Читать книгу Wien! - Till Angersbrecht - Страница 12
Die Zureiterin
ОглавлениеIch blicke auf die Uhr, deren kleiner Zeiger sich gerade anschickt, ganz bis auf die Zehn vorzukriechen. Ich weiß, Liesl besteht in allen Dingen auf Pünktlichkeit. Sie ist, wie ich schon sagte, ein durch und durch ordentlicher Mensch. Das lernt man im Umgang mit Pferden, hat sie mich gleich zu Anfang unserer Beziehung belehrt. Pferde hätten ein hervorragendes Gedächtnis und dazu noch ein bemerkenswert verlässliches Zeitgefühl. Eine Uhr am Handgelenk brauchen die nicht; die wüssten genau, wann die Zeit für die tägliche Bewegung, die Fütterung, die Nachtruhe kommt. Wehe, du bist eine halbe Stunde zu spät, dann hast du es dir bald mit ihnen verscherzt.
Merk Dir das, fügte sie hinzu und wollte mir damit bedeuten, dass sie von mir mindestens so viel verlangen darf wie von einem Pferd.
Um die Wahrheit zu sagen, ist übertriebene Ordentlichkeit für mich gleichbedeutend mit Langeweile, aber natürlich birgt sie den Vorteil, Unsicherheit und Unentschiedenheit auszuräumen. Jedenfalls weiß ich von vornherein, wie unser Treffen ablaufen wird, sobald ich im dritten Stock auf den Klingelknopf drücke. Die Tür öffnet sie mir im Schlafrock, den sie nur lässig oder auch gar nicht über ihre nackten Brüste gezogen hat. Wer soll denn schon sonst um zehn Uhr abends bei ihr zu Besuch erscheinen?
In der Regel bietet sie mir vorher nicht einmal eine Erfrischung an. Ich verstehe das. Sie weiß ja, dass ich zuvor in irgendeinem Gasthaus die Zeitung gelesen und vermutlich schon ein Getränk zu mir genommen habe.
Was mich betrifft, so murmele ich nur einige Worte err das Wetter mele ich nur einige Worte r die Zeitung gelesen und vermutlich einen Kaffee getrunken habe. n. ald ich oben auf über das Wetter oder sondere irgendwelche anderen Belanglosigkeiten ab, während ich mich umgehend meiner Kleidung entledige. Unser Vorspiel ist genauso dürftig, es ist von schlechthin summarischer Art und eigentlich überhaupt inexistent. Das habe ich Liesl anfangs doch einigermaßen verübelt. Immerhin sollte sie wissen, murmelte ich anfangs meinen Unmut in mich hinein, dass selbst in der Tierwelt die vorbereitende Brunst ihren festen Platz behauptet. Oder hat sie noch nie gesehen, wie Kraniche tanzen, Pfauen ihren farbfunkelnden Schweif in die Höhe richten und Hirsche ein wildes Konzert dumpfen Röhrens anstimmen, bevor sie zur Sache kommen? Als Mann oder Männchen, sei es in der Tier- oder Menschenwelt, braucht man doch etwas Zeit, um in Hitze zu kommen.
Nun, diese Zeit gönnt sie mir nicht. Vermutlich hält sie sich auch in dieser Hinsicht ganz an die Gepflogenheiten der Pferde.
Immerhin hilft sie mit kunstvollen Griffen nach, falls ich nicht gleich in Bereitschaft bin, was nach einem mit Terminen und Arbeit reichlich ausgelasteten Tag trotz jugendlicher Frische doch einmal vorkommen kann. Erst wenn dem Vollzug nichts mehr im Wege steht, ist sie mit mir zufrieden, tätschelt meinen Hals und lächelt mir aufmunternd zu. In diesem Moment pflege ich dann regelmäßig zu vergessen und sogar ganz zu verzeihen, welche Rolle ich bei Liesl eigentlich spiele - nämlich die eines artig dressierten Hengstes.
So jedenfalls spielt es sich in unfehlbarem Regelmaß bei jeder unserer Begegnungen ab. Sie setzt ihr gnädigstes Lächeln auf, und ich vergesse augenblicklich meine Lage als Liebesdiener einer adligen Zureiterin.
Doch in letzter Zeit begehre ich auf, weil meine Dressur denn doch ein entwürdigendes Ausmaß erreicht! Auch die weitere Regie lässt nämlich keinerlei Abweichungen zu. Alles muss seine strikte Ordnung haben. Ihr Lächeln und der sanfte Griff an den Hals lenken mich in die richtige Stellung.
