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Der Ausbau von Edo und die Festigung der Macht – von Ieyasu bis zum vierten Shōgun Ietsuna (1641 – 1680)
ОглавлениеAuf Tokugawa Ieyasu folgte schon 1605 sein Sohn Hidetada im Amt des Shōgun, der 1621 von seinem Sohn Iemitsu abgelöst wurde. Als Tokugawa Yoshinobu 1867 zum Rücktritt gezwungen wurde, war er als fünfzehnter Tokugawa-Shōgun zugleich der letzte Shōgun überhaupt.
Von Ieyasus Nachfolgern existieren zwar einige, aber oft nicht wirklich biographisch erhellende Zeugnisse. Sie lebten in der Burg Edo und standen an der Spitze aller Samurai und damit des ganzen Landes. Ihre Macht war im Prinzip so groß, dass europäische Besucher sie oft mit dem Kaiser in Kyōto verwechselten, dessen Bedeutung sich praktisch in seiner Funktion als Quelle der Legitimität erschöpfte. Buchstäblich zu Gesicht bekamen nur wenige einen Shōgun, weil fast alle Menschen sich tief vor ihm zu verneigen hatten und der Herrscher meistens hinter Vorhängen vor den Blicken der Besucher verborgen blieb. Die konfuzianisch geprägten Regeln des Tokugawa-Staats verboten es japanischen Autoren sich in irgendeiner Weise kritisch oder auch nur pointiert zu politischen Fragen oder gar der Person eines Shōgun zu äußern. Die offiziellen Chroniken, die Tokugawa jikki, enthalten natürlich entsprechend regierungsamtlich geprägtes Material. Glücklicherweise waren ausländische Besucher in ihren Briefen, Tagebüchern und gewichtigeren Werken freier in ihren Äußerungen. Nach Lage der Dinge kamen unter den Europäern seit der Mitte des 17. Jhs. nur Mitarbeiter der VOC, der Vereinigten Niederländischen Ostindien-Kompanie, im Rahmen regelmäßiger offizieller Besuchsreisen nach Edo, die der jeweilige Leiter der VOC-Faktorei von Nagasaki aus mit Begleitern durchführte.
Zu den gebildetsten dieser Männer gehörte Isaac Titsingh (1745 – 1812; 1779 – 1784 in Japan), der nicht nur zweimal zum Hof nach Edo reiste, sondern dank guter japanischer Kontakte viel einheimisches Material sammeln konnte, aus dem er ein kolossal anmutendes Standardwerk über das damals im Westen relativ unbekannte Japan machen wollte. Seine weitere Karriere und sein dandyhaftes Leben verhinderten dies, aber nach Titsinghs Tod erschien unter Mitwirkung des Berliner Professors Julius Heinrich Klaproth in Paris ein Destillat, das, zuletzt als Secret Memoirs of the Shōguns auf Englisch herausgegeben, interessante und einmalige biographische Angaben bis hin zum elften Shōgun Ienari enthält.
Auf die übermächtige, schließlich definierte Dynastiegründergestalt Tokugawa Ieyasu folgte, wie bereits erwähnt, sein dritter Sohn Hidetada (1605 – 1623). Hidetadas Regentschaft wurde vom dauernden Einfluss seines übermächtigen Vaters überschattet, dessen Vertrauen in den Sohn angeschlagen war, seit dieser zur Entscheidungsschlacht von Sekigahara 1600 zu spät erschienen war. Andererseits konnte Ieyasu als noch lebender Ex-Shōgun und sogar als Verstorbener zur Sicherung seiner Dynastie beitragen. In Hidetadas Regentschaft fällt der weitere konsequente Ausbau von Edo. Auch Hidetada (gestorben 1632) dankte vorzeitig ab, um seinem neunzehnjährigen Sohn Iemitsu (1623 – 1651) als Ōgosho (Ehemaliger Shōgun) den Rücken zu stärken. Dessen Regierungsjahre fallen zusammen mit der Beschränkung der europäischen Präsenz auf die Holländer in Nagasaki (Sakoku-Edikte) sowie einer drakonischen Christenverfolgung im ganzen Land. In Edo wurde ein kirishitan yashiki (etwa: Christen-Residenz) genanntes Gefängnis errichtet für insgesamt zehn Missionare, die trotz der Verbote noch in Japan waren oder neu kamen. Die Lebensverhältnisse in diesem Gefängnis müssen erträglich gewesen sein, Pater Giuseppe Chiara etwa lebte dort von 1646 bis 1685 und Giovanni Battista Sidotti (1668 – 1715) war dort Gesprächspartner des berühmten Gelehrten und Staatsmanns Arai Hakuseki (s. Der Historiker Arai Hakuseki, S. 82). 1792 wurde das Gefängnis aufgelöst, heute erinnern ein Straßenname und eine Gedenktafel in Kohinata im Bezirk Bunkyo-ku an die Einrichtung.
