwere Krankheit, und weil der Bazi natürlich auch keine Diagnosen stellen kann und darf, muss er sich darauf verlassen, was die Patienten ihm sagen. Da kann er dann natürlich hinterher leicht behaupten, er hat einen Tumor oder was auch immer geheilt, wo die Ärzte net weiterkommen.“
Der Doktor hatte sich selbst ziemlich aufgeregt, so kannten die Frauen den Daniel gar nicht, und sie schauten ihn ziemlich erstaunt an.
„Man könnt fast meinen, du hättst schon mal deine Erfahrungen gemacht mit solchen Leuten“, bemerkte Vreni und forschte aufmerksam im Gesicht des Mannes. Der merkte jetzt auch, dass er vielleicht einen Schritt zu weit gegangen war. Daniel lächelte etwas verlegen.
„Ja, man könnt` das so sagen. Das war noch, bevor ich nach Hindelfingen gekommen bin. Da hab ich mal so einen Fall gehabt. Und das geht mir heut’ noch nach.“
Die Blicke der Frauen hingen gespannt an seinen Lippen, und der Doktor sah ein, dass er sich allein mit diesen Andeutungen jetzt nicht zurückziehen konnte. Er zuckte die Achseln, es tat ihm leid, dass er sich bei diesem Thema überhaupt so ereifert hatte. Jetzt gab es allerdings kein Zurück mehr, denn besonders die Vreni würde nicht locker lassen, bis sie die ganze Geschichte gehört hatte.
„Vor einigen Jahren musste ich bei einem Mann die bittere Diagnose Krebs stellen. Er war viel zu spät gekommen, und eigentlich konnt’ man net viel mehr für ihn tun, als die Schmerzen zu lindern und ihm einen friedlichen Tod zu ermöglichen. Aber er klammerte sich ans Leben und fuhr tatsächlich von einem Spezialisten zum nächsten – alles ohne Erfolg. Sein bester Freund gehörte zu den Menschen, die uns Ärzten gar nix glauben und nur gewissen Leuten Vertrauen entgegenbringen – solchen, die ihnen buchstäblich das Blaue vom Himmel versprechen. Nun ja, seiner eigenen Diagnose nach hatte dieser Freund eine akute Form der Leukämie, was meines Wissens nach durch keinen Doktor festgestellt worden war. Doch er wurde natürlich geheilt, wie ihr euch denken könnt, weil er sich ja einem Wunderheiler anvertraut hatte. Überall erzählte er herum, was für Stümper und Dummköpfe wir Ärzte doch sind, und dass nur dieser Wunderheiler etwas bewirken könnte. Allein indem er seine Hände auflegte. Na ja, es kam, wie es kommen musste. Mein Patient ging natürlich auch hin. Obwohl sein Zustand sich ständig verschlechterte, erzählte er allen Leuten und natürlich auch sich selbst, wie gut es ihm noch ginge. Er nahm keine Medikamente mehr, brach die Therapie ab und war vier Wochen später tot. Bis zuletzt hat er net glauben wollen, dass er einem Scharlatan aufgesessen war, ganz im Gegenteil. Er hat ihn sogar in seinem Testament bedacht. Das hat mich besonders arg getroffen, denn dieser Kerl hat meinen Patienten nach Strich und Faden belogen und betrogen. Und er hat sogar noch von seinem Tod profitiert. Versteht mich bitte net falsch. Ich weiß sehr wohl, dass es Menschen gibt, die tatsächlich über heilende Kräfte verfügen. Und vor denen hab ich auch gehörigen Respekt. Manchmal wirkt ja auch schon der Glaube ein Wunder. Aber wenn sich einer hinstellt als Wunderheiler und mit Geld-zurück-Garantie die Heilung einer jeden Krankheit verspricht, dann kann ich daran net mal was Komisches finden. Sobald die Leut’ nämlich tot sind, können sie eh kein Geld mehr zurück verlangen.“
Besonders die Vreni schaute den Daniel nach dieser langen Rede verständnisvoll an. „Das ist gar net so einfach hinzunehmen“, erklärte sie mitfühlend und formulierte in Gedanken schon die ganze Geschichte in ihre eigenen Worte um. Damit konnte sie der Trudi und wem auch immer wirkliche Neuigkeiten berichten. Das würde es diesem sogenannten Wunderheiler dann aber nicht sehr einfach machen hier in Hindelfingen.
Daniel Ingold war beliebt und geachtet, und wer ihn verletzte, in welcher Form auch immer, musste damit rechnen, dass alle Einwohner nicht gut auf ihn zu sprechen waren. Im Grund war es dann auch egal, dass der Anderl Schwarz den Mann als Gast im Feriendorf beherbergte. Es würde ohnehin niemand hingehen und ein kleines Vermögen dafür ausgeben, mit vielen Worten und zwei kalten Händen nicht geheilt zu werden.
Der Alpendoktor ahnte natürlich, was die Vreni vorhatte, doch dieses Mal sah er keinen Grund, ihrer Geschwätzigkeit einen Dämpfer aufzusetzen. Sollte sie nur jedermann erzählen, was er erlebt hatte. Doch wie der Daniel befürchtete, würde dieser Mann ihn vermutlich direkt aufsuchen und zur Rede stellen. Es konnte in Hindelfingen kein Geheimnis bleiben, wie sehr der hier ansässige Arzt gegen diesen Heilpraktiker eingestellt war.
Nun, man würde sehen. Vielleicht blieb ihm das ja auch alles erspart. Wenn der Mann merkte, dass er hier nicht einfach willkommen war, zog er sich vielleicht rasch zurück.
Die Maria und die Hermine blickten bewundernd zu ihrem Doktor auf. Er würde schon alles richten.
Die Vreni verabschiedete sich mit einem Lächeln, für sie gab es heut’ noch viel zu tun.