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Zwei Araber am Gürtel

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Dich, unsichtbarer Leser, zu dem ich jetzt eine Art von Zwiegespräch unterhalte, stelle ich mir gern als wissbegierigen Menschen vor. Ich weiß deshalb, dass du über die Sexszene zwischen Liesl und mir ganz schnell und, wie ich hoffe, auch duldsam hinweggehen wirst. Es sind nun einmal Fakten, die wir in einer Chronik zu berücksichtigen haben, aber wirklich interessiert bist Du an der Klärung einer ganz anderen Frage.

Du fragst mich irritiert, wie ich, ein Mann der Feder und des Geistes, es denn überhaupt mit einer solchen Frau aushalten könne, die doch von Geist keine Ahnung besitzt und sie nicht einmal besitzen möchte? Und was bindet denn umgekehrt sie an dich, wirst du weiterhin fragen, da sie doch keine deiner geistigen Interessen mit Dir teilt?

Um ehrlich zu sein, halte ich auf diese Grundfrage unserer Beziehung bis heute keine befriedigende Antwort bereit. Über derartige Dinge ist zwischen uns nie geredet worden.

Oder vielleicht doch, jedenfalls ein einsames, einziges Mal? Ich kann mich dunkel erinnern, dass sie einmal - in ihren Amazonenritt eine abrupte Pause einlegend - die besondere Zartheit und Eleganz meiner Ohrläppchen rühmte. Solche scheinbaren Kleinigkeiten darf man nicht einfach mit spöttischem Lächeln abtun. In Liebesdingen können sie eine erstaunliche Rolle spielen. Dennoch bin ich der Ansicht, dass sie eine Beziehung nicht wirklich erklären oder gar rechtfertigen können. Tatsache bleibt, dass dieser Punkt zwischen uns nie wirklich geklärt worden ist.

Dabei ist Liesl keineswegs schweigsam oder gar dumm. Wenn sie redet, ich meine aus eigenem Antrieb redet, dann purzeln und sprudeln die Worte wie ein Sturzbach aus ihrem Mund. Man tut gut daran, sie dabei gewähren zu lassen. Überhaupt beginnt der entspannte und entspannende Teil unseres Treffens erst nach unserem gemeinsamen Parforceritt. Sie hat zuvor allerlei Gebäck eingekauft und versteht es, einen hervorragenden Espresso aufzutischen. Vielleicht liegt in diesem wunderbaren Getränk der eigentliche Grund für unsere Beziehung und deren schon beinahe einjährige Dauer. Ihren Espresso goutiere ich nämlich wie eine himmlische Offenbarung aus einer höheren Welt.

An dieser Stelle möchte ich etwas sagen, was manchem gewiss als Nestbeschmutzung erscheint und doch in aller Offenheit gesagt werden muss. Bei uns in Deutschland schmeckt der Kaffee bekanntlich so, wie man ihn ausspricht, nämlich mit Betonung auf der ersten Silbe. Das heißt, er schmeckt verdächtig nach bräunlichem Abwaschwasser, sofern ihn nicht die besten Restaurants servieren. Die Wiener hingegen hatten das zweimalige Glück, von den Türken belagert zu werden. Bei jeder Belagerung wurde die heimische Zubereitung dieses wundersamen Getränks etwas besser, denn zusammen mit den Geschossen und Flüchen der Ungläubigen drang eben auch der verführerische Duft des Kaffees über die Mauern (Kaffee selbstverständlich auf der zweiten Silbe betont).

Vielleicht liegt die Zeit nicht mehr fern, da Wien diesen Vorsprung verlieren wird. Hinter vorgehaltener Hand wird nämlich gemunkelt, dass die türkische Einwanderung nördlich der Alpen einem ganz anderen als jenem Zweck dient, den man nach außen hin proklamiert: also der Befriedigung eines ehemals großen Bedarfs an Arbeitskräften. In Wahrheit sei dies eine List des Schicksal gewesen, um Deutschland endlich an die Segnungen eines richtig zubereiteten Kaffees zu gewöhnen: heiß wie die Hölle, schwarz wie der Teufel, rein wie ein Engel und süß wie die Liebe.

