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ZWEI Montag, 05. März 2018, 07.30 Uhr, im Polizeipräsidium Südosthessen in Offenbach am Main

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Adi Hessberger verfluchte diesen Montag, wie er es auch mit jedem vorherigen Montag seit Beginn seines Arbeitslebens getan hatte. Nichts war aus seiner Sicht so frustrierend wie der Anfang einer schier endlos erscheinenden Arbeitswoche. Außerdem hatte er nach dem Spiel seines geliebten OFCs wieder mal ein paar Äppler zu viel konsumiert. Der dumpfe Kopfschmerz, in Verbindung mit dem vom Apfelwein ausgelösten Magengrummeln, schaffte es, seine ohnehin schlechte Laune noch zu verstärken.

So hatte alles angefangen. Der OFC hatte sein Spiel in Stuttgart verloren. Wie immer stand er im Auswärtsblock und kein Außenstehender hätte geahnt, dass dieser wild jubelnde Fußball-Fan im wirklichen Leben seine Brötchen als Kriminalhauptkommissar verdiente. Natürlich verstand er, dass einige Leute mit Befremden auf sein extrovertiertes Fanverhalten schauten, aber wenn man nun mal unter Flutlicht geboren ist, gab es nur eine Richtung und zwar die ins Stadion. Auf die Frage, was es bedeutete, unter Flutlicht geboren zu sein, gab es eine ganz einfache Erklärung. Bei den Abendspielen am Bieberer Berg leuchtete das Flutlicht bis hin zum Ketteler Krankenhaus und eben dort entdeckte er das Licht der Welt. Und was könnte es als Fußballfan besseres geben, als wenn es sich dabei um Flutlicht handelte?

Leider war es in Stuttgart ein Auswärtsspiel, das tagsüber stattfand und weder die Atmosphäre noch das Spiel waren berauschend und so fuhren sie wieder im Fanbus nach Offenbach, um den Frust in Äppler zu ertränken. Irgendwie ergab es sich, dass nicht nur der Samstagabend, sondern auch noch der ganze Sonntag im Äpplernebel versunken war.

Kein Wunder, dass heute nicht sein Tag war und er hoffte inständig, dass es ein ruhiger Montag bleiben würde, ohne Stress und neue Fälle. Vor allem verspürte er kein Verlangen, das warme Büro und die Nähe der wahrscheinlich dringend benötigten Toilette gegen das regnerische Wetter zu tauschen.

Die gute Laune seiner Sekretärin, Selina Djukovic, kurz Seli genannt, ärgerte ihn heute zusätzlich. Seli war 1,75 Meter groß, wog circa 60 Kilo, hatte grüne Augen, sinnliche Lippen und manch unzüchtiger Gedanke kam Hessberger in den Sinn, wenn er an sie dachte. Aber irgendwie schien Seli das Leben einer Heiligen zu führen; kein Freund, von dem man jemals gehört hätte, keine Dates oder Verabredungen mit den Kollegen.

„Für dich“, rief Seli durch den ganzen Raum. „Es gab einen unbekannten Toten in Offenbach.“

„Fängt ja gut an, heute Morgen! Gib mir mal die genaue Adresse durch und sag dem Kollegen Salzmann Bescheid, dass wir los müssen“, rief Hessberger zurück.

Doch da kam Kriminalkommissar Rüdiger Salzmann schon um die Ecke geschossen und berichtete seinem Chef, dass der Fundort der Leiche sich auf dem Sportplatz der Gemaa Tempelsee befände. In Tempelsee hatte Hessberger zu Jugendzeiten Fußball gespielt. Dort sollte ein Toter liegen? Eigentlich unvorstellbar.

„Ist die Gerichtsmedizin schon vor Ort, denn die werden bei dem Wetter allerhand zu tun haben, um die Spuren zu sichern.“

„Ja, Hotte fragt schon, wo die Infanterie mal wieder bleibt.“

Hotte hieß mit bürgerlichem Namen Horst Pelzer, war Dr. der Medizin und arbeitete am Gerichtsmedizinischen Institut in Frankfurt, war aber für die Region Offenbach zuständig.

