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Engelbert Kaempfer aus Lemgo und der Hunde-Shōgun Tokugawa Tsunayoshi (1646 – 1709)
ОглавлениеDer Pastorensohn Engelbert Kaempfer (1651 – 1716) stammte aus dem westfälischen Lemgo und war auf verschlungenen Wegen in den Privataudienzsaal des Shōgun Tokugawa Tsunayoshi (Regierungszeit 1680 – 1709) gelangt. Zur Schule und Universität war er in Lüneburg, Lübeck, Danzig, Krakau, Königsberg und Uppsala gegangen und hatte Philosophie, Sprachen, Geschichte, Naturgeschichte und Arzneikunde (Medizin) belegt. Diese umfassende Bildung war die Grundlage für sein vielfältiges, ja universales Interesse, das es ihm ermöglichten sollte, Autor des bis ins 19. Jh. unbestritten bedeutendsten westlichen Standardwerks über das geheimnisvolle Japan zu werden. Nachdem Kaempfer in schwedischen, russischen und persischen Diensten gewesen war, trat er 1690 die Stelle als Faktoreiarzt bei den Niederländern in Nagasaki auf der künstlichen Insel Deshima an. 1691 und 1692 reiste er zweimal mit dem Leiter der Faktorei nach Edo, um dem Shōgun die Aufwartung zu machen. Kaempfer verdanken wir einen sehr raren Einblick in den Palast des Shōgun. Zunächst wurde der Faktoreileiter Hendrik van Buijtenhem hereingerufen.
Kaempfer berichtet: »Kaum wahr er verschienen, alß man überlaut rieffe: Hollanda Capitain! zu einem Zeichen, daß er herbeÿ treten und die Reverentz des Homagii ablegen sollte; worauf er zwischen den Ort der rangierten Geschencke und dem hohen Sitzplatz seiner Majestät, so weit man ihme anwiese, auf händen und Knieen herbeÿ kroche, und auf dem Knie liegende, das haupt auf den boden neigte, und in selbiger positur wie ein Krebß, ohne die geringste wortwechselung wieder zurück kroche … Nicht anders geht es zu mit der jährlichen Audientz grosser landesherren, welche ebenfalles nach abgeruffen ihren Nahmen, mit stillschweigen einen gleichen reverentz zu bezeugung Ihrer demut und gehorsams ablegen, und wieder rücklings davon kriechen müssen.«
Damit endete die formelle Audienz, ohne des Shōguns Gesicht gesehen oder seine Stimme gehört zu haben. Anschließend wurden die Holländer aber ungewöhnlicherweise zu einer zweiten, privaten Audienz geführt, wo sie auch dem »kaiserlichen frauen Zimmer« (Kaempfer schreibt aus Unkenntnis der Machtverteilung im Lande wie andere Europäer auch »Kaiser«) und »curieusen Printzessinnen kaiserlichen Geblüets« »zur Speculation und ergötzlichkeit« vorgestellt wurden. Shōgun, Frauen und Staatsräte saßen leicht erhöht und waren durch eine Jalousie verdeckt, während die Holländer zwei Stunden lang Fragen beantworten, singen, Tänze vorführen und sogar »trunken Mann spielen« mussten (Kaempfers Kommentar: »Affenstreiche«). Hier nun erheischt Kaempfer zweimal einen Blick auf die Gemahlin des Shōgun, »dero Gesicht ich beÿ krümmung der Matten 2 mahl erblickte, als ich auf des Kaÿsers begehren dänzete, und beÿ Ihr eine braunliche runde schöne Gestalt mit Europæischen schwartzen Augen, voller feuer und vigeur wahrgenommen, und nach proportionen ihres haupts eine grosse Dame von etwa 36 Jahren zuseÿyn gemuhtmasset.« Von dieser Dame werden wir am Ende des Lebens von Shōgun Tsunayoshi noch einmal hören! Über den Shōgun selbst kann Kaempfer nur berichten, dass er »mit gelinder Stimme hervor brachte, alß wolle Er nicht über laut gehöret seÿn.«
Tokugawa Tsunayoshi, geboren 1646, Verantwortlicher für mehrere dieser ungewöhnlichen zweiten Audienzen mit den Holländern, war mit 34 Jahren seinem älteren Bruder Ietsuna als Shōgun gefolgt. Trotz der erhabenen Inszenierung seiner Majestät ist er in der japanischen kollektiven Erinnerung eher unvorteilhaft als der »Hunde-Shōgun« bekannt.