Gut, dazu soll und mag sich jeder seine eigene Meinung bilden. Hier ist nur festzuhalten, dass Liesl den Kaffee auf meisterliche Weise zuzubereiten versteht. Deshalb schmecken mir selbst die vielen Beilagen, ich meine all die harmlosen Geschichtchen, die sie mir jedes Mal noch zusätzlich serviert. Dazu gehört z.B. der ewige Klatsch aus der Hofreitschule. Der unselige Bratel etwa - der Name tut nichts zur Sache -, der wisse leider mit der Peitsche überhaupt nicht umzugehen; und der Moser, na servus, der verwöhne und verziehe die Hengste auf geradezu kriminelle Weise. Manchmal redet Liesl auch von ihrer Familie, dem alten Geschlecht der Kinskys, das irgendwo aus den Wäldern Böhmens stammt. Den Adelstitel, das herrschaftliche ‚von’, dürfen die Kinskys wie alle übrigen Blaublüter dieses Landes natürlich nicht länger tragen; dieses elitäre Vergnügen hat Karl Renner ihnen leider vermasselt. Das ist der Grund, warum sie den Sozialisten bis heute aufs Innigste hassen. Aber mit oder ohne das ‚von’ vor ihrem Namen, Liesl lässt jedenfalls nicht den geringsten Zweifel daran bestehen, dass in ihren Adern dasselbe gebenedeite Blut wie in denen der edelsten ihrer Araberhengste strömt.

Wenn ihr es genau wissen wollt, ich weiß wirklich nicht, ob ich Lisa Kinsky überhaupt liebe. Vermutlich habe ich sie nie geliebt, sondern mich nur an sie gewöhnt, wie ich mich eben an den köstlich duften Espresso aus ihrer Hand gewöhnte. So ist es schließlich dazu gekommen, dass ich nach unserem gemeinsamen Reitvergnügen recht gern mit ihr zusammen sitze. Ich schlürfe die braune Köstlichkeit in mich hinein und höre mir ihre kindlichen Auslassungen an. Die sind alle von jener ätherischen Konsistenz, die einen Augenblick lang die Leere des Kopfs ausfüllt, um sich restlos und augenblicklich in Luft aufzulösen, sobald ich beim Fortgehen die Tür hinter mir schließe.

Doch nein, heute ist eine Geschichte dabei, die durchaus nicht alltäglich ist, und die es sogar ganz besonders verdient, einen wichtigen Platz in dieser Chronik einzunehmen.

Du wirst es nicht glauben, sagt sie, und tatsächlich weigere ich mich auch zunächst, ihrer Erzählung Glauben zu schenken. Zwei Araber wurden vorgestern aus dem Gestüt Piber in der Steiermark zu uns transportiert. Das ist Routine für alle Hengste, sobald sie vier Jahre jung und zum Zureiten alt genug sind. Du kannst dir vorstellen, wie ungestüm und voll wilder Laune diese halbwüchsigen Lipizzaner sind. An den Transport in den engen Pferdeanhängern hat man sie allerdings schon vorher gewöhnt. Das regt sie nicht mehr sonderlich auf; normalerweise lassen sie die beinahe dreistündige Fahrt widerstandslos über sich ergehen. Zunächst ging denn auch alles gut, aber nur bis zum Gürtel, genauer gesagt, bis zu der Stelle, wo der Transporter den Gürtel quert. Dann aber geschah es. Beide Hengste sind toll geworden. Und zwar nacheinander in beiden Wagen, sie wurden ja getrennt voneinander befördert.

Liesl schüttelt den Kopf.

Unfassbar. Wie kann so etwas passieren? Sie überquerten den Gürtel genau an der Stelle, wo die Triester Straße unter der Eisenbahnbrücke hindurchführt. Die Wagen folgten einander in einem Abstand von etwa zehn Minuten, und beide Male passierte exakt dasselbe. Die Hengste schlugen so wild mit den Beinen, dass sie sich dabei verletzten und das Blech des Transporters verbeulten. In beiden Fällen blieben die Wagen gleich nach Überquerung der Fahrbahn stehen. Als der Fahrer des zweiten Transporters eintraf, sah er den ersten schon auf der anderen Seite des Gürtels in der Wiedner Hauptstraße parken und stellte sich gleich daneben. Beide Chauffeure machten umgehend von der Notspritze Gebrauch, mit der die Tiere im Ernstfall beruhigt werden. Offensichtlich waren die Hengste außer sich. Ich sage dir, solange es die Fahrten vom Gestüt Piper zu unserer Hofreitschule gibt, ist so etwas noch niemals vorgekommen.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich Liesl wie ein kleines Kind anlächle und sie merken lasse, wie wenig ich die Geschichte glaube.

