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VI
ОглавлениеMalte klopfte nicht an. Er öffnete einfach die Tür zum kleinen Polizeirevier im Rathaus Vitte. Er schlug den Schnee von seinen Klamotten und ließ sich auf Rieders ehemaligen Stuhl fallen. Sein Blick blieb an dem Weihnachtsstern hängen. „Was ist das? Damp, hast du den grünen Daumen entdeckt?“
„Ist ein Überbleibsel von der Blohm.“
„Ach, die hübsche Polizistin aus Bergen. Die sah nicht schlecht aus.“
„Seit wann interessierst du dich für Frauen?“, fragte Damp.
„Nicht von sich auf andere schließen“, antwortete Fittkau. Er prüfte mit dem Finger die Feuchtigkeit im Blumentopf. „Der braucht mal Wasser.“
„Bin ich hier bei, Du und Dein Garten‘? Mir doch egal, was aus dem Topf wird.“
Malte lehnte sich zurück und betrachtete den Schreibtisch genauer. „Ich verstehe. Das war so eine Art Andenken an den Kommissar. Hatten die beiden was miteinander?“
Damp zuckte mit den Schultern.
„Hast du denn mal was von Rieder gehört?“
Damp schüttelte den Kopf.
„Schon klar“, meinte Malte. „Du und Rieder, ihr wart nicht unbedingt das Traumpaar hier auf der Insel. Aber …“
„Können wir zur Sache kommen“, unterbrach Damp ihn barsch. „Hast du was über unsere Leiche, diesen Dehne rausbekommen?“
Malte setzte seine Schapka ab und legte sie auf den Tisch. Dann öffnete er seelenruhig seine Jacke. Damp wurde ungeduldig. Er rutschte auf seinem Stuhl unruhig hin und her.
„Damp, was du auch nach zwanzig Jahren Marktwirtschaft noch nicht begriffen hast: das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Da bist du nicht der Einzige hier auf der Insel. Aber das nur mal so nebenbei. Um es klar zu sagen: Du willst was von mir, denn ich habe nicht blöd vor einem Haus in Vitte Süderende gestanden, in dem kein Mensch mehr wohnt, sondern …“, er zeigte grinsend auf Damp, „du! Und wer kann dich von dieser Unwissenheit befreien?“ Er drehte den Finger in seine Richtung. „Ich.“
„Schon gut. Also, was hast du erfahren?“
„Es wird dir nicht gefallen.“ Malte beugte sich nach vorn. „Dehne hat das Haus und das Haus der Eltern seiner Frau in der Dünenheide im vergangenen Frühjahr verkauft. Die ist übrigens vor etwas mehr als zwei Jahren an Krebs gestorben. War wohl ziemlich hart für Dehne. Und weißt du, an wen er verkauft hat?“ Malte machte eine Kunstpause. Damp verdrehte die Augen. „An Ulrike und Peter Stein.“
Damp schnappte wie ein Fisch nach Luft. Malte bekam schon Angst, der Polizist würde kollabieren, aber dann atmete er tief aus und schüttelte sich. Es war Ulrike Stein gewesen, die Damp und Rieder mit gezogener Waffe gezwungen hatte, in ein Paddelboot zu steigen, um sie auf der Ostsee dem fast sicheren Tod entgegentreiben zu lassen.
„Und das ist noch nicht alles“, setzte Malte seinen Bericht fort, nachdem er sicher war, dass sich Damp etwas erholt hatte. „Die Häuser werden jetzt von der Hausverwaltung Zabel betreut.“
„Zabel?“
„Kurt und Marie Zabel.“
Das waren Freunde von Ulrike Stein. Sie hatten ihr ein falsches Alibi für den Mord an ihrem Mann, dem Bauunternehmer Peter Stein, gegeben.
„Sitzen die nicht im Knast wegen Beihilfe?“, fragte Damp wütend.
