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Tibull im Spiegel seiner Umwelt

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Als Tibull um das Jahr 18 v. Chr. starb7, widmete ihm der zeitgenössische Dichter Domitius Marsus den Nachruf:

Te quoque Vergilio comitem non aequa, Tibulle,

Mors iuvenem campos misit ad Elysios,

ne foret aut elegis molles qui fleret amores

aut caneret forti regia bella pede.

»Dich auch, Tibull, sandte als Vergils Leidensgefährten ein nicht recht und billiger Tod im frühen Mannesalter zu den elysischen Gefilden,

damit es niemanden gebe, der entweder in Elegien zarte Liebesklagen anstimmte oder von Königskriegen sänge im Heldenliedversfuß.«

In dem Versmaß der Elegie, dem Distichon, dichtete Tibull seine Liebeslieder, in dem des Heldenepos, dem Hexameter, Vergil die Aeneis. In so dichtem Abstand sah Domitius Marsus mit dem Tod ihrer namhaftesten Vertreter beide Gedichtgattungen verwaisen.

Nüchterner fiel der fast ebenso kurze Lebenslauf aus, dessen letzter Satz sich auf diesen Nachruf bezog:

Albius Tibullus, eques Romanus, insignis forma cultuque corporis observabilis, ante alios Corvinum Messalam originem dilexit, cuius etiam contubernalis Aquitanico bello militaribus donis donatus est. hic multorum iudicio principem inter elegiographos obtinet locum. epistolae quoque eius amatoriae, quamquam breves, omnino utiles sunt. obiit adolescens, ut indicat epigramma supra scriptum.

»Albius Tibullus, ein durch sein gutes Aussehen auffallender und sein gepflegtes Äußere die Blicke auf sich ziehender römischer Ritter, schätzte Corvinus Messalla vor allen Anderen als Born – in dessen Stab auf dem Feldzug sein Begleiter, wurde er im Aquitanienkrieg sogar mit militärischen Ehrengaben beschenkt. Dieser nimmt nach dem Urteil Vieler den Spitzenplatz unter den Elegienschreibern ein. Auch seine Liebesbriefe sind, obwohl nur kurz, alles in allem brauchbar. Gestorben ist er als junger Mann, wie das oben angeführte Epigramm anzeigt.«

Inniger als Domitius Macer hätte Horaz von Tibull Abschied nehmen können, doch widmete er seinem jüngeren Freund nur zwei Gedichte, die er in den zwanziger Jahren verfasste. In dem einen, dem Brief 1,4, redete er ihn als aufrichtigen Beurteiler seiner Satiren an, dem die Götter so hohe Gaben und Vorzüge wie edle Gesinnung, gutes Aussehen, die Kunst, die Segnungen des Wohlstands zu genießen, Liebenswürdigkeit, Unbescholtenheit und Gesundheit verliehen, in dem anderen, der Ode 1,33, sucht er ihn mit dem Rüstzeug seiner Lebenserfahrung zu trösten. Selber mittlerweile abgeklärt, rät er ihm davon ab, in Liebesliedern allzu sehr sein Leid über die Schmach zu klagen, dass seine Glykera sich einem Jüngeren zugewandt habe. Mit diesem Kosenamen, dem der Maler Pausias nach Plin. nat. 35,125 zu Weltruhm verhalf, redet Tibull allerdings weder im ersten noch im zweiten Buch irgendein weibliches Wesen an. Doch mag er ihn, um eine Schönheit als lieblich zu preisen, in Liebesgedichten gewählt haben, die er nicht veröffentlichte, nachdem ein so sachkundiger Dichter wie Horaz sie gelesen und beurteilt hatte. Doch ist genauso gut denkbar, dass Horaz der Geliebten, von der Tibull enttäuscht ist, aus freien Stücken denselben Kosenamen wie der verführerischen Schönen beilegt, die er nach seiner Schilderung in den Oden 1,19 und 1,30 selber mit wechselndem Glück umwarb. Verfuhr er so, hätte die Namensgleichheit um so nachdrücklicher unterstrichen, dass er auf diesem Gebiet mitreden kann.

Nach Lage der Dinge kann darüber nur gerätselt werden. Schon eher lohnt sich da die Mühe, der Frage nachzugehen, in welchem Sinne Tibull, wie es in dem kurzen Lebenslauf zu lesen ist, seinen Gönner Messalla als origo schätzte. Soweit die Gelehrten den jüngeren Handschriften darin folgten, originem gegen oratorem auszuwechseln, wichen sie dieser Frage glücklos aus. Was hätte einen Schreiber dazu verleiten können, ein so geläufiges Wort wie orator im Akkusativ zu dem gewählteren Ausdruck origo abzuändern? Gewiss wird Tibull es zu schätzen gewusst haben, dass er mit einem Puristen wie Messalla vertraut genug verkehrte, um sich mit ihm über Geschmacksfragen des Stils austauschen zu können.8 Doch weist der Lebenslauf in eine andere Richtung, hebt er doch im Nachsatz hervor, dass Tibull im Stab seines Gönners an dem Feldzug gegen die Aquitanier teilnahm und mit militärischen Ehrengaben beschenkt wurde. Sicherlich wird seinem Verfasser dabei nicht vorgeschwebt haben, dass Tibull ihn als Einnahmequelle schätzte. Weitaus eher spielte er vielmehr auf die Anregungen und Einblicke an, die er seinem Nahverhältnis zu dem erfolgreichen Heerführer und Staatsmann verdankte.