Weißt du, es hat bei euch einmal einen seltsamen Vogel gegeben, Paul Kammerer hieß er, ein Biologe, den man zum Fälscher erklärte, ob mit Recht oder Unrecht, weiß ich nicht. Jedenfalls glaubte der Mann, einem Gesetz der Serie auf der Spur zu sein. Die Dinge träten meist im Cluster auf, so behauptete er. Jedes Ereignis habe sozusagen eine innere Tendenz, sich an einem anderen von gleicher Art festzuhaken. Kammerer suchte sich dafür alle möglichen Beispiele zusammen. Blickte er zufällig aus seinem Fenster auf die Straße, dann kamen entweder zehn Juden vorbei oder keiner. Wenn du mich fragst, ich glaube, dass es sich mit deinen zwei Gäulen auf gleiche Weise verhält.

Wie immer spreche ich absichtlich von Gäulen, um Liesl ein wenig zu reizen. Ihre Augen blitzen dann auf, manchmal bebt ihre Lippe. Dann sieht sie so schön aus, dass ich sogar in Gefahr bin, mich doch noch in sie zu verlieben. Doch diesmal lässt sie sich nicht provozieren.

Willst Du mir etwa einreden, dass alles nur Zufall sei?

Im Gegenteil, erwidere ich lachend. Die beiden Gäule wurden einfach mitten auf dem Gürtel vom Gesetz der Serie heimgesucht. Einmal verrückt, das war jedem von ihnen zu wenig, also sind sie beide gleichzeitig verrückt geworden.

Sie gibt mir mit der Hand einen recht forschen Klaps auf die Wange.

Ich weiß schon, über Ernstes ist mit Dir nicht zu reden. Übrigens auch nicht mit der Polizei. Die haben erst den Kopf geschüttelt, dann haben sie nur noch mitleidig gelächelt. Für schwarze Magie fühle die Polizei der Stadt Wien sich leider nicht zuständig, da solle ich mich doch besser an einen gewissen – wie heißt er noch? – einen gewissen Forchtel wenden.

Liesl war wieder einmal von mir enttäuscht, denn damals habe ich über die Angelegenheit ja noch gespottet. Heute gestehe ich reumütig ein, dass ich mich damals zu Unrecht lustig machte. Ich hätte gewiss nicht gelacht, nein, ich wäre blass geworden, wäre mit Fragen auf sie eingestürmt, hätte ich gewusst, was alles noch kommen sollte. Ich bin eben nicht Dombrowsky, der glücklose Leichenbeschauer. Der wäre sofort stutzig geworden, wenn er vom Gürtel hört.

Bevor ich ihre Wohnung verlasse – mittlerweile ist es zwölf Uhr nachts geworden - fragt Liesl mich beiläufig, ob mir der Name ‚Charmefabrik’ etwas sagt?

Charmefabrik?, entgegne ich. Du willst doch hoffentlich nicht sagen, dass ihr jetzt auch noch den Charme am Fließband erzeugt, wie vorher schon eure Mozartkugeln. Na, bravo!

Sei still, du bist ein Piefke und als solcher kannst du durchaus etwas Zuckerguss von unserem Wiener Charme vertragen. Der geht dir nämlich so ziemlich ab.

Widerspruch liegt mir auf der Zunge. Charmefabrik - wie blödsinnig dieses Wort. Aber irgendetwas reizt mich denn doch.

Das ist Wien, raunt mir eine innere Stimme zu. In Wien ist alles anders, selbst der Blödsinn. Mir schmecken ja auch die Mozartkugeln. Ohne weiter nachzudenken, gebe ich meine Einwilligung, sie bei Gelegenheit dorthin zu begleiten. Sie steckt mir eine Visitenkarte des Vereins in die Jackentasche. Mit flüchtigem Blick lese ich darauf: ‚Elmayers Verein zur Pflege der guten Umgangsformen und der echten Wiener Höflichkeit - kleiner Festsaal im Palais Ferstel’.

Doch dann erstarre ich und muss mich zusammenreißen, um mir nichts anmerken zu lassen.

Du solltest unbedingt einmal kommen, sogar eine Schauspielerin vom Burgtheater, Elisabeth Koschinsky, hat uns kürzlich besucht.

Wien!

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