Nun gut, wie immer lege ich mich auf den Rücken, während sie sich in den Sattel schwingt, d.h. ich liege unter ihr, und sie ist die reitende, treibende Amazone. Und wie sie diesen Ritt dann genießt! Das immerhin muss ich eingestehen, weil es natürlich die eigene Lust ins Crescendo steigert. Schade nur, dass ich dem Leser derart anstößige Details auftischen muss, denn aus Liebe zur Wahrheit möchte ich diese Begegnungen weder verfälschen noch unterschlagen. Liesl wird in dieser Chronik noch eine unerwartete Rolle spielen!
Anfangs habe ich noch protestiert. Für einen Mann scheint mir diese Stellung denn doch nicht die ursprüngliche zu sein. Ich will nicht sagen: die gottgewollte - über dieses wichtige Thema lässt sich die Bibel leider nicht aus, obwohl sie sich doch ansonsten weitschweifig über jeden noch so trivialen Gegenstand verbreitet.
Zu Anfang unserer Beziehung hatte ich noch vorsichtig angedeutet, dass die normale Art des Verkehrs doch auch nicht ganz reizlos sei. Könnten wir nicht auch einmal ...
Ich kam nicht dazu, den Satz zu vollenden, denn Liesl wies mich sogleich mit einem Fauchen zurecht.
Du bist ein furchtbarer Egoist! Ihr Patriarchen habt zehntausend Jahre immer die Oberhand gehabt. Jetzt ist unsere Zeit gekommen, jetzt sind wir an der Reihe!
Sie sagte das mit einer Bestimmtheit, die jeden Widerspruch meinerseits von vornherein nicht nur ausschloss, sondern für null und nichtig erklärte. In der ersten Zeit hielt ich sie deshalb für eine ideologisch getrimmte Feministin, blind gegen alle Männerwünsche, vielleicht sogar durch eine beharrliche Lektüre von Alice Schwarzers männermordendem Journal auf diese Bahn geleitet. Aber ich irrte mich, von Alice Schwarzer hatte sie nie etwas gehört, und Feministinnen – mit denen hatte sie schon gar nichts am Hut. Für sie sind das Intellektuelle - ein Begriff, der sich in ihrem Munde wie ein Schimpfwort anhört.
Freimütig muss ich deshalb bekennen, bis heute über den Ursprung ihrer amazonischen Neigungen nicht wirklich Bescheid zu wissen. Nach anfänglichem Widerstand gab ich es auf, mit ihr über die Prozeduren des Liebesaktes zu streiten, stattdessen spielte ich bei jedem meiner Besuche brav die Rolle des zugerittenen Pferdes. Mit der Zeit stellte sich bei mir sogar eine gewisse masochistische Zustimmung ein. Die equestrische Stellung, so sagte ich mir, verweise doch letztlich auf einen höheren Zusammenhang von sozusagen weltgeschichtlicher Art. Während sie Amazone spielt, leiste ich die längst fällige Buße für die gesammelten Sünden all unserer patriarchalischen Ahnen, dieses wirklich furchtbaren Packs frauenverachtender Machos.
Den weltgeschichtlichen Zusammenhang halte ich mir seitdem bei jeder unserer Begegnungen vor Augen. Ich gebe zu, dass ich aus dieser Einsicht sogar eine gewisse moralische Genugtuung beziehe. Sie hilft mir bis zu einem gewissen Grade darüber hinweg, dass ich für Liesl doch letztlich nur ein Pferd auf zwei Beinen bin.
Während ich diese Sätze lange nach unserem Zusammentreffen in meiner Chronik verzeichne, muss ich mir von Seiten des Lesers natürlich eine peinliche Frage gefallen lassen: Warum ich ihn denn überhaupt mit solchen Privatheiten überfalle?
Nein, ich will hier keine Bettgeschichten auftischen, um mir damit den Zuspruch jener Durchschnittsmenschen zu erkaufen, die nur dann zu einem Buche greifen, wenn dieses ihr Bedürfnis nach erotischen Schwelgereien befriedigt.
An solche Leser wende ich mich nicht. Von solchen Lesern will ich nichts wissen. Wenn du dazu gehörst, dann leg diese Zeilen bitte sofort aus der Hand. Wir beiden haben nichts miteinander gemein.
Nein, der wahre Grund, warum ich hier das Privateste zwischen mir und Liesl ausbreite, ist ein ganz anderer, den ich an dieser Stelle aber nur andeuten kann, weil er dem Geschehen so weit vorweggreift. Du musst nämlich Liesl, und zwar die Liesl, wie ich sie gerade beschreibe, erst einmal kennenlernen, um das Wunder zu begreifen, das später mit ihr geschieht. Später wird sie – wer hätte das aufgrund des zuvor Erzählten ahnen oder gar voraussehen können? – zu einer Art von Heiligen werden!