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Die Geschichte einer Metropole anhand des Wirkens und der Schicksale herausragender Bewohner über die Jahrhunderte hinweg zu erzählen ist eine Idee, die mich sofort faszinierte. Sicherlich ist es kein Zufall, dass der erste Band in dieser Reihe, der 2013 im Nünnerich-Asmus-Verlag erschien, sich mit Rom befasste – eine Stadt, deren prominente Bewohner von Romulus und Remus über Kaiser, Päpste und Künstlerfürsten bis hin zu Mussolini fest zum mitteleuropäischen Bildungskanon gehören. Aber Tōkyō, das bis 1868 Edo hieß? Wie viel verbindet der Leser in deutschsprachigen Ländern mit Ōta Dōkan und Tokugawa Ieyasu, um die beiden Stadtgründer zu nennen?

Ich erinnerte mich an eine Zeitungsnotiz vor Jahren, in der das Ergebnis einer unter Amerikanern durchgeführten Umfrage über die berühmtesten Japaner veröffentlicht wurde. Auf Platz 1 kam Kurosawa Akira, der Filmregisseur, auf Platz 2 Godzilla, das Filmmonster. Im Pariser Louvre hängt das Bild Die Hochzeit von Kanaa von Paolo Veronese (1562/63), das zahlreiche Große seiner Zeit darstellt, darunter niemanden aus Japan. Natürlich kann man argumentieren, dass Europäer erst wenige Jahre zuvor nach Japan gekommen waren und der Informationsfluss noch spärlich war. Die Zeitschrift Stern berichtet in Ausgabe 15/2012 über ein fast vier Quadratmeter großes neues Bild des italienischen Malers Renato Casaro, dass deutlich inspiriert von Veronese 107 historische Persönlichkeiten aus einer Spanne von 33 Jahrhunderten versammelt. Und auch hier sucht man Japaner oder Japanerinnen vergeblich.

Japan hat es tatsächlich verstanden, sich seinen Inselstatus wirksam zu erhalten, und das viele hier immer noch zu entdeckende Unbekannte macht einen Teil seines Reizes aus. Für dieses Buchprojekt ergab sich aber eine klare Wahlmöglichkeit: Die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen und aufzugeben oder aber die Chance zu ergreifen und den Bogen weiter zu spannen, um so nicht nur die Geschichte der Größten und Mächtigsten von Edo/Tōkyō zu erzählen, sondern eine große Breite an Bevölkerungsgruppen und Gesellschaftsschichten auftreten zu lassen, bis hin zu weitgehend namenlos Gebliebenen, die kollektiv Wichtiges beigetragen haben. Da es also außer einem Grundgerüst an Shōgunen und Kaisern kaum ein »Pflichtprogramm« an Persönlichkeiten abzuarbeiten gab, konnte die ganze Vielfalt und Verschiedenheit des städtischen Lebens an Einzelschicksalen dargestellt werden. Diese Stadt, die als erste der Neuzeit die Ein-Millionen-Einwohner-Marke überschritt und seit dem frühen 17. Jh. das Zentrum Japans auf nahezu allen Gebieten ist, bietet eine ganze Fülle an spannenden, tragischen, skurrilen und inspirierenden Lebensgeschichten von Japanern und Nicht-Japanern, Männern und Frauen, Schurken und Helden, Herrschern und Ausgeschlossenen.

Bei der Vorstellung der einzelnen Personen wurde darauf geachtet, sie möglichst oft selbst zu Wort kommen zu lassen. Die Genres Autobiografie und Tagebuch sind vertreten, typischer aber noch bis ins 20. Jh. hinein war es, seine Ansichten und Empfindungen in Poesie zu verpacken, die uns Einblicke gewährt. So hat Kaiser Meiji (1852 – 1912) kaum ein eindeutiges Selbstzeugnis in Prosa, etwa selbst verfasste Reden oder politische Korrespondenz, hinterlassen, dagegen aber rund 100.000 Kurzgedichte.

