Читать книгу Hoffnung, Wunder und Liebe: 7 Arztromane - Thomas West - Страница 63
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Eigentlich war die kleine Toni ein fröhliches, lebhaftes Kind, der Sonnenschein ihrer Mutter, und das Ein und Alles ihres Vaters. Der war allerdings nicht so oft daheim, wie das Dirndl und auch seine Mutter es gern gehabt hätten. Lukas Bauer war ein hochqualifizierter Techniker und arbeitete auf einer Ölbohrinsel irgendwo im Atlantik, er kam nur alle drei Monate für zwei oder drei Wochen nach Hause. Dieses unstete Leben wollte er so lange noch weiterführen, bis er ausreichend Geld angespart hatte, um ein schmuckes Haus zu kaufen und seiner Familie ein relativ sorgenfreies Leben zu gewährleisten. Auf keinen Fall wollte er sich für ein Haus verschulden und dann womöglich in Gefahr geraten, dieses nicht bezahlen zu können, falls er, aus welchen Gründen auch immer, seine Arbeit verlor.
Regina hatte sich schweren Herzens damit einverstanden erklärt, aber besonders die kleine Toni litt immer sehr unter der Trennung von ihrem geliebten Vater. Sie sehnte den Tag herbei, da der Lukas endlich für immer in Hindelfingen blieb. Dem Kind war es auch relativ egal, wie der Vater sein Geld verdiente. Das Gehalt war jedoch gerade auf einer Bohrinsel so hoch, dass es vielleicht nur noch ein oder zwei Jahre dauern konnte, bis der Traum wahr wurde. Dann konnte Toni ihren Vater jeden Tag daheim begrüßen und musste nicht mit Tränen in den Augen an der Tür stehen, wenn er wieder für drei Monate verschwand.
Jetzt aber lag das Dirndl schwach und bleich im Bett. Schon seit mehr als zwei Wochen hatte heftiges Fieber den schlanken, grazilen Körper geschüttelt, die Blutwerte hatten dramatische Formen angenommen und fielen rasch weiter. Ein Verdacht hatte sich in Doktor Ingold gebildet, den er zunächst jedoch gar nicht aussprechen wollte. Aber gewissenhaft hatte er im Labor alles untersuchen lassen, so dass er zwar bestürzt war über das Ergebnis, aber nicht mehr sonderlich überrascht.
Leukämie – Blutkrebs, lautete die niederschmetternde Diagnose, die der Arzt nun der Mutter vorsichtig beibringen musste.
Regina Bauer wirkte zunächst gefasst, noch hatte sie das ganze Ausmaß dieses einen Wortes nicht voll erfasst.
„Es besteht gute Hoffnung auf Heilung“, begann Daniel zu erklären. „Wir haben noch recht früh erkannt, was da in der kleinen Toni vorgeht. Und mit einer Chemotherapie und entsprechenden Medikamenten, wie verschiedenen Zytostatika, hat sie gute Chancen am Leben zu bleiben und schon bald wieder ...“
Da war es, das Wort, welches der Regina erst richtig den Schock versetzte.
„Am Leben zu bleiben?“, unterbrach sie den Doktor tonlos. „Ja, aber Leukämie ist doch nur ...“
Daniel schüttelte den Kopf. „Bitte, verwechsele das nicht mit Anämie. Das ist eine Blutarmut, die man heutzutag recht einfach und wirkungsvoll behandeln kann. Leukämie ist Blutkrebs, und wenn wir net schnell mit der Behandlung beginnen ...“
„Mama, muss ich sterben?“, klang in diesem Augenblick die zarte Stimme des Kindes von der offenen Tür her. Toni hatte das Gespräch mit angehört und nur wenig verstanden. Doch der wichtigste Satz war ihr natürlich nicht entgangen.
Erschreckt schaute die Regina auf und sprang dann von ihrem Stuhl, riss das Kind ganz fest in die Arme und barg das Gesicht an ihrer Brust.