Die Rolle, die er im Aquitanischen Krieg spielte, spiegelt als eines von mehreren Beispielen wider, mit welchem Recht Tibull seinen Freund und Gönner als »Born« seiner Dichtkunst betrachten konnte. In der 7. Elegie des ersten Buchs rühmte er sich nicht etwa, zum Sieg maßgeblich beigetragen zu haben, sondern dankte er dem Befehlshaber, den er 28/27 v. Chr. als junger Mann auf seinem Feldzug begleitete, als Zeitzeuge für die hohe Ehre, dass er als contubernalis das Zelt oder Quartier mit ihm teilen durfte, um gemeinsam mit Altersgenossen gleicher Herkunft Einblick in den gehobenen Heeresdienst zu gewinnen. Zu den Kriegsschauplätzen im Süden Frankreichs schweift er nur ab, um den Hintergrund auszuleuchten, vor dem er den Triumph begeistert mitgefeiert haben wird, den Messalla am 25. September des Jahres 27 v. Chr. vor einer jubelnden Menschenmenge hielt.9

Im selben Gedicht streift Tibull, ohne ihn nochmals mit Namen zu nennen, bloß im Vorübergehen, in welche Gebiete Messalla einrückte, um von Kilikien über Palästina bis nach Ägypten vorzustoßen. Auf diesen Feldzug, an dem er selber nicht teilnahm, spielt er nur an, um von den Schauplätzen des Bürgerkriegs mit Marcus Antonius und Kleopatra zu den Fortschritten überzuleiten, die Ägypten seiner Allgottheit Osiris verdankte.10

Von den Wirren der Bürgerkriege lenkt Tibull schließlich den Blick auf die Anfänge des Zeitalters, dem Augustus den Stempel aufdrücken sollte. Nun, da Friede eingekehrt war, bestritt Messalla von seiner Kriegsbeute die hohen Kosten für das wichtige Projekt, die Via Latina von der Porta Capena bis zu den Ausläufern der Albanerberge zu einer dauerhaft gut begeh- und befahrbaren Überlandstraße auszubauen.11

Als Liebesdichter von Natur aus unkriegerisch, begrüßte Tibull die Segnungen der augusteischen Friedensordnung von ganzem Herzen. Je weiter er sich dem neuen Zeitgeist öffnete, desto enger band er Messalla in die friedliche Welt seines Dichtertums ein. In der Elegie, mit der er sein zweites Gedichtbuch einleitet, weist er der Landbevölkerung die Rolle zu, ihn zur Feier ihres Grenzgangfests hochleben zu lassen, und bittet er ihn, ihm Eingebungen einzuhauchen, wenn er den Schutzgottheiten des Landbaus in Wort und Ton dankt.12

In der fünften Elegie seines zweiten Gedichtbuchs schimmert die augusteische Friedensordnung in dem Festakt durch, dass Marcus Valerius Messalla Messallinus, der 36 v. Chr. geborene älteste Sohn seines Gönners, um das Jahr 21 v. Chr. in das Priesterkollegium der XVviri sacris faciundis berufen wurde.13 Dieses Ereignis nimmt Tibull zum Anlass, in den Bahnen, die Vergils Aeneis im achten Buch vorzeichnete, von der Urzeit an aufzurollen, welchen verschlungenen Weg Rom im Verlauf seiner wechselvollen Geschichte nahm, bis sich seine höhere Bestimmung in der Pax Augusta erfüllte. Auf dem Land in der behaglichen Abgeschiedenheit seines überschaubaren Anwesens den Frieden zu genießen, der nach den Gräueln der Bürgerkriege eingekehrt war, malt er sich in der 5. Elegie seines ersten Gedichtbuchs als Idylle aus, in der seine geliebte Delia Messalla als hohen Gast ehrerbietig begrüßt und ihm ein Mahl auftischt, das sie selbst zubereitet hat.14 So inbrünstig bekennt er sich durchweg zu dem Zeitgeist, die Segnungen des Friedens nach Jahrzehnten blutiger Bürgerkriege freudig zu begrüßen. Vor Augustus verneigt er sich in all seinen Bekundungen der Friedensliebe indessen nur stillschweigend. Mit Namen redet er ihn weder im ersten noch im zweiten Buch jemals als Staatsoberhaupt oder Friedensstifter an.

7 Zu dem – letztlich fruchtlosen – Meinungsstreit über das Jahr seines Todes, vgl. Avery, CJ 55, 1960, 205–209, Buchheit, Philologus 109, 1965, 119, Gerressen, Tibulls Elegie 2,5 und Vergils Aeneis, 35. 50–72, McGann, Latomus 29, 1970, 774–780, Della Corte, Maia III.36, 1984, 247–248, und Dettmer, in: ANRW II 30.3, 1983, 1968.

8 Zu dieser Geistesverwandtschaft vgl. die Zeugnisse, die ihm die Ciceronianer Seneca contr. 2,4,8 und Quintilian inst. 10,1,113 ausstellen.

9 Tib. 1,7,5–12.

10 Tib. 1,7,13–36.

11 Tib. 1,7,57–62.

12 Tib. 2,1,31–36.

13 Tib. 2,5,1–8 und 113–122.

14 Tib. 1,5,31–34.

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