Ebenfalls wurde Wert darauf gelegt, die einzelnen Geschichten möglichst genau in der sich entwickelnden Stadttopografie zu verorten und Hinweise auf erhaltene Spuren zu geben. Die beiden von Sascha Lunyakov gestalteten Karten »Edo um 1700« und »Tōkyō in den 1920er-Jahren« sollen dem Leser zur Orientierung dienen.

Beim Schreiben über Japan auf Deutsch ist es immer ein Problem, wie japanische Namen wiedergegeben werden. Ich habe mich entschieden, die japanische Eigenart konsequent beizubehalten, also den Familiennamen vor dem persönlichen Namen zu nennen. Tokugawa Ieyasu war also ein Mann mit dem persönlichen Namen Ieyasu aus der Familie der Tokugawa. Vielen Frauennamen war früher ein sog. Verschönerungs-O vorangestellt, so wurde aus Shichi O-Shichi und aus Yuki O-Yuki, bevor gegen Ende des betrachteten Zeitraums das »O« außer und das an den weiblichen Namen angehängte »-ko« in Mode kam. Was die Aussprache japanischer Namen und Begriffe angeht, so sind alle Vokale kurz bis auf diejenigen, die mit einem Längungsstrich versehen sind (ā, ō, ū). »S« wird scharf ausgesprochen wie in »essen«, »z« bezeichnet einen weichen Zischlaut wie bei »Sonne«. Bei Silben wie »-ku« und »-su« bleibt das »u« oft stumm. Die Aussprache des japanischen »r« liegt in der Mitte zwischen dem deutschen Reibelaut »r« und unserem »l«.

Das Buch endet mit der Zerstörung Tōkyōs 1945, doch die Prägung der Stadtkultur durch die vorgestellten Personen ist bis heute wirksam geblieben. So spazieren die historischen Bewohner aus alten Fotografien auf dem Bucheinband nicht von ungefähr auf der modernen Skyline eines Tōkyōter Innenstadtviertels umher: Unter der ultramodernen Glitzerfassade liegt die Geschichte der Stadt Schicht um Schicht. Für sie Edo/Tōkyō ein wenig besser greifbar zu machen, ist das Anliegen dieses Buchs.

Sehr zu Dank verpflichtet für Unterstützung und guten Rat in verschiedenen Phasen der Arbeit bin ich vielen; besonders aber Petra Balmus, Werner David, Masuo Kataoka, Rodney Johnson, Wolfgang Ettig, dem Team vom Nünnerich-Asmus-Verlag sowie meiner lieben Frau Sumie Ishii-Weber für ihre Mühe bei der Beantwortung meiner zahlreichen, sicher manchmal merkwürdig anmutenden Fragen über ihre Heimatstadt.

Okinawa, im Dezember 2015 Till Weber


Edo um 1700

1 Burg Edo (mit dem Wappen der Tokugawa)

2 Ōtemon-Tor

3 Hanzōmon-Tor

4 Viertel Shimbashi

5 Tsukiji

6 Insel Tsukishima

7 Zōjōji-Tempel

8 Viertel Shiba

9 Tameike-Reservoir

10 Viertel Nihonbashi

11 Nakasendō-Überlandstraße

12 Tōkaidō-Überlandstraße

13 Shinagawa (Poststation)

14 Yotsuya

15 Senkakuji-Tempel

16 Ryōgoku-Brücke

17 Viertel Asakusa

18 Viertel Kanda

19 Viertel Hatchōbori

20 Ginza

21 Yūrakuchō

22 Poststation Naitō-Shinjuku

23 Hongo

24 Viertel Ueno

25 Kan’eiji-Tempel

26 Marunouchi

27 Kasumigaseki

28 Viertel Honjō

29 Viertel Ōtemachi

30 Yaesu

31 Tōkaiji-Tempel (südlich des Ausschnitts)

32 Viertel Shitaya

33 Vergnügungsviertel Yoshiwara

34 Viertel Fukagawa

35 Hinrichtungsstätte Suzugamori (südlich des Ausschnitts)

36 Koishikawa

Graphik: Sascha Lunyakov, Konzeption: Till Weber

Tokyo - eine Biografie

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