„Wir nehmen deinen Wagen, meiner ist frisch gewaschen und da habe ich keine Lust bei dem Matschwetter auch noch meine Karre zu versauen.“


Vom Polizeipräsidium bis nach Tempelsee waren es nur ein paar Kilometer zu fahren und so trafen sie schon fünf Minuten später am Tatort ein. Der Sportplatz war weiträumig abgesperrt und die Kollegen von der Verkehrspolizei begrüßten die Kriminalhauptkommissare Hessberger und Salzmann mit einem freundlichen Winken. „Fahrt einfach bis hinne dorsch, da liescht dann schon die Leisch“, sagte der Polizist in breitem Slang, zwischen Offenbacher und Wetterauer Dialekt angesiedelt. Die beiden stiegen aus und standen vor dem aufgeweichten Rasenplatz der Gemaa Tempelsee, der mehr einer Sumpflandschaft glich. Mitten auf dem Anstoßkreis kniete Hotte vor dem Opfer.

„Kannst du schon etwas Genaues sagen?“, fragte Hessberger sichtlich genervt von dem schlechten Wetter.

„Na klar, die Leiche ist furchtbar nass, aber mehr Informationen bekommst du gerne nach der Obduktion.“

„Gibt es vielleicht schon einen Hinweis zur Identität des Opfers oder zum Todeszeitpunkt?“

„Das Opfer hatte keine Papiere bei sich und auch sonst gibt es nichts. Es handelt sich um einen durchtrainierten Mann Anfang vierzig und er ist nachweislich tot. Auf den ersten Blick gibt es nur eine Stichwunde im Lungenbereich. Leider kann ich nicht sagen, um welche Art Stichwaffe es sich gehandelt hat, aber wie es scheint, ist unser Opfer langsam erstickt.“

„Schaut da nicht etwas aus seinem Mund heraus?“, fragte Hessberger.

Der Gerichtsmediziner griff vorsichtig in die Mundhöhle des Toten und ertastete etwas Papierartiges. Langsam zog er seine behandschuhten Finger wieder zurück und zum Vorschein kam eine breiförmige Papiermasse. „Es ist ein farbiges Stück Karton, aber ich nehme erst einmal alle restlichen Spuren auf und schaue es mir dann im Labor an.“

Salzmann betrachtete sich den Toten genauer und sah einen Mann um die Vierzig mit dunklen Haaren und einem Schnauzer, wie ihn früher Magnum trug. Die sportliche Kleidung und die Joggingschuhe deuteten darauf hin, dass das Opfer während des Joggens oder aber direkt im Anschluss daran getötet wurde.

Salzmann und Hessberger schauten sich auf dem Gelände sehr intensiv um, fanden aber keinerlei Anhaltspunkte, die ihnen weiterhelfen konnten. Scheinbar gab es keine Zeugen und auch der Platzwart konnte keinerlei Aussagen zu diesem ungeheuerlichen Vorfall machen. „Wenn das in der Zeitung steht, dass man auf unserem Sportplatz eine Leiche gefunden hat …“

„… Oder ein Mord geschehen ist“, unterbrach ihn Hessberger. „Wann hat denn das letzte Spiel auf dem Rasen stattgefunden?“

„Ei gestern, von 15 bis 17 Uhr. Danach haben wir den Sieg noch ein bisschen gefeiert und um 19 Uhr sind dann alle in unsere Stammkneipe gegangen.“

„Ich brauche Namen und Telefonnummern aller Spieler, Betreuer und eventuell auch der Zuschauer von gestern.“

„Wo soll ich die denn in Gottes Namen herbekommen?“, klagte der Platzwart. „Stellen Sie sich nicht so an, bei dem Sauwetter gestern hat doch außer den Ersatzspielern kein Mensch freiwillig zugeschaut, oder? Morgen Vormittag will ich die Liste auf meinem Schreibtisch liegen haben, hier ist meine Mailadresse“, sagte Adi Hessberger in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. „Je mehr Sie uns unterstützen, desto weniger sind Sie tatverdächtig.“

Ohne weiter auf den sichtlich geschockten Platzwart zu achten, machten sich die Beamten wieder auf den Weg in ihre Dienststelle.