Weniger glimpflich kamen die japanischen Konvertiten von Edo davon. Schon zu Amtsantritt von Iemitsu wurden 50 Christen öffentlich verbrannt. Spitzel des Shōgunats forschten Samurai und Bürger aus, und alle Stadtbewohner mussten sich in die Gläubigenregister der buddhistischen Tempel eintragen. Blieb ein Verdacht, wurden sie gezwungen, auf Christus- oder Marienbilder, die meistens aus Metall waren und in ihrem abgetretenen Zustand heute noch zu den Sammlungen einiger japanischer Museen gehören, herumtrampeln. Diese Praxis nannte man fumie. Wer sich weigerte, wurde, oft unter der Aufsicht ehemaliger Christen, Verhören und äußerst grausamen Folterungen unterworfen. Zahlreiche Gläubige wurden hingerichtet.
Die Ausrottung des Christentums war so drastisch, dass der amerikanische Historiker George Elison 1973 das Wort »Endlösung« (final solution) als Überschrift für das sie betreffende Kapitel in seinem Buch Deus Destroyed wählte.
Der vierte Shōgun Ietsuna (1651 – 1680) folgte seinem Vater als Zehnjähriger auf den Thron. Obwohl insgesamt fünf Regenten die Staatsgeschicke lenkten, kam die Tokugawa-Dynastie in Bedrängnis. In Edo hatte sich ein Problem mit herrenlosen Samurai, den rōnin, entwickelt. Die häufigen Machtwechsel und Enteignungen in den Fürstenhäusern hatten jedes Mal Hunderte, wenn nicht Tausende von stellungslosen Samurai produziert, von denen viele in der Hauptstadt ihr Glück suchten, und dies keineswegs immer auf gewaltlose Art. Zu Beginn von Ietsunas Amtszeit verdichteten sich die Unruhen zum sog. Keian-Aufstand, auch als Tosa-Verschwörung bekannt. Eine Gruppe von Rōnin unter Führung von Marubashi Chūya und Yui Shosetsu plante, die Stadt Edo anzuzünden, um in der folgenden Konfusion in die Burg des Shōgun einzudringen und diesen zu ermorden. Neben der Not der Rōnin war auch eine alte Rachegeschichte, die einen ehemaligen Fürsten der Provinz Tosa betraf, mit im Spiel. Stümperhafte Ausführung und Verrat erlaubten den Machthabern, den Plan zu entdecken und die Beteiligten hinrichten zu lassen.
Wenige Jahre später brannte Edo aber wirklich. Im ersten Monat des Jahres 1657, als Trockenheit und Wind den Funkenflug begünstigten, verwüstete die als Meireki-Feuer bekannte Katastrophe die Stadt des Shōgun. Zerstört wurden weite Teile der Burg, 160 fürstliche Residenzen, 770 Residenzen von hochrangigen Samurai der Tokugawa (Hatamoto), 350 Tempel und Schreine sowie rund 50.000 Bürgerhäuser – mehr als die Hälfte der Stadt, deren Einwohnerzahl gleichzeitig um 108.000 Brandopfer sank. Erstaunlicherweise konnte Sh-Ōgun Ietsuna nur zwei Jahre später schon einer Zeremonie zur Einweihung des Stadtneubaus beiwohnen. Diese kurze Spanne erklärt sich auch aus dem Übergang von der reichhaltig im Momoyama-Stil verzierten, eleganten Stadt des Tokugawa Ieyasu zu preiswerterem und weniger prunkvollem Bauen.
Die Straßen Edos waren nun von den dunklen Farbtönen nicht-bemalten Holzes, dem Weiß und Beige von Verputz sowie dem Graublau der Dachziegel geprägt. Auf den kostspieligen Wiederaufbau des Bergfrieds der Burg verzichtete man ganz, dessen steinerner Sockel bis heute leer steht. Während Fürsten und Samurai ihre Vasallen und Diener zur Wiederaufbauhilfe heranziehen konnten, hatten wohlhabendere Bürger ihren wichtigsten Besitz und ihr Vermögen als Startkapital in der Regel in feuerresistenten Lagerhäusern hinter ihrem Wohnhaus gesichert, den sogenannten kura, von denen heute noch viele in ganz Japan zu sehen sind. Da in Edo ohnehin jede Generation damit rechnen musste, dass ihr Viertel einmal abbrannte, war man vorbereitet und investierte nicht in Architektur, die für eine Ewigkeit gedacht war. Edo war eben, so der Historiker Nishiyama Matsunosuke, der Doyen der Edo-Forschung, »eine Stadt von Kriegern, Bürgern, Feuern und erzwungenen Umzügen«.