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Auf dem Weg nach Edo – Tokugawa Ieyasu (1543 – 1616)

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Im 16. Jh. wurde das südliche Kantō-Gebiet von mehreren aufeinanderfolgenden Generationen der Familie Hōjō beherrscht. Während das japanische »Zeitalter der kämpfenden Reiche« (Senjoku-jidai) im ganzen Land seinem Höhepunkt zustrebte, gab es im Osten lange ein Patt zwischen den rivalisierenden Fürstenhäusern Hōjō, Uesugi, Takeda und Imagawa. Solche regionalen Fürsten, daimyō, regierten ihre Territorien faktisch unabhängig von Kaiser und Shōgun, deren tatsächlicher Machtbereich kaum noch über die Hauptstadt Kyōto hinausreichte. Schon um das eigene Gebiet zu schützen waren viele jederzeit zum Angriff auf Nachbarn bereit und die Großen fraßen die Kleinen. Als sich ab 1543 die von einigen gestrandeten Portugiesen vorgestellten Feuerwaffen in Japan verbreiteten, beschleunigte sich der Prozess des Fressens und Gefressen-Werdens: Diejenigen Fürsten, die genug Mittel hatten, sich die neue Waffengattung und vor allem das knappe Schießpulver leisten zu können, schalteten immer mehr Rivalen aus und vergrößerten den eigenen Machtbereich, was wiederum ihre Ressourcen vermehrte.

Die Hōjō gehörten dabei zu den größten Fischen im Haifischbecken und wahrten ihre Unabhängigkeit bis 1590. Sie hatten nicht das altehrwürdige Kamakura, sondern das ca. 80 km westlich von Edo/Tōkyō liegende Odawara zu ihrer Residenz und wichtigsten Burgstadt erwählt. Ihr mehrere Provinzen des Kantō umfassendes Territorium sicherten sie durch ein Netzwerk von Nebenburgen, die wiederum eigene Netzwerke mit Satellitenforts und Grenzposten hatten. Edo war eine solche Nebenburg mit eigenem Netzwerk, gehalten von lokalen Vasallen der Hōjō. Augenscheinlich entwickelte sich die Stadt Edo nicht weiter in dieser Zeit, aber der Burg verblieb eine gewisse Bedeutung bei der Sicherung und Verwaltung eines Teils des Hōjō-Landes.

Die Hōjō waren eher nur entfernte Zuschauer, als ein relativ unbedeutender Daimyō namens Oda Nobunaga (1534 – 1582) sich von seiner Heimatprovinz Owari (das Gebiet um die heutige Großstadt Nagoya) aus aufmachte, eine Provinz nach der anderen in Zentral- und Westjapan zu erobern. 1573 setzte Oda Nobunaga in Kyōto den 15. und letzten Shōgun aus dem Hause Ashikaga ab, wonach dieses Amt 30 Jahre lang unbesetzt blieb. Nach Nobunagas dramatischer Ermordung durch einen unzufriedenen Untergebenen 1582 führte ein anderer vormaliger General des Nobunaga die gewaltsame Landeseinigung fort, Toyotomi Hideyoshi (1536 o. 1537 – 1598). Nach der Eroberung und Umgestaltung von Zentral- und Westjapan fielen 1585 Shikoku und 1587 Kyūshū im Süden. Die Hōjō verpassten den richtigen Zeitpunkt, sich Hideyoshi formell zu unterwerfen und so wenigstens einen Teil ihrer Herrschaft zu retten. Hideyoshis gewaltige Militärmaschinerie setzte sich 1590 mit über 200.000 Mann nach Osten in Bewegung. Burg um Burg fiel. Odawara selbst war zu schwach, die Angreifer zur Feldschlacht zu stellen, aber doch zu zahlreich bemannt, um alle Eingeschlossenen lange genug ernähren zu können. So endete die Zeit der Hōjō mit der Kapitulation und dem erzwungenem Selbstmord des regierenden Fürsten.

Das Jahr 1590 kann auch als das folgenreichste in der bisherigen Stadtgeschichte von Edo angesehen werden, denn am 1. Tag des 8. Monats nach dem alten Mondkalender, also zur Mitte des Herbstes, nahm Fürst Tokugawa Ieyasu (1543 – 1616) offiziell Besitz von seinem neuen Lehen, zu dem die Burg Edo gehörte. Ieyasu tauschte auf Wunsch des Hegemons Toyotomi Hideyoshi seine eigenen, weiter westlich entlang der Tōkaidō-Straße gelegenen fünf Provinzen, darunter sein Stammland Mikawa, gegen die acht Provinzen des Kantō ein. Diese waren: Musashi (heute Tōkyō und die Präfektur Saitama), Sagami (Präfektur Kanagawa), Awa (Chiba), Kazusa (Chiba), Shimōsa (Chiba und Ibaraki), Hitachi (Ibaraki), Kōzuke (Gunma) und Shimotsuke (Tochigi).