Kaum angekommen, brachte Seli ihnen zwei herrlich duftende Tassen Kaffee, was die beiden wieder etwas aufmunterte.

In diesem Moment erschien Hessbergers Lieblingsmitarbeiterin, Kriminalkommissarin Sina Fröhlich.

Sina war erst seit einem Jahr in Adi Hessbergers Team, aber für ihn war sie schon jetzt unverzichtbar. Mal ganz abgesehen vom Aussehen der 26-Jährigen mit den rabenschwarzen Locken, den dunklen Augen und einer atemberaubenden Figur, war sie hochgradig intelligent, pünktlich und fleißig. Wenn es überhaupt einen Makel gab, dann war es die Tatsache, dass sie seine sämtlichen Annäherungsversuche schon im Keim erstickt hatte. Wie oft hatte er schon darüber gegrübelt, wie unsinnig es sei, zwei echte Hammerfrauen in seinem Team zu haben, ohne auch nur einmal privat davon zu profitieren.

Dabei konnte sich Adi Hessberger durchaus sehen lassen. Der 37 Jahre alte Kriminalhauptkommissar machte mit einer Körpergröße von 1,84 Meter und 102 Kilogramm schon etwas her. Er wirkte eher muskulös, wobei sich ein Ansatz zur Adipositas nicht verleugnen ließ.

Das Motto des eingefleischten OFC-Fans lautete: stets Currywurst statt Sushi und lieber Block 2 als VIP-Raum.

„Hörst du mir überhaupt zu oder schwebst du wieder auf deiner Kickerswolke?“ Sina Fröhlich wirkte etwas verärgert wegen ihres unaufmerksamen Kollegen.

„Ich bin ganz bei dir. Was gibt es Neues zu unserem Toten vom Fußballplatz? Habt ihr schon rausgefunden, wer unser Opfer ist?“

„Leider nein. Die Fingerabdrücke des Opfers sind in keiner Datenbank zu finden. Die einzigen Spuren sind drei Vermisstenanzeigen, denen wir noch nachgehen müssen.“

„Lass uns zur Gerichtsmedizin fahren“, antwortete Hessberger, „und schauen, ob die schon fündig geworden sind.“


Das Institut für Rechtsmedizin befand sich in der Kennedyallee in Frankfurt. Für die Strecke von etwa 14 Kilometern benötigten die beiden knapp dreißig Minuten. Da es um die Parksituation nicht so gut bestellt war, zumindest, wenn man keine Lust hatte, noch ein Stück zu Fuß zu laufen, parkte Hessberger im Halteverbot und legte sein Lieblingsschild: „Polizei im Einsatz“ gut sichtbar auf das Armaturenbrett.

Dr. Pelzer kam den Kommissaren schon auf dem Institutsflur entgegen. In der einen Hand hatte er eine Tasse Kaffee, in der anderen eine Knochensäge. „Wollt ihr auch einen Kaffee?“

„Nein danke“, sagten beide, wie aus der Pistole geschossen.“

Drei Minuten später standen alle drei vor dem auf einer Liege aufgebahrten Opfer. Es war schon etwas befremdlich, dass Pelzer ein belegtes Brötchen direkt auf dem Oberschenkel des Leichnams abgelegt hatte, zumal sein Fleischkäsbrötchen von der Konsistenz und Farbe dem Bein des Opfers sehr nahekam.