„Natürlich musst du net sterben, mein Schatzerl. Das ist alles net wahr, was der Doktor da grad sagt. Aber warum liegst denn net im Bett? Ich bring dir doch alles, was du brauchst. Komm, mein Herz, ab zurück unter die warme Decke.“
„Mir ist aber langweilig. Ich will nach draußen zum Spielen“, erklärte das Kind. Dabei wirkte es so blass und durchscheinend, dass es den Arzt dauerte. Er nahm Regina die Worte nicht übel, im ersten Schock nach einer solchen Diagnose sagte man rasch etwas, was man nicht so meinte. Die Frau durfte allerdings nicht den Fehler machen, diese Nachricht auf die leichte Schulter zu nehmen oder sie gar zu ignorieren. Je eher die Behandlung begann, umso besser für die Toni.
Daniel wartete in aller Ruhe ab, bis das Kind wieder im Bett lag.
„Regina, mach’ dir da jetzt bitte nix vor. Wenn’s mir net glaubst, ist das natürlich dein gutes Recht. Kannst gern den Doktor Huber oder die Kollegen in der Stadt konsultieren und eine zweite Meinung einholen. Wär’ mir sogar recht. Aber spiel net mit dem Leben deines Kindes. Warte net so lang, bis es zu spät ist.“
Wild schaute die hübsche Frau den Doktor an. Ablehnung und Zorn lagen in ihren Augen. Nichts war mehr zu spüren von der Vernunft, mit der sie sonst noch jede schwierige Situation allein gemeistert hatte.
„Du irrst dich, Daniel, du musst dich täuschen. Das kann net meine kleine Antonia treffen. Du hast recht, ich werd’ noch eine weitere Diagnose einholen. Und dann wirst schon sehen, welch einen Schmarrn du da redst.“
Düster schaute Daniel auf diese personifizierte Verneinung. „Es gibt wohl kaum etwas, was ich mir mehr wünschen tät’ als mich getäuscht zu haben“, erklärte er ruhig. „Nur bittschön, schon im Interesse des Kindes – warte net damit. Mach’ es so schnell wie möglich. Dann hast im Zweifel auch schneller die Bestätigung, dass ich mich getäuscht hab. Auch wenn das nicht so ist.“ Er blickte sie so eindringlich an, dass die Regina endlich begriff, wie dringend seine Worte tatsächlich waren.
„Ich werd’s gleich morgen tun“, versprach sie. „Gleich morgen früh fahre ich mit der Toni in die Stadt.“
„Und – willst den Lukas auch heut’ noch informieren? Ich denk’, er sollt’ das wissen, wenn seine Tochter ...“
„Nein, auf gar keinen Fall“, fuhr die Frau hart dazwischen. „Ich will net, dass er bei seiner Arbeit womöglich Fehler macht, weil er in Gedanken net bei der Sache ist. Er kann auf die Entfernung hin ohnehin nix tun. Ich werd’s ihm erst dann sagen, wenn’s unbedingt notwendig ist. Und bis dahin kann ich mich recht gut allein um mein Kind kümmern.“
Im Augenblick gefiel Daniel das gar nicht, doch er hoffte, die Regina würde noch zur Vernunft kommen. Schließlich konnten die Kollegen ihr auch nix anderes sagen. Diese Diagnose war hieb- und stichfest, niemals würde der Arzt in einer so schwierigen Angelegenheit nicht selbst sicher sein wollen. Daher wirkte er niedergeschlagen, hatte er doch gehofft, gemeinsam mit der jungen Frau sofort den Kampf um das Leben des Kindes aufnehmen zu können. Nun gut, noch war das letzte Wort in dieser Angelegenheit nicht gesprochen. Es würde sich schon alles finden, wenn die Regina erst einmal den Schock überwunden hatte.
Sie verabschiedete den Arzt jedoch ziemlich spröde und ging dann ins Kinderzimmer, wo die kleine Toni schon wieder eingeschlafen war. Sie drückte zarte schmale Hand des Kindes an ihre Lippen und murmelte voller Verzweiflung viele sinnlose Worte vor sich hin.