Dabei hatte seine Herrschaft vielversprechend begonnen. Belesen, in konfuzianisch-patriarchalischer Manier um das Wohlergehen seiner Untertanen besorgt, entzog er insgesamt 46 Fürsten ihre Lehen ganz oder teilweise wegen Missregierung, bannte die in Edo blühende Prostitution sowie Kleiderluxus und erteilte seiner Regierung den Auftrag, den allgemeinen Lebensstandard anzuheben. 1691, im Jahr von Kaempfers erstem Besuch, gründete er in Edo die neokonfuzianische Akademie Yushima Seidō, die Isaac Titsingh als »Universität« bezeichnet. Die fünf Werte Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Ethisches Verhalten, Weisheit und Güte sowie die Betonung väterlicher Autorität sollten Regierungsmitarbeitern wie dem einfachen Volk nahegebracht werden. Doch übertrieb Tsunayoshi den religiös begründeten Eifer, als er ein »Gesetz zum Mitleid gegenüber Lebewesen« erließ, das zum Beispiel den Verkauf von Vögeln und Schildkröten als Nahrungsmittel untersagte und besonders Hunde geradezu zu »Heiligen Kühen« machte. Tsunayoshi selbst war im Jahr des Hundes geboren worden und ließ nun jede Grausamkeit gegenüber Hunden mit Strafen bis hin zum Tod belegen. Bald war die Stadt angefüllt von wilden Hunden, von denen 50.000 in ein Gehege in der Vorstadt transportiert wurden, wo sie auf Staatskosten mit Fisch und Reis gefüttert wurden (Bauern und Tagelöhner in Edo hatten oft nur Hirse als Hauptnahrungsmittel). Das Leben in Edo war hart genug für die meisten Bewohner und an Hunde gab es nichts zu verschenken. Die öffentliche Stimmung verschlechterte sich, weshalb es leicht war den erneuten, auch von Kaempfer bezeugten Brand von 1692, den Taifun von 1706 und den Ausbruch des Fuji 1707 als schlechte Zeichen zu deuten.
Tsunayoshis Ende kam aber infolge einer anderen Leidenschaft. Wie in vielen historischen Kriegergesellschaften war es zwar im feudalen Japan durchaus nicht unüblich, sexuelle Beziehungen zu Männern zu unterhalten, aber Tsunayoshi ging zu weit, als er sich 1709 entschloss, seinen aktuellen Liebhaber, den Sohn des Fürsten von Kai, zu seinem offiziellen Nachfolger zu ernennen. Die Legitimität der Tokugawa-Dynastie hing von der Erbfolge ab, und ein solcher Tabubruch hätte der Anlass zu einem neuen Bürgerkrieg werden können. Nachdem alle Überredungsversuche scheiterten, nahm es Tsunayoshis Frau, selbst die Tochter eines Kaisers, auf sich, ihn am Vortag der Proklamation im Ōoku, dem Frauenteil des Palastes in der Burg, zu erdolchen, bevor sie sich mit derselben Waffe das eigene Leben nahm. Ob es sich dabei um dieselbe Dame mit »schwarzen Augen voller Feuer und Vigeur« handelte, der Kaempfer begegnet war, wissen wir leider nicht genau. In Titsinghs dramatischer Schilderung weist Tsunayoshi die beschwörenden Bitten seiner Frau mit den Worten »Das Reich gehört mir! Ich werde tun, was mir gefällt!« zurück. Genau an dieser Stelle irrte der Hunde-Shōgun. Die meisten Shōgune nach Ieyasu hatten genauso wenig wie andere Fürsten persönlich absolute Macht. Sie standen der Regierung als Symbol und Quelle der Autorität vor und konnten gelegentlich eigene, sogar auch eher seltsame Ideen umsetzen. Letztlich lenkten die Geschicke des Reichs in der Regel hohe Regenten, Vorsteher des Haushalts und Verwandte des Shōgun, wie unter Tsunayoshi zuerst Hotta Masatoshi, später Yanagisawa Yoshiyasu und bis 1705 auch seine kluge Mutter Keishōin. Wenn der Shōgun den Kern seiner Pflichten – den Erhalt der Macht des Hauses Tokugawa – in Gefahr brachte, begab er sich auf dünnes Eis. In den drei Hauptlinien der weit verzweigten Familie Tokugawa war stets geeigneter Ersatz zu finden.
Einschränkend muss aber noch erwähnt werden, dass die Geschichte der Ermordung des Shōgun mit ihren spektakulären Details natürlich nicht in den offiziellen Geschichtsbüchern verzeichnet ist – sie gehörte wohl zu den Gerüchten, die Titsinghs japanische Gewährsleute berichteten; ein Gerücht allerdings, das sich den größeren Teil eines Jahrhunderts gehalten hatte.