„Der Fundort der Leiche war übrigens nicht der Tatort. Scheinbar wurde das Opfer in einem Fahrzeug dorthin gebracht. Lässt sich eindeutig durch die postmortalen Abdrücke auf dem Körper nachweisen. Jetzt müsst ihr also zusätzlich den Tatort finden, um das Verbrechen genauer zu rekonstruieren.“

„Was kannst du uns sonst noch sagen und bitte verständlich, dass es auch ein Offenbacher versteht.“ Diese Anspielung an den aus Frankfurt kommenden Gerichtsmediziner konnte sich Hessberger nicht verkneifen.

Pelzer knötterte vor sich hin: „Als ob ich jemals etwas kompliziert erklärt hätte. In Frankfurt würden die so einfache Sachverhalte wenigstens verstehen, aber ich muss ja ausgerechnet für Offenbach zuständig sein. Sogar den guten Fußball haben sie dort beerdigt.“

„Und dich beerdigen wir auch gleich, wenn du weiterhin so einen Blödsinn erzählst. In Offenbach wird erstklassiger Viertliga-Fußball gespielt“, sagte Hessberger.

„Ich sag schon nichts mehr gegen deinen OFC, auch wenn ich es nie verstehen werde, wie man so vernarrt in einen unterklassigen Verein sein kann.“

Jetzt griff Sina Fröhlich endlich ein: „Habt ihr jetzt geklärt, wer der Platzhirsch ist? Dann können wir zur Abwechslung mal wieder über unseren Fall sprechen.“

Pelzer setzte seine Lesebrille auf und las aus dem Obduktionsbericht vor. „Bei dem Toten handelt es sich um einen gesunden Mann Anfang vierzig.“

Hessberger murmelte vor sich hin: „…. um einen gesunden Mann… ich piss mich weg.“

Pelzer fixierte ihn mit einem eisigen Blick: „Das soll doch nur heißen, dass er gesund war, bis er auf den Mörder traf.“

Doch Hessberger kriegte sich nicht mehr ein und kicherte ununterbrochen.

„Kann ich endlich weitermachen oder dauert dein Gegickel noch länger? Also der Tote ist erstickt und gleichzeitig innerlich verblutet. Wahrscheinlich hat er kurz vor seiner Ermordung noch Sport getrieben, darauf lässt zumindest seine sportliche Kleidung schließen. Zur Tatwaffe kann ich noch nichts Genaues sagen, aber es war zumindest ein länglicher spitzer Gegenstand. Der Tod ist am Sonntag zwischen 20.00 Uhr und 23.00 Uhr eingetreten. Aus meiner Sicht gab es einen Todeskampf von mindestens zwei Minuten. Die Leiche wurde im Anschluss vermutlich mit einem Fahrzeug vom Tatort zur Gemaa Tempelsee gebracht. Wir analysieren noch das Kartonstück, das der Tote im Mund stecken hatte, aber mehr kann ich euch zum jetzigen Zeitpunkt leider nicht sagen.“


Nachdem sie wieder im Revier eingetroffen waren, fragte Hessberger in die Runde: „Was gibt es zu den vermissten Personen zu berichten? Passt auf einen die Beschreibung unseres Opfers?“

„Leider wurden die Personen von den Kollegen nur namentlich festgehalten, weil keiner von ihnen schon mehr als 24 Stunden vermisst wird“, warf Sina ein. „Bisher konnten wir die Angehörigen telefonisch nicht erreichen.“

Hessberger wandte sich an seinen Kollegen Salzmann. „Sina und ich fahren jetzt zu den drei Adressen und versuchen uns ein Bild zu machen, ob unser Opfer aus diesem Bereich kommt. Rüdiger, du schaust dir bundesweit die letzten offenen Mordfälle genauer an, und prüfst, ob es vielleicht irgendwelche Gemeinsamkeiten gibt und Seli, du machst ein wenig Druck bei unserem Platzwart aus Tempelsee, vielleicht kann er ja die Liste schon früher schicken.“

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