„Bist du der Polizist oder ich?“
„Wieso verwalten die Zabels jetzt die Häuser der Steins? Da war doch noch der Bruder von dem Peter Stein? Dieser Jan!“
Malte schüttelte den Kopf. „Du bist echt nicht auf dem Laufenden. Jan Stein ist in einer Entzugsklinik, irgendwo bei Schwerin. Da hat er sich am selben Tag eingewiesen, als Ulrike Stein euch auf große Fahrt geschickt hat.“ Malte lachte kurz in sich hinein, wurde aber gleich wieder ernst, als er Damps wütenden Blick sah. „Die Zabels konnten offenbar glaubhaft machen, dass sie nicht bemerkt hätten, wie Ulrike mal kurz während der Grillparty verschwunden war, um ihrem Ex, dem lieben Peter, das Licht auszuknipsen. Sie hätten gedacht, sie wäre mit ihrem Lover, diesem Russen, im Bootshaus für ein Schäferstündchen abgeblieben. Damit sind sie schön raus. Außerdem kann man als Mörderin auch weiter Hausbesitzerin sein. Jan allerdings will wohl klagen, um wenigstens die Firma ‚Inselbau‘ zu bekommen. Aber der Rechtsstreit ist noch nicht entschieden.“
Damp stöhnte auf. „Ich dachte, all das läge hinter mir.“
„Tja, falsch gedacht.“
„Und was ist sonst mit dem Dehne?“
„Hat jetzt ein Hotel in Kloster, oben am Dornbusch. Ist aber wohl noch nicht in Betrieb. Die alte Vogelwarte. Mehr wissen die Vitter auch nicht. Ist ja in Kloster.“ Kloster war der nördliche Inselort und gerade mal drei Kilometer von Vitte entfernt. Aber die Hiddenseer blieben in ihren Orten meistens sehr unter sich.
„Soll wohl ziemlich schick sein“, erzählte Malte weiter. „Hat übrigens alles Peter Stein mit seiner ‚Inselbau‘ noch gebaut. Davor war Dehne Biolehrer an der Inselschule. Aber wenigstens das wusstest du ja schon.“
Das Telefon klingelte. Damp ging ran. Seine Miene verfinsterte sich immer mehr mit der Dauer des Gesprächs. Er warf den Hörer auf die Gabel. „Nicht mein Tag“, raunte er mehr zu sich selbst.
„Was?“, fragte Malte.
Damp winkte ab. „Sie schicken mir die Blohm als Verstärkung. Kommt mit Behm von der Spurensicherung. Außerdem fliegt der Pathologe aus Greifswald, dieser Krüger, mit einem Rettungshubschrauber ein, um die Leiche zu holen.“
„Wird auch Zeit“, bemerkte Malte. „Lange könnt ihr das den Feuerwehrmännern nicht mehr zumuten, an dem alten Kahn die Totenwache zu halten.“
Damp rieb sich das Kinn. „Wo bringe ich nur die Blohm unter?“ Er sah Malte an. „Kann sie wieder in Rieders Haus im Wiesenweg?“
„Wenn du sie morgen auch auftauen möchtest?“, gab Malte trocken zurück. „Du kriegst die Bude nicht warm. Das ist ein Sommerhaus mit dünnen Wänden. Außerdem habe ich das Wasser abgedreht. Ich grabe mich jedenfalls nicht durch den Schnee, um den Schieber wieder zu öffnen.“
„Kannst du die Blohm nicht bei dir unterbringen?“
„Ich vermiete nicht im Winter.“
„Aber die Hotels sind zu teuer. Es soll nicht mehr als vierzig Euro kosten. Außerdem sind ‚Godewind‘ und ‚Hitthim‘ ausgebucht, so lang die Touris nicht von der Insel runter sind.“
„Da gibt’s doch noch ’ne Menge anderer Vermieter.“
„Erstens haben die alle auch noch die Buden voll und zweitens machen die meisten gleich zu, wenn die Urlauber weg sind.“
Malte überlegte. „Gut, für die vierzig kann sie bei mir übernachten.“ Das wäre für ihn ein gutes Geschäft. Sonst vermietete er ein Bett für nicht mehr als dreizehn Euro.