Die ganze Region war immer noch weniger entwickelt als der Westen, vor allem aber weit entfernt von Kyōto und Ōsaka, der Hauptburg der Toyotomi. Hideyoshi wollte damit den zweitmächtigsten Mann des Landes und potenziellen Rivalen Tokugawa Ieyasu geografisch von sich entfernen und ihn gleichzeitig auf Jahre hinaus mit Aufbau- und Entwicklungsarbeit beschäftigen. Hätte er gewusst, dass Ieyasu nach Hideyoshis Tod 1598 von seiner neuen Machtbasis Edo aus den Weg zum Alleinherrscher antreten und Hideyoshis Erben 1615 endgültig ausschalten würde, hätte er ihn wohl kaum 1590 als neuen Herrn dort einziehen lassen. Natürlich erkannte Ieyasu Edos strategischen Wert sofort. Er wählte den kleinen Ort mit seiner heruntergekommenen Burg statt des alten Kamakura oder Odawara als Hauptstadt, um völlig neu und in grandiosem Maßstab anfangen zu können. Sein bisheriges Leben hatte ihn vieles gelehrt, das er nun umsetzte.

Genauso wenig wie bei Oda Nobunaga und Toyotomi Hideyoshi war in Ieyasus frühen Lebensjahren abzusehen gewesen, dass er einer der »Drei Reichseiniger« Japans werden und seiner Familie die Herrschaft auf 250 Jahre hinaus sichern würde. Zwar war Ieyasu von adliger Abkunft, seine Anfänge waren aber bescheiden. Das kleine Territorium seines Vaters drohte zwischen den Oda und den Imagawa aufgerieben zu werden, und der Hinwendung zu den Imagawa begegneten die Oda 1548 mit der Entführung des sechsjährigen Ieyasu, den sie mit der Exekution bedrohten, falls sein Vater nicht von den Imagawa zu den Oda wechselte. Dieser erwiderte, der Tod seines Sohns würde nur die Ernsthaftigkeit seines Pakts mit den Imagawa unterstreichen. Ieyasu kam drei Jahre später von den Oda los und verbrachte sein 9. bis 15. Lebensjahr als Geisel der Imagawa in deren Hauptstadt Sumpu, die ihm eine standesgemäße Erziehung angedeihen ließen. Tatsächlich schlug der junge Ieyasu von 1555 bis 1560 mehrere Schlachten für die Imagawa, bevor er nach deren Debakel bei Okehazama 1560 Verbündeter, nicht Vasall, des Siegers Oda Nobunaga wurde.

Es verging kaum ein Jahr, das die beiden nicht auf dem Schlachtfeld sah, und im Schatten des Nobunaga wuchs auch die Macht des Juniorpartners Tokugawa Ieyasu. Für dessen eiserne Entschlossenheit, sich und sein Haus nach oben zu bringen und dort zu halten, spricht auch seine Entscheidung 1579, auf Oda Nobunagas Verlangen hin seine eigene, vielleicht zu Unrecht der Konspiration mit dem Feind bezichtigte Frau sowie seinen ersten Sohn Nobuyasu hinrichten zu lassen.

Toyotomi Hideyoshi als neue Nummer eins ab 1582 zu respektieren, fiel Ieyasu allerdings deutlich schwerer und nach einem unentschiedenen Waffengang 1584, bei dem die kleinere Armee des Ieyasu der größeren des Hideyoshi erfolgreich getrotzt hatte, konzentrierte sich Ieyasu auf den Ausbau seiner eigenen Gebiete. Vielleicht war es den Jahren als Geisel in seiner Jugend zu verdanken, dass Ieyasu warten konnte. Die japanische historische Erinnerung konfrontiert die drei Reichseiniger gern mit der Frage »Was tun, wenn ein Vogel nicht singen will?« Der erste, Nobunaga, würde befehlen, den Vogel zu töten. Hideyoshi, der zweite, würde versuchen, den Vogel zum Singen zu überreden, während Ieyasu, der Dritte, einfach abwarten würde. Noch plastischer ist das Bild der drei, wie Nobunaga mühevoll Reis zur Herstellung der Süßigkeit mochi zu Brei schlägt, Hideyoshi ihn gründlich durchknetet und Ieyasu die fertige Süßigkeit schließlich genüsslich verspeist.

1590 lieh Tokugawa Ieyasu dem inzwischen weiter erstarkten Hideyoshi seinen Arm während des Odawara-Feldzugs gegen die Hōjō und vollzog danach den Wechsel nach Edo. Zu Hideyoshis verschwenderischen und letztlich erfolglosen Feldzügen gegen Korea 1592 – 1598 steuerte Ieyasu kaum etwas bei, sondern trieb den Landesausbau im Osten zielstrebig voran. Als der alternde Potentat Hideyoshi 1598 verstarb, als sein Sohn gerade fünf Jahre alt war, wurde Tokugawa Ieyasu zum mächtigsten Mann im Fünferrat, der die Geschicke des Landes für das Kind lenken sollte. Keiner seiner Gegner glaubte, dass Ieyasu wirklich einen weiteren Toyotomi an der Macht sehen wollte, und sie hatten Recht. Die Spannungen entluden sich 1600 im Feldzug von Sekigahara, bei dem Ieyasus hauptsächlich aus dem Osten stammende Armee die im Namen der Toyotomi kämpfende West-Armee zerschlug.

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