„Aber mit Frühstück“, setzte Damp hinzu.
„Vergiss es. Bei mir gibt’s kein Frühstück. Müssen sich die Gäste selbst machen. Da mach ich keine Ausnahme. Wenn sich das rumspricht.“
„Wo soll sie sich hier was kaufen? Warst du mal im Supermarkt? Die Regale sind leer.“
„Tütensuppen und Konserven gibt’s noch jede Menge.“
„Ich könnte noch was drauflegen.“
„Für wie lang soll es denn sein?“
„Wenn der Dehne nur erfroren ist, biste sie morgen wieder los. Wenn nicht, kann es dauern. Mindestens ’ne Woche, denke ich. Vielleicht sogar länger.“
Malte überschlug im Kopf, was ihm die Übernachtung bringen würde. Jetzt waren seine Zimmer nur totes Kapital. Außerdem schien er hier noch was rausholen zu können. „Gut. Dann aber fünfundvierzig pro Nacht.“
Er reichte Damp die Hand über den Tisch. Der schlug ein. „Abgemacht.“
Damp grinste. „Ich hätte auch fünfzig zahlen können.“
Malte wollte etwas Gemeines entgegnen, da flog die Tür auf und Bürgermeister Thomas Förster stürmte herein.
„Hallo, Damp.“
Malte nickte er nur kurz zu.
„Haben Sie mal aus dem Fenster gesehen. Da stehen schon wieder mindestens fünfzig Leute mit Kindern, Sack und Pack.“
Damp drehte sich mit seinem Drehstuhl kurz um. Seit Neujahr wiederholte sich jeden Morgen das gleiche Schauspiel. Touristen marschierten vor dem Rathaus auf und warteten auf eine Möglichkeit, von der Insel zu kommen. Stumm standen sie dort im Schnee und forderten mit ihrem stillen Protest von der Inselverwaltung Hilfe.
„Wir müssen da raus, Damp, und mit den Menschen reden.“
Doch der Polizist hob abwehrend die Hände. Er zeigte auf Malte. „Zeugenvernehmung. Ich muss Herrn Fittkau über das Auffinden des toten Herrn Dehne befragen. Stralsund will so schnell wie möglich einen Bericht.“
„Kann das nicht warten?“
„Tut mir leid. Polizeichef Bökemüller hat schon angerufen und Druck gemacht.“
„Gibt es denn schon neue Erkenntnisse, wie der Mann zu Tode gekommen ist?“
Damp schüttelte mit einem bedauernden Gesichtsausdruck den Kopf. „Deshalb sitze ich hier mit Herrn Fittkau. Er war der Erste an der „Caprivi“ und er wohnt ja auch dicht dran am möglichen Tatort.“
„Dann machen Sie mal ihre Arbeit“, sagte Förster enttäuscht.
„Kommt denn nun mal irgendwann ein Hubschrauber von der Bundeswehr?“, mischte sich Fittkau ein. „Die können uns doch hier nicht verhungern lassen.“
„Ich habe gerade heute Morgen mit dem Krisenstab in Stralsund telefoniert“, berichtete der Bürgermeister. „Sie haben mir kaum Hoffnung gemacht. Die Bundeswehr hat das Hilfeersuchen abgelehnt. Die meisten Kapazitäten seien in Afghanistan. Hier in Deutschland gebe es kaum noch Reserven. Und die wären auch nicht alle einsatzfähig, weil Ersatzteile fehlen.“
„Tja, siehste, Malte“, meinte Damp, „die Freiheit wird am Hindukusch verteidigt und nicht auf Hiddensee.“